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OGH vom 16.12.2019, 7Ob210/19m

OGH vom 16.12.2019, 7Ob210/19m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*****anstalt *****, 2. P*****anstalt *****, 3. S*****kasse, *****, alle vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, und ihres Nebenintervenienten H***** R*****, vertreten durch Kreissl & Pichler & Walther Rechtsanwälte GmbH in Liezen, gegen die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen 1. 154.784,01 EUR sA, 2. 209.654,82 EUR sA und 3. 125.126,56 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Parteien und ihres Nebenintervenienten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 160/19w-86, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

A. Zur Revision des Nebenintervenienten:

1. Im Aufhebungsbeschluss des Senats zu 7 Ob 214/17x wurde die maßgebliche Rechtslage dahin dargestellt, dass eine Gefahrenerhöhung namentlich dann unerheblich ist, wenn durch sie der Wahrscheinlichkeitsgrad für den Versicherungsfall oder für einen größeren Schadensumfang nur geringfügig erhöht wird. Es war demnach ergänzend zu klären, wie oft sich ein solcher Kettenschuss überhaupt ereignet und unter welchen häufigen oder (besonders) seltenen Umständen dann Kettenteile in Richtung der Fahrerkabine wegfliegen (können). Sollte sich in tatsächlicher Hinsicht ergeben, dass der vorgelegene Unfallablauf nicht auf einer Verkettung ganz ungewöhnlicher Umstände beruhte, sondern doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dann werde eine „erhebliche“ Gefahrenerhöhung iSd § 23 Abs 1, 25 Abs 1 VersVG anzunehmen sein.

2. Nach den nunmehr vorliegenden erstgerichtlichen Feststellungen kommt es bei einem Harvester zu ein bis drei Kettenrissen pro Monat und alle zwei Jahre zu einem Kettenschuss. 90 % der Kettenschüsse gehen in jene Richtung, in die das Sägeschwert im Moment des Lösens des Kettenteils zeigt; 10 % gehen in andere Richtungen (auch in Richtung Fahrerkabine). Für diesen Fall kann eine 12 mm starke Polycarbonatverglasung in der Fahrerkabine den Kettenschuss aufhalten, jedenfalls aber abbremsen und damit die Verletzungswahrscheinlichkeit erheblich reduzieren.

3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es sich beim Eintritt des Kettenschusses in Richtung der Fahrerkabine nicht mehr nur um eine Verkettung ganz ungewöhnlicher Umstände und folglich im Unterlassen des Einbaus der 12 mm starken Polycarbonatverglasung in der Fahrerkabine nicht mehr um eine bloß geringfügige Gefahrenerhöhung gehandelt habe, ist keine Überschreitung des bei Abwägung von Unfallwahrscheinlichkeit und möglichen Schadensfolgen unter dem Gesichtspunkt der Erheblichkeit naturgemäß einzuräumenden Beurteilungsspielraums.

4. Ob die Voraussetzungen des Risikoausschlusses nach Art 7.2.1 AHVB dahin vorlagen, dass der Nebenintervenient den gegebenenfalls mit Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Schadenseintritt auch in Kauf genommen hat und ob letztgenannte Voraussetzung vom Berufungsgericht richtig beurteilt wurde, ist nicht entscheidungsrelevant. Das Berufungsgericht hat nämlich die Leistungsfreiheit der Beklagten schon infolge Risikoerhöhung angenommen, sodass es auf das (zusätzliche) Vorliegen des bezeichneten Risikoausschlusses nicht mehr ankommt.

B. Zur Revision der Klägerinnen:

1. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens infolge Nichterledigung eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels liegt nicht vor, weil die Klägerinnen in ihrer Berufung keine Verfahrensrüge erhoben haben.

2. Die von den Klägerinnen behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen teils in tatsächlicher Hinsicht nicht vor, teils sind die damit angesprochenen Tatumstände nicht entscheidungsrelevant:

2.1. Ob der Nebenintervenient ein Fachunternehmen beauftragt hat und dieses zur Umsetzung der einschlägigen Ö-Norm verpflichtet war, ist für die maßgebliche Frage der vom Nebenintervenienten zu vertretenden Gefahrenerhöhung insofern irrelevant, als dieser von der Möglichkeit eines Kettenschusses und dem besseren Schutz durch eine 12 mm starke Polycarbonatverglasung in der Fahrerkabine in Kenntnis war.

2.2. Eine 12 mm starke Polycarbonatverglasung in der Fahrerkabine war – entgegen der Ansicht der Klägerinnen – keine ungeeignete Sicherheitsmaßnahme. Eine solche Verglasung hat eine um etwa 250-mal bessere Festigkeit als Glas und eine um 30-mal bessere Festigkeit als Acryl. Sie bietet damit besseren Schutz gegen einen Kettenschuss in die Fahrerkabine als die konventionelle Sicherheitsverglasung, die mit einer solchen Polycarbonat-Kunststoff-Verglasung nicht vergleichbar ist. Eine solche Verglasung hätte möglicherweise den Kettenschuss ganz aufhalten können, mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte sie ihn aber abgebremst, ein Durchdringen der Kabinenverglasung erschwert und nach einem allfälligen Durchdringen zu einer anderen Fortbewegung des Kettenteils geführt.

2.3. Ob das Fachunternehmen, das den Harvester zusammenstellte, von einem Rückruf absah, weil es beim vorangegangenen Unfall einen Bedienungsfehler annahm, ist für die Frage der Gefahrenerhöhung rechtlich irrelevant. Gleiches gilt für den ohnehin unstrittigen Bedienungsfehler des Mitarbeiters des Nebenintervenienten.

3. Dass das Berufungsgericht eine relevante Gefahrenerhöhung vertretbar angenommen hat, wurde bereits begründet (vgl A.3.). Der Senat hat bereits zu 7 Ob 214/17x darauf hingewiesen, dass auch das Unterlassen der Beseitigung einer (unabhängig vom Willen des Versicherungsnehmers eingetretenen) Gefahrenerhöhung als eine „Vornahme“ derselben im Sinn des § 23 Abs 1 VersVG zu werten ist. Der vom Nebenintervenienten unterlassene Einbau einer 12 mm starken Polycarbonatverglasung in die Fahrerkabine nach der Information über den Vorunfall kann – ohne Verkennung der dafür maßgeblichen Grundsätze – als eine solche „Vornahme“ einer Gefahrenerhöhung gewertet werden.

4. Ob auch die Voraussetzungen des Risikoausschlusses nach Art 7.2.1 AHVB vorlagen, ist dann rechtlich nicht mehr relevant (vgl A.4.).

C. Ergebnis:

Die Klägerinnen und ihr Nebenintervenient machen insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen geltend. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO sind deren Revisionen somit nicht zulässig und zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00210.19M.1216.000

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