OGH vom 27.02.2008, 3Ob179/07f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der betreibenden Partei R***** AG, ***** vertreten durch Baier Böhm Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die verpflichtete Partei P***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Ulm Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Räumung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 41 R 61/07k-9, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 48 E 61/07v-4, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 1.810,60 EUR (darin 301,77 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die nun betreibende Partei hatte gegen die nun verpflichtete Partei die Mietzins- und Räumungsklage mit dem Vorbringen eingebracht, diese habe zwei Geschäftsräume gemietet und trotz Fälligkeit und qualifizierter Mahnung Hauptmietzinse und Betriebskosten nicht bezahlt. Das gegen die nun verpflichtete Partei am ergangene Versäumungsurteil wurde dieser am zugestellt. Am langte der (am Tag zuvor zur Post gegebene) Antrag der betreibenden Partei auf zwangsweise Räumung der beiden Geschäftslokale ein, den das Erstgericht antragsgemäß bewilligte.
Das Rekursgericht wies über Rekurs der verpflichteten Partei den Exekutionsantrag ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige. In rechtlicher Hinsicht kam es zum Ergebnis, die Sechsmonatsfrist des § 575 Abs 2 ZPO sei abgelaufen, weil der Exekutionsantrag erst am , somit erst nach dem Außerkrafttreten des Exekutionstitels gestellt worden sei. Die verhandlungsfreie Zeit habe auf den Fristenlauf des § 575 Abs 2 ZPO keinen Einfluss, weil es sich um eine materiellrechtliche Frist handle. Gegenteilige Entscheidungen, wonach von einer verfahrensrechtlichen Frist des streitigen Verfahrens auszugehen sei, die durch die verhandlungsfreie Zeit gehemmt werde, erachtete die zweite Instanz als „veraltet". Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil zur Frage der Rechtsnatur der Frist des § 575 Abs 2 ZPO Meinungsunterschiede nur mehr insofern vorlägen, ob es sich um eine materiellrechtliche, eine verfahrensrechtliche oder eine exekutionsrechtliche Frist handle. Dies mache allerdings nur für die Einrechnung des Postenlaufs einen Unterschied. Da hier auch bei Einrechnung des Postenlaufs ein außerhalb der Sechsmonatsfrist gestellter und damit verspäteter Exekutionsantrag vorliege, komme der Klärung dieser Frage keine Relevanz zu.
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs vertritt die Revisionsrekurswerberin den Standpunkt, die Frist des § 575 Abs 2 ZPO sei eine dem streitigen Verfahren zuzuordnende verfahrensrechtliche Frist. Unter Berücksichtigung der verhandlungsfreien Zeit und der 14-tägigen Leistungsfrist sei der Exekutionsantrag zeitgerecht (vor dem ) gestellt worden.
Entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs zulässig, weil die Frage nach der Rechtsnatur der Frist des § 575 Abs 2 ZPO in den (weit zurückliegenden) oberstgerichtlichen Entscheidungen bisher unterschiedlich beantwortet wurde, die Lösung dieser Frage aber wegen der sich daraus ergebenden weitreichenden Konsequenzen (Verlängerung der Frist durch die verhandlungsfreie Zeit, Möglichkeit der Wiedereinsetzung etc) für die Rechtssicherheit von Bedeutung ist.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist im Ergebnis nicht berechtigt.
a) § 575 Abs 2 ZPO lautet: Eine gerichtliche Kündigung oder ein Auftrag zur Übergabe oder Übernahme des Bestandgegenstands, wider welche nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben wurden, desgleichen die über solche Einwendungen ergangenen rechtskräftigen Urteile treten, vorbehaltlich des über den Kostenersatz ergangenen Ausspruchs, außer Kraft, wenn nicht binnen sechs Monaten nach dem Eintritte der in diesen Aufträgen oder im Urteile für die Räumung oder Übernahme des Bestandgegenstands bestimmten Zeit wegen dieser Räumung oder Übernahme Exekution beantragt wird. Bis zur ZVN 1983 BGBl 1983/135 betrug die genannte Frist nur 14 Tage. Die überaus kurze Befristung der Vollstreckbarkeit eines solchen Räumungstitels sei (so die RV zur ZVN 1983, 669 der BlgNR 15. GP, 61) angesichts der heutigen Auffassung von der Stellung des Bestandnehmers überholt. Sie diene ja nicht seinem Schutz, sondern sei für ihn ein Nachteil, weil sie den Bestandgeber hindere, bezüglich des Zeitpunkts der Räumung entgegenzukommen und ihn zwinge, sofort Räumungsexekution zu führen. Dass der rechtskräftige und vollstreckbare Exekutionstitel „außer Kraft tritt" bedeutet, dass dem säumigen Betreibenden die im Exekutionsverfahren geregelte Möglichkeit verloren geht, den konkreten Leistungstitel im Exekutionsverfahren durchzusetzen. Im Fall nicht rechtzeitiger Antragstellung erlischt der Vollstreckungsanspruch (3 Ob 163/98m = EvBl 1998/211 ua; Fasching1 IV 696). Regelungszweck des § 575 Abs 2 ZPO ist, dem Bestandnehmer, der das Bestandobjekt nach einer gerichtlichen Aufkündigung weiter benutzt, binnen angemessener (nun sechsmonatiger) Frist Klarheit zu verschaffen, ob der Bestandgeber den sich aus dem Titel ergebenden Räumungsanspruch gegen ihn durchsetzt; die Frist soll dem Bestandgeber einen „Anreiz" zur raschen Rechtsverfolgung bieten. Über den reinen Wortlaut des § 575 Abs 2 ZPO hinaus erachtet die herrschende Rechtsprechung diese Bestimmung auch dann für anwendbar, wenn ein Exekutionstitel mit Räumungsklage gemäß § 1118 ABGB erwirkt wurde (Frauenberger in Rechberger3 § 575 ZPO Rz 3 mwN). Einigkeit herrscht weiters darüber, dass die Frist des § 575 Abs 2 ZPO grundsätzlich nicht an den Zeitpunkt der Rechtskraft des Exekutionstitels, sondern an den Ablauf der Leistungsfrist anschließt (RIS-Justiz RS0044978), somit erst zu laufen beginnt, wenn die Vollstreckung möglich geworden ist (RIS-Justiz RS0044958), von Amts wegen wahrzunehmen ist, sobald sich dies aus dem Titel oder dem Akteninhalt ergibt (RIS-Justiz RS0044959; Weixelbraun in Fasching/Konecny2 § 575 ZPO Rz 16 mwN) und nur für solche Exekutionstitel gilt, denen ein Bestandverhältnis zu Grunde liegt (RIS-Justiz RS0044953).
b) Entscheidungsrelevant ist im vorliegenden Fall allein, ob die verhandlungsfreie Zeit (15. Juli bis und bis ; § 222 ZPO idFd ZVN 2002) die Frist des § 575 Abs 2 ZPO hemmt. Nur bei Bejahung einer derartigen Hemmung wäre im vorliegenden Fall die der betreibenden Partei zustehende Sechsmonatsfrist zum Zeitpunkt der Stellung des Exekutionsantrags auf zwangsweise Räumung noch nicht abgelaufen. Würde hingegen die verhandlungsfreie Zeit die Frist des § 575 Abs 2 ZPO nicht hemmen, wäre der Exekutionsantrag jedenfalls verspätet. Die Lösung dieser Rechtsfrage hängt somit davon ab, ob es sich bei der Frist des § 575 Abs 2 ZPO um eine durch die Fristenhemmung des § 222 ZPO unberührt bleibende, materiellrechtliche Frist, etwa eine Verjährungs- oder Präklusivfrist, oder eine verfahrensrechtliche Frist nach der Zivilprozessordnung (vgl Gitschthaler in Rechberger3 § 123 ZPO Rz 4 mwN aus Lehre) oder allenfalls nach der Exekutionsordnung handelt.
c) In den EB zur RV der ZPO aus dem Jahre 1893 (Materialien zu den neuen österreichischen Civilprocessgesetzen, herausgegeben vom k.k. Justizministerium 1897, S 377 ff) wird auf diese Frage nicht ausdrücklich Bezug genommen. Die Ausführungen beschränken sich darauf, dass in § 597 Abs 3 [jetzt § 575 Abs 2] ZPO die Frage behandelt werde, wie lange die Vollstreckbarkeit gerichtlicher Aufkündigungen oder Räumungsaufträge und der in diesen Verfahren ergangenen Urteile dauere und dass diese Vorschrift gewissermaßen als Ergänzung der Norm des § 592 ZPO (nunmehr § 569 ZPO) aufgefasst werden könne. Danach bewirke der Ablauf der Frist eine stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrags. Auch in der RV zur ZVN 1983 (aaO), mit der die ursprünglich nur 14-tägige Frist zur Vollstreckung des Räumungstitels auf sechs Monate verlängert wurde, findet sich keine Aussage zur Rechtsnatur dieser Frist (669 BlgNR 15. GP).
Eine oberstgerichtliche Stellungnahme zum vorliegenden Problem enthält die Entscheidung vom , ZBl 1934/367, in der die Frist (ohne weitere Begründung) als materiellrechtliche Fallfrist bezeichnet wurde. Mit seiner Entscheidung vom , 2 Ob 782/28 = SZ 10/219 (RIS-Justiz RS0036554), billigte der Oberste Gerichtshof die Ansicht des damaligen Rekursgerichts, die Frist des § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO stelle ein Zwischenstadium zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der Räumungsaufträge oder des Urteils einerseits und dem mit der Einbringung des Exekutionsantrags beginnenden Exekutionsverfahren andererseits dar. Dadurch, dass die Zivilprozessordnung dieses Zwischenstadium noch regle, wolle sie offenbar zum Ausdruck bringen, dass sie noch zum Prozessverfahren gehörig zu betrachten sei. Die in Frage stehende Frist sei sonach noch als der Bestimmung des § 146 ZPO unterworfen anzusehen. Die eigenständige Begründung des Obersten Gerichtshofs lautete: Die Frist des § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO sei in der Zivilprozessordnung vorgesehen und gelte für eine Rechtshandlung, die nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung dazu diene, die Fortdauer der Wirksamkeit des Prozesserfolgs zu wahren, und die daher im Rahmen des Bestandverfahrens als Prozesshandlung im weiteren Sinn zu werten sei.
In der Entscheidung vom , 1 Ob 31/50 = SZ 23/11, wurde Folgendes ausgesprochen: § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO sei eine Anwendung des dem § 1114 ABGB zugrunde liegenden Rechtsgedankens, dass ein erloschenes Mietverhältnis stillschweigend erneuert werde, wenn nicht der gegenteilige Wille zum Ausdruck gebracht werde. In Durchführung dieses Gedankens bestimme § 569 ZPO, dass Bestandverträge, die durch Zeitablauf erlöschen, binnen 14 Tagen nach Ablauf der Bestandzeit aufgekündigt werden müssen, und § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO, dass innerhalb von 14 Tagen nach Rechtskraft des Räumungsurteils Räumungsexekution beantragt werden müsse, widrigenfalls das Bestandverhältnis als fortgesetzt gelte. Während aber die Bestimmung des § 569 ZPO als praesumptio juris et de jure ausgelegt werde, erblicke die ständige Praxis des Obersten Gerichtshofs in § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO nur eine einfache Vermutung, die widerlegbar sei. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs komme der Frist des § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO eine doppelte Funktion zu, einmal eine verfahrensrechtliche, der Exekutionstitel trete nach fruchtlosem Ablauf der 14-Tagesfrist außer Kraft (SZ 12/44, SZ 13/252 ua), zweitens eine materiellrechtliche Wirkung. Der Ablauf der Frist schaffe eine Vermutung des Erlöschens des Anspruchs, daher könne trotz Ablaufs der Frist neuerlich im Klagewege die Räumung verlangt werden, sofern die Vermutung der stillschweigenden Fortsetzung des Bestandvertrags im neuerlichen Rechtsstreit widerlegt werde (insbesondere SZ 12/44). Im konkreten Fall komme die erstangeführte Wirkung des § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO in Betracht, weil es sich um die Frage handle, ob die Exekutionsfähigkeit des Titels außer Kraft getreten ist. Das sei eine Frage des Verfahrensrechts; die Entscheidung vom , AnwZ 1935, 272, spreche daher zutreffend von einer prozessualen Beschränkung der Vollstreckbarkeit. Die zu einer abweichenden Wertung der Natur der Frist des § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO gelangende Entscheidung vom , ZBl 1934/367, die § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO ohne weitere Begründung als materiellrechtliche Fallfrist bezeichne, werde nicht aufrechterhalten.
d) Nach nunmehriger Lehre und Rechtsprechung ist für die Abgrenzung von prozessualen und materiellrechtlichen Fristen vor allem maßgeblich, ob an ihre Einhaltung verfahrens- oder materiellrechtliche Folgen geknüpft sind (1 Ob 665/90 = SZ 63/153; 1 Ob 34/94 = SZ 67/209 = JBl 1995, 533 [Fink] = EvBl 1995/48 ua; Buchegger in Fasching/Konecny2 § 123 ZPO Rz 10). Das bestimmt sich nach dem teleologisch zu ermittelnden Inhalt der sie bedingenden Norm (Fasching Lehrbuch2 Rz 548) und nicht danach, in welchem Gesetz sie enthalten sind (1 Ob 665/90). So ist - unbestritten - § 569 ZPO (wonach Bestandverträge, welche durch Ablauf der Zeit erlöschen, zur Verhinderung ihrer stillschweigenden Erneuerung einer Aufkündigung bedürfen) als materiellrechtliche Frist anzusehen. Dadurch, dass der Bestandnehmer fortfährt, den Bestandgegenstand zu gebrauchen oder zu benützen und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt, gilt der Bestandvertrag stillschweigend als erneuert, wenn nicht innerhalb von 14 Tagen eine Klage auf Rückstellung des Bestandgegenstands erhoben wird. § 569 ZPO stellt als materiellrechtliche Wirkung eine widerlegbare Rechtsvermutung der Erneuerung des Bestandvertrags auf (Frauenberger aaO § 570 ZPO Rz 1; Iby in Fasching/Konecny2, § 569 ZPO Rz 12). Bei § 569 ZPO handelt es sich also um eine gesetzlich typisierte Verhaltensweise, der ein „normierter Erklärungswert" iS einer schlüssigen Willenserklärung des Vermieters auf Fortsetzung des Mietverhältnisses unterstellt wird (3 Ob 308/01t = JBl 2003, 182 = EvBl 2003/8 mwN). All dies spricht bei der Anwendung des § 569 ZPO zweifellos für einen materiellrechtlichen Aspekt.
e) In der Rechtsprechung von Rekursgerichten (vgl MietSlg 47.707, 57.779 ua) - auch im vorliegenden Verfahren - wurde auch § 575 Abs 2 ZPO als materiellrechtliche Frist beurteilt.
Der materiellrechtlichen Betrachtung der Bestimmung des § 575 Abs 2 ZPO (so auch Frauenberger aaO § 575 Rz 3 ohne weitere Begründung) steht freilich entgegen, dass die Frist zwar - wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt – als „Ergänzung" zu § 569 ZPO geschaffen wurde, aber zwischen § 569 ZPO und § 575 Abs 2 ZPO dennoch klare Unterschiede bestehen: § 569 ZPO stellt sich als eine materiellrechtliche Norm zur Erneuerung des Bestandvertrags dar, während durch die Unterlassung alsbaldiger Exekutionsführung iSd § 575 Abs 2 ZPO keine Änderung der materiellrechtlichen Beziehungen der Parteien eintritt, weil das materielle Recht, den Bestandgegenstand geräumt übergeben zu erhalten, durch den Ablauf der Sechsmonatsfrist nicht verloren geht. Ein beendetes Bestandverhältnis bleibt beendet, der frühere Bestandnehmer ist weiterhin zur Zurückstellung der Bestandsache iSd § 1109 ABGB verpflichtet (3 Ob 171/73 = EvBl 1974/208 = MietSlg 25.142; 1 Ob 9/00f = JBl 2000, 732 mwN aus Lehre und Rsp; 2 Ob 161/06z = Zak 2007/237 ua; RIS-Justiz RS0020831). Der Räumungsanspruch muss allerdings neuerlich im Wege der Kündigung, eines Antrags nach § 567 ZPO oder einer Klage geltend gemacht werden.
Aus dem bloßen ungenützten Verstreichen der Sechsmonatsfrist allein ergibt sich weder eine „Erneuerung" des alten noch der Abschluss eines neuen Bestandvertrags (Fasching, Kommentar1 IV 697 f; Sprung/Mayr, Befristung bestandrechtlicher Exekutionstitel in wobl 1990, 4 ff [8]); um dies annehmen zu können, muss über den bloßen Zeitablauf hinaus ein Verhalten der Parteien feststellbar sein, das die materiellrechtlichen Tatbestände des § 1114 ABGB herstellt und deren Rechtsfolge nach sich zieht. Zu einem endgültigen Erlöschen des (materiellrechtlichen) Räumungsanspruchs käme es nur, wenn zum Verstreichen der Frist ein Verhalten der Parteien hinzu träte, das iSd § 863 Abs 1 ABGB als „Erneuerung" bzw als Neuabschluss zu deuten wäre (6 Ob 686/81; Fasching1 aaO; Weixelbraun aaO § 575 ZPO Rz 6; Klicka in Angst, § 349 EO Rz 8). Die fortgesetzte Benützung des Bestandobjekts nach ungenütztem Verstreichen der Frist erfolgt nur dann nicht titellos, wenn sich der vormalige Bestandnehmer auf im materiellen Recht liegende Umstände nach § 863 Abs 1 ABGB stützen kann und damit ein neuer Titel geschaffen wird; das „Außerkrafttreten" des Titels allein gibt ihm noch keinen weiterbestehenden gegen ein (neuerliches) Räumungs- oder Übernahmebegehren gesicherten Titel. Dass gemäß § 575 Abs 2 ZPO der Titel nach Ablauf der Sechsmonatsfrist „außer Kraft tritt", bedeutet somit nicht, dass damit schon materiellrechtliche Wirkungen eintreten. Die Bestimmung enthält im Gegensatz zu § 569 ZPO keine unmittelbare materiellrechtliche Regelung, während letztere dem Dauerschuldverhältnissen innewohnenden Grundsatz Rechnung trägt, dass ein faktisches Verhalten durch gewisse Zeit (hier die Untätigkeit dessen, der den Bestandvertrag lösen wollte) zur Neubegründung des Vertragsverhältnisses führen kann (6 Ob 657/81 = MietSlg 33.138). Diese, sich aus dem Erlöschen des Anspruchs auf Räumung aus einem bestimmten Titel durch bloßen Zeitablauf ergebenden Wirkungen sind nicht mit jenen Wirkungen vergleichbar, wie sie für Präklusiv-, Ausschluss- oder Fallfristen charakteristisch sind. Denn mit der verspäteten Antragstellung erlischt bzw verfällt nicht das Recht auf Erhalt der geforderten Leistung, sondern die Möglichkeit, die titelmäßige Leistung (konkreter Räumungstitel) im Exekutionsweg durchzusetzen. Dabei handelt es sich aber um ein Verfahrensrecht. Denn der Fristablauf hat nur auf die verfahrensrechtliche Stellung des Anspruchswerbers in dem Sinne Einfluss, dass dieser nach Ablauf der Frist nicht mehr berechtigt ist, das Exekutionsgericht anzurufen; es wird damit aber noch nichts darüber gesagt, ob sein Anspruch besteht oder nicht besteht.
Begründet wurde die Ansicht, die Frist des § 575 Abs 2 ZPO sei nicht anders zu behandeln als jene (materiellrechtliche) des § 569 ZPO, zu dessen Ergänzung sie geschaffen wurde (so LGZ Wien MietSlg 46.711/41 = WR 708 und MietSlg 54.732), auch damit, dass sowohl § 569 ZPO als auch § 575 ZPO ein gleichartiges Bedürfnis nach Klarstellung der Rechtslage befriedigten. § 575 Abs 2 ZPO befriste keine Prozesshandlung, verkürze vielmehr in bestimmten Fällen die Verjährung des Rechts, eine gerichtliche Entscheidung zu vollstrecken. Während die sogenannte Judikatsschuld sonst in 30 Jahren verjähre, trete ein Räumungstitel, dem ein Bestandverhältnis zugrunde liege, aus verständlichen Gründen bereits nach wesentlich kürzerer Zeit außer Kraft. Dass indes eine Frist von 14 Tagen (so die Rechtslage vor der ZVN 1983) keine Verjährungsfrist (30 oder 40 Jahre) für eine Judikatsschuld (vgl dazu Mader/Janisch in Schwimann3, § 1478 ABGB Rz 22 ff) sein kann, ist evident. Auch durch die Ausdehnung der Frist auf sechs Monate durch die ZVN 1983 erscheint diese Frist als viel zu kurz, um sie als Verjährungsfrist für eine Judikatsschuld beurteilen zu können, zumal die EB (aaO) nichts dazu enthalten, dass nunmehr eine solche Frist neu eingeführt werden sollte. Gegen die Annahme, es handle sich nicht um ein verfahrensrechtliches Erlöschen, sondern um eine Verjährung der Vollstreckbarkeit, spricht weiters, dass die Verjährung nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist.
Schon Fasching (aaO 676, 697 f) hat richtig ausgeführt, § 569 ZPO stelle sich als eine materiellrechtliche Norm zur Erneuerung des Bestandvertrags dar, während § 575 Abs 3 [jetzt Abs 2] ZPO lediglich verfahrensrechtliche Wirkungen äußere, nämlich das Erlöschen der Vollstreckbarkeit eines im Bestandverfahren erwirkten Titels. Maßgebend sind aber nicht formelle Begriffe, sondern das Wesen der Norm ist an ihrem Inhalt zu messen. Fristen des materiellen Rechts sind Zeiträume, an deren Beachtung das Gesetz bestimmte materielle Rechtsfolgen knüpft; insbesondere Fristen, deren Beachtung Erfolgsvoraussetzung von Rechtsschutzanträgen ist, sind dem materiellen Recht zuzurechnen (1 Ob 34/94 zum WRG, inhaltlich zum AußStrG 1854). Daher kann der zweitinstanzlichen Auffassung eines materiellrechtlichen Charakters der Frist nicht beigetreten werden.
f) Es wurde auch die Auffassung vertreten, § 575 Abs 2 ZPO regle eine Frist, die beide Wirkungen äußere (so wie oben dargestellt 1 Ob 31/50) und deshalb zu den doppelfunktionellen Fristen zu zählen ist (so auch Buchegger in Fasching/Konecny2 § 163 ZPO Rz 11). Der Senat erachtet auch dies hier als nicht zielführend, weil dann stets die Unsicherheit für den Rechtsanwender bleibt, welche Wirkungen der Frist in konkreten Streitfällen Vorrang haben sollen.
Das Vorliegen einer materiellrechtlichen Frist in § 575 Abs 2 ZPO ist daher ebenso abzulehnen wie das Vorliegen einer doppelfunktionellen Frist.
g) Es kann daher nur mehr offen bleiben, ob der Ablauf der Frist des § 575 Abs 2 ZPO rein zivilprozessuale oder aber typische exekutionsrechtliche Wirkungen äußert. Dazu wurde die Auffassung vertreten (LGZ Wien MietSlg 41.592, 42.534, 44.855, je mwN ua), die genannte Frist stelle ein „Zwischenstadium" zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der Kündigung (Räumungsklage) und dem mit der Einbringung eines Exekutionsantrags beginnenden Exekutionsverfahren dar, das noch als zum Prozessverfahren gehörig betrachtet werden müsse, weil es noch von der ZPO geregelt werde. Diese in der ZPO vorgesehene Frist gelte für eine Rechtshandlung, die nach den Bestimmungen der ZPO dazu diene, die Fortdauer der Wirksamkeit des Prozesserfolgs zu wahren, weshalb auch der Antrag auf Einleitung eines Räumungsverfahrens als Prozesshandlung im weiteren Sinn zu werten sei. Auch sei die Frist in der ZPO geregelt.
Diese Rechtsansicht ist abzulehnen, weil der Zivilprozess mit Rechtskraft des Titels beendet ist, die Frist des § 575 Abs 2 ZPO - wie oben dargestellt - grundsätzlich an den Ablauf der Leistungsfrist anschließt und daher weder ein „Zwischenstadium" vorliegen kann noch irgendwelche zivilprozessualen Fristen noch bestehen können. Fristen, die der „Fortdauer der Wirksamkeit des Prozesserfolgs" dienen, sind auch sonst der ZPO fremd. Eine für prozessuale Fristen geschaffene Verlängerung setzt regelmäßig einen schwebenden Rechtsstreit voraus, welcher hier eben nicht (mehr) vorliegt. Tatsächlich gibt es kein „Zwischenstadium". Mit Rechtskraft des Räumungsurteils endet der Zivilprozess, mit Eintritt der Vollstreckbarkeit ab Ablauf der Leistungsfrist besteht für die Einbringung eines Exekutionsantrags kein Hindernis mehr. Im Exekutionsverfahren geht es auch nicht mehr um den materiellrechtlichen Räumungsanspruch, sondern ausschließlich um die Durchsetzung eines bereits vollstreckbaren Räumungsanspruchs (stRsp, zuletzt 3 Ob 155/07a; RIS-Justiz RS0115036). Dies verbietet eine Anwendung der eben ausschließlich auf den Prozessablauf abgestellten Bestimmungen der §§ 123 bis 129 ZPO. Demnach ist zwar von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen, aber keiner der Verfahrensordnung des Titelverfahrens, sondern speziell des folgenden Exekutionsverfahrens, ist sie doch ausschließlich dafür relevant, ob auf Grund eines bestimmten Titels Exekution geführt werden kann oder nicht und wird der verfahrenseinleitende Antrag nicht im Titel-, sondern im Exekutionsverfahren gestellt. Dass es nicht darauf ankommt, in welchem Gesetz eine bestimmte Regelung vom Gesetzgeber getroffen wurde, ist bereits oben dargestellt.
h) Zusammenfassend kommt der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis: Die Frist des § 575 Abs 2 ZPO ist eine solche des Verfahrensrechts und muss, weil sie Wirkungen erst für die zwangsweise Durchsetzung der Räumung bzw der Übernahme entfaltet, dem Exekutionsverfahren zugeordnet werden (Weixelbraun aaO § 575 ZPO Rz 5); ein hemmender Einfluss der verhandlungsfreien Zeit iSd § 223 Abs 2 ZPO scheidet damit aus. Wird aber im vorliegenden Fall die Sechsmonatsfrist des § 575 Abs 2 ZPO durch die verhandlungsfreie Zeit nicht gehemmt, ist der Antrag auf Exekutionsbewilligung zu einem Zeitpunkt eingebracht worden, in dem der Vollstreckungsanspruch der betreibenden Partei bereits erloschen war.
Dem zufolge hat das Rekursgericht den Exekutionsantrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 78 EO iVm §§ 50, 41 Abs 1 ZPO.