OGH vom 03.09.2009, 2Ob146/09y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Gabriele N*****, vertreten durch Dr. Albert Feichtner und andere, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei Thomas K*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Wörgötter, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Entfernung und Unterlassung, über den Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen die einstweilige Verfügung des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 2 R 166/09i-10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom , GZ 2 C 495/09p-2, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die gefährdete Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.
Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Begründung:
Die in der Folge bezeichneten Liegenschaften sind solche des Grundbuchs *****. Der Beklagte und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge als Beklagter bezeichnet) ist Eigentümer der Liegenschaft EZ *****, bestehend aus dem Grundstück Nr 12, mit dem Haus S*****straße 17, der Liegenschaft EZ *****, zu der das Grundstück Nr 30/1 gehört, sowie schließlich der Liegenschaft EZ *****, zu der das Grundstück Nr 28 gehört. Auf den beiden zuletzt genannten Grundstücken (im Folgenden als Nachbarliegenschaften bezeichnet) unterhält die Kaufmannschaft S***** einen gebührenpflichtigen Parkplatz.
Mit Mietvertrag vom mietete die Klägerin und gefährdete Partei (im Folgenden als Klägerin bezeichnet), die Eigentümerin der den beiden erstgenannten Liegenschaften des Beklagten benachbarten Liegenschaft EZ *****, Grundstück Nr 13 mit der Anschrift S*****straße 19 ist, die gesamte Liegenschaft S*****straße 17 mit dem darauf errichteten Geschäftshaus. Das Mietverhältnis bezieht sich auch auf die nicht verbauten Teile des Grundstücks Nr 12 und insbesondere auf die von der S*****straße her gesehen hinter dem Haus S*****straße 17 gelegene Fläche, die von der Klägerin als Parkplatz verwendet wurde. Diese Parkfläche ist nur über den auf den Nachbarliegenschaften befindlichen Parkplatz erreichbar. Seit Beginn des Bestandverhältnisses fuhren die Klägerin, ihre Kunden und Lieferanten (die Klägerin betreibt in den Häusern S*****straße 17 und 19 ein Sportgeschäft) über die Nachbarliegenschaften unbehindert zum Parkplatz hinter dem Haus S*****straße 17.
Am erschien der Beklagte mit drei Gehilfen und brachte entlang der Grenze zwischen den Liegenschaften EZ ***** Grundstück Nr 30/1 und EZ ***** Grundstück Nr 12, und zwar an der Südostgrenze in einem Abstand von 20 bis 30 cm von der Grundstücksgrenze auf dem Grundstück Nr 30/1 und entlang der Nordostgrenze direkt an der Grenze, einen massiven Bretterzaun an, der die Zufahrt zur zuvor beschriebenen Parkfläche verhindert.
Dieser von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommene Sachverhalt entspricht dem Klags- und Sicherungsvorbringen.
Die Klägerin begehrt, den Beklagten für schuldig zu erkennen, den von ihm angebrachten, oben beschriebenen Holzzaun zu entfernen sowie für die Dauer des aufrechten Bestands des Mietvertrags zwischen den Streitteilen auf dem Grundstück Nr 30/1 Veränderungen jeglicher Art zu unterlassen, durch die für die Klägerin die Zufahrt zu dem auf dem Grundstück Nr 12 straßenrückseitig befindlichen Parkplatz verhindert wird. Die Klägerin stellt ein auf § 381 Z 2 EO (beide Fälle) gestütztes, im Wesentlichen inhaltsgleiches Sicherungsbegehren, wobei die einstweilige Verfügung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Hauptverfahrens erlassen werden möge.
Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ohne Anhörung des Beklagten ab. Die Anbringung eines Zauns stelle keine Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO dar. Da auf den Nachbarliegenschaften und auch sonst in der Nähe des Geschäfts der Klägerin Parkmöglichkeiten bestünden, liege auch kein drohender unwiederbringlicher Schaden vor.
Das Rekursgericht erließ über den Rekurs der Klägerin ebenfalls ohne Anhörung des Beklagten die begehrte einstweilige Verfügung. Sei durch eine Gewaltausübung bereits ein rechtswidriger Zustand herbeigeführt worden, könne eine einstweilige Verfügung zu dessen Behebung erwirkt werden. Unter Gewalt im Sinne des § 381 Z 2 EO könne keineswegs nur physische, gegen die körperliche Unversehrtheit einer anderen Person gerichtete Gewalt verstanden werden, auch die Errichtung eines massiven Hindernisses, wodurch die gefährdete Partei an einer bislang geübten Rechtsausübung gehindert werde, sei als Gewalt im Sinn der Bestimmung zu verstehen. Die Klägerin habe ihren gegen den Beklagten behaupteten Anspruch, auf die gemietete, unverbaute Grundfläche vom Parkplatz der Kaufmannschaft her mit Fahrzeugen zu fahren und die gemietete Fläche zum Abstellen von Fahrzeugen zu nutzen, bescheinigt. Durch die als Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO zu wertende gleichfalls bescheinigte Handlung, nämlich das Abzäunen der Liegenschaft, sodass ein Fahren auf die Liegenschaft nicht möglich sei, sei dieses Recht der Klägerin beeinträchtigt worden. Auch wenn ein unwiederbringlicher Schaden von der Klägerin nicht behauptet worden sei, sei die beantragte einstweilige Verfügung dennoch zu erlassen gewesen.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es existiere nur vereinzelt höchstgerichtliche Judikatur zur nicht gegen eine Person gerichteten Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO.
Gegen die einstweilige Verfügung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Abweisung des Antrags auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber bringt im Kern vor, die Klägerin habe kein Recht, auf die mitvermietete, vormals von ihr und ihren Kunden benützte Fläche über seine Nachbarliegenschaften zuzufahren, bescheinigt. Das Errichten des Zauns sei mit den vom Rekursgericht für seine Entscheidung ins Treffen geführten Entscheidungen nicht vergleichbar und demnach keine Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO.
Hiezu wurde erwogen:
Die Klägerin hat behauptet und bescheinigt, dass sie sowie Kunden und Lieferanten ihres Sportgeschäfts seit Beginn des Mietverhältnisses (1994) unbehindert über die Nachbarliegenschaften des Beklagten auf die mitvermietete Fläche zufahren konnten und auch zufuhren.
Entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers hat die Klägerin damit nicht nur ein Faktum, sondern auch ihre zumindest schlüssig eingeräumte Berechtigung zum Überfahren der Nachbarliegenschaften zwecks Erreichens der mitvermieteten Grundfläche behauptet und bescheinigt.
Gemäß § 381 Z 2 EO können zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen einstweilige Verfügungen getroffen werden, wenn derartige Verfügungen zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen.
Drohende Gewalt ist nicht schon das rechtswidrige oder gegen § 19 ABGB verstoßende Verhalten des Anspruchsgegners (RIS-Justiz RS0005350). Die Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO muss in der Anwendung eines gegen den Anspruchsberechtigten gerichteten Zwangs oder in der Bedrohung mit einem solchen Zwang bestehen. Sie muss ihrem Gewicht nach dazu bestimmt sein, den zu erwartenden Widerstand des Berechtigten zu beseitigen (RIS-Justiz RS0005353; vgl E. Kodek in Angst, EO2 § 381 Rz 8 mwN). Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO liegt bei jeder rechtswidrigen, physisch oder psychisch einwirkenden Eigenmacht vor, die ein Zuwarten auf Urteil und Exekution als unzumutbar erscheinen lässt (Konecny, Einstweilige Verfügungen in Bestandstreitigkeiten, JBl 1994, 9 [26]).
Das Rekursgericht hat sich auf die Entscheidung SZ 38/133 = MietSlg 17.845/33 gestützt. Dort hatte der Vermieter an der Wohnungstür der Mieterin, gegen die er eine Aufkündigung eingebracht hatte, ein Vorhangschloss angebracht. Der Oberste Gerichtshof qualifizierte dies damals als Gewalt im Sinn des § 381 Z 2 EO.
König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren3 3/80 FN 325, hat diese Entscheidung mit der Erwägung kritisiert, die Anbringung eines Vorhangschlosses stelle wohl keine ausreichende „Gewalt" dar.
Inwieweit die Kritik Königs berechtigt ist, kann hier dahingestellt bleiben, weil der vorliegende Fall mit dem der Entscheidung SZ 38/133 zugrundeliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar ist. Dort ging es um die Verhinderung der Benützung des gesamten, dem menschlichen Grundbedürfnis des Wohnens dienenden Bestandobjekts. Hier ist jedoch die Klägerin an der Benützung des gemieteten Geschäftshauses überhaupt nicht und an der Benützung der mitgemieteten Fläche auch nicht generell, sondern nur am Parken von Kraftfahrzeugen gehindert.
Konecny aaO 23 meint, nicht jede „drohende Gewalt" rechtfertige eine einstweilige Verfügung, es müsse vielmehr ein „erheblicher Gewaltakt" bescheinigt werden, „wenn also angesichts der Umstände des Einzelfalls eine wesentliche Beeinträchtigung der Verfahrenseffizienz droht". Diese Einschränkung sei notwendig, um exzessive Ausweitungen der einstweiligen Verfügung zu vermeiden. Beispielsweise könne zwar die Auswechslung des Wohnungsschlosses mit einstweiliger Verfügung rückgängig gemacht werden; beim gewaltsamen Schlossaustausch an einem nie benützten, leerstehenden Kellerabteil sei der Mieter hingegen auf die Durchsetzung seines Besitzstörungsanspruchs in Prozess und Exekution zu verweisen.
Im vorliegenden Fall kann schon angesichts der in unmittelbarer Nähe der betroffenen Fläche bestehenden allgemeinen Parkmöglichkeiten von einer Eigenmacht, die ein Zuwarten auf Urteil und Exekution als unzumutbar erscheinen ließe (Konecny aaO 26), nicht ausgegangen werden.
„Drohende Gewalt" liegt somit nicht vor. Wie schon die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, wurden auch keine konkreten Umstände, aus denen sich ein drohender unwiederbringlicher Schaden ergäbe, behauptet. Die Voraussetzungen zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 381 Z 2 EO sind daher nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 78, 402 EO iVm den §§ 50, 40, 41 ZPO.