OGH vom 28.11.2002, 3Ob196/02y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei M*****, a.s., ***** Tschechische Republik, vertreten durch Dr. Wolczik, Dr. Knotek, Dr. Wurst und Dr. Winalek, Rechtsanwälte in Baden, wider die verpflichtete Partei B***** KG (vormals: B***** KG), ***** vertreten durch Dr. Peter Schlösser und Dr. Christian Schoberl, Rechtsanwälte in Graz, wegen 16.973,74 EUR (= 233.563,77 S) sA, infolge Revision der verpflichteten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 251/01p-35, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , AZ 4 R 251/01p, womit infolge Berufung der verpflichteten Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 11 E 6758/99p-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden abgeändert.
Infolge Widerspruchs der verpflichteten Partei wird Punkt 1 des Beschlusses des Erstgerichts vom ON 5 dahin abgeändert, dass der Antrag der betreibenden Partei, den Schiedsspruch des Schiedsgerichts bei der Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik und der Agrarkammer der Tschechischen Republik in Prag vom , Rsp 54/95, und den ergänzenden Schiedsspruch desselben Schiedsgerichts vom , Rsp 54/95, für Österreich für vollstreckbar zu erklären, abgewiesen wird.
Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die nachstehenden Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar 2.333,34 EUR (darin 388,89 EUR USt) für das Verfahren erster Instanz, 1.923,87 EUR (darin 192,26 EUR USt und 770,33 EUR Barauslagen) für das Berufungsverfahren sowie 1.999,16 EUR (darin 156,36 EUR USt und 1.061 EUR Barauslagen) für das Revisionsverfahren.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom ON 5 der betreibenden Partei die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs und eines ergänzenden Schiedsspruchs des Schiedsgerichts bei der Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik und der Agrarkammer der Tschechischen Republik (im Folgenden nur Schiedsgericht) für Österreich. Weiters bewilligte es ihr wider die verpflichtete Partei zur Hereinbringung der vollstreckbaren Forderung von 233.563,77 S sA die Fahrnis- und die Forderungsexekution nach § 294 EO.
In ihrem Widerspruch gegen die Vollstreckbarerklärung brachte die verpflichtete Partei im Wesentlichen vor, es seien ihr weder das verfahrenseinleitende Schriftstück noch der Exekutionstitel ordnungsgemäß zugestellt worden. Sie habe sich auch nicht durch ihre handlungsfähigen Organe in das Verfahren vor dem Schiedsgericht eingelassen.
Das Erstgericht gab dem Widerspruch nicht Folge. Es traf keine näheren Feststellungen über den Schiedsspruch und seine Ergänzung, sondern nur eine Feststellung dahin, dass diese eine Vollstreckbarkeits- und Rechtskraftbestätigung aufwiesen.
Das Erstgericht qualifizierte den Schiedsspruch als solchen iSd New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom , BGBl 1961/200 (im Folgenden auch nur New Yorker Übereinkommen). Der verpflichteten Partei sei der Nachweis nicht gelungen, dass sie nach Art V lit b dieses Übereinkommens von der Bestellung des Schiedsrichters oder von dem schiedsrichterlichen Verfahren nicht gehörig in Kenntnis gesetzt worden sei oder dass sie aus einem anderen Grund ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht habe geltend machen können.
In seinem bestätigenden Urteil erachtete das Berufungsgericht weder die Tatsachen- noch die Mängelrüge der verpflichteten Partei als berechtigt.
In rechtlicher Hinsicht führte die zweite Instanz aus, der in der Berufung allein angezogene Versagungsgrund, die vorgelegten Titelkopien seien nicht iSd New Yorker Übereinkommens beglaubigt, sei im Widerspruch nicht geltend gemacht worden. Dies stelle daher eine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung dar. Die in erster Instanz vorgebrachten Versagungsgründe nach Art V Abs 1 lit b und e des New Yorker Übereinkommens seien nicht mehr releviert worden und daher ausgeschieden. Es brauche auch nicht mehr geprüft zu werden, ob Oppositionsgründe mit Widerspruch geltend gemacht werden könnten.
Rechtliche Beurteilung
Die nachträglich im Verfahren nach § 508 ZPO vom Berufungsgericht für zulässig erklärte Revision der verpflichteten Partei ist berechtigt.
Zu Recht macht die verpflichtete Partei geltend, dass sie in Wahrheit mit ihrem Berufungsvorbringen nicht gegen das Neuerungsverbot des § 482 ZPO verstoßen habe.
Zugleich mit der Einführung einer eigenen Vollstreckbarerklärung ausländischer Exekutionstitel für Österreich (§ 79 Abs 1 EO) mit der EO-Novelle 1995 wurde der frühere Widerspruch gegen die Exekutionsbewilligung auf Grund ausländischer Exekutionstitel (§ 83 EO idF vor der EO-Novelle 1995) durch den Widerspruch gegen die Vollstreckbarerklärung (§ 84 EO idF der EO-Novelle 1995) ersetzt. Nach § 84 Abs 3 EO (in der hier gemäß Art III Abs 10 EO-Nov 2000, BGBl I 2000/59 noch anzuwendenden Fassung; im Folgenden EO aF) ist über den Widerspruch nach mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden und es sind auf das Verfahren die Bestimmungen über das Verfahren vor den Bezirksgerichten (§§ 431 ff ZPO) anzuwenden. Weder aus dieser Regelung noch aus dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom , BGBl 1961/20, lässt sich ein Argument dafür gewinnen, dass im Rechtsmittelverfahren gegen Urteile über Widersprüche nach § 84 EO aF das Neuerungsverbot nicht gelten oder auch nur eingeschränkt gelten solle. Schon V. Hoyer/Loewe (in Heller/Berger/Stix, EO4 888) vertraten zu Recht unter Ablehnung einer Gegenmeinung dieselbe Auffassung für das Widerspruchsverfahren nach § 83 EO idF vor der EO-Novelle 1995. Diese Autoren führten auch bereits (aaO) aus, der - im Widerspruch nicht geltend gemachte - Mangel der Gegenseitigkeit oder ein anderer schon den Akten zu entnehmender, von Amts wegen wahrzunehmender Versagungsgrund könne bei Anfechtung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung berücksichtigt werden. Mit der zitierten Auffassung von V. Hoyer/Loewe steht auch die Anm 2 bei Angst/Jakusch/Pimmer(EO, MTA EO12 ) zu § 84 nicht im Widerspruch, bezieht sich doch die Bemerkung, im Widerspruchsverfahren gelte das Neuerungsverbot nicht, richtig verstanden lediglich auf das Verfahren erster Instanz.
§ 84 Abs 1 EO aF in der hier maßgebenden Fassung vor der EO-Novelle 2000 unterscheidet inhaltlich nicht zwischen Rekurs- und Widerspruchsgründen, weshalb davon auszugehen ist, dass auch solche Einwendungen gegen die Vollstreckbarerklärung, die Rekursgründe darstellen, mit Widerspruch geltend gemacht werden können (ebenso Musger, Die Zwangsvollstreckung auf Grund ausländischer Titel aus der Sicht des Erstrichters, in Bajons/Mayr/Zeiler, Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano 247 ff, 261). Nach § 86 EO aF sind die Bestimmungen der §§ 79 ff EO gegenüber staatsvertraglichen Regelungen subsidiär, weshalb im Fall der Anwendbarkeit des New Yorker Übereinkommens, wie im vorliegenden Fall, § 84 Abs 1 EO aF so zu lesen ist, dass sowohl fehlende Vollstreckungsvoraussetzungen als auch Versagungsgründe nach Art V des genannten Übereinkommens mit Widerspruch geltend gemacht werden können. Der Widerspruch dient ebenso wie der Rekurs der Überprüfung der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Dann stellt es aber auch keinen Verstoß gegen das Neuerungsverbot dar, wenn die verpflichtete Partei erst in der Berufung gegen das über den Widerspruch ergangene Urteil das Fehlen von Voraussetzungen nach Art IV des New Yorker Übereinkommens erstmals im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geltend macht. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass neue rechtliche Gesichtspunkte ohne Verletzung des Neuerungsverbots vorgetragen werden können, soweit dabei das bisherige tatsächliche Vorbringen zu Grunde gelegt wird (RIS-Justiz RS0016473; Kodek in Rechberger2 § 482 ZPO Rz 9). Für das spezielle Widerspruchsverfahren nach § 84 EO aF bedeutet dies, dass das Fehlen der nach Art IV des New Yorker Übereinkommens erforderlichen Beglaubigungen jederzeit ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot geltend gemacht werden kann, weil dieser Umstand aus dem von sämtlichen Instanzen in gleicher Weise zu beurteilenden Schiedsspruch und/oder der Schiedsvereinbarung ablesbar ist.
Bei ihren rechtlichen Erwägungen lässt allerdings die verpflichtete Partei die - ohnehin für ihren Standpunkt sprechende - neuere Judikatur des erkennenden Senats unerwähnt. Die von ihr zitierte Entscheidung 3 Ob 25/92 = ZfRV 1993/11 enthält keine für ihren Standpunkt sprechenden Ausführungen. Wie der erkennende Senat in den Entscheidungen 3 Ob 2097/96w, 3 Ob 2098/96t und 3 Ob 320/97y = SZ 70/249 = RdW 1998, 340 = ZfRV 1998/23 klargestellt hat, gestattet es der im Art IV des New Yorker Übereinkommens verwendete englische Ausdruck "certified", auch die Bestätigung eines den Schiedsverfahrensparteien als neutrale Person nahestehenden Funktionsträgers für ausreichend zu halten, etwa des Schiedsgerichtsvorsitzenden oder des Sekretärs der Schiedsorganisation, wie dies in Schiedsordnungen ständiger Schiedsgerichte mitunter ausschließlich vorgesehen wird. Dies war auch nach § 35 Abs 3 der Verfahrensordnung des Schiedsgerichts der Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik (1995) ebenso wie in § 35 Abs 3 der hier maßgebenden Verfahrensordnung (1996) der Fall. In der Entscheidung 3 Ob 320/97y wurde auch klargestellt, dass im Fall der Vorlage einer bloßen Kopie des Schiedsspruchs die Beglaubigung derselben dann nicht ausreicht, wenn nicht die Echtheit der Unterschriften auf der Urschrift zumindest mittelbar beglaubigt wäre.
Im vorliegenden Fall trägt die vorgelegte Kopie des Schiedsspruchs nun zwar die Unterschriften des Vorsitzenden und der/einer Sekretärin des Schiedsgerichts, eine Beglaubigung der Echtheit von deren Unterschriften ergibt sich allerdings aus der Urkunde nicht, auch nicht aus dem Beglaubigungsvermerk eines Prager Notars, der lediglich die Übereinstimmung der Kopie mit der Erstschrift bestätigt hat. Außerdem ergibt sich aus der Urkunde ebensowenig wie im Fall der zitierten Entscheidung der Nachweis bzw. die Bestätigung der Funktion der den Schiedsspruch beglaubigenden Funktionäre des Schiedsgerichts. Aus Art IV Abs 2 des New Yorker Übereinkommens, wonach Übersetzungen in die Sprache des Anerkennungsstaats beizubringen sind, wenn der Schiedsspruch oder die Vereinbarung nicht in einer amtlichen Sprache dieses Staats abgefasst sind (wie im vorliegenden Fall), folgt, dass auch die Beglaubigung der Übereinstimmung der Abschrift mit dem Original (hier durch eine Notarin) in die deutsche Amtssprache Österreichs übersetzt sein müsste. Dies ist hier nicht der Fall. Darüber hinaus bezeichnet sich zwar der tschechische Übersetzer des Schiedsspruchs als durch Beschluss eines Kreisgerichts ernannt, auch insoweit fehlt es aber an der erforderlichen Beglaubigung.
Demnach macht die verpflichtete Partei im Ergebnis zu Recht geltend, dass die Voraussetzungen des Art IV des New Yorker Übereinkommens im vorliegenden Fall nicht vorliegen, weshalb ihrem Widerspruch in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen Folge zu geben und der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs samt Ergänzung für Österreich abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 ZPO, im Rechtsmittelverfahren auch auf § 50 ZPO jeweils iVm § 84 Abs 3 ZPO idF vor der EO-Novelle 2000.