OGH vom 22.10.2019, 2Ob148/19g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj L***** S*****, geboren am ***** 2004, vertreten durch die Mutter N***** S*****, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei A*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 926.549,82 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 48/19g-85, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung zu den Kosten der Pflege von Verletzten durch Familienangehörige ist der (gegenüber gesunden Kindern erhöhte: 8 Ob 81/16v) tatsächliche Pflegebedarf konkret zu ermitteln und sodann der objektive Wert der von dritter Seite erbrachten Sach- oder Arbeitsleistung zur Grundlage der Vergütung zu nehmen. Es wird darauf abgestellt, welche Kosten die Befriedigung dieser konkreten Bedürfnisse durch professionelle Kräfte erfordern würde. Die Pflegeleistungen sind nicht als fiktiver Schaden bzw als fiktive Aufwendungen zur Schadensbeseitigung zu qualifizieren, weil die Pflege tatsächlich durchgeführt wird. Fiktiv ist lediglich die Berechnungsmethode, weil der Berechnung Leistungen durch professionelle Kräfte zugrunde gelegt werden, die in dieser Form nicht erbracht werden (2 Ob 110/16i; RS0022789 [T10]).
Die von der Revisionswerberin gewünschte „ex-ante“-Betrachtung dahingehend, dass aufgrund der jederzeit möglichen epileptischen Krampfanfälle, die einer Betreuung durch eine diplomierte Pflegefachkraft bedürften, eine 24-Stunden-Betreuung durch eine solche diplomierte Pflegekraft zu ersetzen sei, steht mit dieser Rechtsprechung nicht im Einklang, läuft sie doch auf die Berücksichtigung eines fiktiven Schadens hinaus. Entscheidend ist nicht, ob die Klägerin, würden ihre Eltern die Betreuung nicht übernehmen, vorsorglich eine diplomierte Pflegekraft beschäftigen müsste, sondern eben nur der objektive Wert der von den betreuenden Familienmitgliedern tatsächlich erbrachten Leistungen.
2. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde die Frage, ob für einzelne Pflegeleistungen eine diplomierte Pflegekraft erforderlich wäre oder ob eine weniger qualifizierte (professionelle) Pflegekraft ausreichen würde, als Tatsachenfrage behandelt (5 Ob 50/99k). Dazu liegen – auch in Form von Tabellen – auf dem Gutachten eines Sachverständigen beruhende lückenlose Feststellungen des Erstgerichts für den gesamten vom Klagebegehren umfassten Zeitraum vor. Diese Feststellungen sind in dritter Instanz nicht mehr bekämpfbar und zwar auch nicht dadurch, dass das Gutachten des Sachverständigen in Frage gestellt wird.
3. Zu den Zeiten des tatsächlichen Pflege(mehr)aufwands kommt noch jene Zeit, in der zwar keine konkrete Pflege und Betreuung notwendig ist, aber dennoch eine Betreuungsperson anwesend sein muss, etwa im Sinn einer Rufbereitschaft oder um unvorhersehbar auftretende Betreuungsnotwendigkeiten übernehmen zu können. Handelt es sich bei der Betreuungsperson aber um einen im selben Wohnverband lebenden Angehörigen, so sind Zeiten, während derer die Pflegeperson jedenfalls in derselben Wohnung (und daher auch beim Verletzten) anwesend wäre, insbesondere während der Nacht und während der Hausarbeit, nicht zu ersetzen, weil sie keinen konkreten Schaden darstellen (8 Ob 72/18y; 2 Ob 110/16i; RS0022789 [T3, T 17]). In diesen Zeiten wird daher die „reine Anwesenheit/Rufbereitschaft“ nicht abgegolten.
Aus den Feststellungen des Erstgerichts geht mit ausreichender Klarheit hervor, dass es sich beim „unfallskausalen Pflegeaufwand“ um den Mehrbedarf gegenüber einem gesunden Kind gleichen Alters handelt. Es trifft daher nicht zu, dass das Erstgericht keinen Unterschied zu den für ein gesundes Kind zu erbringenden Leistungen gemacht hat. Die Nichtberücksichtigung zusätzlicher „bloßer“ Überwachungszeiten (ohne Pflegeleistungen) während der Nachtstunden steht jedoch im Einklang mit der Rechtsprechung, weil auch die Betreuungsperson eines gesunden Kindes im jeweiligen Alter der Klägerin in dieser Zeit anwesend gewesen wäre.
4. Die Vorinstanzen ließen für das Jahr 2012 eine große Anzahl von „Beaufsichtigungsstunden“ unberücksichtigt, weil wegen des im Jahr davor geborenen Bruders der Klägerin ohnehin eine Aufsichtsperson im gemeinsamen Haushalt aufhältig sein habe müssen. Das Erstgericht hat dazu die – vom Berufungsgericht im Rahmen der Erledigung der Tatsachenrüge gebilligte und den Obersten Gerichtshof daher bindende – Feststellung getroffen, dass diese Stunden auf die „bloße Beaufsichtigung“ der Klägerin entfielen. Dass die Betreuungsperson ohne den Unfall diese Zeiten (zumindest teilweise) als Freizeit außer Haus verbracht hätte, lässt sich dieser Feststellung nicht entnehmen (zur diesbezüglichen Beweislast des Geschädigten vgl 2 Ob 176/05d; RS0022789 [T3]). Davon abgesehen wurden aber die nicht näher feststellbaren Zeiten, die die pflegenden Angehörigen außer Haus verbracht hätten, ohnedies gemäß § 273 ZPO mit einem Zuschlag von 10 % zu den tatsächlichen Betreuungszeiten berücksichtigt (vgl 2 Ob 110/16i mwN).
5. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind Zeiten, in denen sich der pflegebedürftige Verletzte in stationärer Behandlung befindet, sodass Betreuungsleistungen der Angehörigen nicht erbracht werden müssen, aus der Berechnung auszuklammern (2 Ob 110/16i; 2 Ob 176/05d).
Auch die notwendige Pflege der Klägerin war während ihrer stationären Aufenthalte an sich schon durch das dort anwesende Pflegepersonal gewährleistet. Dessen ungeachtet haben die Vorinstanzen bei der Berechnung des Ersatzanspruchs der Klägerin die von ihrer Mutter während dieser Aufenthalte tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen ohnehin berücksichtigt und nur die (bei Kleinkindern natürlich förderliche) bloße Anwesenheit der Mutter, deren Beistand auch durch professionelle Pflegekräfte nicht ersetzt werden könnte, als nicht ersatzfähig erkannt. Die dagegen gerichtete Argumentation der Klägerin zeigt keine ihr zum Nachteil gereichende Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht auf, die der Oberste Gerichtshof iSd § 502 Abs 1 ZPO wahrzunehmen hätte.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00148.19G.1022.000 |
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