OGH 13.11.2007, 4Ob165/07d
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F***** Privatstiftung, *****, 2. Thomas R*****, beide vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Michel Walter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gisela W*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Thomas Wallentin, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Zahlung von 20.084,04 EUR sA, Rechnungslegung und Zahlung eines noch unbestimmten Geldbetrags (Gesamtstreitwert 62.084,04 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 4 R 199/06y-32, mit welchem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 17 Cg 2/07m-12, in der mit Beschluss vom , GZ 17 Cg 2/07m-24, berichtigten Fassung, teilweise bestätigt wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Antrag der klagenden Parteien, die beklagte Partei zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung zu verpflichten, wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Die Erstklägerin ist eine Stiftung, deren Zweck unter anderem die Wahrung und Pflege des künstlerischen Nachlasses eines bekannten Sängers ist. Stifterin war unter anderem die Mutter des Sängers, die als Erbin über dessen Urheber- und Leistungsschutzrechte verfügte und diese Rechte in die Stiftung einbrachte. Der Zweitkläger war Mitglied in der Musikgruppe des Sängers und betreibt ein Tonstudio. Die in München ansässige Beklagte vertrieb Audioaufnahmen (CDs) und Videoaufnahmen (DVDs) eines Konzerts, das der Sänger im Jahr 1993 gegeben hatte.
Die Kläger begehrten Zahlung von 20.084,04 EUR sA sowie Rechnungslegung über den Verkauf der DVDs und CDs und Zahlung eines sich daraus ergebenden, derzeit noch unbestimmten Geldbetrags. Für die DVDs stützten sie sich dabei auf einen zwischen den Parteien bestehenden Lizenzvertrag, für die CDs hingegen - da insofern keine Lizenz erteilt worden sei - auf den Eingriff in ihr Urheberrecht. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichtes ergebe sich aus dem inländischen Verletzungsort (Art 5 Nr 3 EuGVVO).
Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts. Die Kläger machten Ansprüche aus vertraglichen Vereinbarungen geltend, sodass Art 5 Nr 3 EuGVVO nicht anwendbar sei. Erfüllungsort des Vertrags sei nicht Wien, sondern München. Der Lizenzvertrag habe auch für die von ihr vertriebenen CDs gegolten. Die Lizenzentgelte seien jedoch anders als von den Klägern behauptet zu berechnen. Weiters stehe der Beklagten eine Gegenforderung von 4.445,60 EUR zu. Der Zweitkläger habe sich verpflichtet, die Tonspur des Konzertmitschnitts zu bearbeiten. Wegen dabei aufgetretener Mängel sei er zum Ersatz der vorerst von der Beklagten getragenen Kosten einer weiteren Bearbeitung verpflichtet. Die Erstklägerin sei zudem nicht aktiv legitimiert.
Das Erstgericht verwarf in der vorbereiteten Tagsatzung die Unzuständigkeitseinrede, ohne die Verhandlung auf diese Frage zu beschränken. Den Beschluss fertigte es zunächst nicht aus. In der Sache stellte das Erstgericht mit Teilurteil das Bestehen der Klageforderung mit 19.802,04 EUR und das Nichtbestehen der Gegenforderung fest und verpflichtete die Beklagte demgemäß zur Zahlung von 19.802,04 EUR sA; das Mehrbegehren von 282 EUR sA wies es ab. Weiters gab es dem Rechnungslegungsbegehren statt und behielt die Entscheidung über das Zahlungsbegehren der Endentscheidung vor. Die Erstklägerin sei aktiv legitimiert, weil die Mutter des Künstler alle Urheber- und Leistungsschutzrechte eingebracht habe. Die Bestreitung der Aktivlegitimation sei zudem substanzlos geblieben. Der Lizenzvertrag sei mit einem bestimmten Inhalt für die Verwertung des Mitschnitts als Video-DVD zustande gekommen. Aus den bereits bekannten Umsätzen errechne sich danach eine Klageforderung von 19.802,04 EUR. Die Gegenforderung bestehe nicht zu Recht, da die Bearbeitung durch den Zweitkläger fehlerfrei gewesen sei. Daher sei die Beklagte zur Zahlung von 19.802,04 EUR sA verpflichtet; das Mehrbegehren sei abzuweisen. Darüber hinaus habe die Beklagte aufgrund des Lizenzvertrags auch Rechnung über die weiteren DVD-Umsätze zu legen. In Bezug auf die Audio-CDs sei demgegenüber kein Lizenzvertrag zustande gekommen. Die Beklagte habe daher durch die Verbreitung der CDs in das Urheberrecht der Kläger eingegriffen. Ihre Zahlungspflicht ergebe sich hier unmittelbar aus dem Gesetz. Auch insofern sei die Beklagte zur Rechnungslegung verpflichtet. Den die Unzuständigkeitseinrede verwerfenden Beschluss fertigte das Erstgericht letztlich gesondert aus. Der Gerichtsstand der Schadenszufügung nach Art 5 Nr 3 EuGVVO sei wegen der Verbreitung der CD in Österreich begründet. Aus prozessökonomischen Gründen sei die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für den gesamten Sachverhalt zu bejahen.
Die Abweisung des Teilbegehrens von 282 EUR sA wurde rechtskräftig. Die Beklagte bekämpfte in ihrer Berufung die Zuständigkeitsentscheidung des Erstgerichts und beantragte primär die Zurückweisung der Klage. Weiters brachte sie - unter Hinweis auf Zeitungsberichte - vor, dass die Mutter des Künstlers bei Einbringung der Verwertungsrechte in die Erstklägerin geschäftsunfähig gewesen sei. Daher stehe die Erstklägerin „vor der Auflösung". Bei diesem Vorbringen handle es sich zwar um eine Neuerung, diese sei jedoch zulässig, weil sie mit der „fehlenden Aktivlegitimation" eine „jederzeit wahrzunehmende Prozessvoraussetzung" betreffe. Das Urteil sei zudem nichtig, hilfsweise mit einem Verfahrensmangel behaftet, weil das Erstgericht die „Bejahung der Aktivlegitimation" nicht begründet habe. Weiters lägen unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung vor.
Das Berufungsgericht bejahte die Parteifähigkeit der Erstklägerin. Selbst wenn die Stifterin geschäftsunfähig gewesen sein sollte, sei doch aus Gründen des Vertrauensschutzes jedenfalls bis zu einer allfälligen Löschung der Stiftung von deren Parteifähigkeit auszugehen. Soweit sich das angefochtene Urteil auf Ansprüche aufgrund der Verbreitung der DVDs bezog (Zahlung von 19.802,04 EUR sA und Rechnungslegung), hob das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts auf, erklärte das darüber geführte Verfahren für nichtig und wies die Klage insofern und auch in Bezug auf das unbestimmte Zahlungsbegehren zurück. Im Übrigen verwarf es die Berufung, soweit die Beklagte damit Nichtigkeit geltend gemacht hatte. Das Berufungsgericht bewertete den Gegenstand dieses Teils seiner Entscheidung mit über 20.000 EUR, setzte aber - entgegen RIS-Justiz RS0116348 - in Hinblick auf die Klagszurückweisung keinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsmittels. Soweit sich das Teilurteil auf die Audio-CDs bezog, gab das Berufungsgericht der Berufung nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands auch insofern 20.000 EUR übersteige und dass die Revision zulässig sei. Die Beklagte habe die Aktivlegitimation der Erstklägerin nur unter Hinweis darauf bestritten, dass diese erst nach Abschluss des Lizenzvertrags gegründet worden sei. Das Erstgericht habe aber festgestellt, dass die Mutter des Künstlers dessen Urheber- und Leistungsschutzrechte in die Erstklägerin eingebracht habe. Eine allfällige Geschäftsunfähigkeit der Gründerin sei, wie bereits im Zusammenhang mit der Parteifähigkeit ausgeführt, unerheblich. In der Rechtsrüge habe die Beklagte nur vorgebracht, dass das Erstgericht zur Frage, ob eine Willenserklärung der Mutter des Künstlers vorliege, keine Feststellungen getroffen habe. Das Erstgericht habe aber ohnehin festgestellt, dass die Mutter sämtliche Urheber- und Leistungsschutzrechte an den Werken und Darbietungen des Künstlers in die Erstklägerin eingebracht habe. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, wie sich der Mangel der Geschäftsfähigkeit eines von mehreren Stiftern auf die Parteifähigkeit einer eingetragenen Stiftung auswirke. Eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit könne nach 5 Ob 2102/96w vom Obersten Gerichtshof wahrgenommen werden, wenn das Berufungsgericht die Nichtigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache verworfen habe und sich daraus Feststellungsmängel - hier zur Frage, ob die Stifterin bei der Gründung geschäftsfähig gewesen sei - ergäben.
Gegen diese Entscheidung richten sich Rechtsmittel beider Seiten. Die Kläger bekämpfen die teilweise Zurückweisung der Klage und streben eine Sachentscheidung auch über ihre vertraglichen Ansprüche an. Darüber ist wegen des insofern erforderlichen Vorabentscheidungsersuchens gesondert zu entscheiden. Hier zu erledigen ist daher nur die Revision der Beklagten. Sie verweist auf die angeblich fehlende Geschäftsfähigkeit der Stifterin und leitet daraus ab, dass die Erstklägerin nicht parteifähig, zumindest aber mangels wirksamer Einbringung der Rechte des Sängers, für deren Geltendmachung nicht aktiv legitimiert sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässig.
1. Soweit die Revision die mangelnde Parteifähigkeit der Erstklägerin geltend macht, ist sie jedenfalls unzulässig.
1.1. Hat das Berufungsgericht das Vorliegen eines Prozesshindernisses von Amts wegen geprüft und - wenn auch nur in den Gründen seiner Entscheidung - ausdrücklich verneint, so liegt darin nach stRsp eine den Obersten Gerichtshof bindende, weil nach § 519 Abs 1 ZPO unanfechtbare Entscheidung (6 Ob 599/81 = SZ 54/190; RIS-Justiz RS0039226; Kodek in Rechberger3 § 519 Rz 2; vgl auch Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 519 Rz 51). Diese Fallgestaltung unterscheidet sich von der nach einem Teil der jüngeren Rsp grundsätzlich bekämpfbaren (4 Ob 218/06x, 6 Ob 276/06s, 9 Ob 25/07b) Abänderung einer vom Erstgericht ausgesprochenen Klagszurückweisung. Denn die Entscheidung eines Berufungsgerichts setzt notwendigerweise eine bekämpfte Sachentscheidung und damit die (zumindest implizite) Verneinung eines Prozesshindernisses auch durch das Erstgericht voraus. Es liegen daher - anders als bei der Abänderung einer Klagszurückweisung - keine difformen Entscheidungen vor.
1.2. Die vom Berufungsgericht für die Zulässigkeit des Rechtsmittels zitierte Entscheidung 5 Ob 2102/96w (= EvBl 1997/31) betraf einen anderen Fall: Dort hatte das Rekursgericht in einem wohnrechtlichen Außerstreitverfahren über die Bestellung eines vorläufigen Verwalters aufgrund seiner in der Hauptsache vertretenen, jedoch verfehlten Rechtsansicht, dass allein die zugestandenen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Antragstellern und den Antragsgegnern die Verwalterbestellung rechtfertigten, die Beiziehung der Antragsgegner nicht für erforderlich gehalten. Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs konnte die vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeit wahrgenommen werden, da die Nichtbeteiligung der Antragsgegner zu sekundären Feststellungsmängeln geführt hatten. Diese Formulierung bezog sich allerdings, wie aus dem Zusammenhang deutlich hervorgeht, auf sekundäre Feststellungsmängel in der Hauptsache, nicht in Bezug auf den Nichtigkeitsgrund selbst.
1.3. Wären hingegen, wie das Berufungsgericht annimmt, sekundäre Feststellungsmängel in Bezug auf den Nichtigkeitsgrund maßgebend, so stünde die Entscheidung 5 Ob 2102/96w in diametralem Widerspruch zur eingangs zitierten Rechtsprechung, ohne dass das auch nur ansatzweise begründet worden wäre. Denn die Rechtsmittelbeschränkung des § 519 Abs 1 ZPO verhindert das Aufgreifen der Verneinung einer Nichtigkeit durch das Berufungsgericht auch und gerade dann, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung mit rechtlichen Erwägungen begründet hat. Dabei kann nicht zwischen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung eines zur Nichtigkeitsfrage festgestellten Sachverhalts und der aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung unterbliebenen Feststellung insofern erheblicher Sachverhaltselemente unterschieden werden. Denn in beiden Fällen wirft das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vor, dass es die Rechtslage in der Nichtigkeitsfrage verkannt habe; ein rechtlich erheblicher Unterschied ist nicht zu erkennen. Es wäre nicht nachvollziehbar, hielte man die Revision im hier zu beurteilenden Fall wegen sekundärer Feststellungsmängel zur Geschäftsunfähigkeit der Stifterin für zulässig, müsste aber anders entscheiden, wenn die Erstklägerin die Geschäftsunfähigkeit außer Streit gestellt hätte und daher insofern kein Feststellungsmangel vorläge. An der Entscheidung des Berufungsgerichts hätte eine solche Außerstreitstellung nichts geändert.
1.4. Es ist daher daran festzuhalten, dass die ausdrückliche Verneinung einer Nichtigkeit durch das Berufungsgericht in Überprüfung eines in erster Instanz ergangenen Urteils nicht mit Revision (oder Rekurs) bekämpft werden kann. Soweit sich das Rechtsmittel der Beklagten auf die angeblich fehlende Parteifähigkeit der Erstklägerin stützt, ist es aus diesem Grund jedenfalls unzulässig.
2. Nicht jedenfalls unzulässig ist die Revision demgegenüber in der Hauptsache. Denn die Entscheidung über die Frage der Sachlegitimation (Aktiv- oder Passivlegitimation) ist nichts anderes als die meritorische Entscheidung über den Klageanspruch im Hinblick auf seine subjektiven Voraussetzungen (RIS-Justiz RS0035170); es handelt sich dabei - anders als von der Beklagten in der Berufung angenommen - um keine Prozessvoraussetzung (6 Ob 94/01v).
In diesem Punkt macht die Beklagte allerdings keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Denn ihre Erwägungen zur angeblich fehlenden „Aktivlegitimation" der Erstklägerin - die im Verhältnis zum Zweitkläger jedenfalls unerheblich sind - beruhen ausschließlich auf der Behauptung, dass die Mutter des Künstlers bei Einbringung der Rechte in die erstklagende Stiftung nicht geschäftsfähig gewesen sei. Dafür fehlt aber jedes erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten, die dafür behauptungs- und beweispflichtig gewesen wäre (RIS-Justiz RS0014645). Das Berufungsgericht hatte daher auf dieses Rechtsmittelvorbringen schon wegen des Neuerungsverbots nicht einzugehen.
3. Aufgrund dieser Erwägungen ist die Revision zurückzuweisen. Der Antrag der Kläger auf Zuspruch der Kosten für die Revisionsbeantwortung ist abzuweisen, weil sie nicht auf die Unzulässigkeit hingewiesen haben.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F***** Privatstiftung, *****, 2. Thomas R*****, beide vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Michel Walter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Gisela W*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Thomas Wallentin, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Zahlung von 20.084,04 EUR sA, Rechnungslegung und Zahlung eines noch unbestimmten Geldbetrags (Gesamtstreitwert 62.084,04 EUR), im Verfahren über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 199/06y-32, mit welchem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 17 Cg 2/07m-12, in der mit Beschluss vom , GZ 17 Cg 2/07m-24, berichtigten Fassung, teilweise aufgehoben und die Klage im Umfang der Aufhebung unter Nichtigerklärung des darüber geführten Verfahrens zurückgewiesen wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist ein Vertrag, mit dem der Inhaber eines Immaterialgüterrechts seinem Vertragspartner das Recht zur Nutzung dieses Rechts einräumt (Lizenzvertrag), ein Vertrag über die „Erbringung von Dienstleistungen" im Sinn von Art 5 Nr 1 lit b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I - VO)?
2. Bei Bejahung von Frage 1:
2.1. Wird die Dienstleistung an jedem Ort in einem Mitgliedstaat erbracht, an dem die Nutzung des Rechts nach dem Vertrag gestattet ist und auch tatsächlich erfolgt?
2.2. Oder wird die Dienstleistung am Wohnsitz bzw am Ort der Hauptverwaltung des Lizenzgebers erbracht?
2.3. Ist das bei Bejahung von Frage 2.1 oder Frage 2.2 zuständige Gericht auch zur Entscheidung über Lizenzentgelte befugt, die sich aus der Nutzung des Rechts in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat ergeben?
3. Bei Verneinung von Frage 1 oder von Frage 2.1 und Frage 2.2: Ist die Zuständigkeit für die Zahlung des Lizenzentgelts nach Art 5 Nr 1 lit a und c Brüssel I - VO weiterhin nach jenen Grundsätzen zu beurteilen, die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art 5 Nr 1 des Übereinkommens vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüsseler Übereinkommen) ergeben?
II. Das Verfahren über das Rechtsmittel der Kläger wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
I. Sachverhalt
Die Erstklägerin ist eine österreichische Stiftung, deren Zweck unter anderem die Wahrung und Pflege des künstlerischen Nachlasses eines bekannten Sängers ist. Stifterin war ua die Mutter des Sängers, die als Erbin über dessen Urheber- und Leistungsschutzrechte verfügte und diese Rechte in die Stiftung einbrachte. Der Zweitkläger gehörte der Musikgruppe des Sängers an und betreibt in Wien ein Tonstudio. Die in München ansässige Beklagte vertrieb Videoaufnahmen (DVDs) und Tonaufnahmen (CDs) eines Konzerts, das der Künstler mit seiner Musikgruppe im Jahr 1993 gegeben hatte. Für die DVDs hatten ihr der Zweitkläger und die Mutter des Sängers (als Rechtsvorgängerin der Erstklägerin) eine Lizenz eingeräumt, die sich auf die Verbreitung der DVD in Österreich, Deutschland und der Schweiz bezog. Die Verbreitung der CDs war vom Lizenzvertrag nicht erfasst. Der Zweitkläger hatte darüber hinaus auch die Verpflichtung übernommen, den Konzertmitschnitt gegen ein gesondertes Entgelt technisch zu bearbeiten.
II. Anträge und Vorbringen der Parteien
Die Kläger begehren vor dem Handelsgericht Wien aufgrund teilweise bekannter DVD-Verkaufszahlen Lizenzentgelt in Höhe von 20.084,04 EUR. Weiters soll der Beklagten aufgetragen werden, über die Gesamtzahl der verkauften DVDs und CDs Rechnung zu legen und ein sich daraus ergebendes weiteres Entgelt zu zahlen. Für diese Ansprüche stützen sich die Kläger bei den DVDs auf den Lizenzvertrag, bei den CDs auf den nicht durch eine Vereinbarung gedeckten Eingriff in ihr Urheberrecht. Die Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich aus Art 5 Nr 1 und 3 Brüssel I - VO.
Die Beklagte bestreitet die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für die vertraglichen Ansprüche (Verbreitung der DVDs). Art 5 Nr 3 EuGVVO sei darauf nicht anwendbar; Erfüllungsort des Lizenzvertrags iSv Art 5 Nr 1 lit a Brüssel I - VO sei nicht Wien, sondern München. Die Ansprüche der Kläger bestünden auch der Sache nach nicht zu Recht.
Strittig sind im gegenwärtigen Verfahrensstadium nur noch die Ansprüche wegen der Verbreitung der DVDs.
III. Bisheriges Verfahren
Das Erstgericht bejahte seine Zuständigkeit aufgrund von Art 5 Nr 3 Brüssel I - VO. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den geltend gemachten Ansprüchen erstrecke sich diese Zuständigkeit auch auf die aufgrund des Vertrags geschuldeten Lizenzentgelte für die DVDs. Das Gericht zweiter Instanz sprach für die Ansprüche aufgrund des Verbreitens der DVDs seine Unzuständigkeit aus und wies die Klage in diesem Punkt zurück. Art 5 Nr 3 Brüssel I - VO sei auf vertragliche Ansprüche nicht anwendbar. Eine österreichische Zuständigkeit könne sich daher nur aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 Nr 1 Brüssel I - VO ergeben. Die Erteilung einer Lizenz sei keine Dienstleistung im Sinn von Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO. Daher sei nach Art 5 Nr 1 lit a Brüssel I - VO der nach der lex causae bestimmte Erfüllungsort der strittigen Hauptleistungspflicht maßgebend. Strittig sei im konkreten Fall die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des Lizenzentgelts. Diese Geldschuld sei sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Recht am Wohnsitz der Beklagten in Deutschland zu erfüllen.
Rechtliche Beurteilung
IV. Gemeinschaftsrecht
Nach Art 5 Nr 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden
„a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
b) im Sinne dieser Vorschrift - und sofern nichts anderes vereinbart worden ist - ist der Erfüllungsort der Verpflichtung
für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;
c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a)."
VI. Vorlagefragen
1. Art 5 Nr 1 lit b Brüssel I - VO enthält keine Definition des Begriffs „Dienstleistung". In Rechtsprechung und Lehre wird darauf verwiesen, dass zu dessen Auslegung der Dienstleistungsbegriff des Primärrechts herangezogen werden könne ( = EvBl 2004/83; BGH , IX ZR 15/05 = NJW 2006, 1806;
Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8 [2005] Art 5 Rz 43;
Burgstaller/Neumayr in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht Art 5 Rz 11; differenzierend Leible in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht2 [2006] Art 5 Brüssel I - VO Rz 49, und Mumelter, Der Begriff des Erfüllungsortes im Europäischen Zivilprozessrecht [2007] 143 f).
Im Primärrecht fallen unter den Begriff „Dienstleistung" auch Verträge über die Miete eines Bootsliegeplatzes (Rs C-224/97 - Ciola/Land Vorarlberg) oder über das Leasing eines Kraftfahrzeugs (Rs C-451/99 - Cura Anlagen/Auto Service Leasing), somit Verträge, die in erster Linie die Nutzung einer Sache und nicht das (aktive) Erbringen einer Leistung betreffen. Bei einem derart weiten Verständnis ist es nicht ausgeschlossen, auch Lizenzverträge als Verträge über eine Dienstleistung (nämlich über die Erlaubnis zur Nutzung eines Rechts) anzusehen. Diese Auslegung entspräche auch dem Dienstleistungsbegriff des EG-Mehrwertsteuerrechts, wonach auch die Verpflichtung, „eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden", als Dienstleistung anzusehen ist (Art 6 Abs 1 der Richtlinie 77/388/EWG; nunmehr Art 25 der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem). Davon sind Lizenzverträge zweifellos erfasst.
Dagegen könnte eingewendet werden, dass der Dienstleistungsbegriff der Brüssel I - VO enger auszulegen sei als jener des Primär- und des Steuerrechts. Denn die weite Auslegung führte dazu, dass Art 5 Nr 1 lit b Brüssel I - VO zur Generalklausel würde, die nur Verträge über den Kauf unbeweglicher Sachen nicht erfasste, sonst aber - abgesehen von den in den Art 8 ff Brüssel I - VO gesondert geregelten Vertragstypen - umfassend anwendbar wäre. Dadurch verlöre die Grundregel des Art 5 Nr 1 lit a Brüssel I - VO weitgehend an praktischer Bedeutung. Eine derart weite Auslegung des Dienstleistungsbegriffs hätte allerdings den Vorteil, dass dadurch Abgrenzungsprobleme vermieden würden.
Die erste Frage ist daher darauf gerichtet, ob Verträge über die Gestattung der Nutzung eines Immaterialgüterrechts (Lizenzverträge) als Verträge über „Dienstleistungen" im Sinn von Art 5 Nr 1 lit b EuGVVO anzusehen sind.
Nur zur Klarstellung ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Verpflichtung des Zweitklägers, den Konzertmitschnitt technisch zu bearbeiten, nach den Feststellungen des Erstgerichts getrennt vom Lizenzvertrag vereinbart worden war und auch gesondert honoriert wurde. Diese Verpflichtung ist daher für die hier geltend gemachten Ansprüche unerheblich.
2. Sollte die Erteilung der Lizenz als Dienstleistung angesehen werden, stellt sich die weitere Frage, wo diese Dienstleistung „erbracht" wurde. Im konkreten Fall bezog sich die Lizenz nach dem insofern unbestrittenen Vorbringen der Kläger auf zwei Mitgliedstaaten (Österreich, Deutschland) und einen Drittstaat (Schweiz). Der Wohnsitz bzw die Hauptverwaltung der Lizenzgeber liegen in Österreich; der Wohnsitz der Beklagten liegt in Deutschland.
2.1. Es wäre zunächst denkbar, die Dienstleistung an jedem Ort eines Mitgliedstaats als erbracht anzusehen, an dem die Nutzung des Rechts gestattet ist und - durch Verbreitung der DVDs - auch tatsächlich erfolgte. Das führte im vorliegenden Fall zur Zuständigkeit des Erstgerichts. Dagegen spricht allerdings die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-256/00 (Besix/Kretzschmar). Danach ist Art 5 Nr 1 des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens nicht anwendbar, wenn „der Erfüllungsort der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Verpflichtung deshalb nicht bestimmt werden kann, weil die streitige vertragliche Verpflichtung eine geografisch unbegrenzt geltende Unterlassungspflicht ist und damit durch eine Vielzahl von Orten gekennzeichnet wird, an denen sie erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre." Gleiches müsste wohl für die hier zu beurteilende Pflicht der Kläger gelten, die Nutzung des Rechts in zwei Mitgliedstaaten zu gestatten. Denn daraus folgt die Verpflichtung der Kläger, in diesen Mitgliedstaaten, dort jedoch geografisch unbegrenzt, jede Behinderung der Rechtsausübung durch die Beklagte zu unterlassen.
2.2. Als Ort der Erbringung der Dienstleistung käme weiters der Wohnsitz oder der Ort der Hauptverwaltung der Lizenzgeber in Betracht. Denn die vertraglich übernommene Pflicht, die Nutzung des Rechts zu gestatten, hat der Lizenzgeber in erster Linie an jenem Ort zu erfüllen, an dem er seine unternehmerischen Entscheidungen trifft. Das wird bei natürlichen Personen (wie dem Zweitkläger) im Regelfall der Wohnsitz sein, bei juristischen Personen (wie der Erstklägerin) der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung. Auch diese Auslegung führte zur Zuständigkeit des Erstgerichts. Dagegen scheint zwar ebenfalls die schon genannte Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache C-256/00 (Besix/Kretzschmar) zu sprechen, die bei einer geografisch unbegrenzt geltenden Unterlassungspflicht allein die Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten für zuständig ansah. Es scheint jedoch nicht ausgeschlossen, für Lizenzverträge einen autonom bestimmten Erfüllungsort am Wohnsitz bzw am Ort der Hauptverwaltung des Lizenzgebers anzunehmen.
2.3. Sollte der Gerichtshof die Fragen 2.1 oder 2.2 bejahen, wäre weiters zu klären, ob das danach zuständige Gericht auch über Lizenzentgelte entscheiden könnte, die sich auf die Nutzung des Rechts in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat beziehen. Insofern fehlte jedenfalls die besondere Sachnähe, die sonst als Begründung für die Zuständigkeit der Gerichte am Erfüllungsort ins Treffen geführt wird. Andererseits spricht die mit der autonomen Bestimmung des Erfüllungsorts in Art 5 Nr 1 lit b Brüssel I - VO offenkundig angestrebte Konzentration der Verfahren für eine umfassende Zuständigkeit.
3. Sollte sich aus Art 5 Nr 1 lit b Brüssel I - VO keine Zuständigkeit ergeben - sei es, weil die Lizenzvereinbarung nicht als Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen angesehen wird (Frage 1), sei es, weil der Ort der Erbringung der Dienstleistung nicht bestimmt werden kann (Fragen 2.1 und 2.2) -, so ist nach Art 5 Nr 1 lit c Brüssel I - VO die Grundregel des Art 5 Nr 1 lit a Brüssel
I - VO anzuwenden. Nach der Begründung des Kommissionsvorschlags (KOM [1999] 348 endg, S. 15) soll es insofern bei der früheren Rechtslage bleiben. Damit käme es auf den Erfüllungsort der strittigen Verpflichtung an (Rs 14/76 - de Bloos), der nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht zu bestimmen wäre (Rs 12/76 - Tessili). Auf dieser Grundlage wäre das Erstgericht im vorliegenden Fall nicht zuständig, da die strittige Zahlungspflicht sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Zivilrecht (§§ 269, 270 Abs 4 dBGB; § 905 Abs 2 des öABGB) am Wohnsitz bzw an der Niederlassung der Beklagten - also in München - zu erfüllen wäre. Frage 3 ist darauf gerichtet, ob diese Rechtsprechung auch für die Anwendung von Art 5 Nr 1 lit a Brüssel I - VO heranzuziehen ist.
VII. Verfahrensrechtliches
Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen hier wegen des Fehlens einschlägiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des nicht eindeutigen Wortlauts der auszulegenden Bestimmung vor. Zudem hat die Bestimmung des Gerichtsstands des Erfüllungsorts beim Lizenzvertrag eine weit über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung.
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Kennung XPUBL - XBEITR Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in wbl 2008,51/21 - wbl 2008/21 = MR 2007,388 = ZfRV-LS 2008/15 = jusIT 2008/24 S 63 (Thiele) - jusIT 2008,63 (Thiele) = MR 2008,22 (Walter) = RdW 2008/298 S 339 - RdW 2008,339 XPUBLEND |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2007:0040OB00165.07D.1113.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
IAAAD-47364