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OGH vom 19.12.2018, 7Ob213/18a

OGH vom 19.12.2018, 7Ob213/18a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen S***** U*****, geboren am ***** 2009, *****, Vater M***** U*****, vertreten durch Mag. Klaus Kabelka, Rechtsanwalt in Wien, Mutter S***** Y*****, Tante M***** U*****, vertreten durch Dr. Susanne Schwarzenbacher, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 354/18d-132, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der Rechtsmittelgrund des § 58 Abs 1 Z 3 AußStrG liegt schon nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur– in dem hier nicht gegebenen Fall – vor, wenn entgegen besonderer gesetzlicher Vorschriften nicht mündlich verhandelt wurde.

1.2 Nach der Rechtsprechung können die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG (Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG) genannten Verfahrensmängel auch dann im Revisionrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint wurden (RISJustiz RS0030748 [T15]). Rechtliches Gehör ist aber auch dann gewährt, wenn sich die Partei – wie hier – schriftlich äußern konnte und geäußert hat (RISJustiz RS0006036).

1.3 Der überdies behauptete „Nichtigkeitsgrund“ der mangelnden Begründung iSd § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, der im Wesentlichen § 57 Z 1 AußStrG entspricht (RISJustiz RS0121710) wäre nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RISJustiz RS0007484). Dies ist trotz der kurzen Entscheidungbegründung nicht der Fall.

2. Ein vom Rekursgericht verneinter Verfahrensmangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS-Justiz RS0050037), es sei denn, eine Durchbrechnung dieses Grundsatzes ist aus Gründen des Kindeswohls erforderlich (RIS-Justiz RS0050037 [T4]). Soweit der Vater neuerlich das Unterbleiben der Einvernahme dreier von ihm beantragter Zeugen und der von der Tante „beantragten Zeugen und sonstigen Beweismittel“ rügt, bleibt er selbst im Revisionsrekurs schuldig, die Erheblichkeit des geltend gemachten Mangels darzulegen, was auch im Außerstreitverfahren geboten ist (RIS-Justiz RS0043027 [T13]). Der bloße Verweis darauf, dass sich die „Unrichtigkeit des Vorbringens“ der Tante ergeben hätte, lässt offen, welche konkreten – von den getroffenen Feststellungen abweichenden – Ergebnisse die Durchführung der vermissten Beweise gebracht hätte.

3. Eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über eine Mängel oder Beweisrüge ist mängelfrei, wenn es sich mit dieser überhaupt befasst, das Verfahren des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt und in seiner Entscheidung festhält (RISJustiz RS0043150, RS0043144). Das Rekursgericht hat sich, wenn auch kurz, mit der Mängel- und Beweisrüge des Vaters auseinandergesetzt und deren Berechtigung verneint. Es ist dabei auch nicht verpflichtet, bei der Behandlung der Beweisrüge auf jedes einzelne Beweisergebnis und Argument des Rechtsmittelwerbers einzugehen (RISJustiz RS0040165 [T3, T 4]).

4. Soweit der Vater über weite Strecken Fragen der Beweiswürdigung erörtert, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof auch in Außerstreitverfahren nur Rechts und nicht Tatsacheninstanz ist (RISJustiz RS0006737, RS0007236). Fragen der Beweiswürdigung können daher nicht mehr überprüft werden (RISJustiz RS0007236 [T4]).

5. § 185 Abs 1 und 2 ABGB sehen vor, dass das Gericht einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) auf seinen Antrag die Obsorge für das Pflegekind ganz oder teilweise zu übertragen hat, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht; sind die Eltern oder Großeltern mit der Obsorge betraut und stimmen sie der Übertragung nicht zu, so darf diese nur verfügt werden, wenn ohne sie das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

5.1 Dem Vater kommt die alleinige Obsorge zu. Aufgrund der Jugendlichkeit der Eltern im Zeitpunkt der Geburt der Minderjährigen haben sich diese nur sporadisch um sie gekümmert. Hauptsächlich übernahmen daher die Tante und auch die väterliche Großmutter die Pflege und Erziehung. 2012 bezog die Tante gemeinsam mit der Minderjährigen – unter Billigung des Vaters – eine eigene Wohnung. Seither lebt die Minderjährige bei ihrer Tante, die ihre Hauptbezugsperson ist, und die sie „Mama“ nennt, zusammen.

5.2 Aus welchen Gründen die Bejahung der in § 184 ABGB genannten Voraussetzungen (gänzliche oder teilweise Besorgung der Pflege und Erziehung sowie das Bestehen einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Kindern und Eltern nahekommenden persönlichen Beziehung) und die darauf gründende Qualifikation der Tante als Pflegemutter rechtlich unrichtig sein sollen, wird vom Vater nicht aufgezeigt.

5.3 Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist nach ständiger Rechtsprechung ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RISJustiz RS0048632). Eine Abänderung der Obsorgeverhältnisse als äußerste Notmaßnahme unter Auffassung eines strengen Maßstabs (RISJustiz RS0047841 [T18, T 19, T 21]; RS0048712 [T1], RS0085168 [T5]) darf nur soweit angeordnet werden, als dies zur Abwendung einer konkreten drohenden Gefährdung notwendig ist (RISJustiz RS0048712, RS0085168). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind und die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden; die Gefährdung des Kindeswohls kann auch darin liegen, dass wichtige Veränderungen eingetreten sind, die Eltern aber diesen Veränderungen nicht Rechnung tragen; ein subjektives Schuldelement kann, muss aber nicht hinzutreten; es muss aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Eltern oder eines Elternteils, in dem die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung elterlicher Pflichten zu erblicken ist, zu befürchten sein, dass das Wohl des Kindes beeinträchtigt werden wird (RISJustiz RS0048633).

Sowohl die Frage, ob eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, als auch die Beurteilung, welche Verfügungen zur Sicherung des Kindeswohls nötig sind, hängen stets von den besonderen Umständen des konkreten Falls ab, sodass sich insoweit regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG stellen (RISJustiz RS0114625 [T1, T 2]).

5.4 Richtig ist, dass hier kein bloßer Günstigkeitsvergleich vorzunehmen ist. Der vorliegende Fall ist aber dadurch gekennzeichnet, dass es seit 2013 kaum Kontakte der Minderjährigen zum Vater gab. Die wenigen Treffen belasteten die Minderjährige sehr, sie hatte danach Alpträume und nässte ein. Nunmehr beabsichtigt der Vater die Minderjährige zu sich, seiner zweiten Frau und seinen beiden Söhnen (2015 und 2017 geboren) zu nehmen. Die Beziehung der Minderjährigen zum Vater, der Stiefmutter und den Halbgeschwistern ist schlecht. Vor diesem Hintergrund gefährdet eine abrupte Rückführung der Minderjährigen, die vom Vater geplant ist und einen Eingriff in die Beziehungskontinuität durch die Trennung von ihrer Hauptbezugsperson darstellt, das Kindeswohl. Der Vater zeigt hier nicht nur keine Problemeinsicht, er verschärft die Situation nach den Feststellungen noch dadurch, dass er unter Berufung auf sein Obsorgerecht erklärt, dass „er die Macht hat, die Minderjährige nach Bosnien zu bringen, wo sie keiner finden wird. Er wird den Pass nun ständig bei sich tragen, dann kann er die Minderjährige von der Schule abholen und nach Bosnien bringen“. Diese Aussagen und die beabsichtigte Rückführung versetzen die Minderjährige in Panik. Die Situation belastet die Minderjährige psychisch, sie befindet sich auch in Therapie *****.

Die Ansicht der Vorinstanzen, dass im vorliegenden Einzelfall durch die permanent drohende Trennung der Minderjährigen von ihrer Hauptbezugsperson und Rückführung zum Vater die aufgrund der belastenden Situation bereits jetzt bestehenden psychischen Beeinträchtigungen noch vergrößert werden könnten, weshalb die Schaffung von klaren Verhältnissen durch Übertragung der Obsorge auf die Tante zur Stabilisierung und Entspannung der Situation und damit zur Abwendung einer drohenden Gefährdung der Minderjährigen notwendig sei, ist vor diesem Hintergrund vertretbar.

5.5 Dass die Tante, seitdem ihr die Obsorge bereits vorläufig übertragen wurde, die Kontakte zwischen Vater und Minderjähriger verweigert, wurde von den Vorinstanzen bei Beurteilung ihrer Erziehungsfähigkeit berücksichtigt und auch gleichzeitig – rechtskräftig – ein begleitetes Kontaktrecht festgelegt, um wieder eine tragfähige Beziehung zum Vater aufzubauen.

5.6 Soweit der Vater argumentiert, dass die Zurückziehung eines früheren Antrags auf Übertragung der Obsorge dem nunmehrigen entgegenstehe, ist ihm entgegenzuhalten, dass gemäß § 11 Abs 3 AußStrG ein Antrag nur dann nicht neuerlich geltend gemacht werden kann, soweit mit der Zurücknahme des Antrags auch wirksam auf den zugrundeliegenden Anspruch verzichtet wurde, was hier aber nicht erfolgte.

6. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00213.18A.1219.000

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