OGH vom 27.01.1998, 4Ob17/98y

OGH vom 27.01.1998, 4Ob17/98y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Unterbringungssache der Maria R*****, infolge Revisionsrekurses des Patientenanwaltes Mag. Dr. Günther Fißlthaler, Salzburg, Ignaz Harrer-Straße 79, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 458/97t-8, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichtes Salzburg vom , GZ 36 Ub 444/97s-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird aufgetragen, über den Antrag des Patientenanwaltes vom , die Unterbringung der Maria R*****, auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen bzw. für unzulässig zu erklären, in der Sache zu entscheiden.

Text

Begründung:

Maria R***** kam in den Abendstunden des in Begleitung ihrer Tochter in die als geschlossene Abteilung geführte Akutstation A der Landesnervenklinik S*****. Die Fachärztin Dr. Ingrid H***** überwies sie an die Geriatrie; Maria R***** wurde dort aber nicht aufgenommen, weil die diensthabende Ärztin der Auffassung war, daß Maria R***** fixiert werden müsse. Die Ärztin schickte Maria R***** auf die Akutstation A zurück. Dort verfügte Dr. Ingrid H*****, daß sich Maria R***** in ein Bett der Akutstation A legen solle. Maria R***** ging widerspruchslos mit der diensthabenden Schwester mit; sie bat um Baldriantropfen, die sie auch erhielt.

Um etwa 22.30 Uhr verfaßte Dr. Ingrid H***** das erste fachärztliche Zeugnis im Sinne des § 10 UbG; etwa gleichzeitig wurde die Patientin in die Landesnervenklinik S***** aufgenommen. Nach dem ersten fachärztlichen Zeugnis war Maria R***** verwirrt, desorientiert, teilweise hatte sie illusionäre Verkennungen. Die Patientin werde wegen Selbstgefährdung und wegen der Unmöglichkeit, sie in anderer Weise ausreichend zu betreuen, ohne Verlangen untergebracht.

Das Pflegepersonal trug in ein zweites fachärztliches Zeugnis die Angaben über die Station und das Datum "" ein. Das Zeugnis wurde jedoch erst am , um etwa 9.00 Uhr, von Dr. Patrick W***** verfaßt. Er hielt darin fest, daß eine Alternative zur Unterbringung ohne Verlangen bestehe, weil sich der nunmehr auf der Geriatrie diensthabende Arzt bereit erklärt hatte, Maria R***** auf die Geriatrie zu übernehmen. Im Laufe der nächsten Stunden wurde Maria R***** aus dem geschlossenen Bereich verlegt.

Die Stationen der Landesnervenklinik sind ab 20.00 Uhr während der Nachtstunden versperrt; die Akutstation ist ständig versperrt. Anderen Beschränkungen war Maria R***** nicht unterworfen.

Der Patientenanwalt beantragt, die Zulässigkeit der Unterbringung von Maria R***** ab dem zu überprüfen und die Unterbringung für unzulässig zu erklären. Maria R***** sei zumindest vom 7. bis untergebracht gewesen. Es sei offen, ob die Bewegungsfreiheit von Maria R***** seit tatsächlich nicht mehr beschränkt sei.

Das Erstgericht stellte das Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung von Maria R***** ein. Die Unterbringung könne vom Gericht nicht überprüft werden, weil das Gericht nur zuständig sei, wenn die Zulässigkeit der Unterbringung in zwei fachärztlichen Zeugnissen bejaht werde. Komme es vor diesem Zeitpunkt zu einer Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung, so sei eine Kontrolle durch die unabhängigen Verwaltungssenate denkbar und möglich.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß es den Antrag des Patientenanwaltes zurückwies. Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Als Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt unterliege die Aufnahme in eine psychiatrische Krankenanstalt oder Abteilung nach § 10 UbG der Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat; Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens sei die Zulässigkeit der weiteren Unterbringung des Kranken, nicht aber die Frage, ob der Aufnahmevorgang ordnungsgemäß war. Da das positive Ergebnis der Aufnahmeuntersuchung eine zwingende Voraussetzung der Unterbringung sei, müsse der Zeitpunkt der Aufnahmeuntersuchung vor der Aufnahme (Unterbringung) liegen. Ein Rechtsschutzdefizit sei nicht zu befürchten, weil die Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat offenstehe. Das Rekursgericht teile nicht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom , Zl. 93/11/0035, 0036 (= JBl 1994, 770), wonach eine Unterbringung schon vorliege, wenn eine in eine Anstalt eingelieferte Person durch Anstaltspersonal Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werde. Bei Maria R***** sei eine der gerichtlichen Kontrolle unterliegende Unterbringung noch nicht vorgelegen; es könne daher offen bleiben, ob die Patientin bereits vor der zweiten fachärztlichen Untersuchung Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete ordentliche Revisionsrekurs des Patientenanwaltes ist zulässig und berechtigt.

Der Patientenanwalt verweist auf die Entscheidung 2 Ob 25/97h. Danach beginne die gerichtliche Kontrollbefugnis mit dem Aufnahmevorgang und nicht erst mit dessen vollständiger Durchführung im Sinne des § 10 UbG.

Das Unterbringungsgesetz gilt für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden (§ 2 UbG). Die §§ 8ff UbG regeln die Unterbringung ohne Verlangen. Gemäß § 10 Abs 1 UbG haben der Abteilungsleiter und ein weiterer Facharzt die betroffene Person unverzüglich zu untersuchen. Sie darf nur aufgenommen werden, wenn nach übereinstimmenden, unabhängig voneinander erstellten ärztlichen Zeugnissen die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen. Über die Zulässigkeit der Unterbringung des Kranken in den Fällen der §§ 10 und 11 UbG hat das Gericht nach Prüfung der Voraussetzungen der Unterbringung zu entscheiden.

Das Unterbringungsgesetz verwendet den Begriff "Unterbringung" nicht immer in derselben Bedeutung. "Unterbringung" ist einerseits jene freiheitsbeschränkende Rechtsfolge, welche die Anstalt bei Vorliegen der materiellen und formellen Unterbringungsvoraussetzungen verhängen darf; "Unterbringung" beschreibt aber auch die Verhältnisse einer Person, die in einer Krankenanstalt oder Abteilung für Psychiatrie in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird. Das Unterbringungsgesetz verwendet "Unterbringung" überwiegend im zuletzt genannten Sinn; das Gesetz grenzt damit jene Anstaltsakte ab, die der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung unterliegen und die die Vertretungsbefugnis des Patientenanwaltes auslösen. Die Mindestmerkmale einer Unterbringung in diesem Sinn sind erfüllt, sobald - unabhängig von der Frage der Zulässigkeit - eine der in § 2 UbG genannten Beschränkungen in einer vom Geltungsbereich des Unterbringungsgesetzes erfaßten Einrichtung vorliegt (Kopetzki, Unterbringungsrecht II 444f). Demnach führt auch jede der in § 33 UbG erwähnten Formen von Beschränkungen zu einer "Unterbringung" im Sinne des § 2 UbG und unterliegt damit der gerichtlichen Kontrolle (7 Ob 635/92; 1 Ob 639/92; 4 Ob 513/93; 5 Ob 571/93; SZ 67/87; RIS-Justiz RS0075836).

Für die Zeit zwischen der Einlieferung in die Krankenanstalt und dem Abschluß der fachärztlichen Untersuchungen kann nichts anderes gelten. Befindet sich der Patient in einem geschlossenen Bereich oder ist er sonst Beschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterworfen, so ist er bereits damit "untergebracht". Das Gericht ist daher berufen, die Zulässigkeit der Unterbringung schon für diesen Zeitraum zu prüfen (2 Ob 25/97h; RIS-Justiz RS0107537; s auch RdM 1996/17 [Kopetzki]).

Die vom Rekursgericht befürchtete Konkurrenz zwischen der gerichtlichen Kontrolle nach dem Unterbringungsgesetz und der Kontrolle durch die unabhängigen Verwaltungssenate besteht nicht, weil sich deren Zuständigkeit auf die der Unterbringung (= Aufnahme in die Anstalt) vorangegangenen sicherheitsbehördlichen Maßnahmen beschränkt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichshofes ist eine in eine Anstalt eingelieferte Person in die Anstalt "aufgenommen", sobald sie durch Anstaltspersonal Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird. Dies gelte unabhängig davon, ob die nach § 10 Abs 1 UbG unverzüglich zu erstellenden ärztlichen Zeugnisse auch tatsächlich erstellt wurden und der Aufnahmevorgang damit rechtmäßig war (VwGH JBl 1994, 770). Gegenstand der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes war nicht nur die Frage, ob die Unterbringung endet, wenn der Patient aus der Anstalt entweicht, sondern auch die - auch im vorliegenden Fall erhebliche - Frage, ob die Unterbringung bereits mit der Einlieferung des Kranken in die Anstalt oder erst mit den fachärztlichen Untersuchungen beginnt. Die Entscheidung ist daher, entgegen den Ausführungen des Rekursgerichtes, durchaus einschlägig.

Der Oberste Gerichtshof hat die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes in der Entscheidung 2 Ob 25/97h ausdrücklich gebilligt; an ihr ist auch weiterhin festzuhalten. Sie stellt sicher, daß der Gesetzeszweck, jede Unterbringung einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen und rechtswidrige Unterbringungen zu beseitigen (s Kopetzki aaO 445), erreicht werden kann. Daß die Unterbringung noch vor der Erstanhörung aufgehoben wurde, hindert die Überprüfung nicht (5 Ob 571/93; RIS-Justiz RS0074643).

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.