OGH 24.07.2019, 6Ob135/19z
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin N*****, Ungarn, vertreten durch Dr. Katharina Taudes, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Antragsgegner G*****, vertreten durch Dr. Lorenz Wolff, Rechtsanwalt in Salzburg, als Verfahrenshelfer, wegen Rückführung der minderjährigen L*****, geboren am ***** 2015, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 131/19v-105, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 20 Ps 105/18h-88, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren über die Rückführung der Minderjährigen in das Staatsgebiet Ungarns wird unterbrochen und nur über Antrag fortgesetzt.
Text
Begründung:
Das Rekursgericht verpflichtete den Antragsgegner, die Minderjährige in das Staatsgebiet Ungarns zurückzuführen; sollte die Minderjährige nicht bis längstens zurückgekehrt sein, ordnete es die zwangsweise Durchsetzung der Rückführung an.
Dagegen erhob der Antragsgegner einen außerordentlichen Revisionsrekurs, die Antragstellerin erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung.
Am bestimmte das ungarische Amtsgericht Szigetszentmiklós (als Pflegschaftsgericht) mittels vorläufig vollstreckbarer einstweiliger Verfügung den Aufenthaltsort der Minderjährigen beim Antragsgegner in Österreich. Es bestehe zwar kein Umstand, der begründen würde, dass das Gericht die Ausübung von sämtlichen Teilberechtigungen der elterlichen Sorge dem Antragsgegner überlässt, es diene aber dem Wohl der Minderjährigen nicht, wenn sie aus dem bisherigen gewöhnlichen ihr Sicherheit und Berechenbarkeit gebenden Umfeld herausgerissen wird, bis die elterliche Sorge rechtskräftig entschieden ist.
Am beantragte der Antragsgegner die Unterbrechung des Rückführungsverfahrens.
Mit Beschluss vom nahm das Erstgericht gemäß §§ 111a, 110 AußStrG Abstand von der zwangsweisen Durchsetzung der angeordneten Rückführung bis zum Vorliegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (über den außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den die Rückführung anordnenden Beschluss des Rekursgerichts).
Die Antragstellerin äußerte sich über Einladung durch den Obersten Gerichtshof (LGZ Wien EFSlg 151.795 [2016] unter Hinweis auf OLG Wien 14 R 207/98h und OLG Linz 2 R 202/02t; idS auch 6 Ob 72/18h [ErwGr 1.] GesRZ 2018, 353 [Hochedlinger/Höntsch]; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² [2019] § 25 Rz 40 [in Druck]; Schneider in Schneider/Verweijen, AußStrG [2018] § 25 Rz 52) zum Unterbrechungsantrag und berief sich vor allem darauf, dass es sich bei der Entscheidung des Amtsgerichts Szigetszentmiklós lediglich um eine einstweilige Verfügung handle, „weshalb auch die Rechtskraft dieses Beschlusses keine Relevanz für das gegenständliche Verfahren“ habe.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 111e AußStrG ist das Rückführungsverfahren gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG zu unterbrechen, wenn dem Antragsgegner während des im Inland anhängigen Rückführungsverfahrens von der zuständigen Behörde im ersuchenden Staat das Recht zur Bestimmung des Aufenthalts für das widerrechtlich verbrachte oder zurückgehaltene Kind zwar rechtswirksam, jedoch bloß vorläufig oder nicht rechtskräftig zugewiesen wird. Der erkennende Fachsenat des Obersten Gerichtshofs hat dazu bereits klargestellt, dass eine Entscheidung rechtswirksam iSd § 111e AußStrG dann ist, wenn ihr nach dem ausländischen Recht die Beschlusswirkungen iSd § 43 Abs 1 AußStrG (Vollstreckbarkeit, Verbindlichkeit der Feststellung oder Rechtsgestaltung) zukommen oder mit anderen Worten: wenn ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung keine aufschiebende Wirkung hat (6 Ob 143/18z iFamZ 2018/225 [Fucik]). Diese Voraussetzungen erfüllt hier die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Szigetszentmiklós; dass die Antragstellerin gegen diese Entscheidung iSd § 111e AußStrG ein Rechtsmittel oder einen sonstigen Rechtsbehelf erhoben hätte und dass diesen nach dem ausländischen Verfahrensrecht aufschiebende Wirkung zukäme, behauptet sie nicht (6 Ob 143/18z; Gitschthaler aaO Rz 56).
2. Der Einwand der Antragstellerin, es handle sich bei der Entscheidung des Amtsgerichts Szigetszentmiklós lediglich um eine einstweilige Verfügung, geht ins Leere, erfasst § 111e AußStrG doch gerade auch „bloß vorläufig[e]“ Entscheidungen.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin N*****, Ungarn, vertreten durch Dr. Katharina Taudes, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen den Antragsgegner G*****, vertreten durch Dr. Lorenz Wolff, Rechtsanwalt in Salzburg als Verfahrenshelfer, wegen Rückführung der minderjährigen L*****, geboren am ***** 2015, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom unterbrach der Oberste Gerichtshof gemäß § 111e AußStrG das Verfahren über die Rückführung der Minderjährigen, die sich derzeit beim Vater (Antragsgegner) in Österreich aufhält, nach Ungarn, wo die Mutter (Antragstellerin) lebt, im Hinblick auf eine Entscheidung des ungarischen Amtsgerichts Szigetszentmiklós (als Pflegschaftsgericht) vom , wonach es dem Wohl der Minderjährigen nicht diene, wenn sie aus dem bisherigen gewöhnlichen ihr Sicherheit und Berechenbarkeit gebenden Umfeld herausgerissen wird, bis die elterliche Sorge rechtskräftig entschieden ist; das Verfahren werde nur über Antrag fortgesetzt.
Am beantragte die Mutter, das Verfahren über die Rückführung fortzusetzen und den Akt wiederum an den Obersten Gerichtshof zu übermitteln. Der Gerichtshof Budapest habe den der Entscheidung des Amtsgerichts Szigetszentmiklós zugrunde liegenden Antrag des Vaters abgewiesen.
Der Vater sprach sich gegen die Fortsetzung des Rückführungsverfahrens aus; er habe gegen die Entscheidung des Gerichtshofs Budapest ein außerordentliches Rechtsmittel erhoben.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 6 Ob 135/19z nicht – wie in der Entscheidung 6 Ob 143/18z iFamZ 2018/225 (Fucik) – das Verfahren über den Revisionsrekurs, sondern das (gesamte) Verfahren über die Rückführung der Minderjährigen unterbrochen. Folgerichtig hat deshalb die Antragstellerin auch die Fortsetzung des (Rückführungs-)Verfahrens (durch das Erstgericht) und (sodann) die Vorlage des Aktes an den Obersten Gerichtshof beantragt. Über den Fortsetzungsantrag hat somit zunächst das Erstgericht zu entscheiden. Da das Erstgericht bereits mit Beschluss vom gemäß §§ 111a, 110 AußStrG Abstand von der zwangsweisen Durchsetzung der angeordneten Rückführung bis zum Vorliegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (über den außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den die Rückführung anordnenden Beschluss des Rekursgerichts) genommen hat, liegt hier kein im Interesse des Kindeswohls zu beachtender Umstand vor, der (allenfalls) eine sofortige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den Fortsetzungsantrag notwendig machen könnte; ein solcher wird von den Parteien auch nicht behauptet.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00135.19Z.0724.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAD-49539