OGH vom 07.05.2014, 7Ob209/13f

OGH vom 07.05.2014, 7Ob209/13f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der C***** H*****, geboren am *****, vertreten 1. durch den Sachwalter Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien, und 2. durch den Verein gemäß § 8 Abs 2 HeimAufG, VertretungsNetz Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin DSA Mag. B***** F*****), *****, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Einrichtungsleiter: Prim. Univ. Prof. Dr. M***** K*****, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 328/13f 20, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 2 Ha 1/13g (23 Ha 1/14p) 6, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben und der angefochtene Beschluss mit der Maßgabe bestätigt, dass der vom Rekursgericht zurückgewiesene Antrag abgewiesen wird.

Text

Begründung:

Die Bewohnerin befand sich vom bis zum im S*****spital, einer Krankenanstalt im Sinn des § 2 Abs 1 HeimAufG. Sie hat einen Sachwalter, bezieht Pflegegeld der Stufe 5 und leidet an hochgradiger seniler Demenz vom Alzheimertyp mit hochgradiger motorischer Unruhe. Da sie das auf sie abgestimmte physiotherapeutische Programm zu ihrer Mobilisierung nicht gut annahm, sondern in Ruhe gelassen werden wollte, wurden die Bewegungstherapien und die Gangschulung im Jänner 2013 beendet.

Im Medikamentenblatt wurde am eingetragen „Overall nachts und tags“. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Bewohnerin immer dann, wenn sie im Bett war, ein Overall angezogen, weil sie einerseits dazu tendierte, sich abzudecken und dadurch auskühlte, und andererseits, um Stuhlschmieren zu verhindern, das zumindest am einmal aufgetreten war. Der Overall hatte lange Ärmel und Beine; Hände und Füße waren frei. Er war hinten zu schließen und bestand aus einem weichen, dünnen Baumwollmischgewebe. Der Overall wurde bis zum verwendet. Danach trug die Bewohnerin einen Pyjama, den sie auch akzeptierte. Sie mochte den Overall nicht tragen, weil sie „kein Baby“ sei. Durch das Tragen des Overalls war es ihr nicht möglich, sich bei zu starkem Wärmegefühl auszuziehen oder sich an bestimmten Teilen des Körpers (zB bei Juckreiz) zu berühren. Der Overall erschwerte ihr nicht das Verlassen des Bettes.

Das Erstgericht erklärte unangefochten bestimmte Beschränkungen der Freiheit der Bewohnerin für unzulässig und wies in Punkt 3. seines Beschlusses den Antrag des Vereins gemäß § 11 HeimAufG auf Überprüfung, ob es sich bei der Verwendung des Overalls um eine unzulässige Freiheitsbeschränkung handle, ab. Bei der Verwendung des Overalls handle es sich um keine Freiheitsbeschränkung, weil dadurch keine Ortsveränderung unterbunden worden sei. Möge der Overall auch eine Einschränkung der persönlichen Freiheit der Bewohnerin bedeutet haben, weil sie ihren Körper nicht ungehindert berühren habe können, so handle es sich nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht um eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 HeimAufG, weil dort ausdrücklich die Verhinderung einer Ortsveränderung als Tatbestandsmerkmal der zu prüfenden Freiheitsbeschränkung genannt sei.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vereins mit der Maßgabe nicht Folge, dass es den Antrag auf Überprüfung zurückwies. Eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des HeimAufG müsse die Intensität im verfassungsrechtlichen Verständnis erfüllen, um vom grundrechtlichen Schutzbereich des PersFrG und der EMRK erfasst zu sein. Das Unterbinden einer Ortsveränderung mache dabei den Kern des Begriffs der Freiheitsbeschränkung aus und bedeute, einem Menschen die Veränderung seines Aufenthaltsorts nach seinem freien Willen unmöglich zu machen, indem man ihn beispielsweise an seinem Bett angurte, seinen Rollstuhl mit Feststellbremsen fixiere, ihn im Zimmer einschließe, die Stationstür versperre oder mit einem geheimen Zahlencode versehe. In all diesen Fällen werde die Bewegungsfreiheit auf einen räumlich abgegrenzten, nach allen Seiten hin verschlossenen Bereich beschränkt, der das gesamte Heimgelände oder einen größeren Bereich innerhalb des Areals umfassen, aber auch in der Beschränkung innerhalb eines Raums, wie einer Fixierung durch Seitengitter am Bett, bestehen könne. Dass das Tragen eines auffälligen Kleidungsstücks wie eines Overalls das Verlassen der Station erschwere, möge richtig sein, die Bewegung im Sinn des HeimAufG werde jedoch nicht eingeschränkt. Der Bewohnerin sei durch das Tragen des Overalls der Zugriff auf ihren Körper eingeschränkt gewesen. Sie sei in ihrer Dispositionsbefugnis beschränkt gewesen. Jedoch sei die Maßnahme, möge diese für die Bewohnerin auch unangenehme Begleiterscheinungen hervorgerufen haben, keine freiheitsbeschränkende Maßnahme im Sinn des § 3 HeimAufG, weshalb der Antrag auf Überprüfung zurückzuweisen sei.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zur Frage, ob Bewegungseinschränkungen betreffend die Berührung des eigenen Körpers in analoger Anwendung des § 3 HeimAufG freiheitsbeschränkende Maßnahmen seien, keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die an der Bewohnerin vorgenommene Freiheitsbeschränkung in der Form der Verwendung eines Overalls in der Zeit vom bis für unzulässig erklärt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung im Sinn dieses Bundesgesetzes vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird.

2. In diesem Sinn liegt eine Freiheitsbeschränkung immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern (RIS Justiz RS0075871 [T6]). Dabei ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich (RIS Justiz RS0121662). Durch die Allseitigkeit der Bewegungsbeschränkung unterscheidet sich die Freiheitsbeschränkung (im Sinn des PersFrG und des HeimAufG) maßgeblich von sonstigen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die durch andere Grundrechte (ua Art 2 Abs 1 4. ZPMRK [Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Wohnsitzes], Art 4 StGG [Freizügigkeit der Person, Freiheit der Auswanderung]; Art 6 StGG [freie Wahl des Aufenthalts und des Wohnsitzes]) erfasst sind (ErläutRV 353 BlgNR XXII. GP 9; Barth/Engel , Heimrecht § 3 Anm 2).

Der räumliche Umfang der Beschränkung spielt für die Freiheitsbeschränkung keine Rolle. Auch die Bewegungsbeschränkung auf die Einrichtung in ihrer Gesamtheit unter Wahrung freier Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Areals der Einrichtung ist daher ebenso eine Freiheitsbeschränkung (RIS Justiz RS0121662; 7 Ob 33/14z) wie die Beschränkung auf einzelne Bereiche der Einrichtung, die Beschränkung auf ein einzelnes Zimmer oder die Beschränkung innerhalb eines Raums (ErläutRV aaO 10; Barth/Engel aaO § 3 Anm 10; Strickmann , Heimaufenthaltsrecht 2 , 106).

3. Mechanische Mittel der Freiheitsbeschränkung sind etwa unmittelbare körperliche Zugriffe mit dem Ziel, den Bewohner zurückzuhalten. Hiezu zählt der Gebrauch von speziellen Möbeln, Kleidung oder Vorrichtungen, um zu verhindern, dass der Bewohner seinen Körper bewegt oder einen bestimmten Ort oder Raum verlässt ( Barth/Engel aaO § 3 Anm 5).

Desgleichen ist das Vorenthalten der Kleidung, um ein Entweichen des Bewohners zu verhindern, als Freiheitsentziehung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG zu werten ( Klaushofer , Heimaufenthaltsgesetz [HeimAufG]: ein erster Überblick, ZfV 2004/1229, 590 [595]; Zierl/Wall/Zeinhofer , Heimrecht Bd I 3 [2011], 103).

4. Beim verwendeten Overall handelte es sich um keine Zwangsjacke, die grundsätzlich weil der Bewohner keine Ortsveränderung vornehmen kann als freiheitsbeschränkende Maßnahme zu qualifizieren wäre (ErläutRV aaO 10; Barth/Engel aaO § 3 Anm 10; Klaushofer aaO 595). Damit wird im Revisionsrekurs auch nicht argumentiert.

5. Der langärmelige und langbeinige Overall bestand aus einem weichen, dünnen Baumwollmischgewebe und war an Händen und Füßen offen. Die Bewohnerin erhielt den Overall immer dann angezogen, wenn sie im Bett war, damit sie nicht auskühlt und um ein Stuhlschmieren zu verhindern. Eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch irgendeine Form des Festbindens („Fixierung“) war damit nicht verbunden. Das Anlegen des am Rücken verschließbaren Overalls bedeutete zwar eine merkbare Einschränkung der Bewohnerin, weil sie diesen bei zu starkem Wärmegefühl nicht ausziehen und sie sich bei allfälligem Juckreiz an den betreffenden Körperteilen nicht unmittelbar berühren konnte, jedoch keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG. Sie konnte sich durch den Overall im Rahmen ihrer Möglichkeiten frei bewegen; insbesondere lag keine Bewegungseinschränkung ihres Kopfs und der Gliedmaßen vor. Der Overall erschwerte ihr nicht das Verlassen des Bettes und eine Ortsveränderung wurde damit nicht unterbunden. Da sie den Overall nur im Bett (und nicht auch außerhalb) angezogen erhielt, musste die Bewohnerin auch nicht befürchten, wegen dieses Kleidungsstücks am Verlassen der Krankenanstalt gehindert zu werden. Der Umstand allein, dass sich die Bewohnerin den Overall nicht selbstständig an und ausziehen konnte, führt zu keiner anderen Beurteilung, ist doch die (krankheitsbedingt) fehlende Möglichkeit einer Person, sich anzukleiden, kein Tatbestandsmerkmal der Freiheitsbeschränkung.

6. Der Überprüfungsantrag des Vereins betreffend den Overall ist daher wie das Erstgericht zutreffend erkannte abzuweisen ( Barth/Engel aaO § 13 Anm 7; vgl RIS Justiz RS0123867; 7 Ob 194/12y) und nicht zurückzuweisen (so aber Strickmann aaO 199, 214; Zierl/Wall/Zeinhofer aaO 203). Diese Vorgangsweise entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (ErläutRV 353 BlgNR XXII. GP 15 [zu § 13 HeimAufG]), der dazu ausführt, dass das Gericht den Antrag abzuweisen hat, wenn es (letztlich) zum Ergebnis gelangt, dass die von ihm überprüfte Maßnahme keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 HeimAufG ist. Mit dieser Maßgabe ist dem Revisionsrekurs des Vereins nicht Folge zu geben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00209.13F.0507.000