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OGH vom 27.11.1984, 2Ob569/83

OGH vom 27.11.1984, 2Ob569/83

Norm

ABGB § 364b;

Kopf

SZ 57/187

Spruch

Es besteht kein nachbarrechtlicher Anspruch auf Abwehr von Vertiefungen des Nachbargrundstückes, die nicht auf menschliches Handeln, sondern auf Naturvorgänge zurückzuführen sind

(OLG Linz 2 R 33/83; LG Linz 11 Cg 258/82)

Text

Der Kläger stellte den Urteilsantrag, den Beklagten zu verpflichten, "mittels Durchführung geeigneter Sanierungsmaßnahmen jenen Zustand herzustellen, daß künftige Felsaustritte aus seinem Grundstück 838/5 KG G vermieden werden". Hiezu brachte er vor, sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück 379/14 KG A grenze an das vorgenannte tieferliegende und zur Grundstücksgrenze hin eine Steilböschung aufweisende Grundstück des Beklagten. An dieser aus Konglomeratstein bestehenden Steilböschung sei es im April 1980 zu einem Felssturz gekommen, wobei Gesteinsbrocken bis zu einem Ausmaß von 100 Tonnen aus der Konglomeratwand ausgebrochen und am Böschungsfuß liegengeblieben seien. Nach einem im Rahmen eines folgenden Verwaltungsverfahrens eingeholten Sachverständigengutachten bestehe für das Wohnhaus des Klägers keine konkrete Gefahr. Da die Konglomeratwand steiler sei, als es ihrem natürlichen Böschungswinkel entspreche, müsse im Hinblick auf die Schwerkraft und die den Gesteinsverband auflockernde Verwitterung in Zukunft mit weiteren Felsausbrüchen gerechnet werden, sofern nicht künstliche Stützmaßnahmen in Form diverser Betonbauten getroffen würden. Künftige Felsaustritte würden schließlich bis etwa 5 m in das Grundstück des Klägers "eingreifen"; sodann wäre solcherart der Endzustand derart gegeben, daß sich eine Böschung mit einer Neigung von 2 : 1 herausgebildet hätte. Den Beklagten treffe die Pflicht, einen solchen, das oberhalb der Steilböschung gelegene Grundstück des Klägers gefährdenden Vorgang durch geeignete Schutzmaßnahmen, deren Auswahl ihm überlassen bleibe, abzuwenden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme ab. Der Kläger habe irgendein Zutun des Beklagten oder seiner Rechtsvorgänger zu den Felsstürzen gar nicht behauptet. Nach dem Klagsvorbringen seien die Felsstürze nicht Folge der Eigentumsausübung des Klägers, sondern Naturvorgänge. Ihr Auftreten und ihre Auswirkungen könnten zwar behauptetermaßen durch teure Sanierungsmaßnahmen auf dem Grundstück des Beklagten verhindert werden, mangels gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtung könne der Beklagte jedoch zu solchen Maßnahmen nicht verhalten werden. Aus dem bloßen Eigentum an einem Grundstück ergebe sich nicht die Verpflichtung des Eigentümers zu irgendeinem Tun. Innerhalb der Schranken der §§ 364 ff. ABGB sei jeder Eigentümer zur Ausübung seines Eigentums berechtigt. Immissionen iS der §§ 364 Abs. 2, 364 b ABGB lägen aber nicht vor, weil die Felsstürze nicht als Folge der Eigentumsausübung des Beklagten, insbesondere auch nicht durch sein direktes oder indirektes Zutun, aufträten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes an. Es verwies darauf, daß nach den Klagsbehauptungen die zu befürchtenden Felsabstürze die Folge eines zu steilen natürlichen Böschungswinkels seien, und erklärte, der Kläger habe mit solchen Felsstürzen schon beim Erwerb seines Grundstückes bzw. Bau seines Hauses rechnen müssen, da die Situation offenbar auffällig gewesen sei. Ein Fall einer Immission liege nicht vor, zumal eine solche eine Einwirkung vom Grundstück des Beklagten auf jenes des Klägers voraussetze, vorliegendenfalls aber umgekehrt der Kläger rechnen müsse, daß nach weiteren Felsabgängen auch Teile seines Grundstückes auf jenes des Beklagten fielen. IS des § 343 ABGB könne zwar dann, wenn eine "andere fremde Sache" dem Einsturz nahe sei und dem Kläger hieraus offenkundig Schaden drohe, Sicherstellung für eine allfällige Ersatzforderung begehrt werden. Einen solchen Anspruch habe der Kläger nicht erhoben. Nach § 364 b ABGB sei weiters die Vertiefung eines Grundstückes in der Weise, daß der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert, verboten. Selbst wenn eine Vertiefung iS dieser Gesetzesstelle auch durch bloße Unterlassung herbeigeführt werden könne, sei für den Kläger hier nichts gewonnen, weil der Beklagte weder Maßnahmen gesetzt noch unterlassen habe, um sein Grundstück zu vertiefen. Die allmähliche Herstellung einer natürlichen Böschung mit einer Neigung von 2 : 1 stelle einen natürlichen Erosionsvorgang dar. Eine gesetzliche Pflicht, der natürlichen Erosion Einhalt zu gebieten, bestehe nicht.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 364 Abs. 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstückes dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusche, Erschütterungen und ähnliches unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen untersagen; eine unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel jedenfalls unzulässig. Nicht von dieser Gesetzesstelle erfaßt wird eine mittelbare Einwirkung durch Vertiefung des Grundstückes an der Grundgrenze. Diesen Sonderfall regelt die ergänzende, in Anlehnung an die Bestimmung des § 909 BGB durch die III. Teilnov. zum ABGB eingeführte Bestimmung des § 364 b ABGB. Danach "darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, daß der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliert".

Vorliegendenfalls ist davon auszugehen, daß von der auf dem Grundstück des Beklagten gelegenen Steilböschung des natürlichen Konglomerat-Felsens zufolge Verwitterung und Wirkung der eigenen Schwerkraft das Gestein allmählich abbröckelt und auf die tieferliegenden Teile des Grundstückes des Beklagten fällt. Dieser Vorgang stellt weder eine mittelbare noch eine unmittelbare Einwirkung auf das oberhalb der Steilböschung gelegene Grundstück des Klägers iS der Bestimmung des § 364 Abs. 2 ABGB dar. Durch diesen Vorgang könnte aber - der Kläger behauptet, das Gestein werde bis zur Herstellung eines dauerhaften Böschungswinkels noch weiter derart ausbrechen, daß schließlich ein 5 m breiter Streifen des sich auf seinem Grundstück fortsetzenden Konglomerat-Felsens betroffen sei - eine tatsächliche Vertiefung des Grundstückes des Beklagten an der Grundgrenze eintreten. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers wäre hiefür der Beklagte aber nicht haftbar. Die vorzitierte Bestimmung des § 364 b ABGB setzt nach Wortlaut und Normgehalt einen dem Grundstückseigentümer zuzurechnenden menschlichen Eingriff ("... darf nicht vertieft werden ...") iS einer durch diesen erfolgten (Mit-)Verursachung der Vertiefung voraus. Eine solche Vertiefung kann auch durch Abgraben eines Hanges an der Grundgrenze (s. Münchner Kommentar, Rdz. 8 zu § 909 BGB; Soergel, Komm. zum BGB[11] V Anm. 4 zu § 909) verursacht werden, sie darf aber nicht bloße Wirkung von Naturkräften sein (vgl. Palandt[43] Anm. 2 a zu § 909 BGB, Anm. 2 a bb zu § 1004 BGB; natürlicher Bergrutsch: Staudinger, Komm. zum BGB[11] III/1, Rdz. 27 zu § 909; s. dort unter Rdz. 19 weitere Beispiele). Aus der natürlichen Geländebeschaffenheit wie Felshängen, Bodenerhöhungen usw. sich allein auf Grund naturgesetzlicher Vorgänge ergebende Vertiefungen eines Grundstückes können der Norm des § 364 b ABGB somit nicht unterstellt werden. Eine gesetzliche Bestimmung, welche den Eigentümer des höher gelegenen Grundstückes gegenüber dem Nachbarn auch vor Schäden schützt, welche aus den von Naturereignissen bzw. Naturvorgängen verursachten Geländeabtragungen am tieferliegenden Nachbargrundstück entstehen (vgl. SZ 41/150), besteht nicht. Demgemäß kann dem Klagebegehren, selbst wenn man es als Geltendmachung des Anspruches auf Wiederherstellung einer früher gegebenen hinreichenden Stütze verstehen wollte, kein Erfolg zuteil werden.