OGH 17.10.2006, 1Ob198/06h
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Günter ***** M*****, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Nicolas P*****, vertreten durch Dr. Andreas Doschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 38 R 94/06i-16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 15 C 213/05m-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie in der Hauptsache zu lauten haben:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei die Wohnung Top 1 *****, geräumt von eigenen beweglichen Sachen mitsamt den dazu gehörenden Schlüsseln zu übergeben, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.644,70 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin EUR 569,45 USt und EUR 228,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist verheiratet und wohnte mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in der in seinem Eigentum stehenden Ehewohnung. Seit Sommer 2002 ist die Ehe zerrüttet, weshalb der Kläger am aus der Ehewohnung auszog, während seine Ehegattin mit den beiden Kindern in dieser verblieb. Eine abschließende Regelung über die künftige Nutzung der Ehewohnung wurde zwischen den Ehegatten nicht getroffen. Der Kläger nahm bei seinem Auszug nicht alle seine Fahrnisse mit, sondern holte diese erst im Laufe der Zeit ab. Derzeit befinden sich nur noch einzelne Gegenstände des Klägers in der Ehewohnung. Der Kläger übte sein Besuchsrecht anfangs in der Ehewohnung aus, wo er gemeinsame Nachmittage mit seinen Kindern verbrachte. Über Verlangen seiner Ehegattin händigte er ihr schließlich seine Wohnungsschlüssel aus. Im Sommer 2003 entwickelte sich zwischen der Ehefrau des Klägers und dem Beklagten, der selbst geschieden ist und aus seiner ersten Ehe drei Kinder hat, eine Beziehung. Der Beklagte verbringt nunmehr regelmäßig drei bis fünf Tage wöchentlich in der früheren Ehewohnung, wobei er dort auch nächtigt. Die drei Kinder des Beklagten halten sich zeitweise ebenfalls in der Wohnung auf. Dementsprechend hat der Beklagte sowohl Kleidungsstücke als auch persönliche Gegenstände in der Wohnung untergebracht. Er betreut auch die Kinder des Klägers während der Nachtdienste deren Mutter und kocht für sie. Wenn der Kläger in Ausübung seines Besuchsrechts seine Kinder abholte oder nach Hause brachte, traf er den Beklagten immer wieder an. Im Herbst 2004 erfuhr er von seinen Kindern, dass der Beklagte in die Wohnung eingezogen sei. Seit diesem Zeitpunkt betritt der Kläger diese kaum mehr. Der Beklagte beteiligt sich nicht an den Betriebs- oder Erhaltungskosten für die Ehewohnung.
Der Kläger begehrte vom Beklagten, ihm die Wohnung geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Er habe dem Beklagten die Wohnungsbenützung nicht gestattet; dieser benütze das Objekt titellos. Ein familienrechtliches Benützungsrecht seiner Gattin sei nicht auf Dritte übertragbar. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, dem Lebensgefährten seiner Ehegattin gratis Unterkunft zu gewähren. Die Aufnahme ihres Lebensgefährten stehe mit der Verpflichtung seiner Gattin zur Rücksichtnahme in Widerspruch. Sie stelle auch eine Belastung im Umgang zu den Kindern dar, da nicht erwünscht sei, dass er die Wohnung weiter betritt. Der Kläger habe ein schützenswertes Interesse am Umgang mit seinen Kindern, auch in der (früheren) Ehewohnung, wogegen das Interesse des Beklagten am dauernden entgeltfreien Aufenthalt nicht schutzwürdig sei. Das Wohnrecht der Ehegattin finde dort seine Grenzen, wo es in unzumutbarer Weise in die Sphäre des anderen Ehegatten eingreife. Der Kläger habe kein Interesse daran, den neuen Lebensgefährten seiner Gattin bei jedem Besuch der Kinder anzutreffen und diesen auch noch finanziell zu unterstützen.
Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, der Kläger habe seine Gattin im Sommer 2002 böswillig verlassen und sei zu einer Freundin gezogen. Der Weiterverbleib der Gattin in der Ehewohnung sei eine nicht bloß interimistische Lösung gewesen. Er benütze die Wohnung mit dem ausdrücklichen Einverständnis der Ehegattin des Klägers, somit nicht titellos. Sein eigener Lebensmittelpunkt befinde sich in einer anderen Wohnung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der in § 90 ABGB normierte Schutz des Ehe- und Familienlebens ende grundsätzlich erst mit der Auflösung der Ehe. Bis dahin habe jeder Ehegatte Anspruch darauf, dass Dritte das Ehe- und Familienleben nicht stören. Das grundsätzliche Recht jedes Ehegatten, in der Ehewohnung ihm geltende Besuche zu empfangen, finde dahin seine Grenze, dass diese Besuche die häusliche Ordnung und das Ehe- und Familienleben nicht stören dürften. Hier habe der Kläger sein Wohnrecht noch nicht aufgegeben, zumal eine endgültige Regelung, wer in der Ehewohnung letztendlich verbleiben solle, zwischen den Ehegatten nicht getroffen worden sei. Dass er nach Rückgabe der Schlüssel die Wohnung nicht mehr oder nur kaum betrete, könne nicht als freiwillige Aufgabe seines Wohnrechts ausgelegt werden. Eine unheilbar zerrüttete Ehe sei allerdings nicht in demselben Maß schutzwürdig wie eine intakte Ehe. Vielmehr sei in einem solchen Fall das Interesse, dass die zerrüttete Ehe und das nur mehr teilweise vorhandene Familienleben nicht durch Besuche eines Dritten gestört werden, gegen das Interesse des Dritten abzuwägen, die Ehewohnung aufzusuchen. Im vorliegenden Fall überwiege das schützenswerte Interesse des Klägers an einem ungestörten Besuchsrecht zu seinen Kindern, welches durch das Verhalten des Beklagten in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werde. Das aus § 97 ABGB abgeleitete Wohnrecht des wohnbedürftigen Ehegatten könne nicht auf Dritte übertragen werden. Der Beklagte benütze die Wohnung daher titellos.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Das der Ehefrau zustehende familienrechtliche Mitbenützungsrecht und das Recht, Besuche zu empfangen, finde seine Grenze darin, dass diese Besuche die häusliche Ordnung nicht stören dürften. Die Ehefrau könne ihr familienrechtliches Wohnrecht auch nicht zum Teil an einen Dritten weitergeben oder sonst durch Aufnahme eines Dritten in die Wohnung - unter Beschränkung des Wohnrechts ihres Mannes - ausdehnen. Der Kläger sei daher als Eigentümer der Wohnung gemäß § 366 ABGB berechtigt, jeden anderen von der Benützung der Wohnung auszuschließen. Ob der Kläger ein schützenswertes Interesse daran habe, in seinem nicht mehr vorhandenen Ehe- und Familienleben in der ehelichen Wohnung gestört zu werden, könne dahingestellt bleiben, weil es nicht um bloße Bereiche im Rahmen des familienrechtlichen Benützungsrechts der Ehefrau gehe. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen sei und der Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. Die Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen ist das Verhalten des Klägers und seiner Ehegattin durchaus dahin zu verstehen, dass der Kläger die Wohnung bis auf weiteres seiner Gattin (und den gemeinsamen Kindern) zur alleinigen Benützung überließ und selbst auf die Benützung bis auf weiteres verzichtete. Dies folgt insbesondere aus dem Umstand, dass er seiner Ehegattin alle Wohnungsschlüssel überlassen und offenbar seither nie versucht hat, eigene Benützungsrechte gegenüber seiner Ehegattin geltend zu machen. Dass diese (konkludente) Vereinbarung zwischen den Ehegatten, die ein Benützungsrecht des Klägers im Verhältnis zu seiner Gattin ausschließt, aufgekündigt oder sonst beendet worden wäre, behauptet der Kläger nicht. Hat er die Wohnung aber nun - wenn auch auf unbestimmte Zeit - seiner Ehegattin überlassen, ist es grundsätzlich deren Sache, Besucher oder Mitbewohner in die Wohnung aufzunehmen, ohne dass dies schutzwürdige Interessen des Klägers tangierte. Der Einwand, es sei dem Kläger nicht zuzumuten, dem Lebensgefährten seiner Gattin „gratis Unterkunft zu gewähren", geht ins Leere, weil es für den Kläger wirtschaftlich keinen erheblichen Unterschied macht, ob die in seinem Eigentum stehende Wohnung nur von seiner Gattin und den gemeinsamen Kindern oder auch von weiteren Personen benützt wird. Die Vorinstanzen haben sich zwar mit der Behauptung des Klägers, er trage die Betriebs- und Heizkosten der Wohnung allein (vgl aber seine Aussage als Partei AS 39), nicht auseinandergesetzt. Der Kläger hat aber im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht behauptet, die Mitbenützung durch den Beklagten hätte zu einer ins Gewicht fallenden Erhöhung dieser Kosten geführt. Es steht dem Kläger auch frei, seiner Gattin nur die um den vom Beklagten verursachten Mehraufwand reduzierten Betriebskosten zu vergüten. Entgegen der Rechtsauffassung des Revisionsgegners leitet dessen Gattin ihr Benützungsrecht an der Wohnung nicht (nur) aus § 97 ABGB ab. Vielmehr liegt eine (konkludente) Vereinbarung der Ehegatten vor, nach der der Kläger bis auf weiteres darauf verzichtet hat, die frühere Ehewohnung weiter zu nutzen, wogegen sich aus § 97 ABGB ein Alleinbenützungsrecht der Ehegattin nicht ergäbe. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger durch den Aufenthalt des Beklagten in der Wohnung nur dann in seinem Familienleben gestört sein könnte, wenn das Besuchsrecht zu seinen Kindern dadurch in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wäre. Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt, übt der Kläger sein Besuchsrecht aber in der Weise aus, dass er seine Kinder von der früheren Ehewohnung abholt und dorthin wieder zurück bringt, wie es durchaus üblicher Vorgangsweise in unheilbar zerrütteten Ehen entspricht, in denen ein Kontakt zum anderen Elternteil möglichst vermieden wird. Da somit eine Notwendigkeit, die Wohnung zu betreten oder sich dort gar länger aufzuhalten, nicht besteht, ist nicht zu erkennen, inwieweit der Besuchskontakt zu seinen Kindern durch den Aufenthalt des Beklagten in der Wohnung ernstlich beeinträchtigt sein könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die für das Verfahren erster Instanz verzeichneten Barauslagen von EUR 8,-- waren mangels näherer Spezifizierung nicht zu berücksichtigen. Für die Berufung ist ein Einheitssatz von nur 150 % angefallen. Die Pauschalgebühr für die Revision beträgt bei einer Bemessungsgrundlage von EUR 694,-- (§ 16 Abs 1 Z 1 lit c GGG) nur EUR 175,--.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Kennung XPUBL - XBEITR Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in EF-Z 2007/9 S 21 (Gitschthaler) - EF-Z 2007,21 (Gitschthaler) = Zak 2007/75 S 52 - Zak 2007,52 = Aigner, EF-Z 2007/127 S 219 - Aigner, EF-Z 2007,219 = EFSlg 114.070 XPUBLEND |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2006:0010OB00198.06H.1017.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAD-45985