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OGH vom 21.12.2015, 5Ob178/15k

OGH vom 21.12.2015, 5Ob178/15k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Engelbert G*****, vertreten durch Kinberger Schuberth Fischer Rechtsanwälte GmbH in Zell am See, gegen die beklagte Partei Elfriede G*****, vertreten durch Dr. Anton Waltl, Dr. Peter Krempl und Mag. Manfred Seidl, Rechtsanwälte in Zell am See, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 162/15z 18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom , GZ 17 C 424/14k 14, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 978,84 EUR (darin enthalten 163,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde am gemäß § 49 EheG aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten geschieden. Das Urteil wurde beiden Parteien am zugestellt. Mit ihrer Berufung vom bekämpfte die Beklagte den Verschuldensausspruch. Das Landesgericht Salzburg gab der Berufung mit Urteil vom nicht Folge.

Am beantragte die Beklagte nach §§ 81 ff EheG, das der Aufteilung unterliegende Vermögen angemessen aufzuteilen. Das Bezirksgericht Zell am See wies diesen Antrag mit Beschluss vom als verfristet ab.

Die Beklagte bekämpfte diesen Beschluss mit Rekurs.

Vor Einbringung dieses Aufteilungsantrags hatten die Streitteile über Schriftverkehr durch ihre Rechtsvertreter versucht, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Die Beklagte bot an, gegen eine Ausgleichszahlung von zunächst 80.000 EUR, zuletzt 50.000 EUR zuzüglich eines Kostenbeitrags auf sämtliche Ansprüche aus der nachehelichen Aufteilung zu verzichten. Der Kläger bot zuletzt eine Ausgleichszahlung von 40.000 EUR in zwei Raten an. Der Schriftverkehr dauerte von Mai 2014 bis September 2014.

Die Beklagte bewohnt die Ehewohnung auf der Liegenschaft, deren Alleineigentümer der Kläger ist, nach wie vor.

Der Kläger begehrte die Räumung der von der Beklagten nach rechtskräftiger Scheidung der Ehe titellos benützten Liegenschaft. Ein Anspruch nach § 97 ABGB sei auf die Dauer der Ehe beschränkt. Der Antrag auf nacheheliche Aufteilung nach den §§ 81 ff EheG sei verspätet eingebracht worden. Nach der Berufungsentscheidung im Scheidungsverfahren habe die Beklagte Vorstellungen über die Höhe der Abschlagszahlungen unterbreitet, welche der Kläger als aus seiner Sicht inakzeptabel abgelehnt habe. Die Möglichkeit eines fristgerechten Aufteilungsantrags habe jedenfalls bestanden.

Die Beklagte berief sich auf das Recht, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Aufteilungsverfahrens die Wohnung zu benutzen. Der Wohnungsanspruch nach § 97 ABGB wirke nach Eheauflösung im rechtzeitig gestellten Aufteilungsanspruch der §§ 81 ff EheG fort. Der Aufteilungsantrag sei nicht verfristet, weil im Scheidungsverfahren der Scheidungsausspruch bei Einbringung von Klage und Widerklage im Fall der Berufung als mitangefochten gelte. Die Scheidung sei daher erst seit rechtskräftig. Darüber hinaus seien bis kurz vor Einbringung des Aufteilungsantrags außergerichtliche Vergleichsgespräche geführt worden.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Rechtlich folgerte es, dass der geschiedene Ehepartner dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren das im Aufteilungsanspruch fortlebende Benützungsrecht an der Ehewohnung wirksam einwenden könne, solange über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei. Dieses Recht stehe allerdings nur bei rechtzeitiger Antragstellung im Aufteilungsverfahren zu. Der Anspruch auf Vermögensaufteilung erlösche nach § 95 EheG, wenn er nicht binnen eines Jahres nach Eintritt der formellen Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht werde. Die Beklagte habe mit ihrer Berufung nur den Verschuldensausspruch bekämpft, weshalb das Urteil im Scheidungsausspruch bereits am in Rechtskraft erwachsen sei. Der Aufteilungsantrag hätte am bei Gericht eingebracht werden müssen. Vergleichsgespräche begründeten eine Ablaufshemmung auch dieser Präklusivfrist. Bereits aus der Nachricht des Klägers vom könne aus objektiver Sicht abgeleitet werden, dass weitere Vergleichsbemühungen aussichtslos seien. Nachdem der Kläger auch auf das letzte Angebot der Beklagten vom wie angekündigt bis Mitte September 2014 nicht eingegangen sei und der Ablauf der Präklusivfrist gedroht habe, hätte die Beklagte den Aufteilungsantrag jedenfalls unmittelbar nach der Nachricht vom einbringen müssen. Der erst am eingebrachte Antrag sei verfristet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Räumungsbegehren ab. Es bewertete den Streitgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass der Gesetzgeber dem Außerstreitrichter die Zuständigkeit zu rechtsgestaltenden Änderungen der Rechtszuständigkeit der Ehepartner an den in die Aufteilungsmasse fallenden Vermögensbestandteilen und damit vor allem an der Ehewohnung einräume, und im Falle rechtzeitiger Antragstellung der durch § 97 ABGB gewährte Unterlassungsanspruch und Benützungsanspruch des bedürftigen Ehegatten in seinem Aufteilungsanspruch fortlebe. Der Ehepartner könne dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren das im Aufteilungsanspruch fortlebende Benützungsrecht an der Ehewohnung wirksam einwenden, solange über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei. Das anhängige Aufteilungsverfahren sei noch nicht rechtskräftig beendet. Auch wenn in diesem Verfahren gerade die Rechtzeitigkeit der dortigen Antragstellung Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung sei, könne dies nichts daran ändern, dass über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei. Inwieweit Vergleichsverhandlungen zwischen den Streitteilen im Rahmen des familienrechtlichen Aufteilungsverfahrens auf den Ablauf der seit der formellen Rechtskraft des Scheidungsausspruches bereits verstrichenen -Jahresfrist von Bedeutung seien, sei im dortigen Verfahren zu beurteilen. Im Räumungsprozess sei hingegen die Feststellung wesentlich, dass im Aufteilungsverfahren derzeit noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliege, weshalb der in § 97 ABGB gewährte Unterlassungs und Benützungsanspruch des bedürftigen Ehegatten bis auf Weiteres fortbestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete außerordentliche Revision des Klägers ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser nach § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlässt und vorsorgt, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliert.

2. Nicht umstritten ist, dass die geschiedene Ehegattin des Klägers an der in seinem Alleineigentum stehenden (früheren) Ehewohnung ein dringendes Wohnbedürfnis hat.

3. Der Anspruch des wohnungsbedürftigen Ehegatten auf Benützung der Wohnung nach § 97 ABGB besteht nach Judikatur und Lehre im Aufteilungsanspruch nach den §§ 81 ff EheG fort (10 Ob 14/06s; 1 Ob 203/08x; Gitschthaler/Höllwerth , Ehe und Partnerschaftsrecht, § 97 ABGB Rz 49 mwN; Koch in KBB 4 § 97 ABGB Rz 1). Der geschiedene Ehegatte kann einem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren des anderen den Anspruch nach § 97 ABGB so lange wirksam einwenden, als über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist (RIS Justiz RS0009537).

4. Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob diese Einwendung auch dann wirkt, wenn ein Aufteilungsverfahren eingeleitet wurde, indem vorerst nur die Einhaltung der einjährigen Präklusivfrist (RIS Justiz RS0057726; RS0116131; RS0110013) des § 95 EheG umstritten ist und im Rechtsmittelstadium noch zu prüfen ist. Der Rechtssatz zu RIS Justiz RS0009566 und RS0009553 verknüpft nämlich den Fortbestand des Anspruchs iSd § 97 ABGB nach der Ehescheidung mit der rechtzeitigen Antragstellung im Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nach den §§ 81 ff EheG. In der vom Kläger zitierten Entscheidung 4 Ob 142/06w = RIS Justiz RS0009580 (T13) heißt es: „Die Bindung durch § 97 EheG besteht zwar nach der Scheidung der Ehe zunächst fort. Sie endet aber jedenfalls mit der Beendigung eines Aufteilungsverfahrens nach den §§ 81 ff EheG oder mit dem ungenutzten Ablauf der Frist des § 95 EheG“.

5. Unter Rechtskraft iSd § 95 EheG ist die formelle Rechtskraft iSd § 411 ZPO zu verstehen (RIS Justiz RS0041294). Im Eheverfahren kann der Scheidungsausspruch in Rechtskraft erwachsen, ohne dass rechtskräftig über das Verschulden entschieden ist. Bei einer Scheidung aus Verschulden ist allerdings die Annahme irgendeines Verschuldens des Beklagten präjudiziell für den Verschuldenssausspruch. Im Fall von Klage und Widerklage trifft die Präjudizialität des Verschuldens eines der Streitteile begrifflich nur dann zu, wenn noch kein Verschulden eines der Streitteile wenigstens teilweise rechtskräftig festgestellt ist (RIS Justiz RS0057735 [T3]; RS0056846; 1 Ob 234/13p mwN). Auf eine solche Konstellation hat sich die Beklagte im Räumungsprozess berufen. Ihrer Ansicht nach ist der Aufteilungsantrag fristgerecht gestellt worden. Ob dies zutrifft, ist für das Ergebnis in diesem Räumungsprozess aber nicht entscheidend.

6. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, können Vergleichsgespräche der Streitteile im Stadium zwischen einer (allenfalls) rechtskräftigen Ehescheidung und der Einbringung des Aufteilungsantrags () den Ablauf der Präklusivfrist des § 95 EheG hemmen, wenn der Aufteilungsantrag nach Abbruch der Vergleichsverhandlungen ohne unnötigen Aufschub eingebracht wurde (RIS Justiz RS0057759 [T1]; 1 Ob 111/14a).

7. Mit der hier vorliegenden Problematik hat sich der Oberste Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zu dem auf § 97 ABGB gestützten Einwand eines geschiedenen Ehegatten im Räumungsprozess nicht ausdrücklich befasst. Entweder es war das Aufteilungsverfahren vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Räumungsprozess ohnehin bereits rechtskräftig beendet (7 Ob 691/85 [Antrag als verfristet abgewiesen]; 1 Ob 203/08x ua) oder es gab keinen Anhaltspunkt für eine Ablaufhemmung einer berechnet nach der unstrittigen formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils eindeutig verstrichenen Frist zur Einbringung eines Aufteilungsantrags (4 Ob 142/06w). Zu 2 Ob 240/09x erörterte der Oberste Gerichtshof in erster Linie die Frage, ob auch ein im Ausland anhängig gemachtes Aufteilungsverfahren den Anspruch nach § 97 ABGB über die Rechtskraft der Ehescheidung hinaus verlängern könne.

8. Der Gesetzgeber hat das Verfahren nach den §§ 81 ff EheG in das außerstreitige Verfahren verwiesen (§ 93 AußStrG; Rechberger , AußStrG 2 , § 1 AußStrG Rz 8; Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 1 AußStrG Rz 78). Der Ablauf der materiell rechtlichen Frist des § 95 EheG bewirkt das Erlöschen des Aufteilungsanspruchs (RIS Justiz RS0116131; RS0110013; RS0057726) und führt damit zwingend zur Abweisung des Aufteilungsantrags. Diesen materiell rechtlichen Abweisungsgrund hat das Aufteilungsgericht im Rahmen eines eingeleiteten Aufteilungsverfahrens zu beurteilen. Nur ihm steht die Prüfung zu, ab wann die Frist zu laufen begann und ob ihr Ablauf durch Vergleichsgespräche gehemmt wurde.

9. Solange der Aufteilungsantrag nicht rechtskräftig als verfristet abgewiesen wurde, kann die Beklagte dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren des Klägers somit ihren Anspruch nach § 97 ABGB wirksam entgegenhalten. Dieses Ergebnis veranlasst den Revisionswerber zu der Überlegung, dass es der wohnungsbedürftige geschiedene Ehegatte mangels rechtzeitiger Antragstellung ausschließlich in der Hand habe, durch seine Entscheidung auf Antragstellung einer nachehelichen Aufteilung iSd §§ 81 ff EheG de facto seinen titellosen Benutzungsanspruch bis auf unbestimmte Zeit zu Lasten des anderen Ehegatten zu „perpetuieren“. Der erkennende Senat teilt diese Befürchtung gerade im vorliegenden Fall nicht. Einziges Thema des Aufteilungsverfahrens war bisher die Versäumung der einjährigen Präklusivfrist. Die Klärung der Rechtsfrage einer Ablaufhemmung durch schriftlich dokumentierte Vergleichsverhandlungen ist im Aufteilungsverfahren in absehbarer Zeit zu erwarten. Fällt das Ergebnis zugunsten des Klägers aus, ist der Zeitraum der befürchteten „Blockade“ kürzer als jener, der in der Regel bis zum rechtskräftigen Abschluss eines rechtzeitig eingeleiteten Aufteilungs-verfahrens verstreicht.

10. Der geschiedene Ehegatte kann einem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren des anderen den Anspruch nach § 97 ABGB auch dann bis zur rechtskräftigen Beendigung eines Aufteilungsverfahrens entgegenhalten, wenn der Aufteilungsantrag nicht innerhalb eines Jahres nach der formell rechtskräftigen Ehescheidung gestellt wurde und im Außerstreitverfahren vorerst nur die Verfristung des Aufteilungsantrags strittig ist.

11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00178.15K.1221.000