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OGH vom 22.10.2008, 7Ob211/08t

OGH vom 22.10.2008, 7Ob211/08t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Arkadiusz W*****, vertreten durch Dr. Thaddäus Kleisinger, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei Fachverband der Versicherungsunternehmen, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Dr. Thomas Mader, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Michael Mathes, Rechtsanwalt in Wien, wegen 82.500 EUR (sA) und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 16 R 24/08d-16, womit das Teilzwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 9 Cg 37/07p-12, infolge Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer eines PKW, mit dem Günter S***** (im Folgenden Lenker genannt) den Kläger am auf einem Schutzweg in Wien vorsätzlich niederstieß und schwer verletzte. Der Lenker wurde deshalb wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung rechtskräftig strafrechtlich verurteilt. Er hatte den PKW mit Wissen und Willen der Fahrzeughalterin M***** GmbH, die auch Versicherungsnehmerin ist, in Verwendung.

Der Kläger begehrt von der Beklagten seine unfallskausalen Schäden (Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Pflegekosten, Verdienstentgang und „diverse Unkosten"), die er insgesamt mit 82.500 EUR beziffert, aus der Haftpflichtversicherung ersetzt. Weiters begehrt er die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden zukünftigen Schaden aus dem Unfall vom , begrenzt mit der Höhe der gesetzlichen Versicherungssumme nach dem EKHG. Er leide nach wie vor an den Folgen des Unfalls, sei derzeit arbeitsunfähig und werde sich noch weiteren Operationen unterziehen müssen.

Die Beklagte, die auch die Höhe des Klagebegehrens bestritt, beantragte Klagsabweisung. Da der Lenker die Verletzung des Klägers vorsätzlich herbeigeführt habe, sei sie gemäß § 152 VersVG leistungsfrei. Der Haftungsausschluss wirke auch gegenüber einem geschützten Dritten.

Das Erstgericht stellte mit Teilzwischenurteil fest, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Gemäß § 152 VersVG hafte der Versicherer nicht, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich sei, widerrechtlich herbeigeführt habe. Gefordert sei nicht bloß eine vorsätzliche Handlungsweise, sondern auch eine vorsätzliche Schadenszufügung, sodass der Vorsatz des Versicherungsnehmers sich zumindest bedingt auf die letztlich eingetretenen Schadensfolgen beziehen müsse. Werde jemand - wie hier - absichtlich mit einem als Waffe anzusehenden PKW angefahren und überfahren, müsse mit einer schweren Körperverletzung gerechnet werden. § 152 VersVG gelte im Sinn des § 78 VersVG auch für den mitversicherten Lenker, sodass diesem gegenüber keine Deckungspflicht bestehe, wenn er vorsätzlich gehandelt habe. Nach Lehre und Rechtsprechung seien aber derartige subjektive Risikoausschlüsse, die in der Person des Mitversicherten, hier des Lenkers des haftpflichtversicherten PKW, bestünden, dem Versicherungsnehmer nicht zuzurechnen, weshalb die Beklagte dem Kläger den durch den Lenker vorsätzlich verursachten Schaden zu ersetzen habe. Das Leistungsbegehren bestehe daher dem Grunde nach zu Recht.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichts und bestätigte daher dessen Entscheidung. Die Rechtsprechung, wonach der Versicherer sich nicht auf eine fehlende Haftung gemäß § 152 VersVG berufen könne, wenn der mitversicherte Lenker vorsätzlich handle, weil subjektive Risikoausschlüsse in der Person des Mitversicherten dem Versicherungsnehmer nicht zuzurechnen seien, sei auch nach der mit der Novelle BGBl 1994/651 eingefügten Bestimmung der Z 4 des § 2 Abs 1 VerkehrsopferschutzG nicht überholt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil seit Einfügung des § 2 Abs 1 Z 4 VerkehrsopferschutzG keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage ergangen sei, ob die vorsätzliche und rechtswidrige Schadensverursachung durch den mitversicherten Lenker dem Versicherungsnehmer zuzurechnen sei oder nicht; weiters, ob sich der Versicherer dann auf eine fehlende Haftung gemäß § 152 VersVG gegenüber dem geschädigten Dritten berufen könne oder ob die bisherige Rechtsprechung aufrecht erhalten werde.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel seiner Prozessgegnerin entweder zurück- oder abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zwar zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Vorinstanzen sind der Entscheidung 7 Ob 14/83, SZ 56/51 = JBl 1984, 323 = EvBl 1983, 401/106 = VersR 1984, 1198 gefolgt. Wie dort ausgesprochen wurde, ist „Unfall" im Sinn des § 1 EKHG auch die vorsätzliche Beschädigung eines Verkehrsteilnehmers durch einen anderen (RIS-Justiz RS0058613). Auch wenn der Begriff „Unfall" im allgemeinen Sprachgebrauch eine vorsätzliche Beschädigung nicht mitumfasst, erstreckt sich die Haftung des Halters nach § 1 EKHG daher auch auf den Fall, dass ein mitversicherter Lenker das haftpflichtversicherte Fahrzeug absichtlich als Waffe benützt. In einem solchen Fall ist aber ein subjektiver Risikoausschluss nach § 152 VersVG zu Lasten des Halters (Versicherungsnehmers) des versicherten Fahrzeugs zu verneinen. Wohl haftet der Versicherer nach § 152 VersVG nicht, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat. Diese Bestimmung gilt im Sinn des § 78 VersVG auch für den mitversicherten Lenker, sodass diesem gegenüber keine Deckungspflicht besteht, wenn er vorsätzlich gehandelt hat. Nach Lehre und Rechtsprechung sind aber solche subjektiven Risikoausschlüsse, die in der Person des Mitversicherten liegen, dem Versicherungsnehmer (Halter) nicht zuzurechnen (vgl RIS-Justiz RS0080553).

Die Revisionswerberin vertritt die Auffassung, diese Judikatur könne nicht mehr aufrechterhalten werden, weil die Rechtslage durch die Einfügung der Z 4 des § 2 Abs 1 VerkehrsopferschutzG verändert worden sei. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergebe sich, dass das Bestehen einer Versicherungspflicht fingiert werde und der Fachverband bei vorsätzlicher und rechtswidriger Herbeiführung des Schadens durch den „Schädiger" so einzutreten habe, als ob ein versicherungspflichtiger Fahrzeuglenker den Unfall verursacht hätte. Soweit es der Natur der Sache nach möglich sei, sei bei der Feststellung des Umfangs der Leistungsverpflichtung von der Fiktion auszugehen, dass der Leistungsanspruch aufgrund zivilrechtlicher Schadenersatzansprüche und des Bestehens einer KFZ-Haftpflichtversicherung im Rahmen der Versicherungspflicht gegeben sei. Dies zeige, dass der Fachverband eben gerade für jene Schäden hafte, für die keine Haftpflichtversicherung einzutreten habe. Aus dem Wortlaut der Bestimmung sei daher abzuleiten, dass der Haftpflichtversicherer in einem solchen Fall nicht hafte. Auch dass Doppelversicherungen rechtspolitisch nicht gewünscht seien, sei ein gewichtiges Indiz dafür, dass in solchen Fällen nicht die Haftpflichtversicherung, sondern (nur) der Fachverband der Versicherungsunternehmungen hafte. Für vorsätzliches Handeln bestehe objektiv kein Bedürfnis nach Versicherungsschutz des Täters. Den KFZ-Haftpflichtversicherer nicht haften zu lassen, wenn der Versicherungsnehmer den Schaden vorsätzlich verursache, aber seine Haftung zu bejahen, wenn ein Dritter durch den mitversicherten Lenker vorsätzlich geschädigt werde, bedeute eine unsachliche Ungleichbehandlung.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden: Gemäß § 2 Abs 1 Z 4 des Bundesgesetzes über den erweiterten Schutz der Verkehrsopfer (VerkehrsopferschutzG), das seit durch das - hier noch nicht anwendbare - Verkehrsopfer-Entschädigungsgesetz (VOEG) ersetzt wurde, ist vom Fachverband der Versicherungsunternehmen Entschädigung im Sinn des § 1 Abs 2 leg cit für Schäden zu leisten, die im Inland durch ein nach den kraftfahrrechtlichen Bestimmungen versicherungspflichtiges Fahrzeug verursacht wurden, wenn für einen Schaden, der durch die Verwendung des ermittelten oder nicht ermittelten Fahrzeugs verursacht worden ist, ein Haftpflichtversicherer deshalb keine Deckung gewährt oder gewähren würde, weil der Schädiger den Eintritt der Tatsache, für die er schadenersatzpflichtig ist, vorsätzlich und rechtswidrig herbeigeführt hat. Diese Regelung beruht darauf, dass gemäß § 152 VersVG kein Versicherungsschutz besteht, wenn ein Unfall vorsätzlich, zum Beispiel in selbstmörderischer Absicht, herbeigeführt worden ist. Für die Passivlegitimation des Fachverbands der Versicherungsunternehmen reicht es, wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 283/06s ausgesprochen hat, hin, wenn der Haftpflichtversicherer mit dieser Begründung die Versicherungsdeckung abgelehnt hat. Der Fachverband kann sich gemäß § 2 Abs 3 VerkehrsopferschutzG seiner Haftung weder mit der Begründung entziehen, ein Haftpflichtiger habe Ersatz zu leisten, noch mit der Behauptung, ein Haftpflichtversicherer habe einzutreten, wenn dieser seine Deckungspflicht bestreitet. Die Befriedigung des Geschädigten darf nicht dadurch verzögert werden, dass strittig ist, ob ein Haftpflichtversicherer für den Schaden einzutreten hat (etwa weil unklar ist, ob zum Unfallszeitpunkt Versicherungsdeckung bestand). In einem solchen Fall hat - bei berechtigtem Schadenersatzanspruch des Geschädigten - zunächst der Fachverband der Versicherungsunternehmen zu leisten. Bestand im Unfallszeitpunkt doch Versicherungsdeckung, kann sich der Fachverband infolge der in § 7 leg cit normierten Legalzession beim Haftpflichtversicherer regressieren (ErlRV 642 BlgNR 18. GP 5, wiedergegeben zB in Grubmann, KHVG2 § 2 VerkehrsopferschutzG Anm 6).

Schon diese in § 7 leg cit normierte Regressmöglichkeit widerlegt die Ansicht der Revisionswerberin, jede Bejahung der Haftung des Fachverbands müsse nach dem VerkehrsopferschutzG die Haftung eines Haftpflichtversicherers ausschließen. Dass durch die Novelle 1994 des VerkehrsopferschutzG die Haftung des Haftpflichtversicherers eingeschränkt werden sollte, ist nicht zu erkennen. Weiter gilt der vom Obersten Gerichtshof in der erwähnten Leitentscheidung 7 Ob 14/83 gebildete Rechtssatz, dass sich der subjektive Risikoausschuss einer vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den mitversicherten Lenker nicht auch auf den Versicherungsnehmer (Halter) erstreckt (RIS-Justiz RS0080553); subjektive Risikoausschlüsse, die in der Person eines Mitversicherten liegen, sind dem Versicherungsnehmer also nicht zuzurechnen (vgl BGH VersR 1971, 239; Voit/Knappmann in Prölss/Martin VVG27 § 152 Rn 1; Hübsch in BK § 79 Rn 17, jeweils mwN). Deshalb - also zum Schutz des Versicherungsnehmers, der als Fahrzeughalter vom Geschädigten in Anspruch genommen werden könnte - hat der Haftpflichtversicherer im Fall der vorsätzlichen Schadenszufügung durch den mitversicherten Lenker dem geschädigten Dritten zu haften. Das Argument der Revisionswerberin, dies bedeute eine unsachliche Ungleichbehandlung, geht daher ins Leere. Dem Geschädigten steht es in einem Fall wie dem vorliegenden frei, Schadenersatz statt vom Fachverband der Versicherungsunternehmen von der KFZ-Haftpflichtversicherung des den Schaden bewirkenden PKW zu fordern.

Da all dies von den Vorinstanzen richtig erkannt wurde, sind deren Entscheidungen zu bestätigen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 393 Abs 4 ZPO iVm § 52 Abs 2 ZPO.