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OGH vom 23.10.2017, 5Ob166/17y

OGH vom 23.10.2017, 5Ob166/17y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger in der Rechtssache der klagenden Partei Robert Johann S*****, vertreten durch Krammer Frank, Rechtsanwälte in Horn, gegen die beklagte Partei Anastasia K*****, vertreten durch Dr. Oswin Hochstöger, Rechtsanwalt in Gmünd, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 1/17k26, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann – abgesehen von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz – in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RISJustiz RS0119414; RS0057325 [T5]). Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen, wann die unheilbare Zerrüttung der Ehe eintrat und welchen Teil das überwiegende Verschulden trifft, sind irrevisible Fragen des Einzelfalls (RISJustiz RS0119414 [T2]). Um ein im Fall der Scheidung nach § 55 EheG von § 61 EheG gefordertes alleiniges oder überwiegendes Verschulden aussprechen zu können, müsste ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens der Ehegatten gegeben sein; es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RISJustiz RS0057057). Überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RISJustiz RS0057251).

Eine krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, das unter Anwendung dieser Grundsätze schon aufgrund des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts aus rechtlicher Sicht den Ausspruch eines überwiegenden oder alleinigen Verschuldens des Klägers an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe für nicht geboten erachtete, liegt nicht vor.

2.1. Dass ein grundlos und nicht einverständlich vorgenommener Schwangerschaftsabbruch eine schwere Eheverfehlung bilden kann, entspricht der Judikatur (RISJustiz RS0056572). Zwar können triftige Gründe – wie etwa gesundheitliche Risken für Mutter oder Kind – einen entsprechenden Scheidungsgrund ausschließen (Hopf/Kathrein, Eherecht3§ 49 EheG Rz 10/1). Solche Gründe könnten aber im Gegensatz zu den Revisionsausführungen naturgemäß nur in Umständen bestehen, die vor dem Entschluss der Beklagten zum eigenmächtigen Schwangerschaftsabbruch im Jahr 2002 lagen. Der Auszug des Klägers aus dem Schlafzimmer, aber auch die schlechter werdende Beziehung zwischen der Beklagten und ihren Schwiegereltern, gepaart mit mangelnder Unterstützung durch den Kläger, lagen nach den erstgerichtlichen Feststellungen jedenfalls erst nach dem Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs der Beklagten und konnten daher schon deshalb kein Grund dafür sein. Dass das Berufungsgericht in der von der Beklagten geplanten Russlandreise 2003 zwecks Erneuerung ihrer Aufenthaltsdokumente ebensowenig einen triftigen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch sah wie in der – sicherlich nicht gerade empathischen – Äußerung des Klägers, „Du bekommst eh die Kinderbeihilfe“ als Antwort auf die Bemerkung der Beklagten, sie werde für zwei Kinder mehr Geld brauchen, ist vertretbar und bedarf somit keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof.

2.2. Dem Argument, die Vorfälle ab September 2004 hätten nachträglich gezeigt, dass sich die Entscheidung der Beklagten zur Abtreibung als richtig herausgestellt habe, ist entgegenzuhalten, dass die Abtreibung dieses zweiten, vom Kläger gewünschten Kindes ohne ihn in diese Entscheidung einzubeziehen, jedenfalls wesentlicher Grund für die 2004 eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe gewesen war; hätte die Beklagte sich entschieden, ihr Kind zu behalten, wäre es zu den in der Revision genannten Vorfällen nach September 2004 möglicherweise gar nicht mehr gekommen.

2.3. Die Frage, ob das heute allgemein anerkannte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung die Wertung der Ablehnung von Nachkommenschaft als scheidungsrelevante Eheverfehlung ausschließt (so Koch in KBB4§ 49 EheG Rz 6; gegenteilig Hopf/Kathrein, Eherecht3§ 49 Rz 10/1) bedarf hier keiner abschließenden Erörterung. Mit der Entscheidung, das vom Kläger gewünschte Kind abzutreiben, ohne ihn in ihre Entscheidung auch nur einzubinden, verletzte die Beklagte jedenfalls das sich auf alle Bereiche der Lebensgemeinschaft erstreckende Einvernehmlichkeitsgebot in Bezug auf einen dem Kläger nach den Feststellungen wesentlichen Aspekt (vgl 4 Ob 534/91 = SZ 64/121 – künstliche Befruchtung ohne Einbeziehung des Ehemannes). Das in § 91 ABGB normierte Partnerschaftsprinzip verpflichtet die Ehegatten nämlich, sich um ein Einverständnis zu bemühen; wer es nicht sucht oder am Gestaltungsvorgang und Entscheidungsvorgang nicht oder nur unzureichend mitwirkt, verletzt diese Pflicht und setzt damit ein ehewidriges Verhalten, das einen Scheidungsgrund bilden kann (RISJustiz RS0009469).

2.4. Wenn das Berufungsgericht in der ohne Kenntnis des Klägers veranlassten Abtreibung des von ihm gewünschten Kindes eine Verletzung des Partnerschaftsprinzips durch die Beklagte sah, die (auch) ein wesentlicher Grund für die unheilbare Zerrüttung der Ehe war und es daher ausschließt, das alleinige oder überwiegende Verschulden des Klägers an der unheilbaren Zerrüttung der Ehe auszusprechen, begründet dies jedenfalls keine krasse Fehlbeurteilung, die im Einzelfall aufzugreifen wäre.

3. Da die außerordentliche Revision der Beklagten somit keine Rechtsfrage vor der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO anspricht, ist sie zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00166.17Y.1023.000

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