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OGH vom 15.12.2004, 6Ob279/04d

OGH vom 15.12.2004, 6Ob279/04d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts Korneuburg zu FN 140716k eingetragenen M***** Gesellschaft mbH, mit dem Sitz in Klosterneuburg, über den ordentlichen Revisionsrekurs der 1. M***** Gesellschaft mbH, und 2. M***** Gesellschaft mbH, beide *****, beide vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom , GZ 28 R 87/04a, 28 R 88/04y-9, womit über die Rekurse dieser Gesellschaften die Beschlüsse des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 28 Fr 896/04i-5, und vom , GZ 28 Fr 926/04d-3, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die B*****gesellschaft mbH mit dem Sitz in Klosterneuburg änderte mit Generalversammlungsbeschluss vom ihre Firma auf M***** Gesellschaft mbH und wurde vom Erstgericht unter dieser Firma im Firmenbuch eingetragen. Mit dem weiteren Beschluss der Generalversammlung vom wurde die Firma auf M***** Gesellschaft mbH geändert. Das Erstgericht bewilligte mit dem zweiten angefochtenen Beschluss auch diese Firmenänderung. Die Eintragung der Firmenänderungen wurde in der Ediktsdatei veröffentlicht.

Gegen die Eintragungsbeschlüsse des Erstgerichts rekurrierten die im Firmenbuch des Landesgerichts Wien eingetragenen Gesellschaften M***** Gesellschaft mbH und M***** Gesellschaft mbH. Sie beantragten die Einleitung des Löschungsverfahrens gemäß § 10 Abs 2 FBG. Sie seien durch die Firmenänderungen in ihrem Firmenausschließlichkeitsrecht nach § 30 HGB verletzt worden, weil sich die im Firmenbuch des Landesgerichts Korneuburg eingetragenen Firmen nicht von den Firmen der Rekurswerberinnen unterscheiden würden. Trotz der Unterschiedlichkeit des Sitzes der betroffenen Gesellschaften liege eine Verletzung des § 30 Abs 1 HGB vor, weil der dort angeführte Begriff "Ort" über den Gemeindebegriff hinausgehe. Wien und Klosterneuburg seien aufgrund der Verkehrsanbindung und ihrer unmittelbaren Nachbarschaft als siedlungsmäßige Einheit aufzufassen. Klosterneuburg sei ein klassischer Vorort Wiens, der keine eigene Bezirkshauptmannschaft habe und zum Verwaltungsbezirk Wien-Umgebung gehöre.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der beiden Gesellschaften nicht Folge. Es bejahte die Rekurslegitimation der beiden Rekurswerberinnen und führte im Wesentlichen folgendes aus:

Der Firmenschutz des § 30 HGB beschränke sich auf denselben Ort oder dieselbe Gemeinde. Der Begriff "Ort" sei ein Verkehrsbegriff. In Vorentscheidungen des Oberlandesgerichts Wien sei beispielsweise ausgesprochen worden, dass nach der Verkehrsanschauung Vösendorf und Wien nicht als "derselbe" Ort aufzufassen sei (NZ 1992, 74), ebenso auch nicht Wien und Mödling (NZ 1982, 173), wohl aber Wien und Schwechat, weil Schwechat als ein Teil des Wirtschaftskörpers Wien, insbesondere wegen des Flughafens, Wien angesehen werde (NZ 1992, 75). Nach verschiedenen Meinungen des Schrifttums gehe die Regelung der Firmenausschließlichkeit für einen bestimmten Ort darauf zurück, dass das Registergericht die Verwechslungsfähigkeit von Firmen in der Regel nur für seinen Registerbezirk überblicken könne (Ammon in Röhricht/von Westphalen, HGB Rz 3 zu § 30; Schleglberger HGB5 Rz 1 zu § 30; Ebenroth/Boujong/Joost, HGB Rz 3 zu § 30; Karsten Schmidt, Handelsrecht5, 370). Im österreichischen Recht sei die Zielsetzung der deutschen Gesetzesbestimmung unverändert übernommen worden. Es bestehe kein Anlass, den Begriff "Ort" weiter auszulegen als jenen der politischen Gemeinde, auch wenn Klosterneuburg und Wien unstrittig nahe beieinander liegen und Klosterneuburg zumindest in verwaltungsrechtlicher Hinsicht zur Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung ressortiere. Die vom § 30 Abs 1 HGB angestrebte Identifizierbarkeit des Unternehmensträgers durch Firma und Sitz sei im Hinblick auf den jeweils unterschiedlichen Sitz der Rekurswerberinnen und der im Firmenbuch des Landesgerichts Korneuburg eingetragenen Gesellschaft gewährleistet. Im vorliegenden Fall bestehe keine gerichtsbekannte Übung, Klosterneuburg und Wien als einen Ort aufzufassen. Eine Verordnung nach § 30 Abs 4 HGB sei nicht erlassen worden. Damit müsse auf die Frage der deutlichen Unterscheidbarkeit der Firmen nicht mehr eingegangen werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zum Ortsbegriff des § 30 HGB zulässig sei.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragen die beiden Gesellschaften mit dem Sitz in Wien die Abänderung dahin, dass die bekämpften Firmenbucheintragungen (Firmenänderungen) im Firmenbuch des Landesgerichts Korneuburg aufgehoben und die Löschungen der Firmenbucheintragungen gemäß § 10 Abs 2 FBG angeordnet werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag zur Verfahrensergänzung gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil eine oberstgerichtliche Judikatur zur Rechtsfrage, was unter den Begriff "an demselben Orte" im § 30 Abs 1 HGB zu verstehen ist, fehlt. Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 30 Abs 1 HGB muss sich jede neue Firma von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und im Firmenbuch eingetragenen Firmen deutlich unterscheiden. Dieser auch für Kapitalgesellschaften geltende Grundsatz der Firmenausschließlichkeit dient nicht nur dem Schutz des Inhabers der bereits bestehenden und eingetragenen Firma, sondern wurde auch im Interesse von Dritten, die mit dem einen oder dem anderen Firmeninhaber Geschäfte machen, aufgestellt. Der Grundsatz dient also dem Interesse des Rechtsverkehrs (RIS-Justiz RS0061418). Wegen des öffentlichen Interesses ist der Entscheidungsgegenstand nicht rein vermögensrechtlicher Natur und wurde vom Rekursgericht daher zutreffend auch nicht bewertet (6 Ob 214/98h).

2. Wegen des in allen drei zu beurteilenden Firmen enthaltenen, besonders prägenden Schlagworts "M*****" ist prima facie von einer fehlenden Firmenunterscheidbarkeit auszugehen (vgl dazu 6 Ob 211/03p mwN). Eine nähere Erörterung dieser Frage kann aber unterbleiben, wenn wegen Vorliegens verschiedener Orte § 30 Abs 1 HGB hier gar nicht anzuwenden ist.

3. Der Begriff "Ort" muss ein anderer sein, als der im Gesetz weiters erwähnte Begriff der "Gemeinde". Unter diesen Begriff fällt die politische Gemeinde. Ort ist ein Verkehrsbegriff (Fromherz in Jabornegg, HGB, Rz 3 zu § 30; OLG Wien NZ 1982, 73). Es kommt auf die Verkehrsauffassung an, ob mehrere politische Gemeinden nach einer bestehenden Verkehrsübung als ein Ort aufzufassen sind. Eine solche Übung ist für die Städte Wien und Klosterneuburg keineswegs gerichtsbekannt. Vor allem aus der jüngeren, notorischen Geschichte beider Städte lassen sich triftige Anhaltspunkte gegen die von den Revisionsrekurswerberinnen behauptete Verkehrsauffassung ableiten:

Nach dem Ende des ersten Weltkriegs war Wien nur mehr die Hauptstadt eines Kleinstaates. Mit dem sogenannten Trennungsgesetz 1921 wurde die uralte Verbindung Wiens mit dem umliegenden Niederösterreich aufgelöst. Wien wurde ein eigenes Bundesland, das politisch von der Sozialdemokratie bestimmt wurde, Niederösterreich von der christlich sozialen Partei. Diese politischen Einflusssphären sind im Wesentlichen heute noch gültig. Nach dem Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich kam es im Oktober 1938 zu einer umfassenden Gebietserweiterung Wiens. 97 niederösterreichische Gemeinden, darunter Klosterneuburg, kamen zu Wien, das als "Groß-Wien" 26 Bezirke umfasste. Ab April 1945 war Wien in vier alliierte Besatzungszonen aufgeteilt. Die 1938 eingegliederten 97 niederösterreichischen Gemeinden unterstanden allerdings der in Niederösterreich bestehenden Machtausübung der Sowjetunion. Bereits 1946 wollte man die Stadterweiterung Wiens aus dem Jahr 1938 mit dem sogenannten Gebietsänderungsgesetz rückgängig machen. Dieses Gesetz fand aber nicht die Zustimmung der Besatzungsmächte, sodass die Gebietsänderung erst am realisiert werden konnte. Wien hatte nunmehr 23 Bezirke. Klosterneuburg wurde wieder eine Stadt Niederösterreichs. Sie umfasst heute sieben Katastralgemeinden mit knapp 25.000 Einwohnern (mit Hauptwohnsitz) und ist die drittgrößte Stadt Niederösterreichs.

Aus den angeführten notorischen Daten ist für die zu erforschende Verkehrsauffassung zu folgern, dass Klosterneuburg trotz der räumlichen Nähe zu Wien als eine völlig selbständige, relativ große Stadt Niederösterreichs verstanden wird. Die Trennung von Wien war ein politisches Anliegen der beiden Großparteien, die den politischen Willen der Bevölkerung repräsentierten und immer noch repräsentieren. Demgegenüber fällt es nicht ins Gewicht, dass die Verwaltungsbehörden (Bezirkshauptmannschaft und Finanzamt) zu Wien ressortieren. Im Bereich der Gerichtsbarkeit wurde die frühere Eingliederung in den Wiener Bereich bereits seit geraumer Zeit von einer Sprengelzugehörigkeit des Bezirksgerichts zum Landesgericht Korneuburg abgelöst. Für die Ansicht, dass die Bevölkerung beider Städte von der Vorstellung eines einheitlichen Orts "Wien - Klosterneuburg" ausgeht fehlen stichhaltige Argumente. Die verkehrstechnische Anbindung durch eine Schnellstraße reicht jedenfalls nicht aus. Geophysikalisch betrachtet bilden die bis zur Donau reichenden Abhänge des nicht verbauten Leopoldsbergs eine natürliche Abgrenzung der beiden Städte. Anders als in der vom Rekursgericht zitierten Vorentscheidung des Oberlandesgerichts (NZ 1992, 75), in der Wien und Schwechat nach der Verkehrsauffassung als wirtschaftliche Einheit angesehen wurden (arg.: Flughafen Wien), fehlen bei den Städten Wien und Klosterneuburg derartige markante, im Wirtschaftsleben herausgebildete Verknüpfungen, die sogar in den Sprachgebrauch Eingang gefunden hätten. Wien und Klosterneuburg sind demnach nicht als ein Ort iSd § 30 Abs 1 HGB aufzufassen.

4. Mangels einer solchen Verkehrsanschauung ist die Stichhaltigkeit des vom Rekursgericht aus der deutschen Lehre und Rechtsprechung abgeleiteten Arguments, dass § 30 dHGB den Zweck habe, die Identifikation des Unternehmensträgers zu ermöglichen, dass aber der Registerrichter nur die Firmen in seinem eigenen Sprengel überprüfen könne (weil in Deutschland anders als in Österreich ein bundesweit abrufbares Firmenbuch nicht existiert) nicht mehr entscheidungswesentlich. Aus der in Österreich gegebenen EDV-mäßigen Abrufbarkeit von Firmen im gesamten österreichischen Bundesgebiet lässt sich jedenfalls kein Argument zur Feststellung einer Verkehrsanschauung gewinnen, wonach zwei politische Gemeinden als einheitlicher Ort aufgefasst werden könnten.

Dem Revisionsrekurs ist daher aus den dargelegten Gründen nicht Folge zu geben.