OGH vom 21.02.2018, 7Ob218/17k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, gegen die beklagte Partei Dr. S***** K*****, Rechtsanwalt, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Kasseroler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 53.868,82 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 135/17k-26, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, er hätte als Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter wissen müssen, dass die durch die Freihandverwertung zweier überbelasteter Liegenschaften nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit ausgelöste Körperschaftssteuerforderung keine Sondermasseforderung darstelle, sondern als Neumasseforderung die allgemeine Masse treffe. Vor diesem Hintergrund hätte der Beklagte vom Freihandverkauf Abstand nehmen und auf eine Ausscheidung der Liegenschaften gemäß § 119 Abs 5 IO hinwirken müssen. Darüberhinaus habe der Beklagte die Steuerforderung der Klägerin nicht mit den verbleibenden Mitteln aus der allgemeinen Insolvenzmasse sichergestellt und das Vermögen unzulässig in der Rangfolge des § 47 Abs 2 IO verteilt.
2.1 Gemäß § 81 Abs 3 IO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten für Vermögensnachteile, die er ihnen durch pflichtwidrige Ausführung seines Amtes verursacht, verantwortlich. Diese Haftung des Insolvenzverwalters ist nicht bloß subsidiär, sodass sie nur mangels Befriedigung aus der Masse in Anspruch genommen werden könnte, sondern begründet einen selbständigen Rechtsschutzanspruch und eine verschuldensabhängige Ersatzpflicht nach den Regeln des ABGB (RISJustiz RS0065416; insbesondere 1 Ob 235/16i).
2.2. Beim Sorgfaltsmaßstab des Insolvenzverwalters ist von der Kenntnis und von Fähigkeiten auszugehen, die bei einem Insolvenzverwalter gewöhnlich vorauszusetzen sind. Den belangten Insolvenzverwalter trifft die Beweislast nach § 1298 ABGB. Ihm obliegt es, zu beweisen, dass er die nach § 1299 ABGB geforderte objektive Sorgfalt bei der Führung seiner Arbeit eingehalten hat (RISJustiz RS0106337 [T1, T 2], RS0026221 [T3]). Er haftet – wie Sachverständige allgemein – nicht für außergewöhnliche Kenntnisse (RISJustiz RS0026584, RS0026489).
Die zur Haftung eines Rechtsanwalts, dessen Haftungsmaßstab ebenfalls nach § 1299 ABGB zu beurteilen ist, ergangene oberstgerichtliche Rechtsprechung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Ein Rechtsanwalt haftet seiner Partei gegenüber für Unkenntnis der Gesetze sowie einhelliger Lehre und Rechtsprechung. Er haftet jedoch nicht für eine unrichtige, aber vertretbare Gesetzesauslegung, auch wenn diese in der Folge vom Gericht nicht geteilt wird; vertretbar ist eine Rechtsmeinung dann, wenn sie in der Rechtsprechung, wobei allerdings höchstgerichtliche Rechtsprechung ausschlaggebend ist, und Lehre bereits geäußert wurde (RISJustiz RS0038663 [T10]). Die Unvertretbarkeit der Rechtsansicht wird dann angenommen, wenn von einer klaren Gesetzeslage ohne sorgfältige Überlegungen und Darlegung der Gründe abgewichen wird (RISJustiz RS0107814). Hat sich zu einer bestimmten Rechtsfrage eine Spruchpraxis noch nicht gebildet und sind die gesetzlichen Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig, sondern enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts, so ist dem Rechtsanwalt ein Verschulden nur dann anzulasten, wenn bei pflichtgemäßer Überlegung die von ihm eingehaltene Vorgangsweise nicht mehr als vertretbar bezeichnet werden kann. Die Fehlbeurteilung einer komplizierten Materie kann nicht ohne weiteres als Sorgfaltsverletzung angelastet werden (RISJustiz RS0026732).
3. Ob die dargelegten Kriterien für eine Haftung des Insolvenzverwalters bzw eines Rechtsanwalts gegeben sind, lässt sich nur nach der Lage des konkreten Einzelfalls beurteilen.
3.1 Eine auffallende und damit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts lässt sich im Zusammenhang mit der Zuordnung der Körperschaftssteuer durch den Beklagten zur Sondermasse und Durchführung des Freihandverkaufs anstelle der Überlassung der Liegenschaften nach § 119 Abs 5 IO nicht erkennen:
3.1.1 Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof den Spekulationsgewinn (8 Ob 228/00p) und die Einkommens oder Körperschaftssteuer (8 Ob 66/08a, 8 Ob 87/10t) der allgemeinen Masse, die Kapitalertragssteuer (KESt) hingegen der Sondermasse (8 Ob 66/08a) zurechnete.
Das 1. Stabilitätsgesetz 2012 ersetzte die „Spekulationssteuer“ durch die „Immobilienertragsteuer“. Nach der ErläutRV 1680 BlgNR 24. GP S 2, 10 war das Vorbild für die Regelung die KESt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags (29. 11./) war die Behandlung dieser Steuer in der Insolvenz in der Lehre strittig. Hämmerle (Müssen Pfandgläubiger für die Immobilienertragsteuer aufkommen?, ZIK 2012/245) erachtete die Steuer als mit dem sonstigen Vermögen des Schuldners verflochten. Kanduth-Kristen (Liegenschaftsveräußerungen nach dem 1. StabG 2012 – ist die Einkommensteuer nun doch eine Sondermasseforderung?, ZIK 2012/121) und Engelhart (in Konecny, Insolvenzgesetze § 46 IO Rz 121, Stand ) hingegen ordneten diese neue Steuer aufgrund der Nähe zur KESt der Sondermasse zu, was letztlich sogar der in einem Entwurf für einen Wartungserlass zu den Einkommensteuerrichtlinien vertretenen Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen entsprach. Zu 8 Ob 141/12m vom stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass auch die Immobilienertragsteuer als Einkommensteuer eine Forderung gegen die allgemeine Masse ist.
Dass dem Beklagten nach Ansicht des Berufungsgerichts vor diesem Hintergrund im Zusammenhang mit der Zuordnung der Steuerforderung zur Sondermasse keine unvertretbare Rechtsansicht vorgeworfen werden könne, stellt im vorliegenden Einzelfall keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
3.1.2 Zweck der Vorschrift des § 119 Abs 5 IO ist, solche Vermögensgegenstände aus der Insolvenzmasse zu lösen und dem Schuldner zur freien Verfügung zu überlassen, deren Verwertung in der Insolvenz beim Vergleich des Aufwands mit dem Erfolg für die Masse offenkundig unwirtschaftlich erscheint, weil kein oder kein nennenswerter Erfolg zu erwarten ist (RIS-Justiz RS0065251). Die Ausscheidung einer Sache von an sich nicht unbedeutendem Wert hat nur dann zu erfolgen, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass für die Insolvenzgläubiger die Ausscheidung vorteilhafter ist als der Verbleib der Sache in der Masse. Die zu treffende Prognose hat sich daran zu orientieren, zu welchem Ergebnis das konkrete Insolvenzverfahren führen soll (RIS-Justiz RS0065251 [T2]).
Hier stand der Belastung der Liegenschaften in Höhe von rund 2,8 Mio EUR der vom Sachverständigen ermittelte Wert von rund 2,5 Mio EUR gegenüber, sodass bei günstigem Verkauf ein Überschuss zugunsten der Masse möglich gewesen wäre. Auch hier erweist sich die Beurteilung der Vorinstanzen, die Vertretbarkeit des Vorgehens des Insolvenzverwalters (Freihandverkauf anstelle Ausscheidung) zu bejahen, als nicht korrekturbedürftig.
3.2 Reicht die Masse auch für die Erfüllung aller Neu-Masseforderungen nicht aus, so gilt das Fälligkeitsprinzip. Derjenige, dessen Forderung zuerst fällig wird, hat daher Anspruch auf Befriedigung durch den Insolvenzverwalter (3 Ob 92/12v). Die Klägerin selbst geht von einer unzureichenden Deckung der Neu-Masseforderungen aus, weshalb schon offen bleibt, aus welchen (allgemeinen) Massemitteln der Beklagte die vermisste Sicherstellung der erst mit , sohin nach rechtskräftiger Aufhebung des Insolvenzverfahrens, fällig gewordenen Steuerforderung hätte bewerkstelligen können, ohne das Fälligkeitsprinzip zu verletzen. Die in der Revision zitierte Entscheidung 8 Ob 29/05f betraf einen anderen Sachverhalt.
3.3 Der pauschale Verweis der Klägerin, der Beklagte habe das Vermögen in der Rangordnung des § 47 Abs 2 IO unzulässig verteilt, entbehrt der konkreten, nachvollziehbaren Angabe, inwiefern dadurch eine Verkürzung in der Befriedigung der Klägerin eingetreten sein soll.
4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00218.17K.0221.000 |
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