OGH vom 24.06.2004, 6Ob124/04k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Kalivoda und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Franz K*****, vertreten durch DDr. Hopmeier Rechtsanwalts KEG in Wien, gegen die beklagte Partei Alexandra S*****, vertreten durch Rechtsanwälte OEG Dr. Kostelka-Reimer & Dr. Fassl in Wien, wegen 2.965,91 EUR und Räumung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 40 R 294/03m-43, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom , GZ 9 C 1252/02w-27, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit am beim Erstgericht eingelangter Klage begehrte der Kläger die Räumung der der Beklagten vermieteten Wohnung und Zahlung des rückständigen Mietzinses von insgesamt 2.965,91 EUR.
Das Erstgericht gab mit dem gemäß § 399 ZPO idF vor der ZVN 2002 (der hier gemäß Art XI Abs 2 BGBl I Nr 76/2002 noch anzuwenden ist) erlassenen "unechten" Versäumungsurteil vom dem Klagebegehren statt. Dieses Urteil wurde der Beklagten am zugestellt. Am langte ein von der Beklagten selbst verfasstes Rechtsmittel ein, das sie als "Rekurs gegen die Kostenentscheidung und Prozesskostenentscheidung, Berufung gegen das Verfahren wegen Nichtigkeit und wegen einer ihm zugrundeliegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung; Rekurs, da die gesetzmäßige Fortsetzung der Klage verhindert wurde (§ 517 Abs 1 Z 1 ZPO); überhaupt Berufung und Kostenrekurs gegen das gesamte Urteil" bezeichnete und auch inhaltlich ausführte. Des weiteren begehrte die Beklagte im selben Schreiben die Beigebung eines Verfahrenshilfeanwalts. Das Erstgericht stellte der Beklagten das Schreiben zur Verbesserung binnen 14 Tagen durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt oder durch Vorlage eines Verfahrenshilfeantrags mit einem vollständig ausgefüllten Vermögensbekenntnis zurück. Ein solches legte die Beklagte innerhalb der Verbesserungsfrist vor. Mit Beschluss vom (ON 31) wies das Erstgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen das Urteil wegen offenbarer Mutwilligkeit und Aussichtslosigkeit der Prozessführung ab. Gegen diesen Beschluss erhob der Beklagte innerhalb der Rechtsmittelfrist einen selbst verfassten Rekurs. Diesen stellte ihr das Erstgericht zur Verbesserung binnen 14 Tagen durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt (obgleich insoweit keine Anwaltspflicht besteht) zurück. Innerhalb dieser Frist begehrte die Beklagte abermals die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang "wegen Rekurs und Berufung - Rechtsanwaltsunterschrift", wobei das Antragsformular für Bewilligung der Verfahrenshilfe teilweise (bei den Schulden und den Unterhaltsansprüchen und -pflichten) in englischer Sprache ausgefüllt worden war.
Daraufhin fasste das Erstgericht am drei getrennt ausgefertigte Beschlüsse:
Mit Beschluss ON 35 forderte es die Beklagte zur Verbesserung des Rekurses gegen die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags durch Anwaltsunterschrift oder protokollarisches Anbringen binnen 14 Tagen auf; mit Beschluss ON 36 wies es den "Rekurs gegen den Kostenbeschluss und die Berufung gegen das Urteil vom " zurück, weil der gegen den Beschluss auf Abweisung des Verfahrenshilfeantrags zur Erhebung der Berufung erhobene Rekurs trotz des Verbesserungsauftrags nicht anwaltlich gefertigt worden sei; mit Beschluss ON 37 wies es die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen das Urteil vom und zur Erhebung des Rekurses gegen den Beschluss vom (Abweisung des Verfahrenshilfeantrags) wegen Mutwilligkeit und Aussichtslosigkeit der Prozessführung ab. Alle drei Beschlüsse wurden der Beklagten am zugestellt.
Innerhalb der Rechtsmittelfrist gab die Beklagte eine "Beschwerde wegen der ständigen Abweisung der Verfahrenshilfe" zur Post, in der sie unter anderem das Oberlandesgericht Wien um Überprüfung der Vorgangsweise des Erstgerichtes ersuchte und abermals einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe stellte. Mit Beschluss vom (ON 39) wies das Erstgericht diesen als Beschwerde bezeichneten Schriftsatz zurück, weil unklar sei, gegen welche Beschlüsse sich die Beschwerde richte und weil im Rekursverfahren die Unterschrift eines Rechtsanwalts erforderlich sei. Dieser Beschluss wurde der Beklagten am zugestellt.
Am gab die Beklagte, nunmehr durch einen Rechtsanwalt vertreten, eine Berufung gegen das Urteil des Erstgerichtes vom zur Post, in der sie Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend machte. Zur Rechtzeitigkeit führte sie aus, dass die Berufungsfrist gemäß § 464 Abs 3 ZPO erst mit der Zustellung des Beschlusses vom (ON 37), mit dem das Erstgericht den Antrag auf Verfahrenshilfe für die Rekurserhebung gegen den Beschluss vom abgewiesen habe, zu laufen begonnen habe.
Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. Im Zeitpunkt der Erhebung dieses Rechtsmittels sei der Beschluss des Erstgerichtes auf Zurückweisung der von der Beklagten ohne Anwaltsunterfertigung erhobenen ersten Berufung bereits rechtskräftig gewesen. Dabei handle es sich um einen prozessbeendenden Beschluss, der zur Folge habe, dass die durch die Zurückweisung betroffene Partei nicht neuerlich ein Rechtsmittel erheben könne. Ein neuerlich erhobenes Rechtsmittel verstoße auch gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Rekurs der Beklagten ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und auch berechtigt.
Im Rekurs wird ausgeführt, dass die Überreichung eines zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung nicht geeigneten Schreibens, das wegen seiner formellen Mängel unbeachtlich sei, die Einbringung einer ordnungsgemäßen Berufung innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht hindere. Die Berufungsfrist habe hier erst mit dem Eintritt der Rechtskraft des den Verfahrenshilfeantrag abweisenden Beschlusses des Erstgerichtes vom , der innerhalb der "Gerichtsferien" zugestellt worden sei, zu laufen begonnen. Bis dahin sei überhaupt keine Berufung der Beklagten vorgelegen. Mit Beschluss ON 36 habe das Erstgericht nur ein - wegen Fehlens der Anwaltsunterschrift - zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung nicht geeignetes Schreiben der Beklagten zurückweisen wollen. Keinesfalls habe eine Berufung der Beklagten, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wirksam erhoben worden sei, zurückgewiesen werden können. Der Zurückweisungsbeschluss habe daher auch keine prozessbeendende Wirkung gehabt.
Diesen Ausführungen ist im Wesentlichen beizupflichten. Das vom Erstgericht eingeleitete Verbesserungsverfahren wegen fehlender Anwaltsunterschrift und das nachfolgende Verfahren über den Verfahrenshilfeantrag der Beklagten zur Erhebung der Berufung war erst mit der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Unterfertigung des Rekurses gegen den Beschluss, mit dem die Bewilligung der Verfahrenshilfe versagt wurde (ON 37) abgeschlossen. Erst ab diesem Zeitpunkt begann gemäß § 464 Abs 3 ZPO die Berufungsfrist zu laufen. Der genannte Beschluss wurde der Beklagten am , somit innerhalb der verhandlungsfreien Zeit (§§ 222 ff ZPO) zugestellt, sodass die Berufungsfrist bei Erhebung der Berufung am noch nicht abgelaufen war. Der Umstand, dass die Beklagte innerhalb der Berufungsfrist nicht bloß einen Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Berufung stellte, sondern auch selbst Berufungsgründe darlegte und ihren Antrag als Berufung bezeichnete, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen. Bei der Frage, ob § 464 Abs 3 ZPO zur Anwendung kommt, kann es keinen Unterschied machen, ob die Partei zusätzlich zu ihrem Antrag auf Verfahrenshilfe auch ausdrücklich darlegt, dass und warum sie gegen die Entscheidung des Gerichtes ein Rechtsmittel ergreifen will.
Die Rechtsprechung hielt zwar auch nach der Zivilverfahrensnovelle 1983, die eine erweiterte Verbesserungsmöglichkeit von Schriftsätzen schuf, am Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels fest (RIS-Justiz RS0036673), lässt aber den Austausch (oder die Verbesserung) von Rechtsmittelschriften zu, wenn die ursprüngliche Rechtsmittelschrift an einem den - nunmehr erweiterten - Verbesserungsvorschriften entsprechenden Mangel gelitten hat. (Nur) wenn kein fehlerhaftes Rechtsmittel vorgelegen ist, ist der Austausch unzulässig. Die Einbringung eines neuen Rechtsmittels neben oder anstatt des ursprünglichen wird somit (nur) in jenen Fällen als unzulässig angesehen, in denen der Rechtsmittelwerber ein formal einwandfreies, zur meritorischen Behandlung geeignetes Rechtsmittel einbringt und dieses (noch während der Rechtsmittelfrist) abändern oder ergänzen will (Kodek in Fasching/Konecny2 II/2 §§ 84, 85 ZPO Rz 141, 142 mwN). Der Obersten Gerichtshof hat auch bereits mehrfach entschieden, dass ein Schriftsatz, der bei Bestehen einer Anwaltspflicht von einer nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen Partei während der Rechtsmittelfrist eingebracht wurde oder aus dem zu entnehmen ist, dass diese Partei die Entscheidung anfechten möchte, wegen Postulationsunfähigkeit der Partei noch kein zur ordnungsgemäßen geschäftlichen Behandlung als Rechtsmittel geeigneter Schriftsatz ist und der in der Folge das Rechtsmittel verfassende Rechtsanwalt nicht an den den Verbesserungsauftrag auslösenden Schriftsatz gebunden ist (3 Ob 160/01b mwN).
Daraus folgt, dass die Beklagte ihr Rechtsmittelrecht - das Recht auf Einbringung einer den formellen und inhaltlichen Anforderungen entsprechenden Berufung - nicht schon dadurch verwirkt hat, dass sie zugleich mit ihrem Verfahrenshilfeantrag eine selbst verfasste Berufung erhob, die zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung mangels Anwaltsunterschrift nicht geeignet und unwirksam war und (deshalb) vom Erstgericht zurückgewiesen wurde.
Der vom Berufungsgericht angenommene Zurückweisungsgrund liegt daher nicht vor. Das Berufungsgericht wird (neuerlich) über die Berufung zu entscheiden haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.