OGH vom 06.09.2022, 2Ob124/22g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Wolfgang Steiner und Mag. Anton Hofstetter, Rechtsanwälte in Wolkersdorf, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wegen 13.305,98 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 8.099,93 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 11 R 27/22d-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 5 Cg 35/20z-28, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 138,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Streitteile sind die Töchter des 2019 verstorbenen Erblassers. Ihnen wurde der Nachlass als gesetzliche Erbinnen jeweils zur Hälfte aufgrund ihrer bedingten Erbantrittserklärungen eingeantwortet.
[2] Die Klägerin begehrt die Zahlung eines restlichen Pflichtteils von 13.305,98 EUR sA.
[3] ist im Revisionsverfahren, dass
die Klägerin einen Pflichtteilsanspruch im Ausmaß eines Viertels hat;
der Reinnachlass 108.217,89 EUR betrug;
der Erblasser beiden Streitteilen zu Lebzeiten Liegenschaftsanteile im (aufgewerteten) Wert von 18.957,50 EUR geschenkt hatte;
der Erblasser beiden Streitteilen jeweils 6.000 EUR zu Lebzeiten geschenkt hatte
und
die Klägerin 6.475,79 EUR „aus der Verlassenschaft“ erhalten hat.
[4] ist im Revisionsverfahren, ob
die der Klägerin von ihrer Mutter geschenkten fünf Grundstücke aufgrund einer zwischen den Eltern vereinbarten Gütergemeinschaft unter Lebenden (anteilig) als anrechenbare Schenkung des Vaters zu qualifizieren sind
und
die den Streitteilen „aus dem Sparbuch“ zugekommenen Beträge anrechenbare Schenkungen darstellen.
Zu den strittigen Fragen traf das Erstgericht folgende :
[5] Die seit 1952 verheirateten Eltern der Streitteile errichteten 1953 mit Notariatsakt „über alles gegenwärtige und zukünftige, sowohl erworbene als auch ererbte Vermögen eine allgemeine schon unter Lebenden wirksame Gütergemeinschaft“. Mit Übergabsverträgen aus 1974 und 1987 schenkte die Mutter der Klägerin und deren Ehemann (je zur Hälfte) insgesamt fünf von ihr geerbte und in ihrem grundbücherlichen Alleineigentum stehende Grundstücke mit einem (auf den Todeszeitpunkt des Erblassers aufgewerteten) Gesamtverkehrswert von 22.719 EUR.
[6] Die Streitteile waren Inhaberinnen eines Sparbuchs, wobei ihnen das darauf erliegende Guthaben je zur Hälfte „gehörte“. Dieses Sparbuch war nicht Teil der Verlassenschaft.
[7] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren mit 8.099,93 EUR sA statt. Die ordentliche Revision ließ es zu. Zwar habe der Erblasser aufgrund der Gütergemeinschaft einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung des Hälfteeigentums an den Liegenschaften gegen seine Ehefrau gehabt, allerdings sei der sachenrechtlich erforderliche Modus der Intabulation nie erfolgt, sodass die Mutter Alleineigentümerin geblieben sei. Da die Liegenschaften damit nie im (Mit)Eigentum des Erblassers gestanden seien, komme eine Schenkungsanrechnung nicht in Betracht. Die den Streitteilen aus dem Sparbuch zugeflossenen Beträge seien auf Basis der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht anzurechnen.
[8] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob auch ein Liegenschaftsanteil der Schenkungsanrechnung unterliege, auf den der Erblasser aufgrund ehelicher Gütergemeinschaft unter Lebenden einen bloß obligatorischen, aber nie verbücherten Anspruch gehabt habe und der einem Pflichtteilsberechtigten nicht vom Erblasser, sondern von dessen Ehegatten geschenkt worden sei.
[9] Die Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.
Rechtliche Beurteilung
[10] 1. Die Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts zielt im Kern darauf ab, dass ein gänzlich gleich gelagerter Sachverhalt bisher vom Obersten Gerichtshof nicht entschieden wurde. Damit allein wird aber keine erhebliche Rechtsfrage angesprochen (vgl RS0122015).
[11] 2. Nach § 781 Abs 1 ABGB sind Schenkungen, die der Pflichtteilsberechtigte oder auch ein Dritter vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten oder auf den Todesfall erhalten hat, der Verlassenschaft hinzu- und auf einen allfälligen Geldpflichtteil des Geschenknehmers anzurechnen. Als Schenkung gilt nach § 781 Abs 2 Z 6 ABGB auch jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt (vgl dazu im Detail 2 Ob 110/20w Rz 34 ff).
[12] Die Beklagte hat die Anrechnung des Werts der der Klägerin geschenkten, im grundbücherlichen Alleineigentum der Mutter stehenden Grundstücke in erster Instanz – trotz präziser Einwendungen der Klägerin – nur unter allgemeinem Hinweis auf das Bestehen einer Gütergemeinschaft unter Lebenden zwischen den Eltern gefordert. Ihre erstmals im Revisionsverfahren gemachten Ausführungen, dass der Erblasser durch Mitunterfertigung der Übergabsverträge auf seinen obligatorischen Anspruch auf Übertragung des Hälfteeigentums an den Grundstücken verzichtet habe und darin eine Zuwendung an die Klägerin iSd § 781 Abs 2 Z 6 ABGB liege, stellen eine unbeachtliche Neuerung dar und entziehen sich damit einer Behandlung durch den Obersten Gerichtshof.
[13] Die tragende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Erblasser im Schenkungszeitpunkt wegen Fehlens einer Intabulation nicht als Miteigentümer der geschenkten Grundstücke angesehen werden könne (vgl dazu 3 Ob 57/01f) und daher insoweit keine Schenkung des Erblassers vorliegen könne, zieht die Beklagte nur insofern in Zweifel, als sie diese Ausführungen unter Hinweis auf ihre gegen das Neuerungsverbot verstoßende Argumentation als „formalistisch“ kritisiert. Damit gelingt es ihr aber nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darzustellen.
[14] 3. Der im Zusammenhang mit dem Sparbuch gerügte Mangel des Berufungsverfahrens wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[15] Die in der Berufung als rechtswidrig gerügte Nichtbeachtung eines schlüssigen Tatsachengeständnisses (§ 267 ZPO), an das das Erstgericht gebunden gewesen wäre, hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf fehlendes konkretes Vorbringen der Beklagten verneint. Diese Verfahrensfrage (RS0040078) kann schon aus diesem Grund in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden.
[16] Außerdem handelt es sich nach jüngerer Rechtsprechung nicht um einen relevanten – das heißt die erschöpfende Erörterung der Sache hindernden – Mangel des Verfahrens, wenn das Gericht trotz zugestandener Tatsache Beweise aufnimmt und Feststellungen trifft, die mit dem Geständnis unvereinbar sind. In einem solchen Fall sind vielmehr der Entscheidung die getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen (RS0039949 [T7 und T8]; RS0040118 [insb T2]).
[17] Ausgehend von der Feststellung des Erstgerichts, wonach das Guthaben auf dem Sparbuch den Streitteilen je zur Hälfte „gehörte“, zeigt die Beklagte im Zusammenhang mit der Nichtberücksichtigung der den Streitteilen von diesem Sparbuch zugeflossenen Beträge keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[18] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung. Der in zweiter Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (RS0129365 [T2 und T3]).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00124.22G.0906.000 |
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