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OGH vom 10.08.2020, 6Ob134/20d

OGH vom 10.08.2020, 6Ob134/20d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny sowie die Hofrätinnen Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Benedikt Wallner und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 900 EUR und Beseitigung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 15 R 32/20s-12, mit dem der Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 23 Cg 73/19b-7, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Rekursgericht .

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt von der Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes Zahlung in Höhe von 900 EUR und darüber hinaus die Beseitigung des aufgrund mit der Beklagten abgeschlossenen Netznutzungsvertrags an seiner Messstelle in Wien (Wohnung) installierten intelligenten Messgeräts sowie die Ersetzung desselben durch ein Ferraris-Messgerät; die durch das installierte Messgerät erhobenen Verbrauchsinformationen seien personenbezogene Daten iSd Art 4 Z 1 DSGVO, womit er in seinem Grundrecht auf Datenschutz verletzt worden sei. Der Kläger habe deshalb einen Anspruch auf Schadenersatz nach Art 82 DSGVO und einen Anspruch auf Beseitigung des unrechtmäßig installierten Messgeräts.

Das Erstgericht sprach über Einwendung der Beklagten aus, dass der ordentliche Rechtsweg für die geltend gemachten Ansprüche zulässig und es selbst sachlich und örtlich zuständig sei.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Beklagten zurück, habe der Kläger seinen Beseitigungsanspruch doch lediglich mit 100 EUR bewertet, sodass der Entscheidungsgegenstand insgesamt nicht den von § 517 Abs 1 ZPO geforderten Betrag von 2.700 EUR erreiche; ein Ausnahmetatbestand der Z 1 bis 6 leg cit liege nicht vor. Außerdem sprach das Rekursgericht aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands (insgesamt) 5.000 EUR nicht übersteigt und dass der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ist.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten, die – neben der Ausführung von nach Auffassung der Beklagten erheblichen Rechtsfragen iSd § 528 Abs 1 ZPO – von der „Gegenstandslosigkeit des Bewertungsausspruchs“ des Rekursgerichts ausgeht. Der Kläger stütze sein Begehren auf eine Verletzung seines Grundrechts auf Datenschutz, womit der Streitgegenstand nicht vermögensrechtlich, der geltend gemachte Anspruch auf Beseitigung vielmehr ein höchstpersönlicher sei.

Rechtliche Beurteilung

1. Eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands hat nach § 500 Abs 2, 526 Abs 3 ZPO nur dann zu erfolgen, wenn der Streitgegenstand einen Geldeswert besitzt. Ist dies nicht der Fall, ist eine vom Rekursgericht dennoch vorgenommene Bewertung jedenfalls gegenstandslos (RS0042418). Bei der Verletzung von höchstpersönlichen Rechten, die einer Bewertung durch Geld unzugänglich sind, hat ein Bewertungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz somit zu entfallen (RS0042418 [T7, T 9]); die Zulässigkeit des Revisionsrekurses hängt dann nur vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ab. Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof etwa für Ansprüche zur exekutiven Durchsetzung eines Besuchsrechts (3 Ob 110/88), für einen Anspruch auf Unterlassung jeglichen Kontakts (6 Ob 221/06b) oder für einen Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre nach § 382g EO (2 Ob 82/08k EF-Z 2008/140 [Beck]) klargestellt, dass ein Bewertungsausspruch zu unterbleiben hat.

2. Als nicht höchstpersönlich wurden demgegenüber Ansprüche nach § 97 ABGB (3 Ob 689/82) sowie nach § 1330 ABGB (7 Ob 1515/85; 6 Ob 46/08w; 6 Ob 164/09z; zuletzt 6 Ob 204/18w), auf Nennung als Erfinder (4 Ob 119/80) und nach § 78 UrhG (4 Ob 180/08m) angesehen (vgl auch 4 Ob 43/10t), weil sich die dabei verfolgten Interessen mit Geld bewerten lassen (vgl 3 Ob 100/14y jusIT 2014/111 [Thiele]). Nach Ansicht des 4. Senats genügt es nämlich für die Erforderlichkeit eines Bewertungsausspruchs, dass ein Eingriff ganz allgemein (auch) vermögensrechtliche Folgen haben kann; dann sei das Recht nicht von vornherein einer in Geld ausgedrückten Bewertung entzogen (vgl 4 Ob 43/10t). Nach dieser auch vom 3. Senat geteilten Auffassung hängt das Erfordernis einer Bewertung (nur) davon ab, ob der Streitgegenstand in Geld messbar ist; davon sei auszugehen, wenn der Gesetzgeber dem – wenn auch in einem höchstpersönlichen Recht – Verletzten die Möglichkeit einräume, dafür einen Ausgleich in Geld zu verlangen (3 Ob 100/14y).

3. Betreffend Ansprüche nach dem Datenschutzgesetz ist die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich:

3.1. Der Entscheidung 6 Ob 148/00h lag ein Begehren auf Feststellung und Unterlassung nach dem Datenschutzgesetz zugrunde. Die Entscheidung führte aus, dass bei der Verletzung von höchstpersönlichen Rechten, die einer Bewertung durch Geld unzugänglich seien, ein Bewertungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz zu entfallen habe (dieser Entscheidung folgend 3 Ob 198/05x).

3.2. Die Entscheidung 6 Ob 2/10b erachtete – abweichend von den beiden vorgenannten Entscheidungen – eine Bewertung für einen Anspruch auf Löschung nach dem Datenschutzgesetz als zulässig; allerdings wurde nicht näher auf die erfolgte Bewertung eingegangen.

3.3. In der Entscheidung 6 Ob 112/10d (ZFR 2011/10 [Ennöckl] = jusIT 2011/12 [Thiele]) führte der erkennende Fachsenat aus, dass bei Streitigkeiten nach dem Datenschutzgesetz ein Bewertungsausspruch der zweiten Instanz zu unterbleiben habe, weil die Ansprüche nach dem Datenschutzgesetz nicht notwendig auch vermögensrechtliche Folgen nach sich zögen; vielmehr handle es sich um höchstpersönliche Ansprüche. Der Anspruch auf Löschung unzulässigerweise verarbeiteter Daten sei ein bloßes Begleitrecht bzw Nebenrecht, das trotz seiner möglicherweise vermögensrechtlichen Konsequenzen im Einzelfall nicht zu einer Einstufung dieser Ansprüche als vermögensrechtlich führe. Daran hielt der Senat in der Entscheidung 6 Ob 6/14x (jusIT 2014/90 [Thiele]) fest und trug dem Rekursgericht die Nachholung eines Zulassungsausspruchs auf, welches rechtsirrig eine Bewertung von nicht mehr als 5.000 EUR vorgenommen hatte.

3.4. Der 3. Senat lehnte diese zuletzt genannte Judikaturlinie in seiner Entscheidung 3 Ob 100/14y ausdrücklich ab und verwies darauf, dass von einer Bewertbarkeit in Geld auszugehen sei, wenn der Gesetzgeber dem – wenn auch in einem höchstpersönlichen Recht – Verletzten die Möglichkeit einräumt, dafür einen Ausgleich in Geld zu verlangen. Im Datenschutzgesetz sei für die Durchsetzung des absolut geschützten Persönlichkeitsrechts auf Datenschutz nicht nur ein Unterlassungsanspruch vorgesehen, sondern es werde dem Betroffenen sowohl ein Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens eingeräumt, als auch – unter bestimmten Voraussetzungen – ein Anspruch auf Entschädigung für den immateriellen Schaden. Somit sei auch der im Datenschutzgesetz begründete Unterlassungsanspruch als in Geld messbar anzusehen. Zusammengefasst sei somit – entgegen der Ansicht des 6. Senats – von der Notwendigkeit der Bewertung auch von Unterlassungsansprüchen nach dem Datenschutzgesetz auszugehen.

4. Die Literatur hat sich den Überlegungen des erkennenden Fachsenats angeschlossen:

4.1. Nach Thiele (JusIT 2014/111 [Entscheidungsanmerkung zu 3 Ob 100/14y]) bedeutet die Entscheidung des 3. Senats für den gerichtlichen Rechtsschutz in Datenschutzangelegenheiten einen bedauerlichen Rückschritt. Der Zugang zum Recht werde einmal mehr – ohne Not – massiv eingeschränkt.

4.2. Auch Haidinger/Weiss (Bewertung der Streitsache, Dako 2015/52) widersprechen dem 3. Senat und vertreten die Auffassung, diese Entscheidung sei „ohne Notwendigkeit und mit einer keinesfalls überzeugenden Begründung“ erfolgt.

4.3. Lovrek (in Fasching/Konecny³ IV/1 [2019] § 502 ZPO Rz 144 f) meint, ob mit einer Klage „auch“ vermögensrechtliche Ansprüche verfolgt würden, sollte für die Frage des Bewertungserfordernisses ohne Bedeutung sein: Entscheide das Berufungsgericht nicht nur über vermögensrechtliche Folgen, sondern sei auch die Durchsetzung des höchstpersönlichen Rechts an sich Entscheidungsgegenstand, etwa in Form eines auf Unterlassung zukünftiger Eingriffe gerichteten Begehrens, müsse jedenfalls insoweit eine außerordentliche Revision schon aus Wertungsgesichtspunkten genauso möglich sein wie wenn nur das höchstpersönliche Recht Entscheidungsgegenstand sei. Richtigerweise sollte auch bei einem Begehren auf Unterlassung ehrenrühriger, kreditschädigender Behauptungen entgegen der Rechtsprechung eine Ausnahme vom Bewertungserfordernis gemacht werden. Zu bedenken sei allerdings, dass gerade bei kreditschädigenden Behauptungen der vermögenswerte Charakter des verletzten Rechts regelmäßig im Vordergrund stehe. Das könnte die Rechtsprechung zur Notwendigkeit eines Bewertungsausspruchs in diesen Fällen rechtfertigen.

4.4. Musger (in Fasching/Konecny³ IV/1 § 528 ZPO Rz 24) stimmt den Ausführungen von Lovrek zu und meint, allfällige Schadenersatzansprüche sollten die Folgen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung abgelten, sie könnten aber als bloße Rechtsfolge der Verletzung nicht den Charakter des verletzten Rechts bestimmen. Anderes sollte allerdings dann gelten, wenn schon beim verletzten Recht der vermögenswerte Charakter im Vordergrund stehe, wie etwa im Fall der Kreditschädigung nach § 1330 Abs 2 ABGB.

5. Der erkennende Senat sieht vor dem Hintergrund dieser Literaturstimmen keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Bei einer Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz steht der Eingriff in die höchstpersönliche Rechtssphäre im Vordergrund; darin unterscheidet sich der Datenschutz von der Kreditschädigung nach § 1330 ABGB, bei der bereits der Gesetzestext auf „den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen“ des Betroffenen abstellt und welche Bestimmung systematisch im Schadenersatzrecht des ABGB angesiedelt ist, was den vermögenswerten Charakter unterstreicht. Dass Rechtsfolge einer Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz ein geldwerter Schadenersatzanspruch sein kann, bestimmt – worauf Lovrek und Musger zutreffend hingewiesen haben – nicht den Charakter des verletzten Rechts selbst. Auch die Überlegungen Thieles zur Vermeidung nicht notwendiger Beschränkungen des Rechtsschutzes in Datenschutzangelegenheiten überzeugen vor dem Hintergrund der zwischenzeitig in Kraft getretenen DSGVO.

6. Dem Hinweis Thieles, ein verstärkter Senat nach § 8 Abs 1 OGHG könnte (gemeint wohl: sollte) zur Vereinheitlichung der Rechtspraxis am Höchstgericht Klarheit und damit Rechtssicherheit schaffen, ist dabei allerdings nicht zu folgen. Ein verstärkter Senat hat zwar unter anderem zu entscheiden, wenn eine zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich beantwortet worden ist. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits in der Entscheidung 4 Ob 197/17z [ErwGr 8.] (NZ 2018/26 [Mayr] = iFamZ 2018/12 [Fucik] = EvBl 2018/75 [Fucik]) ausgeführt, es müsse sich dabei um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handeln, worunter nur Rechtsfragen verstanden werden können, deren Lösung von großer Bedeutung für die Rechtsordnung bzw für weite Teile der Bevölkerung von unmittelbarer rechtlicher oder wirtschaftlicher Bedeutung ist. Hievon kann aber bei einer rein „technischen“ Bewertungsfrage, die letztlich (nur) für die Zulässigkeit der Revision von Belang ist, nicht ausgegangen werden.

7. Damit hat aber das Rekursgericht zu Unrecht einen Bewertungsausspruch, nicht jedoch einen Zulässigkeitsausspruch nach § 528 ZPO getätigt. Dies hat die Rückstellung des Akts an das Rekursgericht zur Nachholung des Zulässigkeitsausspruchs zur Folge (vgl 6 Ob 6/14x; Lovrek aaO Rz 184), zumal sonst der Revisionsrekurs der Beklagten nicht als ordentlicher oder außerordentlicher eingeordnet werden könnte.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00134.20D.0810.000

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