TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 04.03.2004, 6Ob12/04i

OGH vom 04.03.2004, 6Ob12/04i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Astrid M*****, und Rita M*****, beide vertreten durch die Eltern Andrea und DI Andreas M*****, diese vertreten durch Mag. Martin Paar, Rechtsanwalt in Wien, wegen einer Sperre von Spareinlagen der Kinder, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Kinder und ihrer Eltern gegen den Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt als Rekursgericht vom , GZ 20 R 164/03x-48, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom , GZ P 161/98h-40, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Eltern der Kinder waren Gesellschafter einer Gesellschaft mbH. Nach Umwandlung dieser Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft übertrugen sie im Jahr 1998 ihren vier minderjährigen Kindern stimmrechtslose Vorzugsaktien. Im Zuge einer Kapitalerhöhung erhielten die Kinder für den Verzicht auf ihre Bezugsrechte eine Entschädigung von je 108.000 EUR, wodurch das auf zwei Sparbüchern erliegende, zunächst aus den Dividendeneinnahmen bestehende Vermögen der beiden noch minderjährigen Kinder (zwei Kinder sind in der Zwischenzeit volljährig geworden) per auf je 115.725,06 EUR anwuchs. Die Vermögensübertragungen an die Kinder wurden pflegschaftsgerichtlich genehmigt, ebenso die von den Eltern erstattete Rechnungslegung.

Das Erstgericht verfügte am ohne weitere Begründung eine Sperre der Spareinlagen der beiden noch minderjährigen Kinder dahin, dass über die Einlagen nur mit gerichtlicher Genehmigung verfügt werden dürfe.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001, BGBl I 2000/135, sei die Rechtslage über die Verwaltung Pflegebefohlener geändert worden. § 193 Abs 2 AußStrG ordne nun zwingend auch für die Verwaltung des Kindesvermögens durch seine Eltern Sicherungsmaßnahmen an, wenn der Wert des Vermögens 10.000 EUR übersteige. Einer gegenteiligen Ansicht (Landesgericht St. Pölten, EFSlg. 98.988) sei im Hinblick auf den klaren Gesetzeswortlaut nicht zu folgen. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur gestellten Rechtsfrage zulässig sei.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragen die Kinder und ihre Eltern die (ersatzlose) Aufhebung der verfügten Kontosperre, hilfsweise die Abänderung durch die Anordnung einer "gelinderen" Sicherungsmaßnahme.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung auch berechtigt.

Dem Rekursgericht ist grundsätzlich zuzustimmen, dass nach der neuen Rechtslage bei einem 10.000 EUR übersteigenden Kindesvermögen auch im Fall einer Verwaltung durch die Eltern zwingend eine Sicherungsmaßnahme im Sinn des § 193 AußStrG anzuordnen ist:

Nach der Regierungsvorlage zum KindRÄG 2001 (296 BlgNR 21. GP, 99) wollte der Gesetzgeber die als umständlich und antiquiert bezeichneten Bestimmungen über die Vermögensverwaltung im Sinne einer Verstärkung der freien elterlichen Verwaltung reformieren. Dazu wurde Folgendes ausgeführt:

"Negativ vermerkt wurde ferner, dass die pflegschaftsgerichtliche Rechtsfürsorge im Bereich der elterlichen Vermögensverwaltung - obwohl sie nicht lückenlos umgesetzt werden kann - selbst ohne Vorliegen konkreter Bedenken gegen die Befähigung oder Objektivität des gesetzlichen Vertreters mit einer sehr häufigen und umfassenden Kontrolle der gesetzlichen Vertreter verbunden ist. Das stark verbesserte Bildungsniveau, der gestiegene Wohlstand und die zunehmende Einbindung der Bürger in moderne Formen des Geldverkehrs bringen es mit sich, dass praktisch die meisten erwachsenen Österreicher bereits über nicht unerhebliche Erfahrungen mit bargeldlosem Verkehr, Bankgeschäften und Vermögenstransaktionen im weitesten Sinne des Wortes verfügen, oder sie sich innerhalb kürzester Zeit verschaffen können. Der weitaus überwiegende Teil der als gesetzliche Vertreter in Betracht kommenden Erwachsenen ist daher durchaus in der Lage, die mit einem durchschnittlichen Vermögen verbundenen Vermögensverwaltungshandlungen wahrzunehmen. Die im Interesse des Wohles des betroffenen Minderjährigen entfaltete gerichtliche Aufsichtstätigkeit ist daher im Allgemeinen nur mehr dort erforderlich, wo besondere Umstände die Fähigkeit oder Objektivität des gesetzlichen Vertreters gefährdet erscheinen lassen. Ohne wenigstens gewisse Anhaltspunkte und Gründe für die gerichtliche Kontrolle wird die gerichtliche Tätigkeit trotz ihres Leitbildes "Minderjährigenschutz" weitgehend als Misstrauensbeweis gegenüber den Eltern oder anderen mit der Obsorge betrauten Personen empfunden. Durch den vorliegenden Entwurf soll daher eine Neuregelung mit dem Ziel der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen modernen Verwaltung des Kindesvermögens erfolgen."

Das in den Gesetzesmaterialien ausgedrückte Regelungsbedürfnis übergeht den in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur alten Rechtslage ohnehin schon mehrfach vertretenen Grundsatz, dass die Vermögensverwaltung durch die Eltern nur dann gerichtlich zu überwachen sei, wenn das Wohl des Kindes etwa durch missbräuchliche Verwendung des Vermögens durch die Eltern gefährdet erscheint (RIS-Justiz RS0008461), dass also eine bloß theoretische (abstrakte) Gefährdung nicht ausreicht und für pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen eine konkrete Gefährdung gegeben sein müsse. Beispielsweise könne die Höhe des für ein Kind verwalteten Vermögens höchstens eine abstrakte Gefährdung des Kindeswohls begründen. Dies gelte sogar dann, wenn der zur Verwaltung des Vermögens Berechtigte selbst bloß über ein verhältnismäßig geringes Einkommen oder Vermögen verfüge. Ohne konkrete Gefährdung lägen die Voraussetzungen für eine Verfügung nach § 176 Abs 1 ABGB durch Sperre eines Sparkontos nicht vor (3 Ob 2204/96f).

Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Klarstellung gegen eine "als Misstrauensbeweis gegenüber den Eltern" empfundene restriktive Rechtsprechung ist hier nicht zu erörtern. § 193 AußStrG lautet idF des KindRÄG 2001:

"§ 193. (1) Das Gericht hat das Vermögen des Pflegebefohlenen, soweit keine Einschränkungen durch Gesetz oder richterliche Verfügung getroffen sind, von Amts wegen zu erforschen und zu sichern. Es hat über die gesetzmäßige und wirtschaftliche Verwaltung durch den gesetzlichen Vertreter zu wachen. Das Gericht kann dazu isnbesondere dem gesetzlichen Vertreter die notwendigen Aufträge erteilen, die Sperre von Guthaben und die gerichtliche Verwahrung von Urkunden und Fahrnissen sowie die Schätzung von Vermögensteilen anordnen und dem § 382 EO entsprechende Maßnahmen erlassen.

(2) Soweit Eltern, Großeltern oder Pflegeeltern die Verwaltung des Vermögens übertragen ist, sind Sicherungsmaßnahmen nur erforderlich, wenn eine unbewegliche Sache zu verwalten ist oder der Wert des Vermögens und der Jahreseinkünfte des Pflegebefohlenen 10.000 Euro übersteigt; sonst sind Überwachungsmaßnahmen nur erforderlich, soweit offensichtlich ein Nachteil für den Pflegebefohlenen zu besorgen ist."

Dieser Gesetzeswortlaut lässt keine andere Interpretation zu als diejenige, dass bei einem 10.000 EUR übersteigenden Vermögen des Pflegebefohlenen Sicherungsmaßnahmen immer und ohne konkret zu befürchtenden Nachteil für den Pflegebefohlenen zu treffen sind, der Gesetzgeber hier also offenkundig wegen der Höhe des Vermögens (und im Gegensatz zur zitierten Entscheidung 3 Ob 2204/96f) eine abstrakte Gefahr genügen lässt. Auch in den neu gefassten Vorschriften über die Pflegschaftsrechnung (§§ 204 ff AußStrG) findet sich eine Rechnungslegungspflicht der Eltern bei einem 10.000 EUR übersteigenden Vermögen (§ 205 Abs 2 AußStrG). Nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle kann das Gericht die Verpflichtung zur laufenden Rechnungslegung einschränken, soweit hiedurch kein Nachteil für den Pflegebefohlenen zu besorgen ist. Eine solche Regelung für individuelle Ausnahmen fehlt jedoch bei der Sicherungsanordnung des § 193 AußStrG. Im § 205 AußStrG ist ausdrücklich nur eine die Rechnungslegungspflicht der Eltern erleichternde Einschränkung vorgesehen. Eine solche Erleichterung hinsichtlich der Vermögensverwaltung insgesamt anzunehmen, also Sicherungsmaßnahmen bei einem 10.000 EUR übersteigenden Kindesvermögen für entbehrlich zu erachten, scheint nicht ohne weiteres möglich. Gegen eine Analogie oder die Annahme eines Redaktionsversehens sprechen neben der völlig unterschiedlichen Gestaltung des Gesetzestextes in den beiden zitierten Bestimmungen auch der unterschiedliche Zweck der elterlichen Rechte und Pflichten. Eine Sicherungsmaßnahme wie etwa die Sperre eines Guthabens kann durchaus wegen konkreter Gefährdung erforderlich sein, die jährliche Rechnungslegung aber entbehrlich, wenn ohnehin nur Zinsen der Einlage abreifen und auf dem Sparbuch zu belassen sind.

Im Revisionsrekurs werden gegen die zutreffende Gesetzesauslegung durch das Rekursgericht, dass bei einem 10.000 EUR übersteigenden Kindesvermögen zwingend eine Sicherungsmaßnahme zu treffen ist, keine stichhältigen Argumente vorgetragen. Dem Rechtsmittel ist daher mit seinem Hauptantrag nicht stattzugeben. Der Eventualantrag ist aber im Sinne einer Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung berechtigt:

Das Rekursgericht hat nicht weiter geprüft, ob nicht andere, die elterliche Vermögensverwaltung weniger einschränkende Sicherungsmittel ausreichen könnten und ist damit zu dem Ergebnis gelangt, nach dem Gesetz sei bei einer dem Pflegebefohlenen gehörigen Spareinlage von über 10.000 EUR zwingend die Sperre des Guthabens anzuordnen. Dass dies aber keineswegs der Fall ist, legt schon die bloß demonstrative Aufzählung (arg.: insbesondere) der verschiedenen Sicherungsmittel im § 193 Abs 1 AußStrG nahe. Im Abs 2 wird bloß allgemein normiert, dass Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, nicht aber welche. Nach der schon wiedergegebenen, aus den Äußerungen in der Regierungsvorlage erschließbaren Absicht des Gesetzgebers sollten die Gerichte und die gesetzlichen Vertreter im Bereich der Vermögensverwaltung der Kinder entlastet werden (in diesem Sinn wohl auch Feil, Verfahren außer Streitsachen, Ergänzungsband Rz 1 zu § 204) und die staatliche Rechtsfürsorge im Sinne einer möglichst freien Vermögensverwaltung von Eltern eingeschränkt werden. Dem Gesetz kann der für andere Rechtsbereiche gültige Rechtsgrundsatz der Anwendung des gelindesten, zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks (etwa bei der Durchsetzung der Offenlegungspflichten nach § 277 HGB: RIS-Justiz RS0115834) entnommen werden. Das Pflegschaftsgericht wird demnach das Vermögen der Kinder mit dem das Verwaltungsrecht der Eltern am wenigsten einschränkenden Sicherungsmittel zu sichern haben. Da im § 193 Abs 1 AußStrG auch die Maßnahmen des § 382 EO ausdrücklich angeführt werden, können unter Umständen schon einfache Aufträge (Gebote und Verbote des § 382 Abs 1 Z 4 bis 6 EO), beispielsweise das Verbot der Veranlagung des Kindesvermögens in risikoträchtigen Wertpapieren, ausreichen, um eine ordnungsgemäße Vermögensverwaltung der Eltern sicherzustellen. In diesem Sinne ist dem Revisionsrekurs auch darin zu folgen, dass vor der Entscheidung die Eltern zu hören sind und insbesondere die von ihnen geplante Art der Vermögensverwaltung mit dem Ziel einer bestmöglichen Veranlagung des Kindesvermögens festzustellen ist. Vom Ergebnis dieser Anhörung wird die vom Pflegschaftsgericht zu treffende Maßnahme abhängen.