OGH vom 19.11.2014, 6Ob115/14a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. O***** B*****, 2. D***** B*****, 3. M***** B*****, alle *****, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, gegen die beklagte Partei W***** F*****, vertreten durch Mag. Antonius Falkner, Rechtsanwalt in Vaduz, Liechtenstein (dienstleistender europäischer Rechtsanwalt gemäß § 5 Abs 3 ElRAG), wegen Unterlassung (Streitwert 32.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 10 R 35/14v 24, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
Die Vorinstanzen haben dem Beklagten Behauptungen dahingehend verboten, der Erstkläger und seine Familie, nämlich seine Ehefrau (die Zweitklägerin) und der gemeinsame Sohn (der Drittkläger), hätten mit dem am verübten Mord an der (damaligen) Ehefrau des Beklagten unmittelbar zu tun gehabt. Diese Vorwürfe erhebt der Beklagte seit rund 22 Jahren, in jüngerer Zeit sowohl auf der von ihm betriebenen Homepage als auch im Rahmen von Pressekonferenzen.
Wegen dieser Straftat wurde M***** K***** mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom zu 20 Vr 1549/90, 20 Hv 16/91, wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB verurteilt; eine dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wies der Oberste Gerichtshof zu 13 Os 128/91 am zurück. Diese Verurteilung gründete sich unter anderem auf ein Geständnis des Verurteilten. Diesem Strafverfahren hatte sich der Beklagte am , anwaltlich vertreten, als Privatbeteiligter angeschlossen.
Am erstattete der Beklagte zu 16 St 150/12a der Staatsanwaltschaft Innsbruck Strafanzeige gegen die Kläger mit der Behauptung, tatsächlich hätten diese seine Ehefrau ermordet, jedenfalls seien sie dem Verurteilten bei der Ermordung „behilflich“ gewesen. Dieses Strafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Innsbruck am gemäß § 190 Z 1 StPO ein. Einen Fortführungsantrag des Beklagten wies das Landesgericht Innsbruck zu 21 Bl 397/12h in einer siebzehnseitigen Entscheidung mit ausführlicher Begründung ab.
Das Berufungsgericht ließ in der angefochtenen Entscheidung letztlich die Frage offen, ob der Beklagte wahre Tatsachenbehauptungen verbreitet oder nicht. Es ging vielmehr davon aus, dass selbst bei Verbreitung wahrer Tatsachen eine Interessenabwägung zugunsten der Kläger getroffen werden müsste, dies vor allem im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK und den Umstand, dass der Beklagte vornehmlich von Gerüchten spreche; im Übrigen seien die Behauptungen bereits von den Strafverfolgungsbehörden geprüft und für nicht stichhältig gehalten worden.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf:
1. Die Kläger haben bereits in der Klage geltend gemacht, sie würden durch die Behauptung, mit dem Mordfall unmittelbar zu tun gehabt zu haben beziehungsweise Täter oder Mittäter bei diesem Mordfall gewesen zu sein, „massiv in ihrer Ehre gekränkt und im Kredit, dem Erwerb und Fortkommen gefährdet“. Sie haben ihren Unterlassungsanspruch deshalb entgegen der vom Beklagten in seiner außerordentlichen Revision vertretenen Auffassung sowohl auf § 1330 Abs 1 ABGB als auch auf § 1330 Abs 2 ABGB gestützt. Dass der Vorwurf, einen Mord begangen zu haben oder zumindest an diesem beteiligt gewesen zu sein, den Angesprochenen sowohl in seiner Ehre (Abs 1) als auch in seinem Ruf (Abs 2) beeinträchtigt, bedarf keiner weiteren Erörterungen.
2. Nach den Ausführungen der Vorinstanzen erhebt der Beklagte gegenüber den Klägern bereits seit 22 Jahren den Vorwurf, diese seien unmittelbar am Mord beteiligt gewesen. In der seit gerichtsanhängigen Unterlassungsklage stützen sich die Kläger auf derartige Behauptungen, die anlässlich einer im Jänner 2013 vom Beklagten veranstalteten Pressekonferenz von diesem getätigt wurden, und auf Eintragungen des Beklagten auf seiner Homepage etwa vom April 2013. Damit ist aber vor dem Hintergrund des § 1490 ABGB eine vom Beklagten behauptete Verjährung der hier geltend gemachten Ansprüche nicht erkennbar. Der Hinweis des Beklagten auf den Zeitraum von 22 Jahren, in denen die Kläger offensichtlich den Klagsweg nie beschritten haben, unterstellt vielmehr eine Verschweigung der Ansprüche infolge jahrelanger Untätigkeit. Eine solche Art des Anspruchsverlusts kann § 1490 ABGB allerdings nicht entnommen werden.
3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf die sich der Beklagte in seiner außerordentlichen Revision vornehmlich beruft, gegenüber der ehrenbeleidigenden Rufschädigung seine Grenze in einer unwahren Tatsachenbehauptung findet; eine solche wird nicht unter Berufung auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit gestattet (etwa 4 Ob 295/01p; 4 Ob 38/02w). Sind die Behauptungen des Beklagten somit unwahr (deren Richtigkeit hätte der Beklagte zu beweisen [RIS Justiz RS0031798], zumindest deren Kern [6 Ob 328/99z; 6 Ob 114/04i]), war das Unterlassungsbegehren jedenfalls berechtigt.
4. Im vorliegenden Fall stehen einander die gesetzliche Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 EMRK) und das Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) gegenüber. Wenn bei dieser Sachlage die Vorinstanzen in Anbetracht des Umstands, dass die Tat bereits 22 Jahre zurückliegt und die Vorwürfe zuletzt von der Staatsanwaltschaft neuerlich eingehend geprüft wurden, wobei dem Beklagten im Zusammenhang mit dem von ihm selbst gestellten Fortführungsantrag umfassende Parteistellung zukam, ungeachtet des Fehlens einer Bindungswirkung im technischen Sinn die Interessen der Kläger an der Unterlassung der Verbreitung der inkriminierten Äußerung höher bewertet haben als das Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung, so ist darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.
5. Da es somit auf die Frage der Wahrheit der von den Klägern inkriminierten Behauptungen des Beklagten in diesem Verfahren gar nicht ankommt und der Beklagte in seiner außerordentlichen Revision ohnehin argumentativ Stellung zur Interessenabwägung genommen hat, ist die vom Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens (Überraschungsentscheidung) nicht gegeben.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00115.14A.1119.000