OGH vom 19.09.2002, 3Ob187/01y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth S*****, vertreten durch Dr. Helmut Weinzettl, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Ing. Werner B*****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, wegen Unzulässigkeit einer Exekution, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 17 R 93/00y, 402/00i-44, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das negative Versäumungsurteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 14 C 691/99f-22, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt I.) aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Mit dem der rechtsfreundlich nicht vertretenen Klägerin am zugestellten negativen Versäumungsurteil gemäß § 399 ZPO wies das Erstgericht das auf § 37 EO gestützte Klagebegehren ab, weil die Klägerin ihr Eigentum nicht nachgewiesen habe. Am langte der mit datierte und am zur Post gegebene, vom Sohn der Klägerin als deren Vertreter erhobene und von diesem gefertigte "Einspruch" ON 23 beim Erstgericht mit u.a. folgendem Inhalt ein: "Auf Grund des Versäumungsurteils vom , erhalten am , erhebe ich in offener Frist Einspruch aus folgenden Gründen ... Auf Grund dieser Tatsachen stelle ich folgende Anträge 1. Die Aufhebung des Versäumungsurteils vom , 2. Zur Beweisführung einen neuerlichen Termin auszuschreiben, 3. Meine Vertretung durch meinen Sohn zuzulassen." Eine Vollmacht lag dem "Einspruch" nicht bei. Die Erstrichterin stellte diesen "Einspruch" der Klägerin im Original, ihrem Sohn in Kopie (zugestellt jeweils am ) mit folgenden Beisätzen zur Verbesserung binnen vier Wochen zurück: "Der Schriftsatz vom wird der Klägerin im Original, dem Antragsteller in Kopie zur Verbesserung binnen vier Wochen zurückgestellt. Gegen ein Urteil gemäß § 399 ZPO kann nicht Einspruch, sondern nur Berufung erhoben werden. Die Berufungsschrift ist gemäß § 467 ZPO an gewisse Formvorschriften gebunden und bedarf jedenfalls der Unterschrift eines Rechtsanwaltes; andernfalls wäre sie als unzulässig zurückzuweisen (§ 472 Abs 1 ZPO). Wenn Verfahrenshilfe beantragt wird, beginnt die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn (§ 464 Abs 3 ZPO)". Beim Erstgericht langten ein a) am die am zur Post gegebene und vom Sohn der Klägerin als deren Vertreter (wiederum ohne Anschluss einer Vollmacht) erhobene und von diesem unterzeichnete „Berufung" ON 25 mit identen Anträgen wie in ON 23, b) am das von ihr selbst unterfertigte Vermögensbekenntnis der Klägerin ON 26 mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe. Mit Beschluss vom bewilligte das Erstgericht daraufhin der Klägerin die Verfahrenshilfe samt Beigebung eines Rechtsanwalts. Der Bestellungsbescheid wurde dem Verfahrenshelfer am zugestellt. Durch ihren Verfahrenshelfer erhob die Klägerin am Widerspruch und Berufung gegen das Ersturteil und beantragte, zuerst über den Widerspruch zu entscheiden. Mit Beschluss vom wies das Erstgericht den Widerspruch als verspätet zurück. Der "Einspruch" vom sei als Berufung und nicht als (ohnehin verspäteter) Widerruf zu werten; auch der durch den Verfahrenshelfer nunmehr erhobene Widerspruch sei verspätet.
Das Berufungsgericht wies mit Punkt I. seiner Entscheidung die Berufung der Klägerin als verspätet zurück. Die Klägerin habe innerhalb der Rechtsmittelfrist keinen Verfahrenshilfeantrag gestellt. Werde der Antrag auf Verfahrenshilfe - wie hier - erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, wenn auch innerhalb der vom Gericht nach § 85 ZPO gesetzten Verbesserungsfrist gestellt, sei er verspätet. Auch die nochmalige Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Verfahrenshelfer ändere daran nichts, weil die bereits eingetretene Rechtskraft des Ersturteils durch die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht beseitigt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der zufolge § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässige Rekurs der Klägerin ist berechtigt.
a) Gemäß § 464 Abs 1 ZPO endete die vierwöchige - als "Notfrist" (§ 128 Abs 1 ZPO) nicht zu verlängernde (§ 464 Abs 1 ZPO) - Frist zur Erhebung der Berufung gegen das erstgerichtliche negative Versäumungsurteil für die Klägerin unter Bedachtnahme auf § 224 Abs 1 Z 5 ZPO (Ferialsache) am . Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin - auf ihre Vertretung wird noch einzugehen sein - einen als Berufung zu wertenden Schriftsatz eingebracht, ohne indes Verfahrenshilfe zu beantragen. Dieser Schriftsatz wurde ihr zur Verbesserung unter Fristsetzung zurückgestellt. Ist bei Überreichung eines zu verbessernden Schriftsatzes eine Frist einzuhalten, so ist für die Wiedereinbringung eine Frist zu setzen, bei deren Wahrung der Schriftsatz als am Tage seines ersten Einlangens überreicht anzusehen ist (§ 85 Abs 2 erster Satz ZPO). Durch Art IV Z 20 der ZVN 1983 wurde dem § 85 Abs 2 ZPO einer dritter Satz angefügt, wonach die nach § 85 Abs 2 erster Satz ZPO gesetzte Verbesserungsfrist u.a. mit der Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts beginnt, wenn eine Partei innerhalb der Verbesserungsfrist einen Antrag auf Verfahrenshilfe stellt. Die Vorschrift regelt den Neubeginn des Laufes der für die Wiederanbringung eines befristeten Schriftsatzes gesetzten Verbesserungsfrist. Da hier die Klägerin ihren als Berufung zu wertenden Schriftsatz rechtzeitig innerhalb der Berufungsfrist zur Post gab, dieser Schriftsatz der Verbesserung bedurfte und auch zur Verbesserung zurückgestellt wurde, konnte sie innerhalb der Verbesserungsfrist dem ihr erteilten gerichtlichen Verbesserungsauftrag zur Fertigung ihres als Berufung zu wertenden "Einspruchs" durch einen Rechtsanwalt (§ 467 Z 5 ZPO) auch dadurch entsprechen, dass sie innerhalb der Verbesserungsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe unter Beigebung eines Rechtsanwalts beantragte. Ein Antrag auf Verfahrenshilfe ist daher auch dann rechtzeitig iSd § 464 Abs 3 ZPO, wenn er innerhalb einer gemäß § 85 Abs 2 ZPO vom Richter gesetzten Frist zur Verbesserung des rechtzeitig erhobenen Berufungsschriftsatzes gestellt wird. Davon ausgehend wurde im vorliegenden Fall die Verbesserungsfrist durch den Antrag auf Verfahrenshilfe unterbrochen und begann mit Zustellung des Bestellungsbescheids an den Verfahrenshelfer der Klägerin am neu zu laufen. Die von diesem am erhobene und am beim Erstgericht eingelangte Berufung wurde somit rechtzeitig eingebracht. Die vom Berufungsgericht zitierte Rsp (in RIS-Justiz RS0036235) ist hier nicht anwendbar. Einerseits stammen die dort zitierten Entscheidungen aus der Zeit vor der ZVN 1983 und somit vor Einführung der in § 85 Abs 2 dritter ZPO vorgesehenen Unterbrechung der Verbesserungsfrist. Andererseits hatten die Rechtsmittelwerber in den Entscheidungen, die nach der ZVN 1983 liegen (etwa 10 ObS 171/94, 10 ObS 67/98w, 8 Ob 152/00m), ihren Verfahrenshilfeantrag erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gestellt ohne vorher, innerhalb der Rechtsmittelfrist ein - wenn auch allenfalls verbesserungsbedürftiges - Rechtsmittel wie hier zu erheben.
Insbesondere im Hinblick auf die - wie bereits dargelegt - zutreffende erstgerichtliche Belehrung, dass in Exzindierungsprozessen keine Anwaltspflicht bestehe, liegt eine missbräuchliche Verwendung des Verbesserungsverfahrens hier nicht vor, sodass das Erstgericht der Klägerin zu Recht den Auftrag zur Verbesserung des als Berufung zu qualifizierenden "Einspruchs" erteilte (3 Ob 82/97y; RIS-Justiz RS0036396).
b) Gemäß § 37 Abs 1 ZPO hat das Gericht den Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen selbst wahrzunehmen. Gemäß § 30 Abs 1 ZPO haben Bevollmächtigte bei der ersten von ihnen vorgenommen Prozesshandlung ihre Bevollmächtigung durch eine Urkunde dazutun. Weder dem vom (als deren Vertreter auftretenden) Sohn der Klägerin erhobenen "Einspruch" noch der "Berufung" lag eine entsprechende Vollmacht bei. Ein Vollmachtsmangel kann jedoch durch nachträgliche Genehmigung geheilt werden (RIS-Justiz RS0035639; Fasching, Lehrbuch2, Rz 435). Da die Klägerin innerhalb der Verbesserungsfrist ihren Verfahrenshilfeantrag stellte und dieser nur dann erfolgsversprechend sein kann, wenn sie den fristwahrenden "Einspruch" ihres Sohnes genehmigte, ist von ihrer schlüssigen Genehmigung des zunächst von ihrem Sohn ohne Vollmachtsnachweis erhobenen als Berufung zu wertenden "Einspruchs" auszugehen. Dem Rechtsmittel ist daher Folge zu geben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.