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OGH vom 11.10.1988, 2Ob571/88

OGH vom 11.10.1988, 2Ob571/88

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Substitutionsverlaßsache nach der am verstorbenen Anna S***, geboren 27. Mai 1879, wohnhaft gewesen in 6951 Lingenau, Bochern 14, infolge Revisionsrekurs der Antragstellerin Anna M***, geborene B***, geboren am , Hausfrau, 6951 Lingenau, Bochern 145, vertreten durch Dr. Hermann Hager, Notar in Bezau, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 1 c R 122/88-42, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Bezau vom , GZ A 3/71-39, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Anna S*** ist am verstorben. Mit letztwilliger Anordnung vom hat sie ihren Liegenschaftsbesitz ihrem Stiefsohn Josef Anton S*** mit der Beschränkung durch die fideikommissarische Substitution für den Fall, daß dieser "ledig und überhaupt ohne Leibeserben versterben" sollte, zugunsten der Rechtsnachfolger ihrer Geschwister vermacht. Aufgrund dieser letztwilligen Anordnung wurde mit Einantwortungsurkunde vom der Liegenschaftsbesitz der Anna S*** für Josef Anton S*** verbüchert, jedoch mit der Beschränkung durch die fideikommissarische Substitution für den Fall, daß dieser ledig und ohne Leibeserben sterben sollte, zugunsten der Geschwister bzw. der Rechtsnachfolger der Geschwister der Erblasserin Anna S***. Dabei wurden die zum Zeitpunkt der Verlassenschaftsabhandlung in Betracht kommenden und lebenden Nacherben in der Einantwortungsurkunde namentlich angeführt. Mit Kaufvertrag vom verkauften die Nacherben Germana M*** (geboren 1919) und Albertina S*** (geboren 1916) ihr Nacherbrecht an die Nacherbin Anna M*** (geboren 1930). Das Erstgericht wies den Antrag der Anna M*** auf substitutionsgerichtliche Genehmigung des Kaufvertrages vom ab. Begründet wurde die Abweisung damit, daß es sich hier um eine suspensiv bedingte Nacherbschaft handle, bei der der Anfall und die Vererblichkeit erst mit Eintritt des Substitutionsfalls, also mit dem kinderlosen Tode des Vorerben, eintrete. Zu Lebzeiten des Vorerben seien Verfügungen der Nacherben über ihr allfälliges Nacherbrecht nichtig.

Der Rekurs der Anna M*** blieb erfolglos. Das Rekursgericht führte aus, die entscheidende Rechtsfrage sei, in welchem Zeitpunkt das Nacherbrecht anfalle. Nach herrschender Meinung falle dem fideikommissarischen Substituten die Erbschaft mit dem Tode des Erblassers an, wenn er terminisiert berufen (§ 705 ABGB), hingegen mit dem Eintritt der Bedingung, wenn er suspensiv bedingt berufen sei (§ 703 ABGB). Die an keine weitere Voraussetzung geknüpfte Berufung nach dem Tode des Vorerben gelte als Terminisierung (§ 615 Abs 2 ABGB). Somit könne der befristet eingesetzte Substitut sein Recht sofort vererben, der bedingt eingesetzte erst dann, wenn er den Nacherbfall erlebt habe. Aus der Bestimmung des § 615 Abs 2 ABGB könnte zwar der Schluß gezogen werden, daß mangels eines gegenteiligen Erblasserwillens jedes Nacherbrecht schon mit dem Tode des Erblassers transmittierbar sei. Damit verlöre aber § 703 ABGB jede Bedeutung. Die herrschende Meinung (Ehrenzweig II/2, 367, 465; Weiß in Klang III, 450 f; ebenso Oberster Gerichtshof in JBl 1976, 586; SZ 25/85) folge daher zu Recht der von den Verfassern der III. Teilnovelle ausdrücklich geäußerten Absicht, § 703 ABGB einen Anwendungsbereich zu belassen. Sie verstehe § 615 Abs 2 ABGB so, daß der Tod des Vorerben an sich im Zweifel keine Bedingung, sondern eine Befristung des Nacherbrechtes darstelle. Es bestehe kein Zweifel darüber, daß die Nacherbschaft im vorliegenden Fall aufschiebend bedingt sei (" ... für den Fall, daß der Vorerbe ledig und überhaupt ohne Leibeserben versterben sollte"). Nach der herrschenden Meinung trete daher der Anfall für den Nacherben erst mit Eintritt des Substitutionsfalles, also mit dem kinderlosen Tode des Vorerben, ein. Die Rekurswerberin vermöge keine Argumente aufzuzeigen, die ein Abrücken von dieser herrschenden Meinung rechtfertigen würden. Schließlich versage auch das Argument, die vorliegende Nacherbschaft sei durch ein Vermächtnis angeordnet worden und bei einem Vermächtnis trete gemäß § 684 ABGB der Anfall immer bereits mit dem Tode des Erblassers zugunsten der Nacherben und deren Rechtsnachfolger ein. Was den Anfallstag bei Vermächtnissen betreffe, so fänden bei bedingtem oder terminisiertem Erwerb die Regeln über die fideikommissarische Substitution Anwendung (vgl § 707 ABGB). Trotz Anordnung der Nacherbschaft durch Vermächtnis könnten daher die Nacherben vor dem Substitutionsfall nicht über ihre Nacherbenrechte verfügen.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Anna M*** aus dem Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der substitutionsgerichtlichen Genehmigung des Kaufvertrages; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Rechtsmittelwerberin führt aus, das Rekursgericht habe übersehen, daß - wie die Einantwortungsurkunde vom mit ausdrücklicher Nennung der beim Tode der Anna S*** lebenden Nacherben - deutlich zeige, eine terminisierte Nacherbschaft vorliege und daher Anfall und Vererblichkeit für die in der Einantwortungsurkunde genannten Nacherben bereits mit dem Tode der Erblasserin Anna S*** eingetreten sei. Die in der Einantwortungsurkunde genannten Nacherben seien daher auch mit ihren mit dem Tode der Erblasserin Anna S*** erworbenen Rechten im Grundbuch eingetragen worden. Es könnten daher nicht die Regeln für eine aufschiebend bedingte Nacherbschaft Anwendung finden. Darüber hinaus sei auch die Rechtsfrage, ob bei einer aufschiebend bedingten Nacherbschaft Anfall und Vererblichkeit für die einzelnen Nacherben erst mit dem Tode des - beispielsweise kinderlosen - Vorerben eintritt, in der Literatur durchaus umstritten. Der Oberste Gerichtshof habe zu dieser Rechtsfrage bisher - auch in der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung in JBl 1976, 586 - nicht endgültig Stellung genommen. Die Antragstellerin folge hier der in Gschnitzer, Erbrecht, 1971, S 76 und 77, und Gschnitzer-Faistenberger, 1983, S 90, vertretenen Rechtsansicht, welche vom Rekursgericht stillschweigend übergangen werde. Das Rekursgericht habe auch dem Einwand der Antragstellerin, daß die vorliegende Nacherbschaft durch ein Vermächtnis angeordnet wurde und bei Vermächtnissen der Anfall gemäß § 684 ABGB immer bereits mit dem Tode des Erblassers zugunsten der Nacherben und deren Rechtsnachfolger eintrete, nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Argumentation der Antragstellerin könne nämlich entgegen der Rechtsmeinung des Rekursgerichtes in keiner Weise durch den Hinweis auf § 707 ABGB widerlegt werden; denn § 707 ABGB finde nur soweit Anwendung, als bei Vermächtnissen nicht ausdrücklich - wie dies eben im § 684 ABGB erfolgt sei - im Gesetz eine gegenteilige Regelung getroffen worden sei. Auch hier fehle bisher eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Gemäß § 16 Abs 1 AußStrG findet gegen eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität statt. Die Rechtsmittelwerberin hat nur den Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit geltendgemacht.

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn die für die Entscheidung maßgebende Frage im Gesetz ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß an der Absicht des Gesetzgebers nicht gezweifelt werden kann und trotzdem anders entschieden wurde (EFSlg 37.388, 47.208 uva). Offenbare Gesetzwidrigkeit ist auch nicht gleichbedeutend mit unrichtiger rechtlicher Beurteilung (EFSlg 44.641, 47.209 uva). Wenn eine Auslegungsfrage die Grundlage für die Rüge der offenbaren Gesetzwidrigkeit bildet, genügt es nicht, Gründe dafür anzuführen, daß auch eine andere Auslegung möglich wäre. Es muß vielmehr dargetan werden, daß die vom Rekursgericht vorgenommene Auslegung allenfalls bestehenden Auslegungsregeln widerspricht, unlogisch oder mit den Sprachregeln unvereinbar ist (EFSlg 23.649, 8 Ob 637/87 ua). Im vorliegenden Fall war die Frage zu lösen, ob das Nacherbrecht der Verkäufer Germana M*** und Albertina S*** diesen im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages vom bereits angefallen war oder nicht.

Gemäß 3 703 ABGB ist zur Erwerbung eines unter einer aufschiebenden Bedingung zugedachten Nachlasses notwendig, daß die bedachte Person die Erfüllung der Bedingung überlebte und bei dem Eintritt derselben erbfähig ist. Ist es ungewiß, ob der Zeitpunkt, ab welchem der Erblasser das zugedachte Recht einschränkt, kommen oder nicht kommen werde, so wird gemäß § 704 ABGB diese Einschränkung als eine Bedingung angesehen. Ist der Zeitpunkt von der Art, daß er kommen muß, so wird das zugedachte Recht, wie andere unbedingte Rechte, auch auf die Erben der bedachten Person übertragen, und nur die Übergabe bis zum gesetzten Termin verschoben. Gemäß § 615 Abs 2 ABGB geht, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist, das Recht des fideikommissarischen Erben auch dann auf dessen Erben über, wenn er den Eintritt des Substitutionsfalles nicht erlebt.

Sowohl der Vorerbe wie der Nacherbe muß wenigstens den Erblasser überlebt haben, damit überhaupt ein Erbrecht entsteht (§ 536). Ob der Nacherbe auch den Nacherbfall überleben muß, hängt davon ab, ob der Nacherbfall durch eine Bedingung oder eine Befristung bezeichnet ist. Hat der Erblasser den Nacherbfall nicht näher bezeichnet, so vermutet das Gesetz offenbar, daß es der Tod des Vorerben sei. Ist der Nacherbfall betagt, dh von der Art, daß er kommen muß, so erwirbt der Nacherbe subjektives Erbrecht schon mit dem Erbfall und vererbt es an seine Transmissare, auch wenn er vor dem Nacherbfall stirbt (§ 705). Ist das Recht des Nacherben aber bedingt, dh daß es ungewiß ist, ob der Nacherbfall eintreten wird, so muß der Nacherbe ihn überleben (§ 703). Gegen letztere Regel scheint § 615 Abs 2 zu sprechen, wonach der Nacherbe sein Nacherbrecht auch dann vererbt, wenn er den Substitutionsfall nicht erlebt. Allein die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, die durch die III. Teilnovelle eingeschoben wurde, ergibt, daß sie § 703 nicht derogieren, sondern nur klarstellen sollte, daß nicht vermutet wird, daß eine betagte fideikommissarische Substitution eine unausgesprochene Überlebensbedingung in sich enthalte. Sie ist also auf bedingte Nacherbenberufungen nicht anzuwenden. Für betagte Nacherbenberufungen ergibt sich aus ihr jedoch, daß im Zweifel keine Überlebensbedingung anzunehmen ist (Ehrenzweig-Kralik, Erbrecht3, S 185 f, im gleichen Sinn Koziol-Welser, Grundriß8 II S 339, Welser in Rummel ABGB, Rz 8 zu § 615, S 566, vgl auch Oberster Gerichtshof in JBl 1976, 586, a.M. u.a. Faistenberger in Herdlitczka-FS (1972) S 77 ff, insbesondere S 93 und 94, derselbe in Geschnitzer-Faistenberger, Erbrecht2, S 90).

Die Frage, ob die Bestimmung in der letztwilligen Anordnung der Anna S*** vom , daß im Falle, daß ihr Stiefsohn Josef Anton S*** ledig und ohne Leibeserben sterben sollte, das Anwesen Nr. 14 in Lingenau samt Zubehör an die Rechtsnachfolger der Geschwister der Erblasserin fallen sollte, als aufschiebende Bedingung oder als Terminisierung anzusehen ist, ist im Gesetz nicht gelöst. Die Auffassung des Rekursgerichtes, daß die genannte Bestimmung der letztwilligen Anordnung im Sinne einer aufschiebenden Bedingung zu verstehen ist, widerspricht weder bestehenden Auslegungsregeln noch ist sie unlogisch oder mit den Sprachregeln unvereinbar, sie wird vielmehr auch in der Lehre vertreten (vgl etwa Koziol-Welser im Grundriß8 II, S 339, Welser in Rummel ABGB, Rz 8 zu § 615, S 566).

Der Rechtsmittelwerber vermochte somit keine dem Rekursgericht unterlaufene offenbare Gesetzwidrigkeit aufzuzeigen; dasselbe gilt auch für das Vorbringen der Rechtsmittelwerberin, daß die vorliegende Nacherbschaft durch ein Vermächtnis angeordnet wurde und bei Vermächtnissen der Anfall gemäß § 684 ABGB immer bereits mit dem Tode des Erblassers zugunsten der Nacherben und deren Rechtsnachfolger eintrete. Gemäß § 684 erster Satz ABGB erwirbt der Legatar in der Regel (§ 699) gleich nach dem Tode des Erblassers für sich und seine Nachfolger ein Recht auf das Vermächtnis. § 699 ABGB bestimmt, daß, wenn die Bedingungen möglich und erlaubt sind, das davon abhängende Recht nur durch ihre genaue Erfüllung erworben werden kann; sie mögen vom Zufall, von dem Willen des bedachten Erben, Legatars, oder eines Dritten abhängen. § 707 ABGB normiert, daß, solange das Recht des Erben oder des Legatars wegen einer noch nicht erfüllten Bedingung oder wegen des noch nicht gekommenen Zeitpunktes verschoben bleibt, im ersten Fall zwischen dem gesetzlichen und dem eingesetzten Erben und im zweiten Fall zwischen dem Erben und dem Legatar, in Hinsicht auf den einstweiligen Besitz und Genuß des Nachlasses oder Legats, die nämlichen Rechte und Verbindlichkeiten, wie bei einer fideikommissarischen Substitution stattfinden. Die vom Rekursgericht unter Hinweis auf Welser in Rummel ABGB, Rz 1 und 2 zu § 684, S 595, vertretene Auffassung, daß auch bei Vermächtnissen hinsichtlich des Anfallstages bei bedingtem Erwerb die Regeln über die fideikommissarische Substitution Anwendung finden und daher selbst bei Anordnung einer Nacherbschaft durch Vermächtnis die Nacherben vor Eintritt des Substitutionsfalles nicht über ihre Nacherbrechte zu verfügen berechtigt sind, stellt daher keinesfalls eine offenbare Gesetzwidrigkeit dar. Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens eines der im § 16 AußStrG genannten Anfechtungsgründe als unzulässig zurückzuweisen.