OGH vom 22.09.2010, 6Ob125/10s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen E***** B*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters Mag. J***** K*****, öffentlicher Notar, *****, vertreten durch Dr. Agnes Maria Kienast, Rechtsanwältin in Korneuburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom , GZ 2 R 12/10t 27, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, der im Rekurs nicht gerügt wurde, bildet auch im außerstreitigen Verfahren keinen Revisionsrekursgrund, sofern die Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Wohls des Kindes (Pflegebefohlenen) wie im Anlassfall nicht geboten ist (RIS Justiz RS0050037 [T13]).
Der Oberste Gerichtshof hat zu § 274 Abs 2 ABGB bereits ausgesprochen, dass Rechtsanwälte oder Notare Gründe, aus denen sie die Übernahme einer Sachwalterschaft (Kuratel) ablehnen, konkret geltend zu machen haben (3 Ob 19/08b; RIS Justiz RS0123440). Der Rechtsmittelwerber, ein Notar, lehnte die Übernahme der Sachwalterschaft ab, weil er bereits eine Sachwalterschaft und neun Verlassenschaftskuratelen übernommen habe. Die Ausführungen des Rekursgerichts, er habe sonstige Gründe, aus denen ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse die Übernahme der nunmehrigen Sachwalterschaft nicht zugemutet werden könne, nicht angeführt, sind zutreffend.
Gemäß § 274 Abs 2 erster Satz ABGB kann ein Rechtsanwalt oder Notar die Übernahme einer Sachwalterschaft (Kuratel) nur ablehnen, wenn ihm diese unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit wird nach § 274 Abs 2 zweiter Satz ABGB „bei mehr als fünf Sachwalterschaften (Kuratelen) vermutet“.
Entgegen der Ansicht des Revisionsrekurswerbers begründet fehlende Rechtsprechung zur Frage, ob diese Vermutung widerlegbar ist, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG.§ 270 ZPO stellt nämlich klar, dass eine gesetzliche Vermutung widerleglich ist, es sei denn, das Gesetz verbietet ausnahmsweise die Widerlegung ( Rechberger in Rechberger , ZPO³ § 270 Rz 2; Rechberger in Fasching/Konecny² § 270 Rz 8 mwN). Die Widerlegung der Vermutung des § 274 Abs 2 letzter Satz ABGB schließt das Gesetz nicht aus. Die Annahme einer unwiderlegbaren Vermutung wäre zudem nicht damit verträglich, dass ein Rechtsanwalt oder Notar bis zu 25 Sachwalterschaften übernehmen darf (§ 279 Abs 5 ABGB).
Durch das Sachwalterrechts Änderungsgesetz 2006 (SWRÄG 2006) sollten alle zentralen Fragen des Sachwalterrechts in einem neuen fünften Hauptstück des ersten Teils des ABGB neu geregelt werden (EB RV 1420 BlgNr 22. GP 1). Das neue fünfte Hauptstück (§§ 268 bis 284h ABGB) das die Überschrift „Von der Sachwalterschaft, der sonstigen gesetzlichen Vertretung und der Vorsorgevollmacht“ trägt, regelt nicht nur die Sachwalterschaft, sondern auch die Kuratel für Ungeborene (§ 269 ABGB), für abwesende und unbekannte Teilnehmer (§ 270 ABGB) und die Kuratel im Kollisionsfall (§§ 271 f ABGB). Es lässt sich in zwei Teile gliedern. Der erste Teil enthält die Allgemeinen Bestimmungen, die sowohl für die Sachwalterschaft als auch für die erwähnten Arten von Kuratoren gelten (§§ 268 bis 278 ABGB). Geregelt werden die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters oder Kurators (§§ 268 bis 272 ABGB) und die Bestellung und Bestellungshindernisse (§§ 273, 274 ABGB). Dieser Teil enthält ferner die Anordnung für die Rechte und Pflichten eines Sachwalters und Kurators (§ 275 ABGB), Bestimmungen über die Entschädigung, das Entgelt und den Aufwandersatz (§ 276 ABGB), die Haftung des Sachwalters und Kurators (§ 277 ABGB) sowie die „Änderung“ und Beendigung von Sachwaltschaft und Kuratel (§ 278 ABGB). Daran schließen als zweiter Teil die „besonderen Vorschriften für die Sachwalterschaft“ (§§ 279 bis 284h ABGB) an (Schauer, Schwerpunkte des Sachwalterrechts Änderungsgesetzes SWRÄG 2006), ÖJZ 2007/17, 176). Aus der dargelegten Systematik des Gesetzes ist zu folgern, dass sich § 274 Abs 2 ABGB neben der Sachwalterschaft nur auf die in dem genannten Hauptstück geregelten Kuratelen bezieht, sodass eine Verlassenschaftskuratel nicht darunter fällt. Die Frage, ob die in § 274 Abs 2 erster Satz ABGB normierte Verpflichtung auf nicht in diesem Hauptstück geregelte Kuratelen zu erstrecken ist, ist im Anlassfall nicht entscheidungswesentlich. Eine Gleichbehandlung aller Fälle der Kuratel im Zusammenhang mit § 274 Abs 2 zweiter Satz ABGB ist nicht geboten, führt doch die Verneinung der Anwendbarkeit der Vermutungsregel nur dazu, dass der Notar (Rechtsanwalt) die Gründe der Ablehnung der Übernahme der Sachwalterschaft wegen Unzumutbarkeit konkret darlegen muss.