OGH vom 14.03.1978, 4Ob309/78
Norm
Handelsgesetzbuch § 13 ff;
Unlauterer Wettbewerb-Gesetz § 23 Satz 1;
Kopf
SZ 51/29
Spruch
Der Begriff der "Niederlassung" in § 23 Satz 1 UWG ist im Sinne des § 87 Abs. f und 2 JN auszulegen; er deckt sich nicht mit dem Begriff der "Zweigniederlassung" nach §§ 13 ff HGB Die Lokalredaktion einer Tageszeitung, welche neben journalistischen Aufgaben auch den Vertrieb des Blattes und die Anzeigenabwicklung zu besorgen hat, ist eine "Niederlassung" im Sinne des § 23 Satz 1 UWG
(OLG Graz 1 R 179/77; LGZ Graz 7 Cg 185/77)
Text
Die Klägerin ist Eigentümerin, Herausgeberin und Verlegerin der "A-Zeitung". Die Erstbeklagte ist Eigentümerin und Verlegerin der "B-Zeitung", die Zweitbeklagte Komplementärin der Erstbeklagten.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagten wegen eines am 13. Feber 1977 in der steirischen Mutationsausgabe der "B-Zeitung" veröffentlichten, nach Ansicht der Klägerin mehrfach gegen §§ 1, 2 UWG verstoßenden Artikels des Chefredakteurs Georg N auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung in Anspruch. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichtes für ZRS Graz folge daraus, daß der beanstandete Artikel nur in der für die Steiermark mutierten Ausgabe der "B-Zeitung" abgedruckt und im Impressum dieser Ausgabe die Niederlassung der Beklagten mit "8010 Graz, W-Gasse 22" angegeben worden sei.
Die Beklagten haben (u. a.) örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes eingewendet, weil die Erstbeklagte, welche ihren Sitz in Wien habe, in Graz keine protokollierte Zweigniederlassung, sondern nur eine Geschäftsstelle unterhalte; diese habe jedoch keine kaufmännische Tätigkeit auszuüben, sondern nur die Aufgaben einer Lokalredaktion zu erfüllen. Das insoweit unrichtige Impressum der Mutationsausgabe könne keine zivilrechtlichen Wirkungen hervorrufen und insbesondere auch nicht die örtliche Zuständigkeit eines Grazer Gerichtes begrunden. Die Grazer Geschäftsstelle der Erstbeklagten sei keine Niederlassung im Sinne des § 23 UWG, weil sie nicht Mittelpunkt eines Kreises selbständiger rechtlicher Beziehungen der Erstbeklagten zu dritten Personen sei. Außer Streit steht, daß sich in Graz keine registrierte Zweigniederlassung der Beklagten befindet.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf die Zuständigkeitsfrage ein und wies die Klage gemäß § 43 Abs. 1 JN wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Seiner Entscheidung liegen folgende Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:
Die "B-Zeitung" wird in Wien gedruckt und dort auch insoweit redigriert, als es den für alle Bundesländer gleichen Teil des Blattes betrifft. Es gibt insgesamt drei Ausgaben der "B-Zeitung", und zwar die Wiener Stammausgabe, eine steirische und eine oberösterreichische Ausgabe. Jeder dieser Ausgaben wird in Wien ein von der zuständigen - in redaktioneller Hinsicht völlig unabhängigen - Lokalredaktionen hergestellter und nach Wien durchzugebenden Lokalteil eingefügt. Nach dem Druck werden die Bundesländerausgaben an die zuständigen Lokalredaktionen ausgeliefert, welche sodann den Vertrieb der Zeitung in den betreffenden Bundesländern zu besorgen haben. Die Mutationsausgabe für die Steiermark wird ausschließlich in der Steiermark und in Kärnten, nicht aber im übrigen Österreich vertrieben.
Außer dieser redaktionellen Tätigkeit unterhält die Erstbeklagte in Graz eine Anzeigenabteilung und eine Vertriebsabteilung, welche den Weisungen der entsprechenden Abteilungsleiter in Wien unterstehen. Keiner der Herren in Graz hat Prokura oder Handlungsvollmacht; sie besitzen nur ein eingeschränktes internes Verfügungsrecht über bescheidene Beträge, z. B. für Spesen. Die Erstbeklagte unterhält zwar in Graz Bankkonten, doch ist keiner der Grazer Herren darüber verfügungsberechtigt. Der Mietzins für die Räumlichkeiten in Graz wird ebenso von der Erstbeklagten in Wien gezahlt wie die Gehälter und die Spesen.
Dem Vertriebsleiter in Graz obliegt ausschließlich die rein organisatorische Seite des Vertriebes, wie z. B. das Entgegennehmen von Abonnements, Beschwerden, Auflagenregulierungen oder dergleichen. Die Anzeigenabteilung nimmt Inserate entgegen und kassiert, wenn bar gezahlt wird, auch den Preis hiefür; sie leitet das Geld aber auf das Wiener Konto der Erstbeklagten weiter. Bei Inseraten, die durch Überweisung bezahlt werden, wird das Geld grundsätzlich auf dieses Wiener Konto überwiesen. Auch das Mahnwesen wird von Wien aus betrieben.
Das Grazer Personal wird von der Erstbeklagten in Wien angestellt oder entlassen. Den Behörden gegenüber tritt die Grazer Lokalredaktion - mit einer Spezialvollmacht auf, welche in jedem Einzelfall von der Erstbeklagten in Wien auf einen der in Graz tätigen Herren ausgestellt wird. Dieser Vorgang wurde z. B. bei der Anmeldung eines Dienstfahrzeuges gegenüber der Grazer Polizeidirektion eingehalten.
Im Impressum der "B-Zeitung" (Grazer Ausgabe) vom 13. Feber 1977 heißt es u. a.; "Chefredakteur: Georg N. Verlagsleitung: Dkfm. Peter
M. Verantwortlicher Redakteur: Brigitte E. Verantwortlich für den Inseratenteil: Anton N. Alle: 8010 Graz, W-Gasse 22 ..... Redaktion,
Verwaltung, Vertrieb und Anzeigenabteilung: 8010 Graz, W-Gasse 22, Tel. 031 22/61 524. Fernschreibnummer: Graz, 03-1701 ....."
Dieses Impressum ist nach außen richtig, im Innenverhältnis aber nur mit den dargestellten Einschränkungen. Die Erstbeklagte will damit ausdrücken, daß sich jeder Kunde in allen Fällen an die Grazer Lokalredaktion wenden kann, um eine Erledigung zu erreichen, ohne daß ihm mitgeteilt würde, wo diese Erledigung erfolgen wird.
Die Stammausgabe der "B-Zeitung" in Wien und die Lokalausgaben für Graz und für Oberösterreich haben verschiedene Preise und Inseratentarife, welche von der Erstbeklagten in Wien bestimmt werden. Die jeweiligen Lokalredaktionen können darauf keinen Einfluß nehmen.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß es sich bei der in § 23 UWG angeführten, zuständigkeitsbegrundeten "Niederlassung" um eine Zweigniederlassung im Sinne der §§ 13 ff. HGB also um eine Niederlassung mit weitgehender wirtschaftlicher und organisatorischer Selbständigkeit, handeln müsse, die sie insbesondere zum selbständigen Abschluß von Handelsgeschäften berechtige. Diese Voraussetzungen träfen aber nach den Verfahrensergebnissen auf die Grazer Lokalredaktion der "B-Zeitung" nicht zu.
Infolge Rekurses der Klägerin behob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes und trug diesem auf, unter Abstandnahme von dem herangezogenen Zurückweisungsgrund das gesetzmäßige Verfahren einzuleiten. Zur Auslegung des § 23 UWG seien die Zuständigkeitsbestimmungen des § 87 Abs. 1 und 2 JN heranzuziehen diese seien durch § 23 UWG zum ausschließlichen Gerichtsstand für Klagen nach diesem Gesetz erhoben worden. Unter einer Niederlassung im Sinne des § 87 Abs. 1 und 2 JN - und damit auch im Sinne des § 23 UWG - sei aber entgegen der Meinung des Erstgerichtes nicht eine "Zweigniederlassung" nach §§ 13 ff. HGB zu verstehen; es genüge vielmehr ein wirklicher Geschäftsbetrieb, und sei es auch nur für einen Teil des gesamten Unternehmens. Daß von der Niederlassung aus selbständige Geschäfte abgeschlossen werden, sei nicht erforderlich; vielmehr müßten nur bestimmte äußere Einrichtungen, wie Geschäftsräume, eine ständige Postanschrift und Personal, gegeben sein, ebenso eine geschäftliche Leitung und, wenngleich oft in sehr eingeschränktem Umfang, das Recht zu selbständigem Handeln im Geschäftsverkehr. Gehe man von diesen Kriterien aus, dann müsse der Geschäftsbetrieb der Erstbeklagten in Graz, welcher neben journalistischen Aufgaben auch den Zeitungsvertrieb und die Anzeigenabwicklung umfasse, als Niederlassung im Sinne des § 23 UWG angesehen werden. Im Rahmen der erwähnten Aufgaben müsse in Graz naturgemäß eine geschäftliche Tätigkeit entfaltet werden (Abonnementenverträge, Aufnahme und Bezahlung von Inseraten usw.); auch die äußere Einrichtung eines Geschäftsbetriebes (Geschäftsräume, Personal, ständige Postanschrift) liege vor. Aus dem Impressum ergebe sich außerdem die Tätigkeit leitender Mitarbeiter der Erstbeklagten in Graz. Daß deren Befugnisse im Innenverhältnis weitgehend eingeschränkt sind, stehe dieser Beurteilung nicht entgegen, weil eine "Niederlassung" im Sinne des § 23 UWG auch dann angenommen werden müsse, wenn sie zwar faktisch nicht bestehe, jedoch der Anschein ihres Bestehens dolos erweckt werde. Da der von § 23 UWG geforderte Zusammenhang der beanstandeten Wettbewerbshandlung mit der betreffenden Niederlassung hier gleichfalls gegeben sei, weil der nach Ansicht der Klägerin gegen das Gesetz verstoßende Artikel in der Grazer Ausgabe veröffentlicht wurde und daher aus der Grazer Niederlassung der Erstbeklagten stamme, sei die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichtes für ZRS Graz entgegen der Meinung des Erstrichters zu bejahen. Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Rekursgericht hat die Zuständigkeitsfrage rechtlich richtig beurteilt; auch die Rechtsmittelausführungen der Beklagten können die zutreffende Begründung des angefochtenen Beschlusses - auf welche zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird - nicht widerlegen:
Daß der Begriff der "Niederlassung" in § 23 Satz 1 UWG im Sinne der Bestimmungen des § 87 Abs. 1. und 2 JN auszulegen ist (Hagen, Der Gerichtsstand der Niederlassung, JBl. 1969, 61 ff. (66 f.);Fasching I, 437 § 87 JN Anm. 3) und sich daher insbesondere nicht mit dem Begriff der "Zweigniederlassung" nach §§ 13 ff. HGB deckt (SZ 8/12; GlUNF 269, 4256 u. a.; Fasching a. a. O., 438 Anm. 6), wird auch von den Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen. Es genügt das Bestehen einer nach ihrer äußeren Einrichtung auf Dauer berechneten, vom Sitz des Unternehmens örtlich getrennten Abteilung, die im wesentlichen unter selbständiger Leitung steht, zu selbständigem Handeln im geschäftlichen Verkehr berechtigt ist und auf diese Weise, wenngleich häufig in nur sehr eingeschränktem Umfang, Mittelpunkt eines - größeren oder kleineren - Kreises von Rechtsbeziehungen des Unternehmens zu dritten Personen ist (SZ 1/31; SZ 8/12; GlUNF 4265, 5481; Fasching a. a. O. 436 f., Anm. 2 Anm. 6). Diese Voraussetzungen liegen entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerber hier vor: Nach den Feststellungen der Vorinstanzen verfügt die Grazer Lokalredaktion der "B-Zeitung" nicht nur über die zum dauernden Geschäftsbetrieb erforderliche äußere Einrichtung (insbesondere über eigene Geschäftsräumlichkeiten, eine ständige Postanschrift und das erforderliche Personal); sie hat auch keineswegs nur journalistische Aufgaben zu erfüllen, sondern sie ist darüber hinaus, wie die Einrichtung einer eigenen Anzeigenabteilung und einer Vertriebsabteilung zeigt, auch zu selbständigem geschäftlichen Handeln im Bereich des Anzeigenwesens und des Vertriebes befugt und insoweit bei der Annahme von Inseraten und Abonnementaufträgen auch Mittelpunkt rechtlicher Beziehungen zu den Anzeigenkunden und den Lesern des Blattes. Daß keiner der in Graz befindlichen Angestellten der Erstbeklagten Prokura oder eine ständige Handlungsvollmacht hat, die dortigen Abteilungsleiter vielmehr an Weisungen aus Wien gebunden sind und insbesondere auch Rechtsgeschäfte mit dritten Personen oder Rechtshandlungen gegenüber Behörden jeweils nur auf Grund einer besonderen Spezialvollmacht abgeschlossen werden können, schadet nicht, weil es auf die internen Beziehungen zwischen der Niederlassung und dem Stammunternehmen ebensowenig ankommt wie darauf, ob von der Niederlassung aus selbständig und eigenverantwortlich Rechtsgeschäfte abgeschlossen werden können (GlUNF 658, 1168, 4265; Fasching a. a. O.). Von einer bloßen "unselbständigen Betriebsstätte" kann unter diesen Umständen entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerber keine Rede sein; das Rekursgericht hat vielmehr die Grazer Lokalredaktion der "B-Zeitung" auf Grund der dort entfalteten geschäftlichen Aktivitäten - zu denen sich die Erstbeklagte im Impressum, nach welchem sich "Redaktion, Verwaltung, Vertrieb und Anzeigenabteilung" - in Graz befinden, auch ausdrücklich bekennt - mit Recht als "Niederlassung" im Sinne des § 87 Abs. 1 und 2 JN und damit auch des § 23 Satz 1 UWG qualifiziert. Ob und welche Schlüsse sonst noch aus dem Impressum gezogen werden könnten, braucht bei dieser Sachlage nicht weiter erörtert zu werden.