OGH vom 11.08.2005, 2Ob134/05b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bosco M*****, vertreten durch Dr. Georg Uitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. A***** AG, ***** 2. A***** GmbH, ***** 3. Georg K*****, alle vertreten durch Dr. Franz Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 9.760 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 37 R 69/05d-44, womit infolge Rekurses der beklagten Parteien der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 25 C 584/04a-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrt nach einem Verkehrsunfall mit der am beim Erstgericht eingebrachten Mahnklage Schadenersatz in Höhe von EUR 9.760 sA. Die beklagten Parteien erhoben gegen den am erlassenen Zahlungsbefehl fristgerecht Einspruch. Das Erstgericht beraumte für den die vorbereitende Tagsatzung an, zu der es unter anderen die Parteienvertreter lud. Zu dieser Tagsatzung erschien zwar der Kläger, nicht aber auch der (damalige) Klagevertreter. Auf Antrag des Beklagtenvertreters fällte das Erstgericht daraufhin ein Versäumungsurteil im klagsabweisenden Sinn. Noch vor Zustellung der Urteilsausfertigungen beantragte der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der vorbereitenden Tagsatzung und erhob mit weiterem Schriftsatz - unter gleichzeitiger Anzeige eines Vollmachtswechsels - Widerspruch gegen das Versäumungsurteil. In Befolgung eines Auftrages des Erstgerichtes begehrte er, zuerst über den Widerspruch zu entscheiden.
Die beklagten Parteien beantragten mit Schriftsatz vom die Zurückweisung des Widerspruches. Der Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil sei im bezirksgerichtlichen Verfahren gemäß § 442a Abs 1 ZPO idF ZVN 2002 auch für den Kläger ausgeschlossen, wenn in dem betreffenden Verfahren bereits Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl erhoben worden sei.
Das Erstgericht wies den Antrag der beklagten Parteien, den Widerspruch des Klägers zurückzuweisen, ab. Es vertrat die Ansicht, dem Kläger stehe im bezirksgerichtlichen Verfahren der Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil zu, wenn er sich nicht in der vorbereitenden Tagsatzung mündlich in den Streit eingelassen habe.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der beklagten Parteien Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass es den gegen das Versäumungsurteil vom erhobenen Widerspruch des Klägers zurückwies. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der in § 442a Abs 1 ZPO enthaltene Verweis auf § 397a ZPO erfasse nicht nur den Begriff des Widerspruches und die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, sondern auch das Grundprinzip des § 397a ZPO, wonach nur dem Beklagten der Widerspruch zustehe. Die Interpretation des Erstgerichtes führe zu einer Ungleichbehandlung des Klägers im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Gerichtshofverfahren, für die kein sachlicher Grund erkennbar sei. Auch sei den Materialien der ZVN 2002 zu entnehmen, dass der Gesetzgeber offenbar nur an ein Versäumungsurteil gegen den Beklagten gedacht habe.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung zu der Frage, ob der Kläger im bezirksgerichtlichen Verfahren gemäß § 442a Abs 1 ZPO idF ZVN 2002 zur Erhebung eines Widerspruches gegen ein Versäumungsurteil berechtigt sei, noch fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
Zu Recht zieht der Kläger die Befugnis des Rekursgerichtes zur meritorischen Erledigung des Rekurses der beklagten Parteien nicht in Zweifel, da der Rechtsmittelausschluss des § 397a Abs 3 letzter Satz ZPO (hier in Verbindung mit § 442a Abs 1 ZPO) nach herrschender Rechtsprechung nicht für Beschlüsse gilt, mit denen die Zurückweisung des Widerspruches abgelehnt wurde (RIS-Justiz RS0040948 [T 2], RS0040885, zuletzt 8 ObA 193/02v). Er meint jedoch, auch ein negatives Versäumungsurteil falle unter die Regelung des § 442a Abs 1 erster Satz ZPO. Eine allfällige Ungleichbehandlung gegenüber dem Kläger in einem Gerichtshofverfahren entspreche dem Willen des Gesetzgebers und sei mit der Besonderheit des bezirksgerichtlichen Verfahrens zu erklären. Dazu stehe nicht im Gegensatz, dass in den Materialien der ZVN 2002 nur an die Säumnis des Beklagten gedacht worden sei. Der in § 442a Abs 1 zweiter Satz ZPO geregelte Ausschluss der Widerspruchsmöglichkeit gelte nur für jene Partei, die zuvor Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl erhoben habe. Der Widerspruch des Klägers sei daher zulässig.
Hiezu wurde erwogen:
Durch die Zivilverfahrens-Novelle (ZVN) 2002 wurde unter anderem der Widerspruch gegen das Versäumungsurteil neu geregelt. Im Gerichtshofverfahren ist ein Widerspruch nur noch dann zulässig, wenn der Beklagte die rechtzeitige Erstattung der Klagebeantwortung versäumt und dies zu einem Versäumungsurteil geführt hat. Ein Widerspruch des Klägers kommt nach der insoweit eindeutigen Textierung des § 397a Abs 1 ZPO nicht mehr in Betracht.
Im bezirksgerichtlichen Verfahren räumt hingegen § 442a Abs 1 ZPO seinem Wortlaut nach „der säumigen Partei" die Möglichkeit ein, gegen ein Versäumungsurteil Widerspruch nach § 397a (ZPO) zu erheben, es sei denn, dass sie in diesem Verfahren schon einmal Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil erhoben hat. Der Widerspruch ist ausgeschlossen, wenn in dem Verfahren bereits Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl oder Einwendungen im Mandatsverfahren oder im Bestandverfahren erhoben wurden.
Diese Formulierung löste im Schrifttum die Diskussion der Frage aus, ob dem Kläger im bezirksgerichtlichen Verfahren - anders als im Gerichtshofverfahren - weiterhin der Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil offen steht.
Rechberger/Simotta lehren im Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts6 505 (FN 100), dass dem Kläger im bezirksgerichtlichen Verfahren der Widerspruch zusteht, wenn er sich nicht in der vorbereitenden Tagsatzung mündlich in den Streit eingelassen hat.
Diese Ansicht teilt auch Frauenberger (Die ZVN 2002 - Neuerungen im Zivilprozessrecht, ÖJZ 2002, 874 FN 17), der jedoch gegen die Regelung unter „Gleichheitsgesichtspunkten" Bedenken äußert und mit dem Hinweis auf den Justizausschussbericht (JAB) überdies in Frage stellt, „ob dies... vom Gesetzgeber überhaupt so gemeint war."
M. Bydlinski (ZPO, 255) vertritt hingegen die Auffassung, der in § 442a Abs 1 ZPO normierte Ausschluss der Widerspruchsmöglichkeit müsse auch für den Kläger gelten, der sich in seiner Klage ebenfalls bereits schriftlich in das Verfahren eingelassen habe, zumal dessen Schutzwürdigkeit bzw Schutzbedürftigkeit weder von der Verfahrensart noch gar vom prozessualen Verhalten des Beklagten abhängen könne und im Gerichtshofverfahren ein Widerspruch des Klägers nie in Betracht komme. Auch wenn die (passive) Formulierung des Abs 1 Satz 2 rein grammatikalisch so verstanden werden könnte, dass außerhalb dieser Fälle auch dem Kläger der Widerspruch zukomme, wenn er die ohne eine solche (schriftliche) Streiteinlassung des Beklagten anberaumte Tagsatzung versäumt hat, so ergebe sich schon aus dem Bericht des Justizausschusses, dass hier nur an die Widerspruchsmöglichkeit des Beklagten gedacht gewesen sei. Es erschiene auch willkürlich, das Widerspruchsrecht des Klägers davon abhängig zu machen, ob sich sein Gegner schriftlich oder mündlich auf den Streit einzulassen hat, wenn sein eigenes Verhalten in allen Fällen gleichermaßen darin liege, der (auf seine Klageerhebung zurückgehenden) Ladung zur (vorbereitenden) Tagsatzung nicht entsprochen zu haben. Niemals könne ihm zugute gehalten werden, „die erste Verfahrenshandlung" versäumt zu haben.
Nach Deixler-Hübner (in Beys-FS, 209 ff [218] und in Fasching/Konecny² III § 397a ZPO Rz 3 f) sei § 442a Abs 1 ZPO teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass der Widerspruch im bezirksgerichtlichen Verfahren wie auch im Gerichtshofverfahren nur dem Beklagten zustehe. Ein Blick in die Materialien zeige, dass der Gesetzgeber offenbar eine Ungleichbehandlung des Klägers im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Gerichtshofverfahren nicht bewusst angestrebt habe. Dieser Wertungswiderspruch lege ein Redaktionsversehen nahe.
Auch G. Kodek (in Fasching/Konecny² III § 442a ZPO Rz 4) gelangt zu dem Ergebnis, dass ein Widerspruchsrecht des Klägers verneint werden müsse. Auch wenn der Wortlaut des § 442a Abs 1 ZPO ohne weitere Differenzierung nur das Vorliegen eines Versäumungsurteiles vorzusetzen scheine, würde eine wortgetreue Auslegung zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung gegenüber dem Gerichtshofverfahren führen. Ein sachlicher Grund dafür, warum dem Kläger im bezirksgerichtlichen Verfahren eine Möglichkeit zur Bekämpfung der eigenen Säumnis zur Verfügung stehen solle, die ihm im Gerichtshofverfahren nicht eingeräumt sei, sei nicht ersichtlich. Der Verweis des § 442a Abs 1 ZPO auf § 397a ZPO könne nur dahin verstanden werden, dass davon nicht nur der Begriff des Widerspruchs und die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, sondern auch das Grundprinzip des § 397a ZPO, wonach nur dem Beklagten der Widerspruch zustehe, erfasst sei (in diesem Sinn auch Beran ua, RZ 2003, 11).
Der erkennende Senat schließt sich jener Auffassung an, nach welcher der Kläger im bezirksgerichtlichen Verfahren keinen Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil hat. Gerade dann, wenn der Wortlaut einer gesetzlichen Bestimmung eine vom Gesetzgeber offensichtlich nicht bedachte Auslegung zulässt, ist es erforderlich, über die bloße Wortinterpretation hinaus nach dem Sinn des Gesetzes zu fragen (vgl JBl 1999, 329; 8 ObA 193/02v). Ziel der ZVN 2002 war es, gerichtliche Verfahren schneller und effizienter zu gestalten (Allgemeiner Teil der Erl RV 962 BlgNR 21. GP 16 f). Während die Regierungsvorlage noch die völlige Beseitigung des Widerspruchs vorsah, erschien dem Justizausschuss diese Maßnahme „aus Rechtsschutzgründen" als zu weitgehend. Von einer gänzlichen Abschaffung des Widerspruchs wurde daher abgesehen. Zu der infolge der Neuregelung des Versäumungsurteiles notwendigen Anpassung des Widerspruchsrechts enthält der JAB (1049 BlgNR 21. GP 2) folgende Erläuterungen:
„Auch weil der bisherigen Ausübung des Widerspruchsrechts manchmal ein Verzögerungsaspekt innewohnt, soll - dem Beschleunigungsgedanken der Novelle folgend - nur dann ein Widerspruch zulässig sein, wenn die erste Verfahrenshandlung versäumt wird und dies zu einem Versäumungsurteil führt, nicht aber, wenn eine weitere Verfahrenshandlung versäumt wird. Im Gerichtshofverfahren soll daher gegen Versäumungsurteile, die wegen nicht rechtzeitiger Erstattung der Klagebeantwortung ergehen, im bezirksgerichtlichen Verfahren gegen solche, die wegen der Versäumung der ersten mündlichen Verhandlung ohne vorangegangene gesetzlich vorgesehene schriftliche Äußerung (Einspruch, Einwendungen) ergehen, ein Widerspruch zulässig sein. Hat die Partei daher bereits eine Klagebeantwortung, einen Einspruch oder Einwendungen erhoben und versäumt sie dann die erste mündliche Streitverhandlung (vorbereitende Tagsatzung), so soll gegen das dann ergehende Versäumungsurteil kein Widerspruch mehr möglich sein."
Diese Ausführungen sind von dem zentralen Gedanken getragen, dass schriftliches Vorbringen einer Partei („die erste Verfahrenshandlung") die Zulässigkeit des Widerspruches schlechthin ausschließen soll. Da der Wunsch nach einer abweichenden Regelung von Gerichtshofverfahren und bezirksgerichtlichem Verfahren aus dem JAB nicht ableitbar ist, für eine solche auch kein sachlicher Grund zu finden wäre und eine Widerspruchsmöglichkeit des Klägers mit dem erklärten Ziel der ZVN 2002, der Verfahrensbeschleunigung, kaum in Einklang gebracht werden könnte, ist auch im bezirksgerichtlichen Verfahren das Recht des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil auf Fälle der Beklagtensäumnis zu reduzieren. Durch diese - verfassungskonforme - Interpretation wird ein sonst zwischen § 397a und § 442a ZPO bestehender, sachlich nicht gerechtfertigter Widerspruch vermieden.
Das Rekursgericht hat den Widerspruch des Klägers daher zutreffend zurückgewiesen, sodass nunmehr über dessen Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden sein wird.
Dem Revisionsrekurs war ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 40, 50, 52 Abs 1 ZPO.