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OGH 30.06.2014, 5Ob169/13h

OGH 30.06.2014, 5Ob169/13h

Rechtssatz


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Norm
RS0129753
Werden in einem bezirksgerichtlichen Verfahren bei Wertzuständigkeit in einer Klage mehrere Ansprüche geltend gemacht, die erst gemeinsam 5.000 EUR übersteigen, besteht absolute Anwaltspflicht, wenn diese Ansprüche nach den Grundsätzen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind, also in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Lovrek, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** R*****-K*****, vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. E***** H*****, und 2. R***** H*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Barbara Lässer, Dr. Christian Klotz und Mag. Claudia Lantos, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), Wiederherstellung (Streitwert 3.500 EUR) und Unterlassung (Streitwert 1.000 EUR; Gesamtstreitwert 5.500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 133/13g-11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Versäumungsurteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom , GZ 14 C 6/13p-8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage

1. die (mit 1.000 EUR bewertete) Feststellung, die Beklagten seien nicht berechtigt, ihr Wohnungseigentum dadurch zu erweitern, dass sie ohne Zustimmung der übrigen Eigentümer Umbauarbeiten an ihrer Wohneinheit durchführen, die die allgemeine Beschaffenheit der Liegenschaft beeinträchtigen und wodurch sie ihr Wohnungseigentum durch Inanspruchnahme von allgemeinen Teilen der Liegenschaft vergrößern,

2. die (mit 3.500 EUR bewertete) Verpflichtung der Beklagten, binnen vier Monaten die Umbauten wieder zu beseitigen und den vorherigen Zustand wiederherzustellen, und

3. die (mit 1.000 EUR bewertete) Verpflichtung der Beklagten, die im Feststellungsbegehren genannten Anmaßungs-, Erweiterungs- und Störungshandlungen und jede ähnliche derartige Handlung zu unterlassen.

Die Klägerin brachte vor, sie sei wie die Beklagten Mit- und Wohnungseigentümerin einer Liegenschaft mit 25 Wohneinheiten. Im Rahmen einer Neuparifizierung habe sich herausgestellt, dass einige Wohnungseigentümer an ihren Einheiten teils umfangreiche, auch Allgemeinflächen betreffende Umbauarbeiten ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer durchgeführt hätten. Die beklagten Ehegatten (Verbindung gemäß § 12 Abs 1 WEG 1975) hätten einen Balkon in ihre Wohnung einbezogen und dadurch in das Eigentumsrecht der Klägerin eingegriffen. Die Klägerin habe dieser Baumaßnahme nicht zugestimmt.

Die Beklagten bestritten in ihrem vorbereitenden Schriftsatz vom das Klagevorbringen und beantragten Abweisung der Klagebegehren. Sie brachten zusammengefasst vor, dass die Klägerin den von ihr nunmehr beanstandeten Umbauarbeiten anlässlich einer Eigentümerversammlung am ausdrücklich zugestimmt habe. Auch im Neuparifizierungsverfahren, das sich am tatsächlichen Zustand der Wohneinheiten orientiert habe, habe die Klägerin wie „nahezu alle Miteigentümer sonst” ihre Zustimmung wiederholt. Ausgehend davon sei die nunmehrige Klagsführung unberechtigt und schikanös.

Bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung (gemäß § 258 ZPO) am schritt für die Klägerin Rechtsanwaltsanwärterin (RAA) Mag. G***** von der Kanzlei des Klagevertreters ein. Diese legte nach Erörterung vor dem Vortrag zur Hauptsache offen, über keine große Legitimationsurkunde zu verfügen. Der Beklagtenvertreter beantragte daraufhin die Erlassung eines negativen Versäumungsurteils.

Das Erstgericht entsprach diesem Antrag und erließ ein die Klagebegehren abweisendes (negatives) Versäumungsurteil. Es war rechtlich der Ansicht, dass RAA Mag. G***** ohne große Legitimationsurkunde nur dann postulationsfähig gewesen wäre, wenn die Beiziehung eines Rechtsanwalts nicht gesetzlich vorgeschrieben gewesen wäre (§ 15 Abs 2 RAO). Auch für die Frage der Anwaltspflicht fänden die Zusammenrechnungsvoraussetzungen des § 55 Abs 1 JN Anwendung. Diese seien vorliegend zu bejahen, weil sich die Klagebegehren auf einen einzigen Klagssachverhalt stützten. Zwischen den Teilbegehren liege ein Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN vor, weshalb die einzelnen Streitwerte zusammenzurechnen seien und sich der Gesamtstreitwert auf 5.500 EUR belaufe. Damit habe Anwaltspflicht bestanden und RAA Mag. G***** sei ohne große Legitimationsurkunde zum Einschreiten nicht berechtigt gewesen. Über Antrag der Beklagten sei daher ein negatives Versäumungsurteil zu fällen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Rechtlich führte das Berufungsgericht zusammengefasst aus, dass mit der Zivilverfahrens-Novelle 2002 (ZVN 2002; BGBl I 2002/76) die Möglichkeit eines Versäumungsurteils explizit auch auf den vorliegenden Fall, bei dem der Kläger (oder der Beklagte) nach Klage und Bestreitungsschriftsatz zur vorbereitenden mündlichen Streitverhandlung nicht erscheine, ausgedehnt worden sei (1 Ob 188/06p). Es sei demnach unzutreffend, wenn die Klägerin meine, dass ein Versäumungsurteil im Fall des Ausbleibens von einer vorbereitenden Tagsatzung (hier: des Erscheinens einer nicht substitutionsberechtigten Konzipientin) nicht möglich sei. Dass eine vorbereitende Tagsatzung nicht - wie die Klägerin behaupte - einer (technisch) ersten Tagsatzung nach der alten Rechtslage entspreche, ergebe sich schon aus dem gesetzlich vorgeschriebenen „Programm“ der §§ 258 und 440 Abs 1 ZPO.

Aus dem mündlich gestellten Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils habe sich klar ergeben, dass die Beklagten das schriftlich erstattete Vorbringen sowie die schriftlichen Anträge aufrechterhalten haben. Das Unterbleiben des mündlichen Vortrags des Schriftsatzes vom durch die erschienenen Beklagten habe demnach die Erlassung des beantragten Versäumungsurteils nicht hindern können (1 Ob 188/06p). Zu 3 Ob 219/11v habe der Oberste Gerichtshof klargestellt, dass neben dem Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils selbst ein unsubstanziiertes Bestreiten des Klagevorbringens (in einem vorangegangenen Schriftsatz) genüge, weil der nicht erschienene Kläger die Wahrheit seiner bestrittenen Tatsachenbehauptungen nicht beweisen könne und infolge seiner Säumnis ein wirksames Vorbringen in der Tagsatzung gar nicht möglich sei.

Zur Frage der Zusammenrechnung mehrerer Ansprüche im Zusammenhang mit der Anwaltspflicht würden im Schrifttum unterschiedliche Ansichten vertreten. Die überwiegende Meinung gehe dahin, dass § 55 Abs 1 JN analog für die Klärung der Anwaltspflicht anzuwenden sei, also auch für § 27 Abs 1 ZPO eine Zusammenrechnung stattzufinden habe, wenn die geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stünden (Zib in Fasching/Konecny² § 27 ZPO Rz 15 f; Fucik und Mayr in Rechberger4 § 27 ZPO Rz 5 und § 55 JN Rz 6). Auch zweitinstanzliche Gerichte teilten diese Ansicht (LG Klagenfurt 1 R 40/08i). Der Oberste Gerichtshof habe zu 5 Ob 535/90 die Frage, ob bei zusammenhängenden Ansprüchen (nicht) zusammenzurechnen sei, ausdrücklich offen gelassen. Das Berufungsgericht schließe sich in Anlehnung an die veröffentlichte zweitinstanzliche Judikatur den überzeugenden Argumenten Zibs und Fuciks an; auch Aspekte der Gerichtsentlastung und der Verfahrensbeschleunigung würden dafür sprechen, die Streitwertbestimmung auch für den Bereich des § 27 Abs 1 ZPO analog zu § 55 Abs 1 JN vorzunehmen. Im vorliegenden Fall würden nach dem allein maßgeblichen Vorbringen der Klägerin alle drei geltend gemachten Ansprüche (Beseitigung, Unterlassung und Feststellung) auf denselben Eingriff, nämlich auf die Einbeziehung des Balkons in die Wohnung der Beklagten gestützt. Die Zusammenrechnungsvoraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN lägen somit vor (3 Ob 276/08x). Es habe daher der maßgebliche Streitwert 5.500 EUR betragen und Anwaltspflicht bestanden. RAA Mag. G***** sei sohin ohne eine große Legitimationsurkunde zum Einschreiten für die Klägerin nicht berechtigt gewesen, die Klägerin daher in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am säumig gewesen und das Erstgericht habe über Antrag der erschienenen Beklagten zu Recht das bekämpfte Versäumungsurteil erlassen. Der Berufung der Klägerin sei daher der Erfolg zu versagen gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei, weil die maßgebliche Frage, ob die Zusammenrechnungsvorschriften des § 55 Abs 1 JN auch auf den Bereich der Anwaltspflicht (§ 27 ZPO) Anwendung fänden, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe und dazu divergierende Lehrmeinungen, jedoch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich, soweit die Entscheidung die Erstbeklagte betrifft, die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass der Antrag der Beklagten auf Fällung eines (negativen) Versäumungsurteils abgewiesen werde.

Die Erstbeklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist - entgegen der Behauptung der Erstbeklagten - rechtzeitig und aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin führt zum Charakter einer „vorbereiteten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung“ aus, dass sich diese aus der seinerzeitigen „ersten Tagsatzung“ entwickelt habe. Bei Letzterer habe seit eh und je keine Anwaltspflicht bestanden, was dann auch für die vorbereitende Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung gelten müsse. Dieser Rechtsansicht der Klägerin ist nicht zu folgen:

1.1. Nach der vor der Zivilverfahrens-Novelle 2002 (ZVN 2002; BGBl I 2002/76) maßgeblichen Verfahrensrechts-lage sah § 27 Abs 2 ZPO aF ausdrücklich eine Ausnahme von der Anwaltspflicht nach § 27 Abs 1 ZPO (aF) für „die erste Tagsatzung“ (§ 239 ZPO aF) vor.

1.2. Mit der ZVN 2002 hat der Gesetzgeber die erste Tagsatzung iSd § 239 ZPO aF und die dafür in § 27 Abs 2 ZPO aF vorgesehen gewesene Ausnahme von der Anwaltspflicht ersatzlos beseitigt. Die mit der ZVN 2002 eingeführte vorbereitende Tagsatzung hat der Gesetzgeber in § 258 Abs 1 ZPO (idgF) ausdrücklich als Teil der mündlichen Streitverhandlung bezeichnet (vgl dazu auch Rechberger/Klicka in Rechberger4 § 258 ZPO Rz 1 [Sachverhandlung]) und dafür in § 27 Abs 2 ZPO idgF keine (spezifische) Ausnahme von der Anwaltspflicht mehr vorgesehen.

1.3. Zur Neufassung des § 27 Abs 2 ZPO durch die ZVN 2002 führte der Gesetzgeber in den ErläutRV [zur ZVN 2002] 962 BlgNR 21. GP 21 wörtlich aus:

„Es handelt sich um eine Anpassung des Gesetzestextes an den Entfall der ersten Tagsatzung; auf Grund der Komplexität und des umfassenden Programmes der vorbereitenden Tagsatzung, welche im Übrigen auch Teil der mündlichen Streitverhandlung ist, ist für die vorbereitende Tagsatzung keine Ausnahme von der Anwaltspflicht vorgesehen.“

1.4. Der Wortlaut der §§ 27 Abs 1 und 2, 258 Abs 1 ZPO, der in den ErläutRV zur ZVN 2002 dokumentierte Wille des historischen Gesetzgebers sowie das gesetzgeberische Konzept der vorbereitenden Tagsatzung lassen nur den Schluss zu, dass - entgegen der Ansicht der Klägerin - für die vorbereitende Tagsatzung keine spezielle, der früheren Verfahrensrechtslage für die erste Tagsatzung entsprechende (generelle) Ausnahme von der Anwaltspflicht gilt (vgl Zib in Fasching/Konecny² § 27 ZPO Rz 17).

2. Nach Ansicht der Klägerin stünden die von ihr geltend gemachten Ansprüche in keinem rechtlichen Zusammenhang, könnten sie doch jederzeit separat und allein für sich geltend gemacht werden. Zudem hätten die Ansprüche unterschiedliche Voraussetzungen und erforderten ein separates Vorbringen. Aber selbst dann, wenn die geltend gemachten Ansprüche miteinander in einem rechtlichen und/oder tatsächlichen Zusammenhang stünden, gelte die Zusammenrechnungsregel des § 55 JN nicht für die Frage der Anwaltspflicht, die hier tatsächlich nicht bestanden habe. Dem ist Folgendes zu entgegnen:

2.1. Gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Entscheidend sind dabei der vom Kläger behauptete Sachverhalt und die Rechtsgrundlage der Ansprüche (RIS-Justiz RS0037899 [T5]).

2.2. Die Zusammenrechnung der Werte mehrerer Ansprüche (objektive Klagehäufung) setzt einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang voraus (3 Ob 276/08x). Ein innerer tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder gesondert zu beurteilen, es findet also keine Zusammenrechnung statt (RIS-Justiz RS0037899). Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt dagegen vor, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden (1 Ob 173/98t SZ 71/129; RIS-Justiz RS0037899 [T3]).

2.3. Hier hat die Klägerin für alle Ansprüche den Rechtsgrund der Eigentumsfreiheit (§ 523 ABGB) für sich in Anspruch genommen und diesen auf den für alle Ansprüche gleichermaßen gültigen Sachverhalt gestützt, dass die Beklagten einen Balkon in ihre Wohnung einbezogen und dadurch in das Eigentumsrecht der Klägerin eingegriffen hätten. Es besteht daher hinsichtlich Störungsobjekt und Störungshandlung Identität (zu diesem Grundsatz und gegenteiligen Fällen vgl 6 Ob 79/98f; 3 Ob 184/03k; 3 Ob 276/08x). Die Zusammenrechnungsvoraussetzungen nach § 55 Abs 1 Z 1 JN liegen somit vor.

2.4. Nach § 27 Abs 1 ZPO müssen sich die Parteien in Fällen der Wertzuständigkeit vor den Bezirksgerichten in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert 5.000 EUR übersteigt, durch Rechtsanwälte vertreten lassen (absolute Anwaltspflicht). Werden in einer Klage mehrere Ansprüche geltend gemacht, die erst gemeinsam 5.000 EUR übersteigen, so ist im Schrifttum umstritten, ob die Ansprüche für die Frage der Anwaltspflicht stets (so Fasching, Lehrbuch² Rz 442; M. Bydlinski/Nowakowski, Streitwert und Anwaltszwang beim Bezirksgericht, RZ 1990, 164; vgl auch Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei [1966] 58 ff [66, 68]), niemals (Gitschthaler in Fasching/Konecny3 § 55 JN insb Rz 12) oder analog § 55 Abs 1 JN nur dann zusammenzurechnen sind, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (so Fucik in Rechberger4 § 27 Rz 5; Mayr in Rechberger4 § 55 JN Rz 6; Zib in Fasching/Konecny2 § 27 ZPO Rz 16; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 379; Robl, Nochmals: Streitwert und Anwaltspflicht beim Bezirksgericht, RZ 1992, 112; Pollak, System² 282; ebenso HG Wien WR 427 [1989]; LG Klagenfurt 1 R 40/08i).

2.5. Der Oberste Gerichtshof hat in 5 Ob 535/90 (RZ 1990/97 [krit M. Bydlinski/Nowakowski]) für den Bereich der (relativen) Anwaltspflicht eine uneingeschränkte Zusammenrechnung abgelehnt, aber offen gelassen, ob in diesem Kontext zusammenhängende Ansprüche (nicht) zusammenzurechnen sind.

2.6. Aus § 55 Abs 1 JN wird in der Rechtsprechung bisweilen eine „Grundregel“ dahin abgeleitet, dass § 55 Abs 1 JN als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung anzusehen sei und daher eine Zusammenrechnung im Zweifel ausscheide (RIS-Justiz RS0122950). Tatsächlich betreffen die in RIS-Justiz RS0122950 genannten Entscheidungen
- ausgenommen 3 Ob 52/08f (SZ 2008/50; Zuständigkeit) -
Fragen der Rechtsmittelzulässigkeit im Zusammenhang mit Zweifeln über das Vorliegen der Zusammenrechnungs-voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung insbesondere mit der vom Gesetzgeber gedachten Reichweite des § 55 JN erfolge in diesen Entscheidungen nicht.

2.7. Mit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 (ZVN 1983 BGBl 1983/135) ist die wesentliche Umgestaltung des § 55 JN unter Berücksichtigung der damaligen Rechtsprechung und Lehre erfolgt. Dabei wird aus den ErläutRV zu § 55 JN deutlich, dass der (historische) Gesetzgeber diese Bestimmung entsprechend ihrer systematischen Stellung als solche über die sachliche Zuständigkeit verstanden hat (so ausdrücklich ErläutRV 669 BlgNR 15. GP 34). Die Erläuterungen zum seinerzeit neuen § 55 Abs 4 JN sind punktuelle Klarstellungen zum Zusammenspiel zwischen einer Zuständigkeitsregelung und bestimmten vom Gesetzgeber damals als zweifelhaft erkannten verfahrensrechtlichen Zusammenrechnungsfragen. Die Frage der Anwaltspflicht sprach der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nicht an, was wohl durchaus damit erklärbar ist, dass der allfälligen Zusammenrechnung von Ansprüchen in diesem Zusammenhang in Schrifttum und Rechtsprechung seinerzeit keine besondere Bedeutung beigemessen wurde (vgl M. Bydlinski/Nowakowski, Streitwert und Anwaltszwang beim Bezirksgericht, RZ 1990, 164 [165]). Daraus folgt zunächst, dass aus der in § 55 Abs 4 JN idF ZVN 1983 unterbliebenen Anführung der Anwaltspflicht noch kein zwingender Schluss dahin zu ziehen ist, dass die Anwendung des § 55 Abs 1 JN in diesem Zusammenhang ausgeschlossen ist.

2.8. Für das Bezirksgericht erfolgte die Einführung der absoluten Anwaltspflicht für bestimmte Fälle der Wertzuständigkeit (erst) mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989 (BGBl 1989/343). Gerade dabei hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass angesichts der damals über die Geldwertveränderung hinausgehenden Anhebung der bezirksgerichtlichen Wertgrenze die Bezirksgerichte im Ergebnis künftig auch für Rechtssachen zuständig sein würden, welche bis dahin in die Kompetenz der Gerichtshöfe erster Instanz fielen, bei welchen der (absolute) Rechtsanwaltszwang bestand. Mit dieser Zuständigkeitsverschiebung sollte der durch den Rechtsanwaltszwang sichergestellte Rechtsschutz materiell keine Einschränkung erfahren. Deshalb wurde vorgeschlagen, den (absoluten) Rechtsanwaltszwang für jene bezirksgerichtlichen Verfahren einzuführen, in denen der Streitwert (damals) 50.000 S überstieg; das war jener Betrag, auf den die bezirksgerichtliche Wertgrenze bei bloßer Berücksichtigung der Geldwertveränderung anzuheben gewesen wäre (888 BlgNR 17. GP 19). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber die absolute Anwaltspflicht beim Bezirksgericht seinerzeit im Gleichklang mit den Regeln der wertmäßigen Zuständigkeit vorsehen wollte und diese Wertzuständigkeit folgt (ua) gerade den Grundsätzen des § 55 Abs 1 JN.

2.9. Wollte man die Frage der absoluten Anwaltspflicht in solchen Fällen ohne Zusammenrechnung iSd § 55 Abs 1 JN beurteilen, ergäbe sich folgende Konsequenz: Leitet der Kläger aus einem bestimmten Sachverhalt einen Anspruch in der Höhe von 5.100 EUR ab, gilt gemäß § 27 Abs 1 ZPO Anwaltspflicht. Kann der Kläger aus demselben Sachverhalt mehrere Ansprüche ableiten, die erst zusammen den Betrag von 5.100 EUR erreichen, bestünde ohne Anwendung der Zusammenrechnungsregel - sofern man nicht für die Anwaltspflicht immer und entgegen 5 Ob 535/90 (RZ 1990/97 [krit M. Bydlinski/Nowakowski]) Zusammenrechnung annehmen wollte - keine Anwaltspflicht. Dabei kann allerdings kein Zweifel darüber bestehen, dass für die Parteien beide Verfahren dieselbe wirtschaftliche Bedeutung haben und die tatsächliche sowie rechtliche Komplexität eines Verfahrens bei Geltendmachung mehrerer Ansprüche gegenüber einem Verfahren, in dem nur ein Anspruch zu prüfen ist, jedenfalls nicht abnimmt. Mit dem Argument einer Ersparnis bei den Verfahrenskosten durch Entfall der Anwaltspflicht bei Geltendmachung mehrerer Ansprüche, die erst zusammen den Betrag von 5.000 EUR übersteigen, den Vorrang vor dem anwaltlichen Rechtsschutz einzuräumen, würde der wiedergegebenen Absicht des historischen Gesetzgebers widersprechen. Es gebietet daher auch eine verfassungskonforme, nämlich am Sachlichkeitsgebot orientierte Auslegung, den Begriff „Streitwert“ in § 27 Abs 1 ZPO im Sinn des „Wert des Streitgegenstandes“ zu verstehen, wie er sich (ua) durch Anwendung des § 55 Abs 1 Z 1 JN ergibt.

2.10. Der Oberste Gerichtshof kommt daher zum Ergebnis: Werden in einem bezirksgerichtlichen Verfahren bei Wertzuständigkeit in einer Klage mehrere Ansprüche geltend gemacht, die erst gemeinsam 5.000 EUR übersteigen, besteht absolute Anwaltspflicht, wenn diese Ansprüche nach den Grundsätzen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind, also in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Für den vorliegenden Fall folgt daraus, dass bei der vorbereitenden Tagsatzung am gemäß § 27 Abs 1 ZPO absolute Anwaltspflicht bestand.

3.1. Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt gemäß § 15 Abs 1 RAO vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden, substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer hat gemäß § 15 Abs 4 RAO den bei einem Rechtsanwalt in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern Legitimationsurkunden auszustellen, aus denen die Substitutionsberechtigung nach § 15 Abs 2 RAO (große Legitimationsurkunde) oder die Vertretungsbefugnis nach § 15 Abs 3 RAO (kleine Legitimationsurkunde) ersichtlich ist.

3.2. Unstrittig ist, dass die bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung (gemäß § 258 ZPO) am für die Klägerin in Vertretung ihres Rechtsanwalts eingeschrittene RAA Mag. G***** nicht über die große Legitimationsurkunde (§ 15 Abs 2 RAO) verfügte und daher nicht wirksam einschreiten konnte. Die Klägerin war daher bei der Tagsatzung am nicht (wirksam) vertreten und somit säumig.

4. Nach Ansicht der Klägerin hätte ein Versäumungsurteil iSd § 396 ZPO nur dann gefällt werden dürfen, wenn die Beklagten ein entsprechendes Tatsachensubstrat behauptet hätten. Daran habe es jedoch gefehlt, weil die Beklagten bei der Tagsatzung ihren vorbereitenden Schriftsatz nicht vorgetragen hätten. Diesem Standpunkt der Klägerin ist letztlich ebenfalls nicht beizutreten:

4.1. Nach § 396 Abs 2 ZPO idF der ZVN 2002 ist auf Antrag der erschienenen Partei ein Versäumungsurteil nach § 396 Abs 1 ZPO zu fällen, wenn eine der Parteien nach rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung oder nach rechtzeitigem Einspruch von einer Tagsatzung ausbleibt, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache in den Streit eingelassen hat. § 396 ZPO enthält die Kernregelung des „neuen“, ausschließlich „echten“ Versäumungsurteils und entstammt im Wesentlichen einer Verschmelzung der vor der Zivilverfahrens-Novelle 2002 geltenden §§ 396, 398 und 442 ZPO. Explizit sollte mit der ZVN 2002 das Versäumungsurteil auch auf den Fall ausgedehnt werden, dass der Kläger oder der Beklagte nach Klage und Klagebeantwortung (bzw [Wechsel-]Zahlungsauftrag oder Zahlungsbefehl und Einwendungen oder Einspruch dagegen) zur vorbereitenden mündlichen Streitverhandlung (also zur ersten Tagsatzung der mündlichen Streitverhandlung) nicht erscheint (ErläutRV [zur ZVN 2002] 962 BlgNR 21. GP 39; 1 Ob 188/06p JBl 2007, 459 = EFSlg 115.094).

4.2. Der in der Revision vertretene Standpunkt, wonach die Beklagten wegen des Grundsatzes der Mündlichkeit in der vorbereitenden Tagsatzung neben dem Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils das bereits in ihrem Schriftsatz enthalten gewesene Bestreitungsvorbringen vortragen und den Antrag auf Klagsabweisung mündlich wiederholen hätten müssen, wird in Schrifttum (Fasching, Lehrbuch² Rz 1400; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny § 396 ZPO Rz 15) und Rechtsprechung (1 Ob 188/06p JBl 2007, 459 = EFSlg 115.094) in vergleichbaren Konstellationen als unnötiger Formalismus abgelehnt. Dem ist auch hier zu folgen, ergab sich doch aus dem vorgelegenen Verfahrensablauf zweifelsfrei, dass die Beklagten ihrem Standpunkt widersprechende gegnerische Behauptungen nicht zugestehen, eigenes schriftlich erstattetes Vorbringen sowie die schriftlichen Anträge aufrecht erhalten und die Klageabweisung erreichen wollten. Das Unterbleiben des mündlichen Vortrags des Bestreitungsschriftsatzes der Beklagten konnte daher die Erlassung des beantragten Versäumungsurteils nicht hindern.

5.Zusammengefasst folgt:

Die mehreren in der Klage erhobenen Ansprüche stehen in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang und sind daher im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen. In einem solchen Fall besteht im bezirksgerichtlichen Verfahren bei Wertzuständigkeit gemäß § 27 Abs 1 ZPO absolute Anwaltspflicht. Die absolute Anwaltspflicht galt auch für die vorbereitende Tagsatzung am . Bei diesem Termin war die Klägerin nicht wirksam vertreten und daher säumig, weil die für sie einschreitende Rechtsanwaltsanwärterin nur über die kleine Legitimationsurkunde (§ 15 Abs 3 RAO) verfügte. Für die Erlassung des von den Beklagten beantragten Versäumungsurteils war der mündliche Vortrag ihres Bestreitungsschriftsatzes nicht erforderlich. Das Erstgericht hat demnach das von den Beklagten beantragte Versäumungsurteil rechtsrichtig erlassen. Die dagegen gerichtete Revision muss erfolglos bleiben.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Lovrek, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** R*****, vertreten durch Dr. Thaddäus Schäfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. E***** H*****, und 2. R***** H*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Barbara Lässer, Dr. Christian Klotz und Mag. Claudia Lantos, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), Wiederherstellung (Streitwert 3.500 EUR) und Unterlassung (Streitwert 1.000 EUR; Gesamtstreitwert 5.500 EUR), über den Berichtigungsantrag der erstbeklagten Partei den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom , 5 Ob 169/13h, wird in seiner Kostenentscheidung dahin berichtigt, dass diese wie folgt zu lauten hat:

„Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 17,91 EUR (darin 2,99 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berichtigungsantrags binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Bei der Kostenentscheidung wurden versehentlich die Parteirollen vertauscht. Dieser offenkundige Fehler war gemäß § 419 Abs 1 ZPO zu berichtigen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Für den Berichtigungsantrag gebührt kein Streitgenossenzuschlag, weil der Zweitbeklagte am Revisionsverfahren nicht mehr beteiligt war.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht,Streitiges Wohnrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2014:0050OB00169.13H.0630.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAD-47055