Suchen Hilfe
OGH vom 13.09.2012, 6Ob128/12k

OGH vom 13.09.2012, 6Ob128/12k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Ltd, *****, United Kingdom, vertreten durch B***** AG, *****, diese vertreten durch Greindl Köck Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, Deutschland, vertreten durch Mag. Bernhard Kispert, Rechtsanwalt in Wien, wegen 451.827,22 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 66/12a 15, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 39 Cg 12/11z 11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.964,06 EUR (darin 494,01 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin macht eine ihr abgetretene Forderung aus Warenlieferung geltend. Die beklagte Partei wandte mangelnde internationale Zuständigkeit ein. Zwischen ihr und der Zedentin sei in Deutschland ein Verfahren über dieselbe Forderung anhängig.

Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Rechtshängigkeit gemäß Art 27 EuGVVO zurück. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Die Zedentin beantragte am beim Amtsgericht Wedding die Erlassung eines Mahnbescheids gegen die Beklagte über einen Betrag von 451.827,22 EUR zuzüglich Zinsen. Der Mahnbescheid wurde am erlassen und der beklagten Partei am zugestellt. Die beklagte Partei erhob dagegen am Widerspruch, ohne die internationale Unzuständigkeit des Amtsgerichts Wedding einzuwenden. Die Einleitung des ordentlichen Verfahrens wurde von der Zedentin nicht beantragt.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass Streitanhängigkeit gegeben sei. Der Begriff „zwischen denselben Parteien“ nach Art 27 EuGVVO sei autonom im Sinne der Zielsetzung der EuGVVO zu interpretieren, einander widersprechende Gerichtsentscheidungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu verhindern. Ausnahmsweise sei Art 27 EuGVVO auch bei nicht vorhandener Parteienidentität anzuwenden, wenn die Interessen dieser Personen identisch und voneinander untrennbar seien. Dies sei im vorliegenden Fall bei Zedentin und Zessionarin der Fall.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der klagenden Partei Folge und verwarf den Antrag auf Klagszurückweisung. Die Rechtshängigkeit in Deutschland sei beendet, weil der Mahnbescheid aufgrund des Widerspruchs seine Wirkung verloren habe und die Einleitung eines ordentlichen Verfahrens nicht beantragt worden sei.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine Rechtsprechung dazu bestehe, wann die Rechtshängigkeit nach Art 30 EuGVVO ende.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1.1. Nach Art 27 Abs 1 EuGVVO muss, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig (Art 27 Abs 2 EuGVVO).

1.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der Begriff „zwischen denselben Parteien“ in Art 27 Nr 1 EuGVVO autonom zu interpretieren. In diesem Sinne kann auch der am Verfahren selbst nicht beteiligte Rechtsnachfolger einer Partei, auf den sich die Urteilswirkung erstreckt, nach dem Sinn von Art 34 Nr 3 EuGVVO, einander widersprechende Urteilswirkungen auszuschließen, als „dieselbe Partei“ betrachtet werden (6 Ob 64/06i; 8 Ob 149/10k).

1.3. Der EuGH bejahte die „Identität“ zwischen Zedent und Zessionar in diesem Sinn in seiner Entscheidung Drouot Assurances () für den Fall, dass „hinsichtlich des Gegenstandes beider Rechtsstreitigkeiten die Interessen identisch und voneinander untrennbar sind“. Im Schrifttum werden demgegenüber Zedent und Zessionar überwiegend nicht als dieselbe Partei angesehen ( Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht 3 Art 27 EuGVVO Rz 8; Kropholler/von Hein , Europäisches Zivilprozessrecht 9 Art 27 EuGVO Rz 4). Nach ausführlicher Darstellung der europäischen und nationalen Judikatur kommen McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 27 EuGVO Rz 39 ff zum Ergebnis, dass eine Ausnahme vom formalen Parteibegriff nur im Fall der Rechtskrafterstreckung gerechtfertigt ist.

1.4. Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner abschließenden Klärung, weil wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat Streitanhängigkeit (Rechtshängigkeit) iSd Art 27 EuGVVO schon mangels Anhängigkeit eines Verfahrens in Deutschland zu verneinen ist.

2.1. Die Voraussetzungen für das Bestehen der Rechtshängigkeit richten sich grundsätzlich nach nationalem Recht; nur für die Bestimmung des Zeitpunkts ihres Eintritts enthält die EuGVVO eine eigenständige Regelung. Nach nationalem Recht bestimmt sich daher insbesondere die Frage, ob die einmal eingetretene Rechtshängigkeit fortbesteht ( McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr , Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 27 EuGVO Rz 67 f).

2.2. Die deutsche ZPO sieht grundsätzlich vor, dass das Verfahren nach erfolgtem Widerspruch gegen den Mahnbescheid auf Antrag einer Partei an das Prozessgericht abgegeben wird (§ 696 Abs 1 dZPO).

2.3. Die Streitsache gilt nur dann als mit der Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, wenn sie alsbald nach Erhebung des Widerspruchs an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht abgegeben wird. Wird hingegen nach Erhebung des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid die Sache nicht alsbald an das zur Durchführung des streitigen Verfahrens zuständige Gericht abgegeben (§ 696 Abs 3 dZPO), so tritt die Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten beim Prozessgericht ein (BGH , III ZR 164/08).

2.4. Die Sache ist iSd § 696 Abs 3 dZPO „alsbald abgegeben“, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist. Der Antragsteller ist gehalten, nach Mitteilung des Widerspruchs ohne schuldhaftes Zögern die Abgabe an das Streitgericht zu veranlassen. In der Regel ist von ihm zu erwarten, dass er binnen eines Zeitraums von zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung des Widerspruchs die restlichen Gerichtsgebühren einzahlt und den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt (BGH , III ZR 164/08).

2.5. Im vorliegenden Fall wurde seit dem Widerspruch vom die Einleitung des ordentlichen Verfahrens in Deutschland nicht beantragt. In der Auffassung des Rekursgerichts, dass in diesem Fall keine Rechtshängigkeit vorliege, ist daher kein Rechtsirrtum zu erblicken. Die Gegenauffassung würde dazu führen, dass das in Deutschland beendete Mahnverfahren weiter Sperrwirkung für die Rechtsverfolgung durch die Klägerin entfalten würde, obwohl seit über zwei Jahren keinerlei Schritte zur Rechtsdurchsetzung in Deutschland erfolgten.

3. Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Entscheidung über den Antrag auf Klagszurückweisung ist ein Zwischenstreit iSd § 41 ZPO.

Fundstelle(n):
TAAAD-48085