OGH vom 24.10.2018, 3Ob187/18y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, Wien 4, Prinz-Eugen-Straße 20–22, vertreten durch Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Mag. Michael Tinzl und Mag. Albert Frank, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 61.858,63 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 10 R 27/18y-39, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist ein Verband nach § 29 KSchG, dem Ansprüche aus einer behaupteten fehlerhaften Anlageberatung durch die beklagte Finanzdienstleisterin im Zusammenhang mit (in den Jahren 2010 bis 2012 emittierten) Unternehmensanleihen abgetreten wurden.
Die Käufer der Anleihe waren zu Investments mit einem mittleren Risiko bereit. Der Berater der Beklagten teilte ihnen mit, es handle sich um Unternehmensanleihen. Er wies darauf hin, dass dabei „schon etwas passieren kann“ bzw legte dar, dass „höhere Zinsen mit einem bisschen mehr Risiko verbunden sind“. Davon abgesehen wurde die Anleihe grundsätzlich als unbedenklich und sicher beschrieben. Über das Vermögen der Emittentin wurde im Juli 2013 die Insolvenz eröffnet. Zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anleihen gab es keinerlei Anhaltspunkte für eine bevorstehende Insolvenz.
Der Kläger begehrt die Aufhebung zweier Verträge und die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Übertragung der erworbenen Anleihen. Die Anleger seien nicht über das Totalverlustrisiko informiert worden. Die Beklagte habe ihr Wissen über die mangelhafte Bonität der Emittentin gegenüber den Kunden verschleiert.
Die wiesen die Klage ab. Ausgehend von den Feststellungen verneinte das Berufungsgericht eine Verpflichtung, über ein bloß theoretisches allgemeines Insolvenzrisiko aufzuklären.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Abweisung der Klage zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
1. Der Anlageberater ist zur Aufklärung seiner Kunden über die Risikoträchtigkeit der in Aussicht genommenen Anlage verpflichtet; welche Verhaltenspflichten ihn dabei im Einzelnen treffen, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0108074 [T3, T 19], RS0119752 [T3], RS0029601 [T4, T 7, T 9]). Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflichten, ist von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen (RIS-Justiz RS0108074 [T8]). Die den Anlageberater treffenden Verhaltenspflichten sind daher regelmäßig nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und stellen daher, soweit keine auffallende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0108074 [T13], RS0106373).
2. Eine solche Fehlbeurteilung macht die Klägerin, die ihre Ansprüche im Wesentlichen darauf stützt, dass sich bei der Emittentin das Insolvenzrisiko verwirklicht hat, nicht geltend.
2.1 Nach der Rechtsprechung besteht bei der Anlageberatung keine generelle gesetzliche Pflicht, auf das allgemeine Insolvenzrisiko eines Emittenten hinzuweisen (RIS-Justiz RS0029601 [T19, T 27]). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Beklagte mangels ihr erkennbarer Anhaltspunkte für eine Insolvenz der Emittentin nicht verpflichtet war, die Anleger vor dem grundsätzlich mit jeder Anlegung verbundenen Insolvenzrisiko zu warnen, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung (vgl 4 Ob 137/10s).
2.2 Auch die von der Klägerin zitierten Entscheidungen können die Zulässigkeit nicht stützen. Der hier zu beurteilende Sachverhalt trägt nicht den Vorwurf, die Beklagte hätte die (völlige) Risikolosigkeit eines typischen Risikogeschäfts (etwa im Sinne 4 Ob 137/10s oder 4 Ob 70/11i [„zu 100 % sicher“]; allgemein vgl RIS-Justiz RS0108073) behauptet; hat die Beklagte doch durchaus auf gewisse Risiken hingewiesen. Soweit die Revision aber dennoch davon ausgeht, dass die Anleihe ohne jegliche Einschränkung als unbedenklich und sicher beschrieben wurde, ist das Rechtsmittel nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043312). Davon abgesehen, strebten die Anleger ohnedies keine „quasi risikofreie“ Anlage an, sondern waren zu einem Investment mit mittlerem Risiko (Klasse 3, einschließlich eines Verlustrisikos „in besonderen Ausnahmefällen bis zu 100%“) bereit. Es konnte aber gerade nicht festgestellt werden, dass die erworbenen Anleihen nicht den erstellten Risikoklassen entsprachen. Damit unterscheiden sich die vorliegenden Anlegerfälle von der Konstellation, die etwa der im Rechtsmittel zitierten Entscheidung 4 Ob 70/11i zugrunde lag. Dort kam es dem Kunden nämlich gerade darauf an, ein sicheres und risikofreies Papier zu erwerben.
2.3 Der Hinweis, dass ein Anlegerberater angeblich auch verpflichtet sein soll, über sein Unwissen betreffend ein konkretes Risiko aufzuklären, selbst wenn ihm das Risiko nicht bekannt war und es ihm auch nicht bekannt hätte sein müssen, begründet ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage. Der dazu im Rechtsmittel zitierten Rechtsprechung (1 Ob 182/97i, 7 Ob 79/98p oder RIS-Justiz RS0108073) ist nämlich keine solche Verpflichtung eines Beraters, auch über ein Nichtwissen zu einem Risiko aufklären zu müssen, das ihm nicht bekannt sein musste, zu entnehmen. Diese Rechtsprechung knüpft vielmehr daran an, dass der Berater (nur) unzureichende Kenntnisse verfügt, also über (risikoträchtige) Umstände nicht informiert ist, die er sonst kennen musste. Die Feststellungen decken einen solchen Vorwurf gegenüber der Beklagten jedoch nicht.
2.4 Davon abgesehen entspricht es gesicherter Rechtsprechung, dass es bei einem Verstoß gegen eine Beratungs- oder Aufklärungspflicht am Geschädigten liegt, den Kausalzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigem Verhalten und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0022686 [insb T 8, T 9, T 16, T 17, T 22], RS0022862 [insb T 3, T 5]). Hier steht aber gar nicht fest, ob weitere Recherchen der Beklagten Zweifel an der Unbedenklichkeit der Veranlagung erweckt hätten. Die Beurteilung der Vorinstanzen, diese Negativfeststellung gehe zu Lasten der Klägerin, hält sich im Rahmen der aufgezeigten Judikatur.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00187.18Y.1024.000 |
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