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OGH 27.07.2017, 2Ob132/17a

OGH 27.07.2017, 2Ob132/17a

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** U*****, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. B***** K*****, vertreten durch die Sachwalterin Mag. M***** R*****, und 2. G***** K*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. H***** R*****, wegen Räumung, aus Anlass der außerordentlichen Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 101/16y-24, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 17 C 153/15h-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen gaben dem Räumungsbegehren gegen die beiden Beklagten statt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu.

In der Folge übermittelte das für beide Beklagte zuständige Pflegschaftsgericht dem Erstgericht Ausfertigungen der (rechtskräftigen) Beschlüsse jeweils vom , mit denen die im Kopf angeführten Rechtsanwälte jeweils zu endgültigen Sachwaltern der beiden Beklagten wegen Geschäftsunfähigkeit bestellt wurden. Ihr Wirkungsbereich erstreckt sich auch auf die Vertretung vor Gerichten.

Die Sachwalter gaben dem Erstgericht bekannt, die bisherige Prozessführung nicht zu genehmigen; sie stellten namens der Beklagten den Antrag, das gesamte Räumungsverfahren für nichtig zu erklären und die ergangenen Urteile wegen Nichtigkeit aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom wies das Erstgericht diesen Antrag unbekämpft ab (ON 37).

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die nunmehr rechtzeitig erhobene außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Vorgebracht wird, die Beklagten seien im gesamten Räumungsverfahren prozessunfähig gewesen. In eventu erheben die Beklagten die Nichtigkeitsklage, in eventu Wiederaufnahmsklage.

Das Erstgericht legte den Akt direkt dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Diese Aktenvorlage ist verfrüht:

1. Die Zuweisung von Angelegenheiten an den Sachwalter und damit die entsprechende Einschränkung der Geschäftsfähigkeit des Behinderten wirkt nur rechtsgestaltend für die Zukunft. Eine im Verfahren über eine Nichtigkeitsklage hingegen geforderte Beurteilung der Prozessfähigkeit des Behinderten für die Vergangenheit durch das Pflegschaftsgericht verstieße gegen Art 6 MRK, weil durch eine allfällige Nichtigerklärung des Verfahrens in die Rechte des Prozessgegners eingegriffen würde und diesem im Verfahren nach den §§ 236 ff AußStrG 1854 (bzw §§ 117 ff AußStrG 2005) keine Parteistellung zukommt. Es ist daher vom Prozessgericht zu prüfen, ob die betroffene Partei damals die Tragweite des konkreten Rechtsstreits und der von ihr gesetzten Rechtshandlungen erkennen konnte (RIS-Justiz RS0110082).

Was für die Nichtigkeitsklage gesagt wird, gilt auch dann, wenn in anderen Fällen entscheidungsnotwendig zu klären ist, ob der Betroffene vor dem Sachwalterbestellungsbeschluss geschäftsfähig (bzw prozessfähig) war (vgl nur 3 Ob 4/12b zur Genehmigung eines Kaufvertrags), somit auch im vorliegenden Fall.

Es muss daher – unter Gewährung des rechtlichen Gehörs an den Kläger als Prozessgegner – erhoben werden, ob und gegebenenfalls ab wann bei den beiden Beklagten psychische Krankheiten oder geistige Behinderungen vorlagen, die rechtlich Prozessunfähigkeit bewirken.

2. Gemäß § 509 Abs 3 ZPO haben Erhebungen oder Beweisaufnahmen, die zur Feststellung der im § 503 Z 1 (Nichtigkeit) und 2 (Verfahrensmängel) ZPO angeführten Revisionsgründe notwendig sind, durch einen ersuchten Richter zu erfolgen, der die Akten über die stattgefundenen Erhebungen oder Beweisaufnahmen unmittelbar dem Revisionsgericht vorzulegen hat. Diesen Erhebungen und Beweisaufnahmen sind stets die Parteien zuzuziehen.

Dazu ist nicht unbedingt eine mündliche Verhandlung notwendig. Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, zu den Ergebnissen der Erhebungen oder Beweisaufnahmen Stellung zu nehmen. Falls sie nicht zu einer Vernehmung geladen werden, sind ihnen die Ergebnisse der Erhebungen zur Kenntnis zu bringen und ihnen eine Frist zur Stellungnahme zu setzen (RIS-Justiz RS0041857).

Das Erstgericht wird im Sinn dieser Bestimmung Erhebungen und Beweisaufnahmen zur behaupteten Prozessunfähigkeit der beiden beklagten Parteien für die Zeit ab Klagszustellung bis zur Bestellung der Sachwalter unter Hinzuziehung der Parteien durchführen müssen. Dazu wird die Beischaffung der Pflegschaftsakten und die Einsichtnahme in die dort vorhandenen psychiatrischen Gutachten, unter Umständen auch die Einvernahme der beiden Beklagten, zweckdienlich sein.

Nach Durchführung dieser Erhebungen und Beweisaufnahmen wird das Erstgericht den Akt neuerlich dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die Revision der Beklagten vorzulegen haben.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätin Dr. Fichtenau, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** U*****, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. B***** K*****, vertreten durch die Sachwalterin Mag. Margarete Rittler, Rechtsanwältin in Innsbruck, und 2. G***** K*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Harald Rittler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung, aus Anlass der Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 101/16y-24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 17 C 153/15h-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Zurückziehung der Revision der Beklagten wird zur Kenntnis genommen.

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Beide Beklagten zogen mit Schriftsatz vom ihre dem Obersten Gerichtshof vorgelegte Revision sowie die hilfsweise erhobene Nichtigkeitsklage und die hilfsweise erhobene Wiederaufnahmsklage zurück. Die Beschlussfassung gründet sich für die Zurückziehung der Revision auf die §§ 484, 513 ZPO (RIS-Justiz RS0110466 [T9]).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00132.17A.0727.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
XAAAD-47359