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OGH 27.05.2020, 7Ob209/19i

OGH 27.05.2020, 7Ob209/19i

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* R*, vertreten durch Mag. Zvonimir First, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K* OG, 2. Mag. E* K*, 3. Mag. T* K* und 4. Mag. A* K*, alle vertreten durch Mag. Andreas Jeidler, Rechtsanwalt in Oberpullendorf, wegen 34.967,16 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 53/19p-17, womit das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom , GZ 27 Cg 29/18k-9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger und eine weitere Person waren Gesellschafter und Geschäftsführer zweier Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

Die Zweit- bis Viertbeklagten sind selbständig vertretungsbefugte persönlich haftende Gesellschafterinnen der erstbeklagten Rechtsanwalts-OG.

Der Kläger wurde von 2012 bis Ende 2017 von der Erstbeklagten in diversen Angelegenheiten und Gerichtsverfahren rechtsfreundlich vertreten; Ansprechpartner des Klägers war dabei ein – hier nicht beklagter – Rechtsanwalt, der damals ebenfalls selbständig vertretungsbefugter und persönlich haftender Gesellschafter der Erstbeklagten war.

Der Rechtsanwalt (die Erstbeklagte) verfasste über Auftrag auch des Klägers einen Kaufvertrag über eine Liegenschaft samt darauf errichtetem Hotel von einer – überschuldeten – GmbH des Klägers auf die andere; der Anwalt veranlasste auch die grundbücherliche Durchführung dieses Vertrags.

Auf die Frage des Klägers, was aufgrund dieser Konstruktion passieren könne, warnte der Rechtsanwalt davor, man müsse damit rechnen, dass im Konkursfall der verkaufenden GmbH deren Masseverwalter den Kaufvertrag bei nicht dem Verkehrswert entsprechender Gegenleistung anfechten könnte. Der Rechtsanwalt erwähnte jedoch weder die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung noch die Möglichkeit der Haftung der Käuferin für Verbindlichkeiten der verkaufenden GmbH aufgrund einer allfälligen Unternehmensfortführung. Die gesamte Vertragskonstellation betreffend hatte der Rechtsanwalt Bedenken. Aufgrund dieser Zweifel hatte er dem Kläger und dem zweiten Gesellschafter und Geschäftsführer auch gesagt, dass der Verkehrswert relativ niedrig erscheine und sie sich das überlegen sollten.

Der Kläger und der andere Geschäftsführer schlossen diesen Kaufvertrag, um das Hotelunternehmen der Zwangsvollstreckung durch eine Bank aufgrund eines dem Rechtsanwalt bekannten Urteils zu entziehen.

Im Zusammenhang mit diesem Rechtsgeschäft wurden der Kläger und der zweite Geschäftsführer wegen §§ 156 Abs 1 und 2 und 161 Abs 1 StGB zu einer Freiheits- und Geldstrafe verurteilt, weil sie als leitende Angestellte einer GmbH, einer Schuldnerin mehrerer Gläubiger, einen Bestandteil deren Vermögens veräußert bzw eine nicht bestehende Verbindlichkeit vorgeschützt haben, indem sie die Liegenschaft samt dem Hotel an die andere Gesellschaft verkauften, ohne einen entsprechenden Gegenwert zu erhalten, und dadurch die Befriedigung ihrer Gläubiger vereitelten, wobei sie einen Schaden von zumindest 554.276,46 EUR herbeiführten.

Der Kläger hat für die anwaltliche Verteidigung in diesem Strafverfahren insgesamt 34.967,16 EUR gezahlt.

Der Kläger begehrt den Ersatz der Verteidigerkosten von 34.967,16 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aufgrund fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag. Die Erstbeklagte als Vertragserrichterin habe ihn unzureichend beraten; wäre er darüber aufgeklärt worden, dass der Abschluss des Kaufvertrags strafrechtliche Folgen habe, insbesondere ein Strafverfahren nach sich ziehen könnte, hätte er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. In Aufforderungsschreiben deshalb geltend gemachte Ansprüche habe die Erstbeklagte beschwichtigend als inhaltsleere Drohungen dargestellt, weshalb der Schadenersatzanspruch nicht verjährt sei. Durch die Verurteilung, Ansprüche der geschädigten Gläubiger, die Beeinträchtigung seiner Kreditwürdigkeit und die Nichtverlängerung seiner Eintragung in die Sachverständigenliste drohe dem Kläger ein weiterer Schaden.

Die Beklagten wandten ein, dass die Belehrung vollständig und richtig erfolgt sei. Die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung sei dem Kläger bereits aus mehr als drei Jahre vor der Klage zugegangenen Aufforderungsschreiben bekannt gewesen.

Das Erstgericht bejahte eine Verletzung der Belehrungspflicht durch die Erstbeklagte und gab der Klage statt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Auffassung, an die strafgerichtliche Verurteilung insofern gebunden zu sein, als der Kläger keinem nicht vorwerfbaren Verbotsirrtum iSd § 9 StGB unterlegen und sein auf alle Tatbestandselemente des § 156 StGB gerichtete Vorsatz daher ebenso feststehe wie – unabhängig von der richtigen Subsumtion des strafgesetzwidrigen Plans – sein Unrechtsbewusstsein. Es käme einer Überspannung der Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts gleich, müsste dieser als Vertragserrichter zu Vorsatztaten entschlossene Mandanten von der Verwirklichung ihres Tatplans abhalten. Der eingetretene Schaden sei vom Schutzzweck allfälliger Warnpflichten nicht umfasst.

Die Revision des Klägers beantragt die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in der ihnen vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Kläger führt ins Treffen, die Annahme einer Bindungswirkung der Verurteilung sei überraschend und unzutreffend. Die anwaltliche Belehrungspflicht umfasse auch die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung.

Dazu wurde erwogen:

1.1. Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, dass der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muss, und wirkt dieses für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlichen Stellung er dort aufgetreten ist (RS0074219).

Einem rechtskräftigen verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnis kommt daher Bindungswirkung zu: Solange es nicht beseitigt ist, hat das Zivilgericht bindend davon auszugehen, dass der Verurteilte die im Strafurteil festgestellte Tat tatsächlich begangen hat (RS0074219 [T28]). Als „Tat“ sind dabei die Handlungen und Unterlassungen anzusehen, die nach dem Inhalt des Strafurteils den Tatbestand der strafbaren Handlung bilden, wegen denen die Verurteilung erfolgt ist. Von der Bindungswirkung sind somit die Umstände, die die Schuldfrage betreffen, und die rechtliche Subsumtion unter einen bestimmten Tatbestand umfasst. Das Zivilgericht darf demnach keine vom Strafurteil abweichenden Feststellungen über den Nachweis der strafbaren Handlung, ihre Zurechnung und den Kausalzusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und ihren Folgen treffen (8 Ob 89/15v mwN).

1.2. Der Ansicht des Berufungsgerichts, diese Bindungswirkung stehe hier schon grundsätzlich der möglichen Haftung eines Rechtsanwalts wegen unzureichender Belehrung entgegen, kann nicht gefolgt werden. Der Kläger beruft sich hier gar nicht darauf, die Tat nicht begangen zu haben, sondern bringt vor, er hätte sie nicht begangen, wenn er von der Erstbeklagten über deren Strafgesetzwidrigkeit aufgeklärt worden wäre. Warum einem solchen Vorbringen die Bindungswirkung der Verurteilung entgegenstehen sollte, ist nicht nachvollziehbar.

2.1. Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten; diese Bestimmung ergänzt § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichtet, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus ergeben sich für den Anwalt eine Reihe von Pflichten, wie unter anderem Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten, die alle Ausprägung der Kardinalspflicht des Rechtsanwalts sind, nämlich der Pflicht zur Interessenswahrung und zur Rechtsbetreuung (RS0112203). Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwalts, der eine Vertretung übernimmt, gehört die Belehrung des meist rechtsunkundigen Mandanten (RS0038682), den er in rechtlichen Belangen in vollständiger Weise zu belehren und für dessen rechtliche Absicherung er Sorge zu tragen hat (RS0038682 [T10]). Diese Pflicht entfällt erst dann, wenn der Rechtsanwalt mit Grund, insbesondere im Hinblick auf die Vorbildung der Partei, annehmen kann, dass sie die Rechtslage vollständig erfasst hat, wobei ein juristischer Laie eingehender zu belehren ist als ein Fachkundiger (RS0038682 [T7]).

2.2. Eine unrichtige (unterbliebene) Beratung (Aufklärung) des Rechtsanwalts berechtigt in der Regel nur zum Ersatz des verursachten Vertrauensschadens; es ist nur die Vermögensdifferenz zu ersetzen, die bei pflichtgemäßer Beratung nicht eingetreten wäre (RS0022706 [T7]).

Der Geschädigte hat dabei den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen (RS0106890 [T31], RS0022686 [T2]). Eine Unterlassung ist für einen konkreten Schadenserfolg dann ursächlich, wenn die Vornahme einer bestimmten Handlung den Eintritt eines bestimmten schädigenden Erfolgs verhindert hätte (RS0022913). Die Kausalität ist demnach zu verneinen, wenn derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre (RS0022913 [T1, T8]). Die Beweislast dafür, dass der Schaden bei gebotenem Verhalten nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (RS0022913 [T10], RS0022700 [T7]). Diese Grundsätze gelten auch bei pflichtwidriger Unterlassung eines Rechtsanwalts (RS0022700, RS0106890).

Hängt der Erfolg der Schadenersatzklage gegen den Rechtsanwalt davon ab, ob dem Kläger durch den Beratungsfehler ein Schaden entstanden ist, so muss das Gericht den mutmaßlichen Verlauf der Geschehnisse unter der Voraussetzung ermitteln, dass sich der Anwalt richtig verhalten hätte (RS0022706 [T8], RS0023549 [T29]). Dabei hat der Geschädigte darzustellen, was er bei erfolgter Aufklärung durch den Rechtsanwalt unternommen hätte (RS0022706 [T9], RS0023549 [T30]).

2.3. Hier war die Erstbeklagte mit der Kaufvertragserrichtung beauftragt. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hat das Berufungsgericht die
– unangefochtene – Feststellung übergangen, wonach der Rechtsanwalt gegen die gesamte Vertragskonstellation Bedenken hatte. Zudem wurde der Rechtsanwalt im Zuge der Vertragserrichtung ausdrücklich gefragt, was aufgrund dieser Konstruktion passieren könne.

Ein Rechtsanwalt muss in einer solchen Situation seinen Mandanten auch darüber aufklären, dass das von ihm ins Auge gefasste Geschäft nicht nur insolvenzrechtlich anfechtbar, sondern auch strafgesetzwidrig sein könnte, und worin seine Bedenken bestehen.

3. Ob die Beklagten für die unterbliebene Aufklärung und einen dadurch verursachten Vertrauensschaden einzustehen haben, kann aber noch nicht beurteilt werden.

Das Berufungsgericht hat nämlich die Berufung der Beklagten gegen das klagsstattgebende Ersturteil nicht vollständig erledigt, weil es ausgehend von seiner nicht zu teilenden Rechtsansicht (oben Pkt 1.2) insbesondere die Feststellungen des Erstgerichts als irrelevant ansah, wonach der Kläger und der andere Geschäftsführer den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätten, wenn sie die Erstbeklagte darüber aufgeklärt hätte, dass der Abschluss des gegenständlichen Kaufvertrags strafrechtliche Folgen haben, insbesondere ein Strafverfahren nach sich ziehen könnte. Die Kausalität einer Aufklärungspflichtverletzung kann daher nicht beurteilt werden.

Weiters hat sich das Berufungsgericht aus demselben Grund mit den Rügen zum Feststellungsbegehren nicht auseinandergesetzt, was nachzutragen ist.

Unerledigt blieben schließlich auch Beweisrügen in Ansehung der Frage, ab wann der Kläger von der Fehlberatung soweit informiert wurde, dass die Verjährungsfrist in Gang gesetzt wurde.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben.

4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2021:E128785
Datenquelle

Fundstelle(n):
DAAAD-48329