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OGH vom 15.12.2004, 7Ob199/04x

OGH vom 15.12.2004, 7Ob199/04x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Vogel, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Alois H*****, Verein für Sachwalterschaft L*****, als Sachwalter von Andreas R*****, geboren am *****, vertreten durch Mag. Josef Koller-Mitterweissacher, Rechtsanwalt in Perg, gegen die beklagte Partei Vera R*****, geborene M*****, geboren am *****, 4020 Linz, Cremeriestraße 5/3, vertreten durch Dr. Thomas Richter, Rechtsanwalt in Linz, wegen Aufhebung einer Ehe, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 15 R 283/02x-23, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom , GZ 2 C 150/01f-10, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Für Andreas R***** ist seit 1983 ein Sachwalter bestellt, seit Juni 1988 für die Angelegenheiten der Einkommens- und Vermögensverwaltung sowie die Vertretung vor Ämtern und Behörden. Er leidet unter einer Intelligenzminderung, ist bei guter Bewusstseinslage, in allen Qualitäten orientiert, hat einen ausreichend guten sprachlichen Ausdruck und eine gute Kontakt- und Dialogfähigkeit. Er kann auf Fragen adäquat antworten. Aufgrund einer zerebralen Schädigung liegt eine Persönlichkeitsstörung vor, die sich im Besonderen in einer vermehrten Ichbezogenheit vor allem in Bezug auf Kritikfähigkeit, Selbsteinschätzung und das Erkennen der eigenen Möglichkeiten und Grenzen, äußert. Die praktische Intelligenz ist mit einem IQ von 67 sehr gering. Die Fähigkeit, komplexe soziale Situationen emotional zu erfassen, ist sehr gering ausgeprägt. Deutlich reduziert sind die Fähigkeiten zum problemlösenden Denken, die Differenzierungsfähigkeit zwischen wesentlichen und unwesentlichen Details, die Konzentrationsfähigkeit und motorische Geschwindigkeit.

Andreas R***** und die Beklagte schlossen am die Ehe. Im Zeitpunkt der Eheschließung fehlte Andreas R***** die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit bezüglich der Eingehung der Ehe und der Folgen einer Eheschließung. Der Sachwalter stimmte der Eheschließung nicht zu.

Der Kläger begehrt die Nichtigerklärung der Ehe, in eventu wird die Aufhebung derselben begehrt. Andreas R***** sei im Zeitpunkt der Eheschließung nicht voll geschäftsfähig gewesen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage mit der Begründung, dass Andreas R***** zum Zeitpunkt der Eheschließung sehr wohl geschäftsfähig gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren auf Nichtigerklärung der Ehe ab, erklärte aber die Ehe für aufgehoben. Die Ehe eines Geschäftsunfähigen sei gemäß § 22 EheG für nichtig zu erklären, die Ehe eines beschränkt Geschäftsfähigen ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, könne nach § 35 EheG aufgehoben werden. Nachdem Andreas R***** im Zeitpunkt der Eheschließung zwar nicht geschäftsunfähig iSd § 102 Abs 1 EheG gewesen sei, das Gesetz aber nicht danach differenziere, für welche Angelegenheiten ein Sachwalter bestellt worden sei, sei die Ehe gemäß § 35 EheG mangels Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Eheschließung aufzuheben.

Über Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung der Ehe bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil, soweit es nicht schon was den Anspruch über die Nichtigkeit betraf in Rechtskraft erwachsen war. Ein Verschuldensausspruch im Eheaufhebungsurteil gemäß § 42 Abs 2 EheG habe entgegen der Rechtsansicht der Beklagten nicht von Amts wegen zu erfolgen. Der reine Untersuchungsgrundsatz gelte nur in Ehenichtigkeits- und Feststellungsprozessen, nicht jedoch im Scheidungs- und Aufhebungsverfahren. Die Beklagte habe im erstinstanzlichen Verfahren zur Frage des Verschuldens des Klägers weder ein Vorbringen erstattet, noch einen solchen Ausspruch beantragt. Zu berücksichtigen sei aber auch der Schutzgedanke zugunsten des beschränkt Geschäftsunfähigen. Schließlich zeitige die Eheschließung umfassende persönliche Wirkungen, die sich zu dessen Nachteil auswirken könnten. Da § 42 Abs 1 EheG die Folgen der Aufhebung einer Ehe nach den Vorschriften über die Folgen der Scheidung bestimmten, könnte dies weitreichende Belastungen zum Nachteil des beschränkt Geschäftsunfähigen bewirken. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob § 42 Abs EheG bloß von einem "fingierten" Verschulden spreche, oder ob damit eine Art "familienrechtliche" "culpa in contrahendo" gemeint sei, die echtes Verschulden und damit Verschuldensfähigkeit voraussetze. § 102 Abs 2 EheG verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG, da der Bestimmung Schutzüberlegungen zugrunde lägen. Mit der Eheschließung seien umfangreiche Rechtsfolgen im privat-, sozialversicherungs-, miet- und öffentlich-rechtlicher Hinsicht verbunden, sodass es nicht mehr alleine um die Frage der persönlichen Bindung, sondern auch um die Abschätzung der damit verbundenen umfassenden Rechtsfolgen gehe. Auch wenn die Umschreibung des Wirkungskreises des Sachwalters mit der Eheschließung in keinem Zusammenhang stehe, bedürfe die Person, für die der Sachwalter bestellt worden sei, dessen Einwilligung zur Eheschließung, da auch einer solchen Person die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit zur Eingehung einer Ehe fehlen könne. Es werde kein undifferenzierter Ausschluss von der Ehefähigkeit bewirkt.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, da oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Verschuldensausspruch nach § 17 1. DVEheG auch beim Aufhebungstatbestand des § 35 EheG von Amts wegen zu erfolgen habe, fehle und auch eine ausdrückliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Verfassungsgemäßheit des § 102 Abs 2 EheG nicht vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu werde ein Aufhebungsantrag gestellt, in eventu möge zur Ergänzung des Ausspruchs über das Alleinverschulden von Andreas R***** an der Aufhebung der Ehe die Rechtssache zur Ergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen werden.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zugeben.

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist klarzustellen, dass die Abweisung des Hauptbegehrens, nämlich das Begehren auf Nichtigerklärung der Ehe, in Rechtskraft erwachsen ist.

Gemäß § 102 Abs 2 EheG sind unter beschränkt Geschäftsfähigen Minderjährige über 7 Jahre und Personen zu verstehen, denen ein Sachwalter nach § 273 ABGB bestellt ist. Gemäß § 3 Abs 1 EheG bedarf der, der minderjährig oder aus anderen Gründen in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Der Einwand der Revisionswerberin, die Bestimmung des § 102 Abs 2 EheG könnte deshalb verfassungswidrig sein, weil gleichheitwidrig zwischen besachwalterten Personen und Personen differenziert werde, die im Rahmen ihrer Familie oder von Einrichtungen der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe in die Lage versetzt werden können, ihre Angelegenheiten im erforderlichen Maß iSd § 273 Abs 2 ABGB zu besorgen, überzeugt nicht. Im einen Fall wird die schützenswerte Person durch andere Hilfe vor Nachteilen bewahrt, im anderen Fall, in dem diese Hilfe nicht besteht, durch den Sachwalter. Ohne dem Erfordernis der Zustimmung durch den Sachwalter wäre der Betroffene seines Schutzes also zur Gänze beraubt. Da im vorliegenden Fall der Sachwalter für die Angelegenheiten der Einkommens- und Vermögensverwaltung und der Vertretung vor Ämtern und Behörden bestellt wurde, liegt die Eheschließung im Wirkungsbereich dieser Sachwalterbestellung, also im Schutzbereich für den Betroffenen. Die Anwendung des § 102 Abs 2 EheG ist hier jedenfalls sachlich gerechtfertigt.

Die Folgen der Aufhebung einer Ehe bestimmen sich nach den Vorschriften über die Folgen der Scheidung (§ 42 Abs 1 EheG). In den Fällen der §§ 35 bis 37 EheG ist der Ehegatte als schuldig anzusehen, der den Aufhebungsgrund bei Eingehung der Ehe kannte, in den Fällen der §§ 38 und 39 EheG der Ehegatte, von dem oder mit dessen Wissen die Täuschung oder die Drohung verübt worden ist (§ 42 Abs 2 EheG). Nach § 17 1. DVEheG ist, wenn die Ehe aufgehoben wird und ein Ehegatte iSd § 42 Abs 2 EheG als schuldig anzusehen ist, dies im Urteil auszusprechen. Für die Aufhebung der Ehe nach § 38 EheG hat der Oberste Gerichtshof bereits einmal ausgesprochen, dass der Verschuldensausspruch von Amts wegen aufzunehmen ist (JBl 1964, 211).

Die Interpretation des Gesetzestext legt nahe, dass der Schuldausspruch im Aufhebungsurteil von Amts wegen vorzunehmen ist. Bei der Scheidung aus den Gründen der §§ 50 bis 52 EheG hingegen ist im Gesetz ausdrücklich geregelt, dass der Verschuldensausspruch über Antrag des Beklagten zu erfolgen hat (§ 61 Abs 2 EheG). Das Argument, dass das Verfahren zur Aufhebung der Ehe grundsätzlich nicht amtswegig sei, überzeugt also im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzestext und die darin vorgenommene Differenzierung nicht. Der Gesetzgeber hat eben, zumal sich die Folgen der Aufhebung der Ehe nach jenen Folgen der Scheidung bestimmen und zum Teil verschuldensabhängig sind, angeordnet, dass in diesem Fall von Amts wegen ein Verschuldensauspruch - falls die Voraussetzungen dafür vorliegen - zu erfolgen hat.

Auch in der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass der Verschuldensausspruch bei Vorliegen der Voraussetzungen von Amts wegen zu erfolgen hat (Stabentheiner in Rummel II3, § 42 EheG, Rz 1, Schwind in Klang I/1, 704; Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB2, § 42, Rz 2).

Zu prüfen ist nun, ob dem Kläger ein Verschulden anzulasten ist. Für den Verschuldensausspruch nach § 42 Abs 2 EheG ist positive Kenntnis des Aufhebungsgrundes zum Zeitpunkt der Eheschließung erforderlich. Voraussetzung für die Zurechenbarkeit eines Verschuldens ist aber die eherechtliche Verschuldensfähigkeit (Stabentheiner in Rummel aaO, § 42 EheG, Rz 2). Der Schuldvorwurf muss sich auch darauf beziehen, dass dem Ehepartner bei Eingehung der Ehe ein rechtswidriges Verhalten vorgeworfen und ihm persönlich zum Vorwurf gemacht werden kann (Welser, Das Verschulden bei der Aufhebung und Nichtigerklärung der Ehe, RZ 1973, S 187, der von einer Art eherechtlichen culpa in contrahendo spricht). Entscheidend für die eherechtliche Verschuldensfähigkeit ist also nicht nur die Kenntnis des Aufhebungsgrundes im Zeitpunkt der Eheschließung, die Person muss außerdem in der Lage sein, dieser Einsicht gemäß zu handeln (Welser aaO S 190; vgl auch Schwimann, aaO, § 42 EheG, Rz 3 auch Hopf-Kathrein, Eherecht, § 42, Anm 4; die zu § 37 EheG ergangene Judikatur [RIS-Justiz RS0056205] die bei einer vergleichbaren Fallkonstellation ebenfalls von einem Vorschuldensanspruch Abstand nahm, ist, da im vorliegenden Fall keine Irreführung vorliegt, nur bedingt vergleichbar).

Nach Ansicht des erkennenden Senates ist der vom Gesetz angeordnete Verschuldensausspruch nicht als Ausdruck der bloßen Kenntnis des Aufhebungsgrundes und des Verursachens der Eheschließung zu verstehen, sondern als Vorwurf an einen Ehegatten, die Ehe trotz anderer möglicher Einsicht eingegangen zu sein. Wollte man nur die Kenntnis des Aufhebungsgrundes genügen lassen, beraubte man den Betroffenen des notwendigen Schutzes durch den Sachwalter. Im vorliegenden Fall mangelte es Andreas R***** nach den Feststellungen an der erforderlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Er ist nicht kritikfähig und kann seine eigenen Möglichkeiten und seine Grenzen im Hinblick auf seine wiedrige Intelligenz nicht erkennen. Andreas R***** kann also gerade wegen seines Zustandes kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er weder den Standesbeamten noch die Beklagte auf die Besachwalterung hinwies und seinen Sachwalter von der beabsichtigten Eheschließung nicht verständigte. Mangels seiner Verschuldensfähigkeit wurde daher der Verschuldensausspruch von den Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht unterlassen, weil die Voraussetzungen für eine Verschuldenszuweisung eben fehlen.

Die Aufhebung der Ehe ohne Verschuldensausspruch erfolgte daher zu Recht.