OGH vom 25.10.2017, 3Ob182/17m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.
Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Patrizia Rudolf, Rechtsanwältin in Salzburg, als Insolvenzverwalterin im Schuldenregulierungsverfahren der I*****, gegen die beklagten Parteien 1. G*****, 2. J*****, beide vertreten durch Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Anfechtung (Streitwert 280.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 197/17z-31, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 18 C 159/16a-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist die Insolvenzverwalterin in dem mit Beschluss vom eröffneten Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen der I***** (kurz: Schuldnerin). Der Ex-Gatte der Schuldnerin (kurz: Gläubiger) erwirkte in Kanada ein – in Österreich rechtskräftig für vollstreckbar erklärtes (3 Ob 161/09m) – Urteil, aufgrund dessen die Schuldnerin ihm beginnend mit einen Ehegattenunterhalt von 25.000 CAD monatlich zu leisten hat. Aufgrund dieses Titels leitete der in Kanada lebende Gläubiger in Österreich mehrere Exekutionsverfahren gegen die Schuldnerin ein, die nicht zu seiner (vollständigen) Befriedigung führten.
Die Beklagten sind die Kinder der Schuldnerin und des Gläubigers. Mit Notariatsakt vom schenkte die Schuldnerin ihnen die aufgrund eines Einantwortungsbeschlusses in ihrem außerbücherlichen Eigentum stehenden Miteigentumsanteile an einer Liegenschaft, verbunden mit Wohnungseigentum, je zur Hälfte, wobei sie sich ein Veräußerungs- und Belastungsverbot sowie ein – bisher allerdings nicht verbüchertes – Fruchtgenussrecht einräumen ließ. Sie übereignete den Beklagten das Wohnungseigentumsobjekt, weil sie verhindern wollte, dass der Gläubiger im Zuge seiner Exekutionsbemühungen auch auf dieses Vermögen greift. Das Wohnungseigentumsobjekt war damals abgesehen von einem Geschäftsanteil an einer GmbH das einzige nennenswerte Vermögen der (mittlerweile in Großbritannien lebenden) Schuldnerin in Österreich. Allen an diesem Rechtsgeschäft beteiligten Personen – also auch den Beklagten – war bewusst, dass ohne Zugriff auf diese Liegenschaftsanteile die Forderungen des Gläubigers jedenfalls nicht befriedigt werden können.
In dem – auf seinen Antrag eröffneten – Schuldenregulierungsverfahren meldete (nur) der Gläubiger eine Forderung an, und zwar umgerechnet 2.359.476,02 EUR für den Zeitraum März 2003 bis Juni 2015. Die Klägerin anerkannte diese Forderung letztlich zur Gänze, nachdem sie die Übereinstimmung mit dem kanadischen Titel geprüft hatte und ihr seitens der Schuldnerin keine Gründe für Einwendungen bekannt gegeben worden waren. Die Schuldnerin bestritt den (in der allgemeinen Prüfungstagsatzung zunächst allein geprüften) Teilbetrag von 934.551,78 EUR (Unterhalt für März 2003 bis Oktober 2008 abzüglich geleisteter Teilzahlungen); an der nachträglichen Prüfungstagsatzung, in der nach Verbesserung der Forderungsanmeldung der Restbetrag geprüft wurde, nahm sie trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht teil.
Die Klägerin ficht den Übergabsvertrag gemäß § 28 Z 3 und 4 und § 29 Z 1 IO an und begehrt von den Beklagten die Duldung der freihändigen oder kridamäßigen Veräußerung der ihnen übertragenen Liegenschaftsanteile zugunsten der Insolvenzmasse.
Die Beklagten wenden, soweit in dritter Instanz noch von Bedeutung, ein, die Forderung des (einzigen) Gläubigers im Schuldenregulierungsverfahren bestehe materiell nicht zu Recht, insbesondere weil der Gläubiger im Ehevertrag mit der Schuldnerin einen Unterhaltsverzicht für alle Zukunft abgegeben habe. Die Klägerin habe die Forderung des Gläubigers zu Unrecht anerkannt. Die Anfechtungstatbestände des § 28 IO seien schon mangels der erforderlichen Mehrzahl von Gläubigern nicht erfüllt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. An die Feststellung der angemeldeten, von der Klägerin anerkannten Forderung durch Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis sei das Gericht im Anfechtungsprozess nach der IO gebunden; ein Verfahren zur Überprüfung des Zustandekommens dieser Feststellung oder gar des der Forderung zugrunde liegenden Titels habe im Anfechtungsprozess nicht stattzufinden. Die Voraussetzungen des § 28 Z 3 und des § 29 Z 1 IO seien erfüllt. Die Benachteiligung eines einzigen Gläubigers genüge.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Im Anfechtungsprozess sei nicht die gegen die Schuldnerin bestehende Forderung zu prüfen, sondern nur die Auswirkung der angefochtenen Rechtshandlung auf die Masse bzw das Vermögen der Schuldnerin. Die Prüfungserklärung der Insolvenzverwalterin sei eine an das Gericht gerichtete Prozesserklärung, die wie ein rechtskräftiges Urteil über den Bestand und die Höhe der angemeldeten Forderung wirke. Dies gelte auch dann, wenn es sich um die einzige im Insolvenzverfahren angemeldete Forderung handle.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Anfechtungsgegner einwenden können, dass die angemeldete, von der Insolvenzverwalterin anerkannte und von keinem anderen dazu berechtigten Insolvenzgläubiger bestrittene Forderung nicht bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
1.1. Gemäß § 27 IO können Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und das Vermögen des Schuldners betreffen, nach den Bestimmungen der §§ 28 ff IO angefochten und den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt werden.
1.2. Gemäß § 28 Z 3 IO sind (ua) alle Rechtshandlungen anfechtbar, durch die die Gläubiger des Schuldners benachteiligt werden und die er in den letzten zwei Jahren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber seinem Ehegatten oder anderen nahen Angehörigen – zu denen insbesondere Verwandte in gerader Linie gehören (§ 32 Abs 1 IO) – oder zugunsten dieser Personen vorgenommen hat, es sei denn, dass dem anderen Teil zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners weder bekannt war noch bekannt sein musste. Anfechtbar sind gemäß § 29 Z 1 IO ferner in den letzten zwei Jahren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene unentgeltliche Verfügungen des Schuldners, soweit es sich nicht um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung, um gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke oder um Verfügungen in angemessener Höhe handelt, die zu gemeinnützigen Zwecken gemacht wurden oder durch die einer sittlichen Pflicht oder Rücksichten des Anstands entsprochen worden ist.
2. §§ 27 und 28 IO sprechen zwar von „den Gläubigern“. Daraus kann aber nicht das Erfordernis des Bestehens einer Mehrheit von Gläubigern im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung abgeleitet werden; vielmehr genügt der Vorsatz des späteren Schuldners, einen Gläubiger zu benachteiligen (König, Anfechtung5 Rz 7/35 mwN).
3.1. Nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann der Anfechtungsgegner im Einzelanfechtungsprozess nach der AnfO – im Hinblick auf Art 6 EMRK – auch die materielle Unrichtigkeit des vom Anfechtungskläger gegen den Schuldner erwirkten Exekutionstitels, auf dem der Anfechtungsprozess beruht, geltend machen (RIS-Justiz RS0050288). Tragende Begründung dieser Rechtsprechung ist, dass die in § 8 AnfO normierte Tatbestandswirkung von einer erweiterten Rechtskraftwirkung zu unterscheiden ist. Zufolge § 8 AnfO gehört das Bestehen einer materiell-rechtlichen Forderung gegen den Schuldner zwar zu den allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen (nach der AnfO); ein unrichtiges Urteil gestaltet allerdings keineswegs privatrechtlich die zwischen den Partnern bestehende Rechtslage neu. Dass der Anfechtungsgegner nicht an einen vollstreckbaren Titel, an dessen Zustandekommen er nicht beteiligt war, unwiderlegbar gebunden sein soll, folgt vor allem aus dem Verfassungsgebot des Art 6 EMRK, wonach jedermann einen Anspruch hat, dass seine Sache in billiger Weise gehört, ihm also rechtliches Gehör gegeben wird. Bindung an nachteilige Wirkungen eines Verfahrens, in dem der nunmehr davon Betroffene nicht eingebunden war und die er unabänderlich hinnehmen müsste, verstößt gegen dieses verfahrensrechtliche Grundgesetz. Es ist unbestritten, dass der Bürge, der sich für eine Schuld, für die kein Exekutionstitel bestand, verbürgte, ungeachtet eines zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner später ergangenen rechtskräftigen Urteils, Einwendungen gegen die Schuld geltend machen kann, die geltend zu machen der Hauptschuldner in dem gegen ihn geführten Verfahren unterließ. Wenn selbst demjenigen, der in einer vertraglichen Sonderbeziehung steht, ungeachtet eines vollstreckbaren Exekutionstitels gegen den Hauptschuldner die Einwendung zusteht, die Schuld bestehe nicht zu Recht, muss dies umso mehr für den gelten, der aufgrund eines im Gesetz normierten Anfechtungsrechts in Anspruch genommen werden soll (1 Ob 694/89 mwN; zustimmend Musger, Verfahrens-rechtliche Bindungswirkungen und Art 6 MRK, JBl 1991, 420 ff und 499 ff).
3.2. Für den Bürgen, der vom Gläubiger auf Zahlung geklagt wird, ist die Verbindlichkeit des Hauptschuldners, für die er einstehen soll, also „seine Sache“ im Sinne der Art 6 Abs 1 EMRK. Ebenso ist auch für den Anfechtungsgegner der Anfechtungsanspruch „seine Sache“ iSd genannten Bestimmung. Beiden Konstellationen ist nämlich gemeinsam, dass der Beklagte (Bürge/Anfechtungsgegner) zu einer Leistung (Zahlung oder allenfalls auch Duldung der Exekution in eine ihm gehörende Liegenschaft) verpflichtet werden soll.
4. Es besteht daher kein Grund, diese Beurteilung nicht auch im hier vorliegenden Fall einer Anfechtungsklage nach der IO vorzunehmen:
4.1. Die Anfechtungstatbestände der IO sehen zwar – naturgemäß – anders als § 8 AnfO nicht vor, dass dem Kläger (also: dem Insolvenzverwalter, dem gemäß § 37 Abs 1 IO das Anfechtungsmonopol zukommt) eine vollstreckbare Forderung gegenüber dem Schuldner zusteht, sondern verfolgen den Zweck, die den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung stehende Insolvenzmasse gegen Vorgänge vor der Insolvenzeröffnung zu immunisieren, die geeignet sind, diesen Befriedigungsfonds zu verkleinern oder zumindest die Befriedigung hieraus zu erschweren (§ 39 Abs 1 IO;König, Anfechtung5 Rz 1/1). Ziel der Anfechtung ist also die Herstellung des Zustands ohne Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung (Rebernig in Konecny/Schubert, Kommentar zu den Insolvenzgesetzen § 39 KO Rz 1).
4.2. Allerdings liegt allen Anfechtungs-tatbeständen der IO – zum Teil unausgesprochen – das Erfordernis der Befriedigungstauglichkeit der Anfechtung und einer Gläubigerbenachteiligung durch die angefochtene Rechtshandlung zugrunde (RISJustiz
RS0064333 [T1 und T 2]). Befriedigungstauglich ist die Anfechtung, wenn im Insolvenzverfahren Forderungen festgestellt wurden, die bei erfolgreicher Anfechtung erhöhte Befriedigungsaussichten haben (RISJustiz
RS0064629 [T3]; RS0064280 [T3]; RS0064354 [T5]). Benachteiligung liegt vor, wenn
der Befriedigungsfonds im Vergleich zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung durch Erhöhung der Passiva oder Verringerung der Aktiva verringert wurde (RISJustiz
RS0064333 [T6]).
4.3. Im Regelfall eines Insolvenzverfahrens mit mehreren Insolvenzgläubigern würde sich an der Gläubigerbenachteiligung durch eine anfechtbare Rechtshandlung auch dann nichts ändern, wenn allenfalls eine der angemeldeten (und anerkannten bzw in einem Prüfungsprozess rechtskräftig festgestellten) Insolvenz-forderungen materiell nicht berechtigt wäre. In diesem Sinn sind wohl die Ausführungen von König, Anfechtung5 Rz 20/8, zu verstehen, wonach der Insolvenzverwalter dann, wenn der Anfechtungsgegner in einem vor Insolvenzeröffnung anhängig gemachten Einzelanfechtungsprozess begründete Einwendungen gegen die Forderung des Klägers gegenüber dem Schuldner erhoben hat, eher nicht in dieses Verfahren eintreten, sondern selbst eine Anfechtungsklage nach der IO erheben werde.
4.4. Anderes gilt jedoch im hier zu beurteilenden Sonderfall eines Insolvenzverfahrens, in dem ein einziger Gläubiger eine Insolvenzforderung angemeldet hat: Besteht seine angemeldete Forderung gegen die Schuldnerin in Wahrheit nicht zu Recht, ist eine Benachteiligung dieses Gläubigers durch die Schenkung an die Beklagten ausgeschlossen.
4.5. In dieser besonderen Konstellation ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Anfechtungsgegner nur im Einzelanfechtungsprozess des Gläubigers, nicht aber auch in einem vom Insolvenzverwalter – im Ergebnis ausschließlich zugunsten dieses einen Gläubigers – geführten Anfechtungsprozess nach der IO erfolgversprechend einwenden können sollte, dass die Forderung dieses Gläubigers materiell nicht berechtigt sei.
5.1. Das Recht des Anfechtungsgegners, die Richtigkeit der urteilsmäßigen Entscheidung des Vorprozesses neu überprüfen zu lassen, geht jedoch nicht so weit, dass der Anfechtungskläger im Anfechtungsprozess (neuerlich) den Beweis für die Richtigkeit einer gegenüber der Schuldnerin bereits vollstreckbaren Forderung führen müsste; vielmehr muss der Anfechtungsgegner die Unrichtigkeit des Exekutionstitels behaupten und beweisen. Er muss also konkret die Gründe angeben, aus denen er die Unrichtigkeit der Entscheidung im Vorprozess ableitet (7 Ob 503/96).
5.2. Dieser Behauptungslast haben die Beklagten hinreichend entsprochen. Die Berechtigung ihrer Einwendungen gegen den gegenüber der Schuldnerin titulierten Anspruch wird das Erstgericht daher im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0030OB00182.17M.1025.000 |
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