OGH vom 18.12.2019, 5Ob176/19x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin S*****, vertreten durch Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner K*****, wegen § 8 Abs 2 iVm § 37 Abs 1 Z 5 MRG, infolge des Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 39 R 84/19w-12, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Liesing vom , GZ 6 Msch 10/18x-7, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. Das ihnen vorangegangene Verfahren wird für nichtig erklärt.
Das Begehren, der Antragsgegner sei schuldig, bei sonstiger Exekution den Zutritt zum Mietgegenstand ***** durch die Antragstellerin bzw von ihr beauftragte Firmen nach Terminankündigung zum Zweck des Einbaus einer Brandschutztüre zu dulden, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sowie des für nichtig erklärten Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Begründung:
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Hauses in Wien, der Antragsgegner ist Hauptmieter einer Wohnung in diesem Haus. Der von der Vermieterin bei der Schlichtungsstelle eingebrachte Antrag lautete dahin, diese möge feststellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, gemäß § 8 Abs 2 MRG den Zutritt zu dem von ihm gemieteten Mietgegenstand durch die Antragstellerin bzw die von ihr beauftragten Firmen nach Terminankündigung „zum Zweck der Durchführung der beantragten notwendigen Erhaltungs- oder Verbesserungsarbeiten im Mietgegenstand bei sonstiger Exekution zu dulden“. Zur Begründung verwies die Antragstellerin darauf, dass der „Antragsgegner trotz mehrmaliger Aufforderung dringende Erhaltungs- oder Verbesserungsarbeiten im Zug der Sanierung, insbesondere den Tausch der Wohnungseingangstür (entspricht nicht den Sicherheitsbestimmungen) im Objekt nicht zulasse“. Eine weitere Konkretisierung oder Präzisierung des Antrags und Vorbringens erfolgte im Schlichtungsstellenverfahren nicht, obwohl der Referent unter Hinweis auf ein – nicht aktenkundiges – Besprechungsprotokoll, das offenbar zum Ausdruck brachte, dass aufgrund des Antrags die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 MRG hier nicht gegeben seien, um Mitteilung binnen einer Woche ersucht hatte, ob dieser zurückgezogen werde. Darauf reagierte die Antragstellerin nur mit der Mitteilung, die Anträge nicht zurückzuziehen.
Mit Entscheidung vom wies die Schlichtungsstelle ohne weiteres Ermittlungsverfahren den Antrag mit der Begründung ab, eine Reparaturbedürftigkeit der Wohnungseingangstür sei nicht behauptet worden, sodass keine Erhaltungsarbeit vorliege. Eine Verbesserungsarbeit iSd § 4 MRG liege nicht vor.
Die Antragstellerin rief daraufhin das Gericht an und führte erstmals dort im Schriftsatz vom (ON 4) aus, Gegenstand des Verfahrens sei das Begehren der Antragstellerin, das Betreten und die vorübergehende Benützung des Mietgegenstands des Antragsgegners zum Zweck der Durchführung von Verbesserungsmaßnahmen, nämlich des Austauschs der Eingangstür durch eine Brandschutztür zu dulden. Gemäß § 91 bis 93 der BO für Wien müssten Bauteile zur Abgrenzung von Nutzungseinheiten brandhemmend ausgeführt sein, bei der Eingangstür des Objekts des Antragsgegners sei dies nicht der Fall. Die Wohnungseingangstür sei allgemeiner Teil des Hauses. Unabhängig von allfälliger Reparaturbedürftigkeit der Eingangstüre seien verbesserte Brandschutzeinrichtungen Verbesserungsmaßnahmen iSd § 4 MRG. Letztlich präzisierte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom (ON 6) auch ihr Begehren wie im Spruch ersichtlich.
Das wies den Antrag – in seiner ergänzten Form – ab. Eine Reparaturbedürftigkeit der Wohnungseingangstüre des Antragsgegners aufgrund mangelnder Brauchbarkeit oder Funktionsfähigkeit konnte es nicht feststellen. Der Austausch der Wohnungseingangstüre gegen eine den aktuellen brandschutztechnischen Vorschriften entsprechende Brandschutztür sei keine Erhaltungsarbeit. Da derartige Maßnahmen nicht im abschließenden Katalog des § 4 Abs 2 MRG genannt würden, liege auch keine Verbesserungsarbeit vor. Eine Duldungspflicht des Antragsgegners bestehe nicht.
Das gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR nicht übersteige, und ließ den Revisionsrekurs – über Zulassungsantrag – nachträglich zu. Das Vorliegen der Voraussetzungen der § 3 oder 4 MRG sei Vorfrage für das Bestehen der Duldungspflicht des Mieters gemäß § 8 Abs 2 Z 1 MRG. Dass der Austausch der Wohnungstür mangels Reparaturbedürftigkeit keine Erhaltungsarbeit sei, werde nicht mehr bestritten. Für Verbesserungsarbeiten sei der Verweis in § 8 Abs 2 Z 1 MRG als ein solcher auf § 4 MRG anzusehen; aus Formulierungsunterschieden, die auf bloßen Zufälligkeiten des Gesetzwerdungsprozesses resultierten, sei nicht auf eine unterschiedliche normative Bedeutung von nützlicher Verbesserung iSd § 4 MRG und zu duldender Verbesserung iSd § 8 Abs 2 Z 1 MRG zu schließen. Demnach falle der Einbau einer Brandschutztür nicht unter den Verbesserungsbegriff des MRG. Da die Frage, ob der Einbau einer Brandschutz-Wohnungseingangstür eine gemäß § 8 Abs 2 Z 1 MRG durchsetzbare Verbesserungsarbeit sei, noch nicht höchstgerichtlich geklärt sei und die Entscheidung 5 Ob 20/11v für die Duldungspflicht nicht auf eine Verbesserungsarbeit iSd § 4 MRG abgestellt habe, sei der Revisionsrekurs nachträglich zuzulassen.
In ihrem Revisionsrekurs strebt die Antragstellerin eine Abänderung im Sinn einer Stattgebung ihres Antrags an. Die beantragte Maßnahme diene dem Schutz von Leib und Leben der Mieter, der übrigen Hausbewohner und der Besucher im Brandfall. Es handle sich um eine Verbesserung gegenüber dem derzeitigen Zustand. § 4 Abs 2 Z 2 MRG zähle zu Verbesserungen auch die Errichtung und Ausgestaltung von der gemeinsamen Benützung der Bewohner dienenden, einer zeitgemäßen Wohnkultur entsprechenden sonstigen Anlagen in normaler Ausstattung. Darunter falle auch die Brandschutztür. 5 Ob 20/11v habe sogar die Errichtung von Laubengängen zur Ermöglichung eines barrierefreien Zugangs als zu duldende Verbesserungsarbeit gewertet.
Der Antragsgegner hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Wahrnehmung eines einer Nichtigkeit gleichkommenden schweren Verfahrensmangels iSd § 56 AußStrG erhebliche Bedeutung zur Wahrung der Rechtssicherheit zukommt (RISJustiz RS0042743 [T2]).
1. Die Vorschaltung der Schlichtungsstellen vor Befassung der Gerichte in außerstreitigen Mietrechtssachen gemäß § 39 MRG bildet eine zwingende Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren bei sonstiger Unzulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs (RS0070782).
2. Mit dem in dieser Bestimmung verwendeten Begriff der „Sache“ ist der das Verfahren einleitende Sachantrag gemeint (RS0070055 [T4]; T. Klicka in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3§ 39 MRG Rz 1 und 5). Der vor der Schlichtungsstelle vorgebrachte anspruchsbegründende Sachverhalt darf vor Gericht nicht erweitert und das Begehren nicht geändert werden (RS0109931; RS0006307 [T2, T 3, T 7, T 14]). Haben die Vorinstanzen über etwas anderes entschieden, als Gegenstand des Antrags bei der Schlichtungsstelle war, hat dies die Nichtigkeit dieser Entscheidungen und deren ersatzlose Beseitigung zur Folge (RS0070401). Für die Identität der „Sache“ kommt es entscheidend darauf an, dass vor Gericht derselbe Anspruch wie vor der Schlichtungsstelle geltend gemacht wird (RS0070055 [T5]; vgl RS0070068), wobei der herrschende zweigliedrige Streitgegenstandsbegriff heranzuziehen ist (5 Ob 124/07g mwN). Demgemäß wurde die Ausdehnung des Überprüfungsantrags auf weitere Zinsperioden vor Gericht bei fehlender Befassung der Schlichtungsstelle für unzulässig erachtet (RS0109931 [T6]). Wenn die Antragsteller ausschließlich die Aufspaltung des Pauschalmietzinses begehren, bleibt für eine Überprüfung der Zulässigkeit des Hauptmietzinses nach Aufspaltung des Pauschalmietzinses mangels eigener Antragstellung vor der Schlichtungsstelle bei Gericht kein Raum (RS0109931 [T7]). Auch eine Modifizierung des vor der Schlichtungsstelle erhobenen Antrags auf Feststellung der Unzulässigkeit der auf § 12a MRG gestützten Anhebung des Hauptmietzinses vor Gericht im Sinn eines Begehrens auf Überprüfung der Höhe des vorgeschriebenen Hauptmietzinses widerspricht § 39 MRG (5 Ob 310/98v; T. Klicka in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3§ 39 MRG Rz 7).
3. Die Bestimmung des § 39 MRG und die dort angeordnete sukzessive Zuständigkeit bezweckt in erster Linie die Entlastung der Gerichte durch den Einsatz der in den Gemeinden eingerichteten Schlichtungsstellen für Mietangelegenheiten. Dieser vom Gesetz ausdrücklich genannte Zweck würde aber gänzlich unterlaufen und die Anrufung der Schlichtungsstelle zu einem Formalakt verkommen, könnten entscheidende Änderungen des Sachvorbringens und Begehrens (deren Unterlassung zur Abweisung des Antrags vor der Schlichtungsstelle führte) im gerichtlichen Verfahren noch nachgeholt werden (5 Ob 192/06f zu einer gegenüber dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle abweichenden Ausführung einer Loggiaverglasung).
4. Hier zielte der ganz allgemein gehaltene und im Grunde nur den Gesetzeswortlaut des § 8 MRG wiedergebende Antrag vor der Schlichtungsstelle auf eine Feststellung der Verpflichtung des Antragsgegners ab, das Betreten seines Objekts „zum Zweck der Durchführung der beantragten notwendigen Erhaltungs oder Verbesserungsarbeiten im Mietgegenstand“ zu dulden. Zwar wurde als geplante Arbeit der Tausch der Wohnungseingangstür genannt. Näheres Vorbringen dazu, welchen konkreten Sicherheitsbestimmungen diese nicht (mehr) entsprechen soll, fehlt. Dass die Antragstellerin den Einbau einer beabsichtigt, ergibt sich aus dem Vorbringen im Schlichtungsstellenverfahren mit keinem Wort. Der Referent der Schlichtungsstelle hatte lediglich aus einem nicht aktenkundigen Schreiben derselben Vermieterin in einem anderen Verfahren betreffend ein anderes Mietobjekt offenbar den Schluss gezogen, es könnte auch in diesem Verfahren um den Einbau einer Brandschutztüre gehen und diese Vermutung in seiner Entscheidung erwähnt, Vorbringen der Antragstellerin hiezu gab es allerdings nie. Auf die vom Rekursgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob der Austausch einer Brandschutztür als Verbesserungsarbeit iSd § 4 MRG zu werten ist, die der Mieter nach § 8 Abs 1 Z 2 MRG zu dulden hat, war von der Schlichtungsstelle in ihrer Entscheidung mangels Vorbringens daher gar nicht einzugehen.
5. Bloß geringfügige Änderungen eines Antrags gegenüber demjenigen bei der Schlichtungsstelle hindern die Identität des ursprünglichen Begehrens mit dem neuen Begehren zwar nicht (5 Ob 220/00i) und an die Bestimmtheit des Begehrens sind nach ständiger Rechtsprechung des Fachsenats insbesondere dann keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, wenn zur endgültigen Klärung der Art durchzuführender Arbeiten die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist (vgl RS0070562 [T7, T 9, T 25]; 5 Ob 187/10a). Selbst dann wird aber verlangt, dass das Begehren deutlich erkennbar, das Verfahrensziel daher klar umschrieben und die Art der vorzunehmenden Arbeiten konkret bezeichnet ist.
6. Hier geht aus dem Antrag bei der Schlichtungsstelle zwar hervor, dass die Antragstellerin den Austausch der Wohnungseingangstür des Antragsgegners beabsichtigt und dazu sein Mietobjekt betreten will; die für die Beurteilung der Berechtigung dieses Begehrens erforderlichen Angaben fehlen aber völlig, obwohl der Antragstellerin – die tausende Wohnungen vermietet – naturgemäß von vornherein bekannt sein musste, zur Durchführung welcher konkreten Arbeiten das Betreten des Mietobjekts des Antragsgegners erforderlich ist. Dass sie ungeachtet der Aufforderung der Schlichtungsstelle, bekanntzugeben, ob sie den Antrag nicht zurückziehen wolle, keinen Anlass für eine Verbesserung im Sinn einer Konkretisierung sah, sondern nur erklärte, am (unbestimmten und unpräzisierten) Antrag festzuhalten, hat zur Folge, dass ihr letztlich erst durch ergänzendes Vorbringen bei Gericht schlüssig gestellter und neu formulierter Antrag nicht als die bei der Schlichtungsstelle anhängig gemachte „Sache“ betrachtet werden kann. Damit haben die Vorinstanzen aber über etwas anderes entschieden als Gegenstand des Antrags bei der Schlichtungsstelle war, was die Nichtigkeit des Verfahrens und die – amtswegig wahrzunehmende – Mangelhaftigkeit der Entscheidungen nach § 56 Abs 1 AußStrG sowie deren Beseitigung zur Folge hat; der erst im gerichtlichen Verfahren gestellte präzisierte Antrag ist zurückzuweisen (5 Ob 124/07g; RS0070401).
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Da keiner der Beteiligten auf die der Nichtigkeit gleichkommende Mangelhaftigkeit hingewiesen hat, entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben (vgl 5 Ob 124/07g).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00176.19X.1218.000 |
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