OGH vom 21.11.2013, 1Ob207/13t

OGH vom 21.11.2013, 1Ob207/13t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin S***** R*****, vertreten durch Dr. Georg Ganner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Antragsgegner Dr. R***** R*****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Vermögensaufteilung nach §§ 81 ff EheG, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 53 R 104/13b 15, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 37 Fam 1/13w 9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen die mit 15.854,04 EUR (darin 2.642,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Über jeweils auf § 49 EheG gestützte Klage der Antragstellerin und Widerklage des Antragsgegners wurde die Ehe mit Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom geschieden und ausgesprochen, dass beide Parteien das gleichteilige Verschulden trifft. Der Antragsgegner erhob dagegen Berufung, in der er (lediglich) die Abänderung des Verschuldensausspruchs im Sinne eines überwiegenden Verschuldens der Antragstellerin begehrte. Die Antragstellerin beantragte innerhalb der Berufungsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe, die ihr nach jeweils fristgerecht erfüllten Verbesserungsaufträgen nicht gewährt wurde, wobei der Beschluss über die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags am in Rechtskraft erwuchs. Sie erhob daraufhin am Berufung, in der sie ebenfalls lediglich den Verschuldensausspruch bekämpfte und eine Abänderung in Richtung eines Ausspruchs des alleinigen bzw überwiegenden Verschuldens des Antragsgegners begehrte.

Am beantragte die Antragstellerin, die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens sowie der ehelichen Ersparnisse und Schulden. Das Scheidungsurteil sei im Scheidungsausspruch am mit ihrer fristgerechten Berufung gegen den Verschuldensausspruch formell rechtskräftig geworden. Damit habe sie die Jahresfrist des § 95 EheG gewahrt.

Der Antragsgegner wendete Verfristung der Antragstellung ein. Der Scheidungsausspruch sei bereits mit Zustellung des Scheidungsurteils am in Rechtskraft erwachsen, da die dortige Klägerin und Widerbeklagte für die Erhebung einer Berufung gegen diesen Ausspruch weder Beschwer noch ein Rechtsschutzbedürfnis gehabt habe. Die Jahresfrist des § 95 EheG sei damit spätestens mit Einbringung der Berufung des Antragsgegners am abgelaufen. Im Übrigen habe die Antragstellerin durch Versäumnisse im Verfahrenshilfeverfahren die Frist für die später erhobene Berufung nicht mehr wahren können.

Das Erstgericht wies den Aufteilungsantrag ab, weil er nach Ablauf der Frist des § 95 EheG gestellt worden sei. Die Antragstellerin habe als Klägerin und Widerbeklagte im Scheidungsverfahren hinsichtlich des Scheidungsausspruchs keinerlei Beschwer gehabt, womit bei Einbringung der Berufung des Antragsgegners am die Scheidung der Ehe (aus einem zumindest 10%igen Verschulden des Antragsgegners) formell rechtskräftig festgestellt gewesen sei. Im Übrigen habe die Antragstellerin entgegen der Auffassung des Antragsgegners Verbesserungsaufträge im Verfahrenshilfeverfahren jeweils fristgerecht erfüllt; diese Verbesserungsaufträge seien auch ohne Hinweis auf die Rechtsfolgen einer allfälligen Fristversäumnis ergangen.

Das Rekursgericht hob die erstgerichtliche Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die „Fortsetzung des Verfahrens“, also eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung, auf; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Frist des § 95 EheG beginne mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung über die Ehescheidung zu laufen. Der Scheidungsausspruch könne somit auch in Rechtskraft erwachsen, ohne dass dabei rechtskräftig über das Verschulden entschieden worden ist. Formelle Rechtskraft sei hier spätestens mit der Einbringung der Berufung der Parteien gegen das bloß im Verschuldensausspruch bekämpfte Scheidungsurteil eingetreten, weil die mangelnde Anfechtung des Scheidungsausspruchs selbst einem Rechtsmittelverzicht gleichzuhalten sei. In diesem Zusammenhang sei auch § 483a ZPO zu beachten, wonach der Kläger die Klage auch nach Schluss der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteils mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen könne. Daraus ergebe sich, dass die formelle Rechtskraft des Scheidungsurteils dem Bande nach erst mit Ablauf der für sie geltenden Berufungsfrist bzw Einbringung der Berufung der Antragstellerin am eingetreten sei. Damit habe die Antragstellerin ihren Aufteilungsantrag innerhalb der Jahresfrist des § 95 EheG gestellt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage des Beginns des Laufs der Fallfrist des § 95 EheG divergierende Entscheidungen vorlägen und die Auffassung des Obersten Gerichtshofs von der herrschenden Lehre abgelehnt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Antragsgegners erweist sich als unzulässig, weil darin keine im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage erörtert wird.

Nach § 95 EheG erlischt der Anspruch auf Vermögensaufteilung, wenn er nicht binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht wird. Unter Rechtskraft ist dabei die formelle Rechtskraft nach § 411 ZPO zu verstehen (RIS Justiz RS0041294). Entscheidend ist also, ab welchem Zeitpunkt der Scheidungsausspruch selbst für die Parteien unabänderlich war, wogegen es nach der ständigen Rechtsprechung nicht darauf ankommt, ob die (endgültige) Entscheidung über die Verschuldensfrage noch aussteht (RIS Justiz RS0057493), sofern beide Parteien den auf einen bestimmten Tatbestand gestützten Scheidungsausspruch selbst nicht bekämpfen.

Zutreffend hat nun das Rekursgericht auf § 483a ZPO hingewiesen, in dem der Gedanke des favor matrimonii zum Ausdruck kommt. Die Judikatur (RIS Justiz RS0042004) zieht daraus in weitgehendem Einklang mit der Lehre (vgl nur die Nachweise bei Pimmer in Fasching/Konecny 2 § 483a ZPO Rz 5) , den Schluss, dass auch die im Ehescheidungsverfahren voll obsiegende Partei die Möglichkeit hat, gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel zu ergreifen, weil sie bis zur Rechtskraft des Urteils die Klage zurücknehmen und so die Ehe aufrecht erhalten kann. Der Rechtsauffassung des Revisionsrekurswerbers, der Klägerin habe es an der für die Zulässigkeit einer Berufung gegen das Scheidungsurteil erforderlichen Beschwer gefehlt, steht somit die dargestellte Rechtsprechung entgegen. Entscheidet sich nun aber erst mit Ablauf der Berufungsfrist, ob ein erfolgreicher Scheidungskläger von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, kann die formelle Rechtskraft des Scheidungsausspruchs auch erst mit dem Ablauf der Berufungsfrist eintreten, auch wenn ein Rechtsmittel schließlich nicht oder nur in anderer Richtung erhoben wird.

Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang weiter ausführt, Rechtskraft des Scheidungsausspruchs sei schon aufgrund der vom Antragsgegner eingebrachte Widerklage eingetreten, welche die Antragstellerin nicht zurückziehen könne, übersieht er, dass die Antragstellerin ja die Möglichkeit gehabt hätte, die Entscheidung über die Widerklage anzufechten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der einheitlichen Urteilsfällung über Klage und Widerklage durch den Ausspruch, die Ehe werde (aus dem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten) geschieden, um eine Entscheidung handelt, die nicht jeden der beiden Scheidungsbegehren teilweise zugeordnet werden kann, muss eine Anfechtung des gesamten Ausspruchs jedenfalls zulässig sein, wenn dem erfolgreichen Kläger sogar bei Unterbleiben einer Widerklage ein Rechtsmittel gegen ein seinem Begehren zur Gänze Rechnung tragendes Urteil zusteht.

Da das Rekursgericht somit zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Scheidungsausspruch erst mit Erhebung der Berufung der Antragstellerin innerhalb der durch den Verfahrenshilfeantrag gemäß § 464 Abs 3 ZPO verlängerten Berufungsfrist formell rechtskräftig wurde, war der am gerichtlich geltend gemachte Aufteilungsanspruch noch nicht erloschen.

Soweit der Revisionsrekurswerber „vorsorglich“ noch auf die Frage der Fristwahrung durch den innerhalb der ursprünglichen Berufungsfrist im Scheidungsverfahren gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts) zurückkommt, ist seinen Ausführungen unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin durch Versäumnisse im Verfahrenshilfeverfahren letztlich die Berufungsfrist versäumt haben könnte. Auch wenn sie allenfalls im Zusammenhang mit der aufgetragenen Verbesserung einen Originalantrag nicht wieder vorgelegt haben sollte, konnte ihr dies schon deshalb nicht schaden, weil das Gericht ersichtlich durchaus in der Lage war, über ihr Verfahrenshilfebegehren inhaltlich abzusprechen. Es hat den Verfahrenshilfeantrag auch nicht aus formellen Gründen zurückgewiesen, sondern vielmehr inhaltlich behandelt und als nicht berechtigt erkannt. Letztlich behauptet der Revisionsrekurswerber auch nicht, die Antragstellerin hätte ihren Verfahrenshilfeantrag missbräuchlich gestellt, um durch notwendige Verbesserungsmaßnahmen den Fristbeginn für die Antragstellung im Aufteilungsverfahren hinauszuschieben. Ob sie den Verfahrenshilfeantrag in der Absicht gestellt hat, ihre Scheidungsklage zurückzuziehen, was nur mit Zustimmung des Antragsgegners möglich gewesen wäre (§ 483a Abs 1 ZPO), ist nicht von Bedeutung, kommt es doch für den Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung, wie schon dargelegt, nicht darauf an, ob die Parteien von den ihnen offenstehenden prozessualen Anfechtungsmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch machen.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Die Antragstellerin hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung zutreffend auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen. Ihr steht daher in sinngemäßer Anwendung des § 78 Abs 2 AußStrG der Ersatz der in diesem Zwischenstreit um die Zulässigkeit des Revisionsrekurses entstandenen Kosten zu. Gegen die von der Antragstellerin angenommene Bemessungsgrundlage bestehen keine Bedenken, sind doch beide Parteien ersichtlich von jenem Wert des Ehevermögens ausgegangen, den die Antragstellerin in ihrem Aufteilungsantrag angegeben hat.