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OGH 26.09.2016, 4Ob174/16s

OGH 26.09.2016, 4Ob174/16s

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Huber Swoboda Oswald Aixberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** G*****, vertreten durch Dr. Michael Leitner, Rechtsanwalt in Korneuburg, wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), aus Anlass des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 39/16v-38, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Handelsgericht vom , GZ 2 Cg 113/13p-29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Rekursverfahren wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den mit hiergerichtlichem Beschluss vom zu 4 Ob 31/16m ua gestellten Antrag an den Verfassungsgerichtshof, näher bezeichnete Normen des Glücksspielrechts als verfassungswidrig aufzuheben, unterbrochen.

Die Aufnahme des Verfahrens erfolgt von Amts wegen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat in mehreren verbundenen Verfahren, denen Sachverhalte zugrunde lagen, die mit jenem des gegenständlichen Verfahrens vergleichbar sind, mit dem im Spruch genannten Beschluss die dort näher bezeichneten Bestimmungen des Glücksspielgesetzes (GSpG) und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 beim Verfassungs-gerichtshof als verfassungswidrig angefochten.

Zu den Anfechtungsgründen wird auf den Beschluss 4 Ob 31/16m ua verwiesen. Die dort angefochtenen Bestimmungen des GSpG sind auch für das vorliegende Verfahren präjudiziell.

Da zu erwarten ist, dass der Verfassungsgerichtshof im Fall der Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmungen eine Anlassfall-erstreckung gemäß Art 140 Abs 7 B-VG aussprechen wird, erweist sich die Unterbrechung des Verfahrens als zweckmäßig (vgl auch 4 Ob 233/15s ua).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, *****, vertreten durch Huber Swoboda Oswald Aixberger, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** G*****, vertreten durch Dr. Michael Leitner, Rechtsanwalt in Korneuburg, wegen Unterlassung (Streitwert 34.900 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 100 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 39/16v-38, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Handelsgericht vom , GZ 2 Cg 113/13p-29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Das mit Beschluss vom unterbrochene Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.610,92 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 874,82 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Inhaberin der einzigen Bewilligung für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung mittels Automaten in Niederösterreich und betreibt derartige Automaten an mehreren niederösterreichischen Standorten.

Der Beklagte betreibt in einer niederösterreichischen Stadt ein Kaffee, wofür er eine Gewerbeberechtigung für Gastgewerbe in der Betriebsart eines Kaffeehauses, eingeschränkt auf kalte Speisen, Suppen, Wurstwaren und vorgefertigt angelieferte Speisen hat.

Der Beklagte hatte am in seinem Lokal drei Automaten aufgestellt, auf denen Walzenspiele gespielt werden konnten, bei denen die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder überwiegend vom Zufall abhing. Der Spieler hatte keine Möglichkeit, durch Geschicklichkeit in das Spiel einzugreifen und die Entscheidung über Gewinn und Verlust zu beeinflussen. Bei jedem Spiel konnte ein Höchsteinsatz von 7 EUR geleistet werden. Der Beklagte hat kein Identifikations- oder Zutrittssystem zu den Spielautomaten eingerichtet.

Nach Modifikation ihres Klagebegehrens beantragte die Klägerin zuletzt, dem Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr Geräte für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu betreiben oder den Betrieb von Geräten für die Durchführung von Glücksspielen in Form der Ausspielung zu ermöglichen, insbesondere durch Aufstellung und/oder Zugänglichmachung solcher Geräte, solange er nicht über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfügt und/oder nicht die Bestimmungen über den Spielerschutz nach den glücksspielrechtlichen Vorschriften einhält, insbesondere kein Identifikations- oder Zutrittssystem besteht. Ferner erhob sie ein Urteilsveröffentlichungsbegehren. Da der Beklagte weder über eine bundesrechtliche Konzession noch über eine landesrechtliche Bewilligung verfüge, veranstalte er illegales Glücksspiel. Er verstoße daher gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG (Rechtsbruch). Da der Beklagte kein Identifikations- oder Zutrittssystem installiert habe, verstoße er überdies gegen das Glücksspielgesetz oder gegen die korrespondierenden Landesgesetze zum Zweck des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung. Weder der Beklagte noch die Betreibergesellschaft erfüllten die Mindestkapitalvorschriften des § 14 GSpG.

Der Beklagte wendete ein, er habe lediglich die Aufstellungsfläche gegen Entgelt zur Verfügung gestellt, ohne ein wirtschaftliches Risiko zu tragen. Die aufgestellten Video-Terminals seien überdies keine Glücksspielautomaten im Sinn der gesetzlichen Bestimmungen. Überdies sei der Beklagte überzeugt gewesen, dass das Aufstellen und der Betrieb der Terminals durch die slowakische Betreibergesellschaft gesetzlich erlaubt sei. Dieser kämen außerdem die unionsrechtlichen Freiheiten zugute, die es ihr erlaubten, die in der beschriebenen Form veranstalteten Spiele legal durchzuführen. Das Glücksspielgesetz und das Glücksspielmonopol des Bundes verstießen gegen Unionsrecht. Der Beklagte berief sich darauf, dass die slowakische Gesellschaft die Betreiberin der Ausspielungen sei, wobei deren Tätigkeit wegen der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes zulässig sei, worauf sich auch der Beklagte unmittelbar – hilfsweise über den Einwand der verfassungsrechtlich unzulässigen Inländerdiskriminierung – berufen könnte. Letztlich sei das von der Klageänderung betroffene Unterlassungsbegehren mittlerweile verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Der Beklagte sei als Mittäter und Gehilfe passiv legitimiert und könne sich für seine Supporttätigkeit für die slowakische Betreiberin nicht auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit berufen, weil diese auch in ihrem Sitzstaat über keine Bewilligung oder sonstige Befugnis zum Betrieb solcher Glücksspielautomaten verfüge. Selbst im Fall einer Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols könnte weder der Beklagte noch die slowakische Betreiberin aufgrund des verbleibenden nationalen Regelungstorsos eine Konzession zur Durchführung von Ausspielungen oder eine Bewilligung zum Betrieb von Spielautomaten erhalten (Nichteinhaltung der Mindestkapitalvorschriften).

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten Folge, hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Erstgericht habe im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Frage der tatsächlichen Auswirkungen der Regelungen des Glücksspielrechts zu treffen, um die Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes als Vorfrage für eine allfällige verfassungsrechtlich relevante Inländerdiskriminierung abzuklären.

Mit Beschluss vom hat der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 31/16m ua in sechs verbundenen Verfahren, denen Sachverhalte zugrundelagen, die mit jenem dieses Verfahrens vergleichbar sind, die dort näher bezeichneten Bestimmungen des Glücksspielgesetzes und des NÖ Spielautomatengesetzes 2011 (hilfsweise die genannten Gesetze zur Gänze) beim Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig angefochten.

Mit Beschluss vom unterbrach der Senat das mittlerweile anhängige Verfahren über den von der Klägerin gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss erhobenen Rekurs bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den vorher erwähnten Antrag, näher bezeichnete Normen des Glücksspielrechts als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Beschluss vom zu G 103 – 104/2016-49 ua wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge des Obersten Gerichtshofs und anderer Gerichte als unzulässig zurück. In der Entscheidung wurde zum einen darauf verwiesen, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sei. Zum anderen erweise sich aber auch die Anfechtung der gesamten gesetzlichen Regelungen als unzulässig, weil verfassungsrechtliche Bedenken nicht gegen sämtliche Bestimmungen dargelegt worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war das Rekursverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

Der von der Klägerin gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs ist wegen der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs vom zulässig und auch berechtigt.

1. Mit Erkenntnis vom zu E 945/2016-24 ua wies der Verfassungsgerichtshof mehrere Beschwerden ab, die gegen die gesetzliche Beschränkung des Glücksspiels gerichtet waren. Den Beschwerden lagen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zugrunde, in denen die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten verfügt oder Verwaltungsstrafen wegen unerlaubten Glücksspiels mit solchen Automaten verhängt worden waren.

Der Verfassungsgerichtshof ging inhaltlich davon aus, dass die Bestimmungen des GSpG allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entsprechen. Insbesondere enthalte das GSpG Regelungen, die sicherstellen sollten, dass Werbemaßnahmen der Inhaber von Glücksspielkonzessionen nicht mit den Zielen dieses Gesetzes (die auch in der Vorbeugung der Spielsucht bestehen) in Konflikt geraten. Die österreichischen Bestimmungen liefen auch aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen nicht dem Unionsrecht zuwider. Das österreichische System der Glücksspielkonzessionen verstoße daher nicht gegen Unionsrecht. Für eine „Inländerdiskriminierung“, die dieses System als verfassungswidrig erscheinen ließe, bestehe somit kein Anhaltspunkt.

2. Auch der Verwaltungsgerichtshof befasste sich inzwischen eingehend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der unionsrechtlichen Zulässigkeit von Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch das GSpG (Ro 2015/17/0022). Auch der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine Unionsrechtswidrigkeit der einschlägigen glücksspielrechtlichen Bestimmungen. Es sei belegt, dass das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des Spielerschutzes, sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen erreiche. Die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern würden durch die im GSpG vorgesehenen Bestimmungen eines – sich in der Realität des Glücksspielmarkts nicht auswirkenden – Glücksspielmonopols des Bundes, kombiniert mit einem Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken sowie eines (reinen) Bewilligungssystems unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sowie die Bestimmungen zur Hintanhaltung von illegalem Glücksspiel (§ 52 f GSpG), in kohärenter und systematischer Weise verfolgt.

3. Auch in der Zusammenschau mit der zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erachtet der Senat durch die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs die unions- und verfassungsrechtlichen Fragen als hinreichend geklärt. Ungeachtet der Zurückweisung der Anträge des Senats aus formalen Gründen ging der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis über die Beschwerden umfassend auf die Vorgaben des EuGH zur Unionsrechtskonformität von Glücksspielrechtsnormen und auch auf die vom Senat gegen die österreichische Rechtslage geäußerten Bedenken ein. Dabei wurde auch die Frage eines maßvollen Werbeauftritts der Konzessionäre behandelt, insgesamt aber eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen.

4. Den entsprechenden Einwänden des Beklagten kommt daher keine Berechtigung zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erübrigt sich daher eine Ergänzung des Beweisverfahrens zu den Auswirkungen des Glücksspielmonopols, sodass das Klagebegehren im Sinn einer Klagestattgebung spruchreif ist, zumal der Beklagte den in erster Instanz erhobenen, vom Erstgericht aber abgelehnten Verjährungseinwand schon im Berufungsverfahren nicht weiter verfolgte. Der Aufhebungsbeschluss war somit in Stattgebung des Rekurses insoweit abzuändern und das stattgebende Ersturteil wiederherzustellen.

5. Aufgrund der Fällung einer Sachentscheidung war auch noch über den vom Beklagten mit seiner Berufung verbundenen Kostenrekurs sowie auch über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens abzusprechen. Diese Entscheidung beruht auf §§ 50 Abs 1 iVm 41 Abs 1 ZPO. Den mit dem Kostenrekurs vorgetragenen Argumenten gegen die erstgerichtliche Kostenentscheidung ist entgegenzuhalten, dass der Rechtsvertreter des Beklagten nach Legung des gegnerischen Kostenverzeichnisses (ausdrücklich) keine Einwendungen erhob, was im Verhandlungsprotokoll (S 3 in ON 27) festgehalten wurde.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00174.16S.0926.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAD-49482