OGH vom 11.12.2013, 7Ob216/13k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S***** F*****, vertreten durch Dr. Ingrid Köhler, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei Ing. E***** F*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger, Mag. August Schulz, Rechtsanwälte in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 20 R 61/13f 45, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Klosterneuburg vom , GZ 3 C 30/12b-27, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts im vollen Umfang (einschließlich rechtskräftiger Teilabweisung und rechtskräftigem Teilzuspruch) wiederhergestellt wird.
Die gefährdete Partei hat ihre Kosten des Provisorialverfahrens aller drei Instanzen vorläufig selbst zu tragen.
Der Gegner der gefährdeten Partei hat seine Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Streitteile schlossen am die Ehe, der drei (in den Jahren 1976, 1977 und 1982 geborene) Kinder entstammen. Der Beklagte war bei den ÖBB beschäftigt, die Klägerin kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt. Jeweils bis zum Ende des Jahres 1995 übernahm sie ab dem Jahr 1990 zusätzlich auch noch die Pflege der Großmutter des Beklagten und ab dem Jahr 1992 jene des an Alzheimer erkrankten Vaters des Beklagten. Trotz der starken Belastung mit Haushaltsführung, Pflege und Erziehung überlegte die Klägerin immer wieder, einer Berufstätigkeit nachzugehen. Der Beklagte sprach sich jedoch wegen der Belastung durch die Kinder (insbesondere den jüngsten Sohn) dagegen aus.
Aufgrund zunehmender Schwierigkeiten zog die Klägerin im Jahr 2008 aus der Ehewohnung aus. Die Ehe wurde mit Urteil des Erstgerichts vom geschieden und ausgesprochen, dass das Verschulden beide Parteien zu gleichen Teilen treffe (rechtskräftig).
Mit der Unterhaltsklage vom begehrte die Klägerin zunächst einen Unterhaltsbeitrag von 700 EUR und einstweiligen Unterhalt in dieser Höhe ab . Am wurde das Begehren der einstweiligen Verfügung auf 818,73 EUR ausgedehnt und zuletzt () auf Unterhaltsleistung ab eingeschränkt. Seit diesem Zeitpunkt erhält die Klägerin tatsächlich keinen Unterhalt vom Beklagten.
Während der Beklagte über ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von 2.500 EUR verfügt, erzielt die Klägerin kein Einkommen. Sie wohnt derzeit bei ihrer Mutter und hat dort anteilige Kosten von 250 EUR zu bezahlen. Insgesamt beträgt ihre durchschnittliche monatliche Belastung durch im Einzelnen aufgeschlüsselte weitere (laufend anfallende) Kosten 811 EUR.
Der nunmehr 53-jährigen Klägerin ist es auf Grund ihres Alters und ihrer Arbeitsmarktkarenz von 36 Jahren (mit nur zwei kurzfristigen Unterbrechungen in den Jahren 1988 und 1990) auch bei intensiver persönlicher und breit angelegter Arbeitsplatzsuche und unter Inanspruchnahme des AMS nicht möglich, am Arbeitsmarkt eine reguläre Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung zu erlangen.
Davon ausgehend trug das Erstgericht dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung vom auf, der Klägerin ab bis zur rechtskräftigen Erledigung des Unterhaltsverfahrens einstweiligen Unterhalt in Höhe von 700 EUR jeweils zum ersten des Monats im Vorhinein zu zahlen. Das Mehrbegehren wies es ab. Gemäß § 68 EheG habe der Beklagte der Klägerin Unterhalt nach Billigkeit zu leisten, wobei der (noch unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegende) Betrag von 700 EUR nur 28 % seines Einkommens entspreche.
Das Rekursgericht setzte über Rekurs des Beklagten den einstweiligen Unterhalt auf 400 EUR monatlich herab und wies das Mehrbegehren ab. Der Billigkeitsunterhalt gemäß § 68 EheG sei nicht in beinahe gleicher Höhe wie nach § 66 EheG und nicht nach dessen Kriterien zu bemessen. Es müsse sich vielmehr um einen relativ bescheidenen Teil handeln, den die Judikatur mehrmals mit rund 15 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen bestimmt habe. Der vom Erstgericht angenommene Unterhaltsbeitrag von 28 % des Einkommens sei zu hoch gegriffen und auf rund 15 % zu reduzieren.
Über Zulassungsvorstellung der Klägerin ließ das Rekursgericht mit Beschluss vom den ordentlichen Revisionsrekurs (doch) zu, weil zur Frage, ob ein unterhaltsrechtlicher Sachverhalt bei Vorliegen der Voraussetzungen „sowohl“ nach § 68 EheG „als auch“ unter dem Aspekt des § 68a EheG zu beurteilen sei, keine Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliege.
In ihrem Revisionsrekurs macht die Klägerin (erkennbar) unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist wegen Abweichens des Rekursgerichts von der Rechtsprechung zu § 68a EheG (vgl insb RIS-Justiz RS0118836; RS0118900) zulässig; er ist auch berechtigt.
Nach RIS-Justiz RS0118900 sind die in § 68a Abs 2 EheG aufgezählten Begriffe „ Dauer der ehelichen Gemeinschaft , Alter und Gesundheit “ zu dem Begriff „ Mangels an Erwerbsmöglichkeiten “ als gleichrangige Kriterien für eine mögliche Ursache der Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit aufzufassen. Durch § 68a Abs 2 EheG soll der Ehegatte bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen unterhaltsberechtigt sein, dem aufgrund des Mangels an Erwerbsmöglichkeit oder der Dauer der ehelichen Gemeinschaft oder seines Alters oder seiner Gesundheit eine Selbsterhaltung nicht zugemutet werden kann. Der bloßen Unzumutbarkeit steht die Unmöglichkeit der Selbsterhaltung schon aus einem Größenschluss gleich (7 Ob 2/04a).
In ständiger Rechtsprechung geht der Oberste Gerichtshof davon aus (so auch Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EuPR [2011] § 68a EheG Rz 26), dass bei der Ausmessung des Unterhalts nach § 68a EheG in einem ersten Schritt zu fragen ist, welchen monatlichen Betrag der Unterhaltsberechtigte zur Deckung seines „ Lebensbedarfs “ (§ 68 Abs 2 EheG) benötigt; dann ist eine Kontrollrechnung anzustellen, ob dieser Betrag zwischen dem Unterhaltsanspruch nach § 68 EheG und dem nach § 66 EheG, somit in der Größenordnung zwischen 15 % und 33 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen liegt und welche finanziellen Mittel diesem zur angemessenen Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse verbleiben; und bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen im Sinn des § 68a Abs 3 EheG ist der auf diese Art ermittelte Unterhalt entsprechend zu mindern (RIS-Justiz RS0118836).
Dass die dargelegten, zu § 68a EheG bestehenden Grundsätze auch im vorliegenden Fall anzuwenden sind, zieht der Beklagte gar nicht in Zweifel; hat sich doch die Klägerin im Provisorialverfahren vor dem Erstgericht auf diese Bestimmung gestützt. Zu Unrecht hat das Rekursgericht den Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 68a EheG aber gar nicht geprüft, sondern ist lediglich auf den Vergleich der Höhe des Unterhalts nach § 66 EheG mit dem „ Beitrag zum Unterhalt “ gemäß § 68 EheG (vgl 6 Ob 242/10x, wonach dieser „zumindest tendenziell“ geringer sein muss als der Billigkeitsunterhalt nach §§ 69 Abs 3 und 69a Abs 2 EheG: RIS-Justiz RS0114829 [T2]) eingegangen, obwohl hier die Voraussetzungen für die „ Gewährung von Unterhalt nach dem Lebensbedarf “ im Sinn des § 68a Abs 2 EheG vorliegen.
Nach dem bescheinigten Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Klägerin kein Einkommen bezieht und einen konkreten durchschnittlichen Lebensbedarf von 811 EUR monatlich hat, während der Beklagte netto 2.500 EUR monatlich verdient. Der von der Klägerin (zunächst) begehrte und vom Erstgericht zuerkannte vorläufige Unterhalt von (in dieser Höhe von ihrer Seite nicht bekämpft) 700 EUR entspricht 28 % des Nettoeinkommens des Beklagten und liegt damit im Sinn der zitierten Rechtsprechung zu § 68a Abs 2 EheG zwischen 15 % und 33 % seines Einkommens.
Den Zuspruch vorläufigen Unterhalts in der Höhe von 400 EUR hat der Beklagte nicht (mehr) bekämpft. Daher muss nur noch geprüft werden, ob ein Umstand vorliegt, der geeignet ist, den darüber hinausgehenden Anspruch auf insgesamt 700 EUR an vorläufigem Unterhalt zu mindern.
Der Unterhaltsanspruch nach § 68a Abs 2 EheG vermindert sich oder besteht nicht, soweit die Gewährung des Unterhalts unbillig wäre, weil der Bedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen oder seine Bedürftigkeit grob schuldhaft herbeigeführt hat oder ein gleich schwerwiegender Grund vorliegt. Je gewichtiger diese Gründe sind, desto eher ist vom Bedürftigen zu verlangen, seinen Unterhalt durch die Erträgnisse irgendeiner Erwerbstätigkeit oder aus dem Stamm seines Vermögens zu decken (§ 68a Abs 3 EheG).
Eine Unterhaltsverwirkung ist nach ständiger Rechtsprechung nur in besonders krassen Fällen (etwa dann, wenn die Ehefrau ihren Gatten grundlos verlassen hat), in welchen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erscheinen würde, anzunehmen (RIS-Justiz RS0009759). Von einer solchen Unbilligkeit kann bei einem beiderseitigem Verschulden nicht gesprochen werden (7 Ob 2/04a). Weiters könnte sich die Unterhaltspflicht nach Billigkeit mindern, wenn unter Berücksichtigung sonstiger Pflichten des Beklagten dessen eigener angemessener Unterhalt gefährdet wäre (§ 68a Abs 4 iVm § 67 Abs 1 EheG). Auch dies ist hier aber nicht der Fall.
Unter Berücksichtigung der Umstände dieses Falls und im Hinblick darauf, dass hier der Unterhalt nach Billigkeit zu bemessen ist (vgl RIS Justiz RS0009759 und 1 Ob 129/13x [zu § 69 Abs 3 EheG]), begegnet die Beurteilung des Erstgerichts, dass (nach dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt) der Beklagte einstweiligen Unterhalt in Höhe von 700 EUR monatlich an die Klägerin zu zahlen hat, keine Bedenken.
Wenn in der Revisionsrekursbeantwortung ins Treffen geführt wird, die Klägerin sei Eigentümerin zweier Liegenschaften in Klosterneuburg, die sie verkaufen könnte, verstößt dies gegen das Neuerungsverbot. Da die Vermögenssituation der Klägerin für die Beurteilung ihrer Ansprüche sowohl nach § 68 EheG als auch nach § 68a EheG gleichermaßen relevant ist, war die Bedeutung dieses Vorbringens für den Beklagten nämlich bereits in erster Instanz erkennbar. Es liegt insoweit also auch keine „Überraschungsentscheidung“ vor.
Die Einwendungen des Beklagten gegen die Höhe des mit 700 EUR festgelegten einstweiligen Unterhalts sind daher nicht stichhaltig, weshalb die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich hinsichtlich der Klägerin auf § 393 Abs 1 Satz 1 EO. Der Beklagte hat als im Rechtsmittelverfahren vollständig Unterlegener keinen Kostenersatzanspruch (2 Ob 141/10i; RIS-Justiz RS0005667).