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OGH vom 23.09.2004, 6Ob115/04m

OGH vom 23.09.2004, 6Ob115/04m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter R*****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Maria R*****, wegen Wiederaufnahme des Scheidungsverfahrens und Vergleichsanfechtung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 16 R 45/04m-7, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 21 Cg 22/04s-3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit seiner am beim Erstgericht überreichten Klage begehrte der Kläger die Wiederaufnahme seines seit 1976 beim Erstgericht anhängig gewesenen Ehescheidungsverfahrens, die Aufhebung des Scheidungsurteils vom hinsichtlich des Ausspruchs seines Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe und stattdessen den Ausspruch des Alleinverschuldens, hilfsweise des überwiegenden Verschuldens und hilfsweise des Mitverschuldens der Beklagten. Weiters begehrte er die Feststellung der Unwirksamkeit "bzw" die Aufhebung des im Zuge des Scheidungsverfahrens in der Tagsatzung vom geschlossenen Vergleichs, in dem er sich zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 1.000 S an die Beklagte verpflichtet habe. Er brachte vor, am davon Kenntnis erlangt zu haben, dass die Beklagte von Frühjahr 1994 bis Februar 1995 eine ehebrecherische Beziehung unterhalten habe. Dieser Ehebruch sei nach der hier maßgebenden Rechtslage gemäß § 47 EheG ein absoluter Scheidungsgrund und geeignet gewesen, einen anderen Verschuldensausspruch im Ehescheidungsverfahren herbeizuführen. Den Unterhaltsvergleich in dem mit dem Ehescheidungsverfahren verbundenen Unterhaltsstreit habe der Kläger nur geschlossen, weil er davon ausgegangen sei, der Beklagten keine absoluten Eheverfehlungen nachweisen zu können. Deshalb habe er auch sein ursprüngliches Begehren auf Scheidung aus Verschulden auf Scheidung aufgrund der Zerrüttung der Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG umgestellt. Vergleichsgrundlage sei ausschließlich sein damaliger Wissenstand gewesen. Nunmehr sei die Vergleichsgrundlage weggefallen, weshalb der Vergleich angefochten werde. Der Kläger habe sowohl an der Wiederaufnahme als auch an der Vergleichsanfechtung ein rechtliches Interesse, weil die Beklagte eine Klage auf Erhöhung des Unterhalts eingebracht habe.

Das Erstgericht sprach aus, dass es hinsichtlich der Vergleichsanfechtung nicht zuständig sei und wies die Klage in diesem Umfang zurück. § 227 Abs 2 ZPO bilde für die Verbindung der beiden Begehren keine taugliche Grundlage, weil die Streitwerte des mit 4.360 EUR bewerteten Wiederaufnahmeanspruchs und des mit 2.592 EUR bewerteten Anspruchs auf Vergleichsanfechtung den in § 49 Abs 1 JN bezeichneten Betrag von 10.000 EUR weder einzeln noch zusammen überstiegen und das angerufene Gericht überdies gemäß § 49 Abs 2 Z 2c JN unständig sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR nicht übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. § 76a JN schaffe zwar für Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis einen Gerichtsstand des persönlichen und sachlichen Zusammenhangs. Es sei hier aber kein Scheidungsverfahren anhängig. Mit der Einbringung einer Wiederaufnahmsklage gegen ein rechtskräftiges Scheidungsurteil werde auch keine Ehesache im Sinn des § 76 JN anhängig gemacht. Die Verfahrensvorschriften der §§ 540 ff ZPO bestimmten grundsätzlich eine Trennung des Aufhebungs- und des Erneuerungsverfahrens. Es stehe noch nicht fest, ob das Scheidungsverfahren hinsichtlich des Verschuldensausspruchs überhaupt wieder aufgenommen werde, weil gemäß § 541 Abs 1 ZPO zunächst über den Grund und die Zulässigkeit der Wiederaufnahme zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden sei. § 76a JN begründe daher keine Zuständigkeit des Erstgerichts für das Begehren auf Unwirksamerklärung des Unterhaltsvergleichs. Das Erstgericht habe auch die Anwendung des § 227 Abs 2 ZPO zu Recht verneint, weil diese Bestimmung nur für Ansprüche gelte, die kraft Wertzuständigkeit vor das Bezirksgericht gehörten, während das Anfechtungsbegehren gemäß § 49 Abs 2 Z 2 JN in die Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichts falle. Der Revisionsrekurs sei gemäß § 528 Abs 1 ZPO zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob § 76a ZPO auch die Einbringung einer Wiederaufnahmsklage gegen ein Scheidungsurteil umfasse. Im Hinblick darauf, dass ein Unterhaltsstreit gemäß § 49 Abs 2 Z 2 JN vorliege, sei der Revisionsrekurs auch bei einem Streitwert unter 4.000 EUR nicht jedenfalls unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 532 Abs 2 ZPO ist für die Wiederaufnahmsklage, wenn sie, wie hier, auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützt ist, das Prozessgericht erster Instanz (außer es wird nur eine in höherer Instanz ergangene Entscheidung vom Anfechtungsgrund betroffen) zuständig. Da das wiederaufzunehmende Verfahren gemäß § 50 JN in der bei Einbringung der Ehescheidungsklage vor der ZPO-Novelle BGBl 1983/135 geltenden Fassung beim Erstgericht infolge dessen Eigenzuständigkeit anhängig war, ist dieses auch für die Wiederaufnahmsklage zuständig.

Gemäß § 227 ZPO können mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten, auch wenn sie nicht zusammenzurechnen sind (§ 55 JN), in derselben Klage geltend gemacht werden, wenn für sämtliche Ansprüche 1. das Prozessgericht zuständig und 2. die selbe Art des Verfahrens zulässig ist (Abs 1). Jedoch können Ansprüche, die den in § 49 Abs 1 JN bezeichneten Betrag nicht übersteigen, mit solchen Ansprüchen verbunden werden, die ihn übersteigen, ferner Ansprüche, die vor den Einzelrichter gehören, mit solchen, die vor den Senat gehören. Im ersten Fall richtet sich die Zuständigkeit nach dem höheren Betrag; im zweiten Fall ist der Senat zur Entscheidung über sämtliche Ansprüche berufen (Abs 2).

Gemäß § 76a JN ist das Gericht, bei dem eine im § 76 Abs 1 genannte Streitigkeit anhängig ist oder gleichzeitig anhängig gemacht wird, für die aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden sonstigen Streitigkeiten einschließlich jener über den gesetzlichen Unterhalt (§ 49 Abs 2 Z 2 und 2c sowie Abs 3) ausschließlich zuständig. Das gilt nicht, wenn die Verhandlung über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder das Bestehen oder Nichtbestehen der Ehe in erster Instanz bereits geschlossen ist. § 76 JN betrifft Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien.

§ 76a JN setzt gegenüber § 227 ZPO, der mangels Einschränkung auch für die Verbindung von Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis mit einer Ehesache gilt, dieselbe sachliche und örtliche Zuständigkeit und die Zulässigkeit derselben Verfahrensart voraus (Simotta in Fasching, Komm I² § 76a JN Rz 14). Abs 2 dieser Bestimmung bezieht sich auf die Verbindung von Ansprüchen, die kraft Wertzuständigkeit einerseits vor das Bezirksgericht, andererseits vor den Gerichtshof (bzw vor den Einzelrichter oder vor den Senat) gehören.

Die Klagehäufung kann im vorliegenden Fall nicht auf § 227 ZPO gestützt werden, weil für die Wiederaufnahmsklage und die Vergleichsanfechtung verschiedene Gerichte sachlich zuständig sind und zudem die Eigenzuständigkeit des Gerichtshofs für die Wiederaufnahmsklage (§ 532 Abs 2 ZPO) und überdies - im Fall der Einordnung der Vergleichsanfechtung als Streitigkeit gemäß § 49 Abs 2 Z 2 oder Z 2c JN - die Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichts vorliegt. Die Bejahung der Zuständigkeit des Erstgerichts für die Anfechtung des Unterhaltsvergleichs gemäß § 76a JN würde voraussetzen, dass die Wiederaufnahmsklage als "Streitigkeit über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Ehe zwischen den Parteien" (§ 76 JN) und zudem die Vergleichsanfechtung als eine "Streitigkeit über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt" oder eine "andere aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringende Streitigkeit" (§ 49 Abs 2 Z 2 und 2c JN) zu qualifizieren wären.

Während die ältere Rechtsprechung davon ausging, dass eine Klage auf Feststellung, ein Unterhaltsvergleich sei nicht rechtsgültig zustande gekommen, keine Streitigkeit über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt sei (1 Ob 44/39 = EvBl 1939/250), umfasst nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs § 49 Abs 2 Z 2 JN alle Rechtsfragen des gesetzlichen Unterhalts (3 Ob 2084/96h; RIS-Justiz RS0046467). Auch die Anfechtung eines Unterhaltsvergleichs - etwa wegen Irrtums - ist eine Streitigkeit über den gesetzlichen Unterhalt. Diese weite Auslegung steht in Einklang mit den Gesetzesmaterialien (916 BlgNr 14. GP, 23), wo erläutert wird, dass das Wort "wegen" deshalb durch die - den weiter gezogenen Rahmen verdeutlichende - Präposition "über" ersetzt wurde, um die nach der bisherigen Rechtsprechung strittige Frage zu lösen, ob die Anfechtung des Unterhaltsvergleichs und die Klage auf Ersatz eines für ein eheliches Kind geleisteten Aufwands nach § 1042 ABGB ebenfalls in diesen Zuständigkeitstatbestand fallen (7 Ob 257/97p; 6 Ob 279/99v; 4 Ob 210/01p). Die gegenteilige Ansicht Simottas (aaO § 49 JN Rz 25), dass solche Klagen nicht unter § 49 Abs 2 Z 2 JN fielen, sondern dass für sie die Wertzuständigkeit gelte, lässt die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers unbeachtet und wird im Schrifttum auch sonst nicht vertreten (dagegen Mayr in Rechberger² § 49 JN Rz 4 und Fucik, ÖJZ 1994, 286 [287]). Ihr ist nicht zu folgen.

Die Vergleichsanfechtung ist daher ein Unterhaltsstreit. Damit ist einerseits die eine Voraussetzung des § 76a JN erfüllt. Andererseits folgt daraus, dass der Streitwert für das Anfechtungsbegehren gemäß § 58 Abs 1 JN das 3-fache der sich aus dem Unterhaltsvergleich ergebenden Jahresleistung beträgt und daher der Ausspruch des Rekursgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstands unbeachtlich ist. Dass der Wert des Entscheidungsgegenstands auch nach dieser Berechnung 4.000 EUR nicht übersteigt, steht, wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, der Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht im Weg, weil für die Rechtsmittelzulässigkeit in Unterhaltsstreitigkeiten die untere Streitwertgrenze nicht gilt (§ 528 Abs 2 Z 1 iVm § 502 Abs 5 Z 1 ZPO).

Zu prüfen bleibt daher, ob die vorliegende Wiederaufnahmsklage als Klage "über die Scheidung" im Sinn des § 76 Abs 1 JN bzw des wortgleichen § 49 Abs 2 Z 2b JN zu qualifizieren ist. Dies ist mit dem Rekursgericht zu verneinen, das zutreffend auf die in den §§ 541 ff ZPO vorgesehene Trennung des Aufhebungsverfahrens von der Durchführung des wiederaufgenommenen Verfahrens in der Hauptsache verwiesen hat (§ 510 Abs 3 ZPO). Es ist zwar richtig, dass, wie in der Revision ausgeführt wird, die Frage des Erfolgs der Vergleichsanfechtung einerseits und der Wiederaufnahmsklage andererseits im Zusammenhang zu sehen ist, doch kann diesem Umstand auch bei der Führung beider Verfahren vor verschiedenen Gerichten, nämlich durch eine Unterbrechung des Anfechtungsverfahrens nach § 190 ZPO, Rechnung getragen werden. Für die Lösung der Vorinstanzen spricht insbesondere auch der Wortlaut des § 76a JN letzter Satz, wonach diese Bestimmung nicht zur Anwendung kommt, wenn die Verhandlung über die Scheidung in erster Instanz bereits geschlossen ist. Dies ist hier der Fall. Das Ehescheidungsverfahren ist rechtskräftig beendet. Durch die Einbringung der Wiederaufnahmsklage wird die Rechtskraft des Ehescheidungsurteils samt dessen Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung noch nicht beseitigt. Erst mit der rechtskräftigen Bewilligung der Wiederaufnahme (§ 541 ZPO) tritt das im Vorprozess ergangene Urteil außer Kraft (Kodek in Rechberger ZPO² § 541 Rz 1). (Erst) durch die Aufhebung der dort gefällten Entscheidung tritt der Vorprozess in den Stand des erstgerichtlichen Verfahrens vor Schluss der Verhandlung zurück (1 Ob 552/94). Selbst bei der Auslegung, dass ein Verfahren "über die Scheidung" iSd § 76 Abs 1 JN, auf den § 76a JN verweist, auch vorliegt, wenn nicht die (unangefochten erfolgte) Auflösung des Ehebands, sondern nur mehr die Verschuldensfrage strittig ist (vgl Simotta aaO § 49 JN Rz 36, 39, wonach die Ergänzungsklage nach den §§ 57 und 59 JN als "Streitigkeit aus dem Eheverhältnis" gemäß § 49 Abs 2 Z 2c JN zu qualifizieren ist), ist ein solches Verfahren jedenfalls nicht anhängig, solange über die Wiederaufnahmsklage noch nicht entschieden ist. Vor Bewilligung der Wiederaufnahme ist ein Verfahren "über die Scheidung" auch nicht "anhängig gemacht".

Ob das Begehren der Wiederaufnahmsklage in der vorliegenden Form überhaupt schlüssig ist - gemäß § 61 Abs 3 EheG steht bei einer Scheidung nach § 55 EheG dem beklagten Ehepartner das Antragsrecht auf Ausspruch des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens des Klägers zu, sodass der Kläger im Rahmen eines Wiederaufnahmsverfahrens allenfalls nur den Entfall des Ausspruchs seines Verschuldens an der Zerrüttung erreichen kann - ist hier nicht zu prüfen, weil im vorliegenden Rechtsmittelverfahren nur über die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zur Entscheidung über die Vergleichsanfechtung zu entscheiden ist.

Da das auf die Anfechtung des im Ehescheidungsverfahren geschlossenen Unterhaltsvergleichs gerichtete Begehren ungeachtet der Wiederaufnahmsklage betreffend den Ausspruch des Verschuldens an der Zerrüttung der Ehe im vorangehenden Scheidungsverfahren in die sachliche Zuständigkeit (Eigenzuständigkeit) des Bezirksgerichts fällt, sind die die Klage insoweit zurückweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen zu bestätigten. Der gleichzeitig gestellte Überweisungsantrag ist vom Erstgericht zu behandeln.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf den §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO.