OGH vom 16.12.2019, 7Ob190/19w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen L***** I*****, geboren am ***** 2013, vertreten durch die Mutter H***** I*****, diese vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, Vater DI S***** A*****, vertreten durch Mag. Brigitta Hülle, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 261/19v-144, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 15 Pu 252/15m-137, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nach § 71 Abs 1 AußStrG – nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung des Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).
1.1 Der Unterhaltsschuldner hat alle Kräfte anzuspannen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können; er muss alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einsetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RS0047686). Die für die Ausmittlung des konkreten Unterhaltsbedarfs zu bestimmende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist danach zu bemessen, wie ein pflichtbewusster Elternteil in der konkreten Lage des Unterhaltspflichtigen die diesem zur Erzielung von Einkommen zur Verfügung stehenden Mittel an Arbeitskraft und Vermögen vernünftigerweise einsetzen würde (RS0113751). Bei Begründung einer selbständigen Erwerbstätigkeit durch den Unterhaltspflichtigen muss während der von der Art des Betriebs und der Zielstrebigkeit sowie den persönlichen Bemühungen des Unternehmens abhängigen Übergangsfrist vom Unterhaltsberechtigten auch eine vorübergehende Unterhaltsreduktion in Kauf genommen werden. Einkommenseinbußen sind aber nur dann hinzunehmen, wenn es sich um die Begründung einer realistischen Einkommensquelle handelt und in absehbarer Zeit mit einem gegenüber dem bisherigen höheren angemessenen Einkommen gerechnet werden kann (RS0087653). Stellt sich heraus, dass mit solchen Einkünften in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, so muss der Schuldner entweder eine zumutbare Nebenbeschäftigung annehmen oder wieder unselbständig tätig werden (RS0047686 [T10]; vgl RS0087653 [T3]).
1.2 Ob der Anspannungsgrundsatz anwendbar ist, richtet sich jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls (RS0007096) und begründet damit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG.
1.3 Der Vater war von Jänner 2015 bis November 2016 als unselbständiger Architekt tätig. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage seines damaligen Arbeitgebers erfolgte im April 2015 eine Reduzierung der Wochenstunden und im November 2016 seine Kündigung. In diesem Zeitraum brachte er zwischen 869 und 930 EUR monatlich (netto) ins Verdienen. Nachdem er bereits Ende 2015 wegen unsicherer Auftragslage mit einer – zusätzlich ausgeübten – selbständigen Tätigkeit gescheitert war, startete er im Mai 2017 einen neuerlichen Versuch. Im Zeitraum bis verdiente er – nach Berücksichtigung eines Gründungszuschusses von 880 bzw 339 EUR – 339 bzw 971,08 EUR (netto) pro Monat. Seit ist er wiederum – im Ausmaß von 32 Wochenstunden – unselbständig tätig und bezieht ein Monatsbruttogehalt von 2.000 EUR. Er hätte ab – unter Anspannung seiner Kräfte ab – eine Vollzeitbeschäftigung als angestellter Architekt mit Spezialkenntnissen der 3DVisualisierungen ausüben und jedenfalls ein monatliches Nettoeinkommen von 2.184 EUR beziehen können.
1.4 Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass ein pflichtgemäßer Familienvater in der gegebenen Situation weder bloß geringfügig bezahlten Teilzeitbeschäftigungen nachgegangen wäre, noch versucht hätte, eine – bereits kurz davor gescheiterte – selbständige Tätigkeit wiederaufzunehmen. Er hätte sich vielmehr bereits nach Reduzierung seiner Wochenstunden um eine unselbständige Vollzeitbeschäftigung bemüht und eine solche auch spätestens mit gefunden. Vor diesem Hintergrund sei eine Anspannung auf jenes Einkommen vorzunehmen, das er bei einem entsprechend pflichtgemäßen Verhalten erzielt hätte. Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der Judikatur und ist im Einzelfall nicht zu beanstanden.
2.1 Die mit der Ausübung des üblichen Besuchsrechts verbundenen Kosten des Unterhaltspflichtigen können die Unterhaltsbemessung grundsätzlich nicht schmälern (RS0047505). Die Rechtsprechung anerkennt aber, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil seiner Besuchspflicht nachkommen können muss, ohne den eigenen Unterhalt zu gefährden (RS0121100). Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits dahin Stellung genommen, dass es dem Kindeswohl entspricht, den Geldunterhalt in gewissen Grenzen zu reduzieren, um so den Besuchskontakt zu ermöglichen, wenn der geldunterhaltpflichtige Elternteil auch bei Anspannung seiner Kräfte und unter Reduzierung seiner eigenen Bedürfnisse auf das Existenzminimum nicht in der Lage ist, sowohl den nach der Prozentkomponente ermittelten Geldunterhalt zu leisten als auch die Besuchskosten zu tragen, (3 Ob 10/09f).
2.2 Damit konnten die Vorinstanzen, die vom Vater als erheblich erachtete Frage bereits durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung dahin klären (RS0118640), dass für die Beurteilung einer allfälligen Unterhaltsminderung durch Besuchskosten nicht vom tatsächlichen Einkommen, sondern von jenem auszugehen ist, das unter Anspannung der Kräfte hätte erzielt werden können.
3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00190.19W.1216.000 |
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