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OGH vom 04.12.1979, 2Ob561/79

OGH vom 04.12.1979, 2Ob561/79

Norm

ABGB § 504;

ABGB § 509;

ABGB § 1090;

Eisenbahn-Enteignungsgesetz § 4;

Eisenbahn-Enteignungsgesetz § 5;

Kopf

SZ 52/179

Spruch

Nutzungs- und Gebrauchsberechtigter, auf dessen Nachteile bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung Rücksicht zu nehmen ist, ist auch der noch nicht als Eigentümer ins Grundbuch einverleibt gewesene Käufer einer sodann enteigneten Liegenschaft, dem die tatsächliche Verfügungsmacht über diese bereits eingeräumt war

(LGZ Wien 44 R 84/79; BG Favoriten 2 Nc 163/77)

Text

Mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom wurde gemäß § 17 BStG 1971 eine Teilfläche von 1540 m2 des Grundstücks 239/2 der EZ 247 KGS enteignet. Die Restfläche von 1341 m2 wurde gemäß § 18 Abs. 1 BStG 1971 eingelöst. Die Verwaltungsbehörde hatte die Entschädigung für die enteignete Fläche mit 4 334 386 S (d. s. 1540 m2 X 1100 S pro m = 1 694 000 S zuzüglich frustrierte Planungskosten von 2 530 386 S und Abbruchkosten von 110 000 S) und den Einlösungsbetrag für die eingelöste Fläche mit 1 475 100 S (d. s. 1341 m2 X 1100 S pro m2) festgesetzt.

Mit einem am gestellten Antrag beantragte die Antragstellerin als grundbücherliche Eigentümerin der Liegenschaft EZ 247 KG S die Erhöhung der Entschädigung auf 10 Mill. S mit der Begründung, der angenommene Quadratmeterpreis von 1100 S sei viel zu niedrig.

Im ersten Rechtsgang setzte das Erstgericht die Enteignungsentschädigung mit insgesamt 5 809 486 S genau in der im zitierten Bescheid festgelegten Höhe fest. Über Rekurs beider Teile hob das Gericht zweiter Instanz diesen Beschluß, soweit er nicht bezüglich der Festsetzung der Entschädigung mit 3 059 000 S in Rechtskraft erwachsen war, auf. Aus der Begründung dieser Entscheidung ergibt sich dabei, daß das Landesgericht für ZRS Wien entgegen dem Wortlaut des Spruches dieser Entscheidung auch die Entscheidung über einen Teilbetrag von 110 100 S (ein den Abbruchskosten entsprechender Betrag vermehrt um unaufgeklärte 100

S) aufheben wollte und in diesem Umfange die angefochtene

Entscheidung des Erstgerichtes nicht etwa, wie es im Spruch heißt, bestätigen wollte.

Im zweiten Rechtsgang zergliederte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom ihren Antrag dahin, daß sie an frustrierten Planungskosten 2 530 386 S, an Abbruchkosten 110 000 S und an eigentlichem Grundwert 8 643 000 S 2881 m2 x 3000 S pro m2), d. s. zusammen 11 283 386 S, begehre. Das Erstgericht setzte die Entschädigung im zweiten Rechtsgang "zusätzlich zu dem bereits rechtskräftig festgesetzten Entschädigungsbetrag von 3 169 100 S (d.

s. die richtigen 3 059 000 S zuzüglich die fälschlich im Spruch des erwähnten Aufhebungsbeschlusses vorkommenden 110 100 S)" mit "weiteren" 593 486 S, sohin zusammen mit 3 762 586 S fest und wies das nicht näher bezeichnete Mehrbegehren der Antragstellerin ab. Da das Erstgericht offenbar davon ausging, daß die ganzen 3 169 100 S nur reinen Grundpreis betrafen, zog es von dem festgestellten Gesamtgrundwert von 1306 S pro m2 X 2881 m2 = 3 762 586 S die ganzen 3 169 100 S ab, ohne daß es deshalb Abbruchkosten zusprechen wollte. Der Beschluß des Erstgerichtes ist richtig so zu verstehen, daß es zusätzlich zu den schon rechtskräftig zugesprochenen 3 059 000 S weitere 703 586 S an Entschädigung zuerkennen wollte.

Das Gericht zweiter Instanz hob über Rekurs beider Streitteile diesen Beschluß im stattgebenden Teil von 593 486 S (richtig 703 586 S) und im abweisenden Teil hinsichtlich eines Betrages von 4 880 414 S auf, bestätigte den angefochtenen Beschluß des Erstgerichtes jedoch hinsichtlich der Abweisung eines weiteren Betrages von 2 640 386 S (d. s. die vereitelten Planungs- und Abbruchkosten).

Die Vorinstanzen gingen in tatsächlicher Hinsicht davon aus, daß die Antragstellerin zu einem Zeitpunkt, da mit der Enteignung noch nicht zu rechnen war, ihre Liegenschaft an Johann B verkauft habe. Noch vor Einleitung des Enteignungsverfahren habe dann die Antragstellerin mit Johann B im Hinblick auf die bevorstehende Enteignung vereinbart, daß der Kaufvertrag aufgelöst werde und die Antragstellerin verpflichtet sei, dem Johann B einerseits den bezahlten Kaufpreis, andererseits die von ihm schon aufgewendeten Planungs- und Abbruchkosten aus dem Entschädigungserlös zu ersetzen.

Das Erstgericht war der Auffassung, daß der Antragstellerin gemäß § 5 EisbEG deshalb kein Ersatz dieser Kosten gebühre, weil sie sich zur Tragung derselben freiwillig verpflichtet habe. Der Vertrag mit Johann B verstoße gegen Treu und Glauben, stelle einen unzulässigen Vertrag zu Lasten des Staatsärars dar, bedeute eine Verletzung der Schadenminderungspflicht und könne nicht dazu führen, daß der nur Nutzungsberechtigte auf diesem Umweg den Ersatz ihm entstandener, offenbar nutzloser Aufwendungen erhalte.

Das Gericht zweiter Instanz billigte diese Ansicht. Es führte aus, daß Johann B die strittigen Planungs- und Abbruchkosten nur in seiner Eigenschaft als Käufer, nicht aber als Nutzungsberechtigter auf Grund der Vereinbarung vom 19. Feber 1973 (die neben der Auflösung des Kaufvertrages auch die Begründung eines Nutzungsrechtes des früheren Käufers bis zur Rückzahlung des Kaufpreises durch die Verkäuferin vorsah) aufgewendet habe. Da die Antragstellerin an der Aufhebung des Kaufvertrages kein Verschulden getroffen habe, sei sie zum Ersatz dieser Kosten nicht verpflichtet gewesen. Nachteile, die dem Enteigneten aus einer vertraglichen Verpflichtung erwüchsen, zu deren Eingehen er gar nicht verpflichtet gewesen wäre, seien aber bei Festsetzung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen.

Über Revisionsrekurs der Antragstellerin hob der Oberste Gerichtshof die Beschlüsse der Vorinstanzen im Umfange der abweisenden Entschädigung über die beantragte Festsetzung einer Entschädigung von 2 640 386 S für vereitelte Planungs- und Abbruchskosten des Johann B auf und trug dem Erstgericht auch in diesem Umfange eine neuerliche nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs ist ohne Beschränkung auf die Rechtsmittelgrunde des § 16 AußStrG zulässig. Die Grundsätze der Plenarentscheidung des Jud. 56 neu, sind auch im Verfahren außer Streitsachen anwendbar. Von einer bestätigenden Entscheidung nach § 16 AußStrG kann daher nur gesprochen werden, wenn der erstgerichtliche Beschluß vollständig bestätigt wurde. Wenn die Entscheidung der ersten Instanz teils bestätigt, teils aufgehoben wurde, liegt keine bestätigende Entscheidung vor (SZ 27/112; SZ 31/101). Nur dann, wenn der bestätigende und der abändernde oder aufhebende Teil der Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz voneinander verschiedene Gegenstände betreffen, muß jeder Teil gesondert beurteilt und auf den bestätigenden die Vorschrift des § 16 AußStrG angewendet werden (JBl. 1956, 76). In der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des , wurde in diesem Sinne davon ausgegangen, daß zwischen der Feststellung der Entschädigung für enteignete Grundstücke, für verlorenen Baumbestand und für ein entferntes Flugdach keine Wechselbeziehungen bestunden und daher die Zulässigkeit der Anfechtung des Beschlusses zweiter Instanz unterschiedlich zu beurteilen sei. Im vorliegenden Fall ist jedoch ein einheitlicher Anspruch gegeben. Der zu ermittelnde Wert der enteigneten und eingelösten Grundfläche hängt auch davon ab, inwieweit eine Verbauung möglich und schon konkret geplant war. Umgekehrt beeinflußt die festzustellende Art der Verbauungsmöglichkeiten auch die Berechtigung die Höhe der schon aufgewendeten Planungskosten und die Notwendigkeit der Abbrucharbeiten. Es bestehen also hier zwischen den einzelnen Anspruchsvoraussetzungen Wechselbeziehungen, die es rechtfertigen, von einem einheitlichen Anspruch auszugehen (in diesem Sinne 6 Ob 150/74).

Gemäß § 5 EisbEG (anwendbar gemäß § 20 Abs. 5 BStG 1971) ist bei der Ermittlung der Entschädigung auch auf die Nachteile Rücksicht zu nehmen, die Nutzungsberechtigte, Gebrauchsberechtigte oder Bestandnehmer durch die Enteignung erleiden und deren Vergütung dem Enteigneten obliegt. Dies ist nicht so zu verstehen, daß nur auf solche Nachteile Rücksicht zu nehmen ist, zu deren Ersatz der Enteignete nach sonstigen gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet ist, sondern mit dieser Bestimmung wird klargestellt, daß auch der Nebenberechtigte im Sinne des § 5 EisbEG Anspruch auf volle Schadloshaltung im Sinne des § 4 Abs. 1 EisbEG hat. Anders als der dinglich Berechtigte im Sinne des § 4 Abs. 2 EisbEG ist er aber im Enteignungsverfahren nicht selbst Partei, sondern er kann sich nur an seinen Vertragspartner, den Enteigneten, halten, dem die Vergütung der Nachteile obliegt (SZ 33/73; JBl. 1963, 572; SZ 42/95; kürzlich auch 7 Ob 664/78; Gallent in ÖVA 1971, 185, besonders 187, 188, 202; Brunner in ÖJZ 1966, 88 und in JBl. 1975, 580, besonders 586).

Da das Gesetz in § 5 EisbEG, anders als in § 4 Abs. 2 EisbEG, keine Beschränkung auf dingliche Rechte enthält, können mit dem Nebenberechtigten im Sinne des § 5 EisbEG nicht etwa nur der Fruchtnießer gemäß §§ 509 ff. ABGB und mit dem Gebrauchsberechtigten im Sinne des § 5 EisbEG nicht etwa nur der Gebrauchsberechtigte gemäß §§ 504 ff. ABGB gemeint sein (zu eng Kautsch, Enteignung, 1895, 26; überzeugend jedoch Randa in GrünhutsZ, Bd. X, 613 ff., besonders 636, 643 ff., 647). Vielmehr umfaßt § 5 EisbEG sowohl dingliche als auch obligatorische Rechte, die sich entweder als ein Nutzungsrecht, als ein Gebrauchsrecht oder als ein Bestandrecht darstellen. Den Materialien zum EisbEG (abgedruckt bei Kaserer, Enteignung, 1878) ist nicht zu entnehmen, daß der Bestandnehmer nach dem Willen des Gesetzgebers der einzige obligatorisch Berechtigte sein soll, der als Nebenberechtigter im Sinne des § 5 EisbEG in Betracht kommt. So ist etwa in den Erläuterungen zu dem Gesetzentwurf (Kaserer, 41, 42) ganz allgemein von demjenigen, der "ein tatsächliches Benützungsrecht" an einem enteigneten Gegenstand hat, und von der Mitentschädigung "persönlich Berechtigter usw." die Rede, auch wenn dann später vor allem der Mieter und Pächter behandelt werden. Aber auch nach dem Zwecke der Regelung der Entschädigung für eine Enteignung ließe es sich nicht rechtfertigen, daß zwar der obligatorisch berechtigte Bestandnehmer, nicht aber beispielsweise der Entlehner, dem gemäß § 972 ABGB auch ein Gebrauchsrecht an der entlehnten Sache zusteht (nach ständiger Rechtsprechung können auch Liegenschaften oder Liegenschaftsteile Gegenstand der Leihe sein, vgl. die Entscheidungen" unter Nr. 2 a zu § 971 ABGB in MGA[30]), geschützt sein sollte.

Johann B, dem die tatsächliche Verfügungsmacht über die Liegenschaft seit dem 1. Feber 1971 eingeräumt war (Punkt IV des Kaufvertrages), war daher schon von da an und nicht erst seit dem Abschluß der Vereinbarung vom 19. Feber 1973 ein Nebenberechtigter im Sinne des § 5 EisbEG, da ihm von da an, wenn auch nur auf Grund eines obligatorischen Rechtes, Nutzungs- und Gebrauchsrechte wie einem Eigentümer zustanden (vgl. dazu Wahle in Klang[2] IV/2, 57 ff.). Auf die Nachteile, die Johann B durch die Enteignung erlitt, ist daher ganz unabhängig von der Vereinbarung vom 19. Feber 1973 Bedacht zu nehmen. Daß die Antragstellerin sich zur Tragung der schon aufgelaufenen Planungs- und Abbruchkosten verpflichtete, entsprach damit ihrer aus § 5 EisbEG abzuleitenden Verpflichtung, auch wenn sie vielleicht irrtümlich der Ansicht gewesen sein mag, hier nur entgegenkommenderweise etwas zuzugestehen. Daß die Antragstellerin ihre Verpflichtung nach § 5 EisbEG durch den Abschluß der Vereinbarung vom 19. Feber 1973 schon vor der formellen Einleitung des Enteignungsverfahrens anerkannte, kann dabei nicht schaden. In der Vereinbarung vom 19. Feber 1973 ist bestimmt, daß die Auflösung des Kaufvertrages nur "wegen der drohenden Enteignung" vereinbart werde, die Antragstellerin müsse den Kaufpreis nur "aus dem zu erwartenden Enteignungserlös" rückerstatten und auch die aufgelaufenen Kosten sollte "aus dem Enteignungserlös" abgedeckt werden. Alles dies spricht eindeutig dafür, daß die ganze Vereinbarung den ausschließlichen Zweck hatte, dem Nebenberechtigten die ihm zustehende Schadloshaltung zu verschaffen.

Unrichtig ist freilich die Auffassung der Antragstellerin, daß es auf jeden Fall zum Freispruch der vollen 2 640 386 S kommen müsse. Dadurch, daß die Antragstellerin binnen der Jahresfrist des § 20 Abs. 3 BStG 1971 die Entscheidung des Gerichtes über die Höhe der Entschädigung für die enteignete und eingelöste Grundfläche begehrte, trat die verwaltungsbehördliche Entscheidung über die Höhe der Entschädigung, wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausführte, zur Gänze außer Kraft. Das Gericht hat in einem solchen Fall die Höhe der Entschädigung ohne Rücksicht auf die Vorentscheidung der Verwaltungsbehörde und ohne Bezugnahme auf diese festzusetzen. Die Entschädigung darf insgesamt nicht höher als der vom Enteigneten begehrte Betrag sein, es kann ihm aber auch weniger zugesprochen werden, als ihm im Verwaltungsverfahren zuerkannt worden war (SZ 46/74). Nicht Bedacht zu nehmen ist auch darauf - auch hier trifft die Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz zu -, ob es im Zuge des Enteignungsverfahrens zu einem verbindlichen Übereinkommen über die Höhe eines bestimmten Teiles der Entschädigung gekommen ist, weil die Antragstellerin die bescheidmäßige Festsetzung statt bloßer Beurkundung des Übereinkommens nur durch eine Anfechtung des bezüglichen Bescheides im Verwaltungswege bekämpfen hätte können (SZ 47/66).

Es muß daher geprüft werden, ob und in welcher Höhe angemessene Planungs- und Abbruchkosten aufliefen, die wegen der dazwischengekommenen Enteignung zum wertlosen Aufwand und damit - ohne Bedachtnahme auf den Vertrag vom 19. Feber 1973 - zu einem vergütungsfähigen Schaden gemäß §§ 4 Abs. 1 5 EisbEG wurden.