OGH vom 08.11.2011, 3Ob195/11i

OGH vom 08.11.2011, 3Ob195/11i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) G***** L*****, und 2.) Mag. P***** L*****, beide vertreten durch Neumayer, Walter Haslinger Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die A***** AG, früher: A***** AG, *****, vertreten durch Grohs Hofer Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wegen 52.500 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 31/11t 31, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 190/09a 23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen wiesen das auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübertragung der erworbenen Wertpapiere gerichtete Begehren der Kläger ab. Sie verneinten das Rücktrittsrecht mangels Veröffentlichung des Kapitalmarktprospekts gemäß § 5 KMG und infolge fehlender Kausalität einer allfälligen Irreführung oder allfälligen Verletzung von Aufklärungspflichten sowohl Irrtumsanfechtung als auch Schadenersatz.

Die Kläger machen als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend, es fehle Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein als „endgültige Bedingungen“ bezeichnetes Dokument als Prospektnachtrag zu werten sei, sodass es den Prospektveröffentlichungsregeln nach KMG unterliege und mangels ausreichender Veröffentlichung ein Rücktrittsrecht nach § 5 KMG zustehe.

Rechtliche Beurteilung

Noch in der Berufung sprachen die Kläger ebenso wie in ihrem erstinstanzlichen Vorbringen ausdrücklich von „endgültigen Bedingungen“. Das nunmehr erhobene Vorbringen, die Beurteilung der Chancen und Risken sei ohne Einbeziehung der „endgültigen Bedingungen“ nicht möglich, sodass diese in Wahrheit einen zwingenden Prospektnachtrag bilden würden, erweist sich damit als unzulässige und damit unbeachtliche Neuerung (6 Ob 138/11d mwN; RIS Justiz RS0043352 [T33], RS0043338 [T11]). Auf diese Frage ist somit in dritter Instanz nicht mehr einzugehen, mangels Präjudizialität im Einzelfall fehlt daher eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0088931 [T2]).

Hat das Berufungsgericht das Vorliegen einer in der Berufung behaupteten Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens geprüft und eine solche verneint, ist die Wahrnehmung dieser Nichtigkeit im Revisionsverfahren nicht mehr möglich (RIS Justiz RS0042981, RS0042917, RS0043405). Diese Anfechtungsbeschränkung es liegt ein gemäß § 519 ZPO unanfechtbarer Beschluss des Berufungsgerichts vor (RIS Justiz RS0042981 [T3, T 6]) kann auch nicht mit der Behauptung unterlaufen werden, die Verneinung der Nichtigkeit beruhe auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung oder begründe die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (RIS Justiz RS0042981 [T5, T 15]).

Zu 8 Ob 38/11p hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass ein (angeblicher) Verstoß gegen § 7 Abs 4 KMG sich nicht auf das Rücktrittsrecht bezieht. Auf die genannte Gesetzesbestimmung bezughabende Ausführungen der Kläger werfen damit keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO auf.

Das Rücktrittsrecht nach § 5 Abs 1 KMG knüpft an der Nichtveröffentlichung eines KMG Prospekts (auch Basisprospekt und Nachtrag nach § 6 KMG) trotz Prospektpflicht nach § 2 Abs 1 KMG an. Die Nichtveröffentlichung bloß endgültiger Bedingungen löst hingegen kein Rücktrittsrecht aus. Die Beweislast für die fehlende Prospektveröffentlichung trägt der Verbraucher (8 Ob 38/11p mwN). Da die Kläger im erstinstanzlichen Verfahren eine fehlende (fehlerhafte) Prospektveröffentlichung im Hinblick auf den Wortlaut der den österreichischen Prospektveröffentlichungsbestimmungen zugrundeliegenden RL 2003/71/EG (angeblicher Übersetzungsfehler) nicht vorgebracht haben, ist auf insoweit unzulässige Neuerungen im Revisionsverfahren gleichfalls nicht einzugehen.

Ob gemäß Art 33 der ProspektVO 809/2004 auch endgültige Bedingungen zu veröffentlichen sind, kann auf sich beruhen, zumal die Nichtveröffentlichung bloß der endgültigen Bedingungen kein Rücktrittsrecht nach § 5 KMG auslöst (5 Ob 56/11b; 6 Ob 138/11d).

Ob die konkrete Veröffentlichung eines Prospekts als „leicht zugänglich“ iSd Art 29 ProspektVO 809/2004 zu beurteilen ist, hängt von der Ausgestaltung der Internetveröffentlichung im Einzelfall aus, die Beantwortung dieser Frage bildet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (Einzelfallbezogenheit). Dass die Vorinstanzen die veröffentlichten Prospekte als „ausreichend“ zugänglich erachteten, zumal Hindernisse, die im elektronischen Verkehr übliche einfache Such und Registrierungsschritte übersteigen, nicht vorlagen, bildet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Die außerordentliche Revision der Kläger ist daher mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.