OGH vom 13.01.2022, 5Ob176/21z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch Dr. Stefan Wurst, Mag. Martin Ströck, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. Dr. M*, Rechtsanwältin, *, wegen Aufhebung eines Notariatsakts und 45.000 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 165/20w-120, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts, soweit es den zwischen den Parteien am abgeschlossenen Notariatsakt, mit dem die durch ihren Geschäftsführer vertretene Klägerin anerkannte, der Beklagten 160.000 EUR für die Vertretung in einem Insolvenzverfahren zu schulden, als nichtig gemäß § 879 ABGB aufgehoben hatte, und wies in dessen Abänderung das Begehren, die Beklagte zur Rückzahlung von 45.000 EUR zu verpflichten, ab. Der Gegenwert für die der Klägerin erbrachten Vertretungsleistung betrage 93.066,45 EUR, sodass das in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB geforderte Missverhältnis vorliege. Die Differenz des tatsächlichen Werts der Leistungen zu dem mit Notariatsakt anerkannten Betrag sei derart auffallend, dass die Abweichung für die Beklagte auch leicht erkennbar gewesen sei. Da sich der Geschäftsführer der Klägerin in einer Zwangslage befunden habe, seien auch die subjektiven Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB erfüllt. Die Beklagte habe aber Vertretungsleistungen im Gegenwert von 93.066,45 EUR tatsächlich erbracht, sodass die Klägerin die geleisteten Zahlungen von gesamt 45.000 EUR nicht zurückfordern könne.
Rechtliche Beurteilung
[2] Weder die Klägerin noch die Beklagte können in ihren außerordentlichen Rechtsmitteln eine Rechtsfrage von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen:
I. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:
[3] 1.1 Auf den Vertrag des Rechtsanwalts mit seinem Klienten ist zunächst die RAO anzuwenden; hilfsweise gelten die Bestimmungen über den Bevollmächtigungsvertrag (RIS-Justiz RS0038703; RS0038942). § 16 Abs 1 RAO sieht (ebenso wie § 2 Abs 1 RATG) die Möglichkeit der freien Vereinbarung des Honorars für den Rechtsanwalt vor, sodass die Rangfolge der Rechtsgrundlagen für das Anwaltshonorar lautet: 1. Parteienvereinbarung, 2. RATG und 3. angemessenes Entgelt nach § 1152 ABGB, wobei jede Rechtsgrundlage die nachfolgende ausschließt (RS0071999).
[4] 1.2 Das Erstgericht hat die von der Beklagten im Insolvenzverfahren der Klägerin erbrachten Leistungen detailliert festgestellt. Nach der Vereinbarung war die Beklagte (auch) berechtigt, nach dem RATG abzurechnen. Dass den Vorinstanzen bei der darauf basierenden Ermittlung des für die Vertretungstätigkeit berechtigten Honoraranspruchs ein Fehler unterlaufen wäre, zeigt die Klägerin mit ihrem pauschalen Hinweis, dass dafür lediglich ein Betrag von 30.000 EUR angemessen wäre, nicht auf. Sollte sich ihr Vorwurf, die Vorinstanzen hätten eine „Angemessenheitskontrolle“ unterlassen, gegen den Leistungsumfang wenden, greift sie den festgestellten Sachverhalt an und wendet sich damit unzulässigerweise gegen die Beweiswürdigung (vgl RS0043371). Als Rechtsinstanz wird der Oberste Gerichtshof ausschließlich zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig (RS0123663 [T2]).
[5] 2.1 Im Abschluss eines Notariatsakts gemäß § 3 NO selbst liegt kein eigener Rechtsgrund. Ein vollstreckbarer Notariatsakt (§ 1 Z 17 EO) setzt vielmehr einen ausdrücklich zu bezeichnenden materiell-rechtlichen Anspruchsgrund voraus (vgl etwa Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 1 EO Rz 101). Die Klägerin zieht die Ansicht des Berufungsgerichts auch gar nicht in Zweifel, dass die von ihr nach Abschluss des Notariatsakts vom geleisteten Zahlungen von gesamt 45.000 EUR der Tilgung von Honorarforderungen aus dem anwaltlichen Mandatsvertrag dienten und dieser den Rechtsgrund dafür bildete. Sie meint aber, dass die Honorarforderungen der Beklagten wegen der erfolgreichen Anfechtung des Notariatsakts verjährt seien, weil Leistungen der Beklagten mangels Rechnungslegung ihr gegenüber nie fällig gestellt worden seien.
[6] 2.2 Die Klägerin übersieht in ihrer Argumentation, dass nach § 1501 ABGB die Verjährung nicht zum Erlöschen des Rechts führt, sondern bloß dessen klageweise Durchsetzung hindert, wenn der Beklagte die Verjährungseinrede erhebt. Verjährte Schulden können gemäß § 1432 ABGB aber wirksam erfüllt werden. Selbst wenn man ihrem Standpunkt folgen wollte, bliebe die verjährte Forderung als Naturalobligation bestehen (für viele Meissel in KBB6 § 1451 ABGB Rz 2). Leistungen der Klägerin erfolgten daher selbst dann in Erfüllung ihrer Verbindlichkeit, wenn man ihrem Standpunkt folgen und die Vollendung der Verjährung von Honorarforderungen der Beklagten annehmen wollte. Dass den Zahlungen Leistungen im Wert von mehr als 45.000 EUR gegenüberstehen, steht fest. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Leistungen der Klägerin nicht rechtsgrundlos erfolgt sind und nicht zurückgefordert werden können, bedarf damit auch keiner Korrektur im Einzelfall.
II. Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:
[7] 1. Die Beklagte wendet sich über weite Teile ihres Rechtsmittels gegen die Tatsachenfeststellungen und die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Dass der Oberste Gerichtshof darauf nicht eingehen kann, weil er keine Tatsacheninstanz ist, wurde bereits zur Revision der Klägerin dargelegt (Punkt I.1.2).
[8] 2.1 Für Pauschalpreisvereinbarungen ist charakteristisch, dass die einzelnen preisbildenden Faktoren nicht offengelegt sind (M. Bydlinski in KBB6 § 1170a Rz 1). Das Wesen einer solchen Vereinbarung besteht darin, dass das Honorar auch dann zu leisten ist, wenn sich der Aufwand später als größer oder kleiner herausstellt (dazu 6 Ob 37/18m Pkt 3.2 mwN). Inwieweit es sich beim Notariatsakt vom um eine solche Pauschalierung ihrer Honoraransprüche handeln soll, vermag die Beklagte schon deshalb nicht plausibel zu erklären, weil sie – in Übereinstimmung mit den Feststellungen – selbst betont, der Klägerin gegenüber das Entgelt für Einzelleistungen in Höhe von insgesamt 227.626,44 EUR geltend gemacht zu haben, das dann im Notariatsakt auf 160.000 EUR reduziert wurde. Die Abrechnung nach Einzelleistungen entsprach auch der Vereinbarung mit der Klägerin. Inwieweit ihrer Vertretungstätigkeit eine Pauschalhonorarvereinbarung zugrunde gelegen haben soll, die einer Überprüfung auf ihre Angemessenheit entzogen wäre, wie die Beklagte meint, ist damit nicht nachvollziehbar.
[9] 2.2 Für die Beurteilung, ob ein Vertrag wegen Wuchers nichtig ist, ist seine rechtliche Einordnung irrelevant (3 Ob 503/93). Jedes Rechtsgeschäft, bei dem ein Austausch- und Gegenseitigkeitsverhältnis besteht, unterliegt dieser Nichtigkeitsvorschrift (Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 Rz 346 zu § 879 mit Judikaturnachweisen). Damit kann dahinstehen, ob die Streitteile mit dem Notariatsakt einen Vergleich oder ein (konstitutives) Anerkenntnis bezweckten, das als Unterart des Vergleichs angesehen wird und daher im Wesentlichen auch den dafür bestehenden Regeln unterliegt (vgl RS0014874 [T5]). Sowohl der Vergleich als auch das Anerkenntnis haben novierende Wirkung (Ertl in Rummel, ABGB³ § 1382 Rz 1). Für beide Fälle gilt daher, dass das ursprüngliche Rechtsverhältnis wiederauflebt und so zu behandeln ist, als ob es niemals untergegangen wäre, wenn sie durch Anfechtung wegfallen (1 Ob 2342/96k mwN; 3 Ob 148/20s; RS0032325 [T2, T3]).
[10] 2.3.1 Das Gesetz missbilligt in § 879 Abs 2 Z 4 ABGB die Ausbeutung eines Vertragspartners durch auffallende objektive Äquivalenzstörung der beiderseitigen Hauptleistungen, wenn zugleich die Freiheit der Willensbildung bei einem Teil beeinträchtigt ist (9 Ob 37/18h mwN). Der Umstand, dass selbst die standeswidrige Vereinbarung eines zu hohen Honorars durch einen Rechtsanwalt noch nicht sittenwidrig sein muss (dazu RS0038770), sagt entgegen der Ansicht der Beklagten aber noch nichts darüber aus, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines Wuchergeschäfts nach den Umständen des konkreten Einzelfalls nicht dennoch vorliegen. Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sind mit der Prüfung, ob der Tatbestand nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegt, regelmäßig nicht verbunden (RS0016864 [T6]).
[11] 2.3.2 Der Tatbestand des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ist erfüllt, wenn ein auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, der Bewucherte dieses wegen Leichtsinns, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung nicht wahrnehmen kann und der andere Teil diese Lage ausnützt (RS0016861). Eine Zwangslage im Sinn dieser Gesetzesstelle liegt vor, wenn der Vertragsgegner vor die Wahl gestellt ist, in den Vertrag einzutreten oder einen Nachteil zu erleiden, der nach vernünftigem Ermessen schwerer wiegt, als der wirtschaftliche Verlust, den der Vertrag zur Folge hat (RS0104125). Das Tatbestandselement des Ausnützens ist erfüllt, wenn dem Vertragspartner diese Zwangslage, die er nicht geschaffen haben muss, ebenso wie das Missverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen bewusst ist oder hätte bewusst sein müssen (RS0016894), sodass insoweit Fahrlässigkeit genügt (RS0104129).
[12] 2.3.3 Die Beklagte beanstandet, dass die Vorinstanzen eine Zwangslage des Geschäftsführers der Klägerin angenommen haben, spricht mit ihrer Argumentation aber keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht an. Nach den Feststellungen konfrontierte sie den Geschäftsführer vor Abschluss des Notariatsakts mit Gesamtkosten für ihre Tätigkeit im Insolvenzverfahren von 227.626,44 EUR und einigte sich mit diesem für den Fall von dessen Abschluss auf einen Betrag von 160.000 EUR. Sie drohte, die Vollmacht in dem gegen den Geschäftsführer persönlich geführten Strafverfahren aufzulösen, sollte er den Notariatsakt nicht unterschreiben. Zugleich vermittelte sie ihm, dass sich kein anderer Rechtsanwalt ausreichend rasch einen Überblick verschaffen werde können, um im Strafverfahren eine von ihr als wesentlich für dessen Ausgang dargestellte Stellungnahme rechtzeitig einzubringen. Ausgehend davon ist es nachvollziehbar, dass der Geschäftsführer persönliche Nachteile befürchtete, wenn er den Notariatsakt nicht unterfertigt, und die Beurteilung der Vorinstanzen, dass er sich in einer die Willensbildung beeinträchtigenden Zwangslage befand, jedenfalls vertretbar (vgl 9 Ob 37/18h). Soweit die Beklagte das von den Vorinstanzen angenommene auffallende Missverhältnis zwischen dem tatsächlichen Wert ihrer Vertretungsleistungen und dem Betrag von 160.000 EUR anspricht, sind ihre Ausführungen nicht nachvollziehbar und auch nicht vom festgestellten Sachverhalt gedeckt. Dass auch die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB erfüllt sind, stellt sie in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel ohnedies nicht mehr in Frage.
[13] 2.3.4 Richtig ist, dass die Anfechtung einer
– ursprünglich – wucherischen Vereinbarung dann nicht mehr zulässig ist, wenn der Bewucherte später die Vereinbarung oder Forderungen aufgrund dieser Vereinbarung unter freier Willensbetätigung anerkennt oder vergleicht, sofern in diesem Zeitpunkt die Wuchervoraussetzungen nicht mehr vorliegen (RS0017930). Warum die Teilzahlungen der Klägerin aus der Sicht des Empfängers – hier also der Beklagten – als schlüssiges Anerkenntnis des mit ihr abgeschlossenen sittenwidrigen Rechtsgeschäfts verstanden werden durften, ist nicht zu erkennen. Eine im Einzelfall (dazu RS0113193) aufzugreifende Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht kann die Beklagte mit ihren Ausführungen auch nicht darstellen, weil allein aus dem Wegfall des Strafverfahrens gegen den Geschäftsführer der Klägerin oder der Auflösung der Vollmacht zur Beklagten nicht darauf geschlossen werden kann, dass die Zahlung von insgesamt 45.000 EUR in Kenntnis der Äquivalenzstörung oder sonst eines Tatbestandsmerkmals des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB geleistet worden wäre, womit jegliche Anhaltspunkte für den Entfall der Wuchervoraussetzungen im Zahlungszeitpunkt fehlen.
[14] 2.3.5 Wucher macht das Rechtsgeschäft zur Gänze nichtig (7 Ob 115/16m). Die von der Beklagten angestrebte Teilnichtigkeit dahin, dass der Notariatsakt vom hinsichtlich des als angemessen beurteilten Honorars für ihre Leistungen aufrecht bleibe, wird in ständiger Rechtsprechung abgelehnt (RS0038493). Davon abzugehen, bieten die Ausführungen der Beklagten keinen Anlass.
[15] 2.3.6 Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Geltendmachung der Nichtigkeit eines Vertrags nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB der langen Verjährungsfrist unterliegt (RS0016466). Warum die Klageführung verfristet sein soll, ist damit ebenso wenig zu erkennen, wie deren Sittenwidrigkeit. Die Ausführungen der Beklagten in diesem Zusammenhang bleiben unverständlich.
[16] 3. Eine Aufrechnung von Honoraransprüchen der Beklagten wäre auch in erster Instanz nur bis zur Höhe des Zahlungsbegehrens der Klägerin in Betracht gekommen. Eine darüber hinausgehende Gegenforderung hätte schon daran scheitern müssen, dass es am Aufrechnungserfordernis der Gleichartigkeit fehlt. Das Zahlungsbegehren wurde in zweiter Instanz aber ohnedies zur Gänze abgewiesen, sodass nicht zu erkennen ist, was für den Rechtsstandpunkt der Beklagten gewonnen wäre, wenn das Erstgericht ihre Aufrechnungseinrede, mit der sie eine Gegenforderung von 222.890,58 EUR geltend machte, nicht zurückgewiesen hätte. Es erübrigt sich daher, auf die darauf abzielenden Argumente der Revision näher einzugehen.
[17] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00176.21Z.0113.000 |
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