OGH vom 17.12.2008, 3Ob189/08b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kerstin H*****, geboren am , *****, und der mj Kristina H*****, geboren am , *****, beide vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, St. Pölten, Heßstraße 6, infolge Revisionsrekurses des Vaters Josef H*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Unterhaltsherabsetzung, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 121/08d, 148/08z-U94, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 23 R 121/08d, 148/08z-U98, womit ua der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom , GZ 1 P 155/96f-U86, bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen im Umfang der Abweisung des Antrags des Vaters auf Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht für die mj Kerstin um weitere 129 EUR auf 411 EUR für die Zeit vom 1. Jänner bis zum und um weitere 101 EUR auf 409 EUR für die Zeit vom 1. Juli bis zum sowie für die mj Kristina um weitere 88 EUR auf 302 EUR für die Zeit vom 1. Jänner bis zum und um weitere 106 EUR auf 344 EUR für die Zeit vom 1. Juli bis zum aufgehoben sowie das darüber geführte Verfahren für nichtig erklärt.
Insoweit wird dessen Herabsetzungsantrag zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom (ON U49) erhöhte das Erstgericht die vom Vater aufgrund eines gerichtlichen Scheidungsvergleichs für seine beiden mj Töchter zu zahlenden monatlichen Unterhaltsbeträge ua auf 590 EUR ab für Kerstin sowie auf 435 EUR vom bis zum und auf 495 EUR ab für Kristina.
Im Erhöhungsantrag war behauptet worden, der Vater verfüge neben seinem Beamteneinkommen auch über ein Zusatzeinkommen als selbständiger Automatenaufsteller. Der Vater hatte dem bestellten Buchsachverständigen von diesem verlangte Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt.
Das Erstgericht legte seiner Entscheidung für das Jahr 2006 die Durchschnittswerte der Jahre 2003 bis 2005 der aufgrund des Sachverständigengutachtens ermittelten Unterhaltsbemessungsgrundlagen des Vaters zugrunde.
Mit Beschluss vom wies das Rekursgericht den Rekurs des Vaters gegen diese Entscheidung als verspätet zurück. Mit Antrag vom (Einlangen ) beantragte nun der Vater die Herabsetzung der Unterhaltsbeträge ab . Nunmehr liege das Geschäftsergebnis des Jahres 2006 vor, in dem er ebenso wie in den ersten Monaten des Jahres 2007 Verluste erwirtschaftet habe.
Die Minderjährigen beantragten für die Zeit vor dem die Zurückweisung des Antrags als unzulässig, für die Zeit danach dessen Abweisung.
Das Erstgericht setzte die Unterhaltsbeträge für Kerstin auf 530 EUR vom 1. Jänner bis zum und auf 510 EUR vom bis sowie für Kristina auf 390 EUR vom 1. Jänner bis zum auf 450 EUR vom 1. Juli bis zum und auf 430 EUR ab herab; die Mehrbegehren wies es ab.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem allein vom Vater erhobenen Rekurs nicht Folge. Es sprach nachträglich aufgrund von dessen Zulassungsvorstellung aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Wie schon in zweiter Instanz strebt der Vater die Abänderung der angefochtenen Entscheidungen dahin an, dass seine Unterhaltspflicht für die mj Kerstin auf 411 EUR für die Zeit vom 1. Jänner bis zum und auf 409 EUR für die Zeit vom 1. Juli bis zum sowie für die mj Kristina auf 302 EUR für die Zeit vom 1. Jänner bis zum und auf 344 EUR für die Zeit vom 1. Juli bis zum herabgesetzt werde.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass dieses zulässigen Rechtsmittels ist wahrzunehmen, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen die Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses ON U49 verletzen, soweit dies noch möglich ist. Das ist insoweit der Fall, als nicht die Entscheidung des Erstgerichts in ihrem die Unterhaltsverpflichtung herabsetzenden Teil unangefochten blieb und damit in formelle Rechtskraft erwuchs, also in dem Umfang, in dem der Vater den abweisenden Teil der im Instanzenzug angefochtenen Entscheidungen bekämpft, also nur im Umfang von 129 EUR monatlich im ersten Halbjahr 2006 und 101 EUR monatlich im zweiten Halbjahr 2006 für Kerstin sowie im Umfang von 88 EUR monatlich im ersten Halbjahr 2006 und 106 EUR monatlich im zweiten Halbjahr 2006 für Kristina.
Zwar kann seit der Rechtsprechungswende des Jahres 1988 in der Frage des Unterhalts für die Vergangenheit (6 Ob 544/87 = SZ 61/143 = JBl 1988, 586 [H. Pichler]) kein Zweifel daran bestehen, dass auch die Einstellung oder Herabsetzung der Unterhaltspflicht für die Vergangenheit möglich ist, sofern sich der dafür maßgebliche
Sachverhalt in der Vergangenheit verwirklichte (5 Ob 564/90 = SZ
63/181 = RZ 1991, 147 uva; RIS-Justiz RS0053283; 6 Ob 159/02d; 3 Ob
56/03m). Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit nicht in die materielle Rechtskraft einer vorausgegangenen Unterhaltsentscheidung eingreifen darf (8 Ob 139/03d; 1 Ob 38/07f; s auch 6 Ob 159/02d). Das war hier insoweit der Fall, als die Vorinstanzen in der Sache - teils stattgebend (und insofern als in Rechtskraft erwachsen unberührt), teils abweisend - über den Antrag des Vaters auf Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht für Zeiträume vor der vorangegangenen Unterhaltsentscheidung entschieden, was jedenfalls der Sache nach die Minderjährigen schon in erster Instanz geltend gemacht hatten. Daran, dass auch Unterhaltsbeschlüsse materiell rechtskräftig werden, hat die Reform des Außerstreitverfahrens nichts geändert (7 Ob 293/06y; 3 Ob 43/07f = iFamZ 2007, 111 [Fucik]; allgemein für das AußStrG 2003 auch 5 Ob 21/06h = wobl 2006, 308 [Call]; 2 Ob 29/06p; 3 Ob 140/08x ua). Im vorliegenden Verfahren waren nun auch die Einkünfte des Vaters als Selbständiger im Jahr 2006 Gegenstand der Entscheidung vom (ON U49) auf Erhöhung der Unterhaltsbeträge. Damit kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft (nach § 43 Abs 1 AußStrG nunmehr: „Verbindlichkeit der Feststellung", s dazu 3 Ob 140/08x) dieser Entscheidung die Unterhaltsansprüche der Minderjährigen in diesem Jahr (und darüber hinaus bis zur Beschlussfassung des Erstgerichts: 1 Ob 135/02p; 6 Ob 159/02d) bis zum jeweils zugesprochenen Betrag umfasst. Eine Herabsetzung für diese Zeiträume wäre rechtlich nur im Wege eines (hier nicht gestellten) Abänderungsantrags gemäß § 73 AußStrG - falls dessen Voraussetzungen vorlägen - möglich (3 Ob 43/07f). Über die allein noch offenen, noch nicht mit teilrechtskräftigem erstinstanzlichen Beschluss erledigten Begehren auf Herabsetzung auf unter den seinerzeit festgesetzten liegende Monatsbeträge für 2006 hätte daher weder verhandelt noch (in concreto negativ) in der Sache entschieden werden dürfen.
Die Verletzung der Rechtskraft der Entscheidung des Erstgerichts vom (ON U49), die einen Revisionsrekursgrund nach § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 56 Abs 1 AußStrG bilden würde, führt nach § 71 Abs 4 iVm § 55 Abs 2 AußStrG auch in dritter Instanz zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Nichtigerklärung des ihnen vorangegangenen Verfahrens sowie zur Zurückweisung des Herabsetzungsantrags des Vaters im dargestellten Umfang.