zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 13.11.2013, 7Ob193/13b

OGH vom 13.11.2013, 7Ob193/13b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners J*****, geboren am *****, verstorben am *****, zuletzt wohnhaft in *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz Bewohnervertretung, 1050 Wien, Ziegelofengasse 33/5 (Bewohnervertreterin B***** W*****), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Sachwalterin I*****, Einrichtungsleiter Dr. T*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 417/13m 30, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsschutzinteresse des Einrichtungsleiters bleibt auch nach dem Tod des Bewohners aufrecht. Es besteht sowohl für die Allgemeinheit als auch für die Einrichtung ein Interesse daran, auch für die Zukunft abzuklären, ob eine Maßnahme zulässig ist oder nicht. Die Beschwer fällt daher mit dem Tod des Bewohners nicht weg (RIS Justiz RS0125847).

Für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gelten die Prinzipien der Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit (RIS Justiz RS0105729).

Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist nur zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können (RIS Justiz RS0121227).

Seitenteile an Pflegebetten von Bewohnern, die zu willkürlichen Bewegungen in der Lage sind, sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen nach § 3 Abs 1 HeimaufG (RIS Justiz RS0121221 [T4], RS0121662 [T3]).

Das Unterlassen der Verständigung des Vereins von einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme ist kein bloßer Verstoß gegen Ordnungsvorschriften. Sie bewirkt die Unzulässigkeit der Maßnahme. Sie dauert bis zu dem Zeitpunkt an, in welchem der Verein/Bewohnervertreter tatsächlich Kenntnis von der angegebenen Freiheitsbeschränkung erlangt hat (RIS Justiz RS0121228). Dieser Grundsatz ist nur für (kurzfristige) Maßnahmen (zum Beispiel „Einmalmedikationen“) einzuschränken, wenn deren Folgen für den Bewohner auch bei einer unverzüglichen Verständigung nicht mehr beeinflusst werden könnten (RIS Justiz RS0124558, RS0121228 [T3]).

Soweit der Revisionsrekurs die Feststellungen der Vorinstanzen bekämpft, sind die Ausführungen unzulässig. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz.

Ausgehend von den Feststellungen erfolgte die Medikation mit Risperal Quicklet und Seroquel, um den Bewohner zu sedieren. Der Zweck war also (auch wenn bei Seroquel nebenbei auch therapeutische Wirkungen eintraten) darauf gerichtet, seine Bewegungsfreiheit einzuschränken. Nach der Dokumentation wurden Alternativen zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit nicht versucht, ja nicht einmal erwogen, sodass die Ansicht der Vorinstanzen, es sei die Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen nicht erwiesen, nicht zu beanstanden ist. Die Dauermedikation ist überdies auch aus formellen Gründen unzulässig, weil sie dem Verein nicht gemeldet wurde.

Das Erstgericht erklärte den Einsatz von Dominal forte befristet auf drei Monate für zulässig. Das Rekursgericht bestätigte dies. Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die vom Erstgericht ausgesprochenen „Auflagen“ wendet, ist ihm zu erwidern, dass damit nur ausdrücklich den Prinzipien der Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wurde. Es ist klar, dass (wie vom Erstgericht angeordnet) immer wieder geprüft werden muss, ob eine Maßnahme noch diesen Prinzipien entspricht.

Es steht fest, dass die Einrichtung ohne Beachtung der Prinzipien der Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit den Bewohnern mit der Anbringung von Seitengittern gegen eine Sturzgefahr absicherte und die gelindere Maßnahme eines Niederflurpflegebettes samt Sturzmatte gar nicht in Erwägung zog, obwohl sie Niederflurpflegebetten in der Einrichtung (wenn auch möglicherweise nicht zweckentsprechend eingesetzt und deshalb nicht frei), zur Verfügung hatte. Die Seitengitter haben mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den späteren Unruhezuständen des Bewohners geführt. Ausgehend davon hält sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das Anbringen der Seitenteile sei unzulässig, im Rahmen der Judikatur. Daran ändert sich nichts, wenn nach den Feststellungen eine zweitägige Beobachtung, um den Bewohner kennenzulernen, sinnvoll gewesen wäre. Die Seitenteile wurden nicht während dieser Anfangszeit, sondern erst nach etwa einer Woche montiert.

Es werden insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).