OGH vom 22.12.2016, 6Ob238/16t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen P***** P*****, geboren am *****, sowie A***** P*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs der Kindesmutter A***** S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Wiedner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 290/16d 138, mit dem infolge Rekurses der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 2 Pu 105/10v 130, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
1. Die Frage, ob für die Argumentation des Rekursgerichts, die Kindesmutter hätte im Rahmen des Anspannungsgrundsatzes eine weitere Teilzeitbeschäftigung annehmen müssen, in den Feststellungen des Erstgerichts eine ausreichende Grundlage besteht, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil sich die Entscheidungen der Vorinstanzen schon aus anderen Erwägungen als zutreffend erweisen:
2.1. Nach dem sogenannten Anspannungs grundsatz hat der Unterhaltsschuldner alle Kräfte anzuspannen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können; er muss alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einsetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RIS Justiz RS0047686). Eine Anspannung des Unterhaltsschuldners auf ein Einkommen, das er tatsächlich nicht erzielt, aber bei zumutbarem Einsatz aller seiner Kräfte erzielen könnte, kommt nur in Betracht, wenn er pflichtwidrig zumutbare Einkunftsbemühungen unterlässt, den Unterhaltsschuldner also ein Verschulden daran trifft, dass er kein Erwerbseinkommen hat oder ihm die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann. Dabei genügt bereits die leicht fahrlässige Herbeiführung des Einkommensmangels durch Außerachtlassung pflichtgemäßer zumutbarer Einkommensbemühungen (RIS Justiz RS0047495 [T2, T 24, T 29, T 31]; zu Bemühungen, um die Erlangung eines Arbeitsplatzes vgl auch 1 Ob 65/16i).
2.2. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es im Fall des Verlusts des Arbeitsplatzes des Unterhaltspflichtigen bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage ganz maßgeblich auf dessen Verhalten nach dem Verlust an (RIS Justiz RS0106230). Der Mangel an zielstrebiger und tatkräftiger Arbeitsplatzsuche löst den Anspannungsgrundsatz aus (RIS Justiz RS0106230 [T2]). Die bloße Anmeldung bei Arbeitsvermittlungsstellen allein reicht grundsätzlich nicht aus; vielmehr hat der Unterhaltspflichtige auch Eigeninitiative zu entfalten (RIS Justiz RS0106230 [T4]).
3. Wenn die Vorinstanzen zu der Einschätzung gelangten, dass die Mutter, die sich in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren für 21 Stellen beworben hat (was ca 1,2 Bewerbungen pro Monat entspricht), keine ausreichende Eigeninitiative entfaltete, so ist dies nicht zu beanstanden. Damit hat die Kindesmutter schon keine ausreichenden Initiativen gesetzt, eine – ihr prinzipiell zumutbare – Vollzeitbeschäftigung zu finden. Auf die Frage, inwieweit sie verpflichtet wäre zusätzlich zu ihrer Teilzeitbeschäftigung eine weitere Teilzeitbeschäftigung anzunehmen, kommt es daher nicht an.
4. Soweit sich die Revisionsrekurswerberin gegen die Feststellungen der Vorinstanzen wendet, ist dem entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung der Vorinstanzen in dritter Instanz auch im Außerstreitverfahren grundsätzlich nicht mehr anfechtbar ist (vgl RIS Justiz RS0007236). Einen Verstoß gegen zwingende Denkgesetze im Sachverständigengutachten (vgl RIS Justiz RS0043404) zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.
5. Dem Vorbringen, das rekursgerichtliche Verfahren sei mangelhaft, weil sich das Rekursgericht auf Feststellungen des Erstgerichts stütze, die deshalb fehlerhaft zustandegekommen seien, weil das Erstgericht die Mutter nicht zur Vorlage von Bewerbungsunterlagen aufgefordert habe, ist entgegenzuhalten, dass der damit behauptete Mangel des Verfahrens erster Instanz im Rekurs nicht gerügt wurde (vgl RIS Justiz RS0043111 [T18]). Zudem hat das Erstgericht die Kindesmutter mehrfach aufgefordert, Unterlagen über ihre Arbeitssuche vorzulegen (vgl ON 66, ON 117).
6.1. Soweit die Kindesmutter die Berücksichtigung von nach der Beschlussfassung erster Instanz eingetretenen Umständen anstrebt, ist ihr entgegenzuhalten, dass nova producta im Rekursverfahren nur zu berücksichtigen sind, wenn sie nicht ohne wesentlichen Nachteil zum Gegenstand eines neuen Antrags gemacht werden können (§ 49 Abs 3 AußStrG). Dies trifft jedoch etwa dann nicht zu, wenn bloß die Gefahr besteht, aufgrund geänderter Verhältnisse „überhöhte“ Unterhaltsbeiträge zu zahlen ( Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 49 Rz 31; Fucik/Kloiber AußStrG § 49 Rz 5).
6.2. Abgesehen davon, dass Bewerbungen, die nach dem erstgerichtlichen Beschluss datieren, für die rechtlich allein maßgebliche Intensität der Bemühungen der Mutter vor diesem Zeitpunkt nur eingeschränkte Aussagekraft haben, ist der Revisionsrekurswerberin überdies entgegenzuhalten, das es unzweckmäßig wäre, das der rechtlichen Kontrolle dienende und für die Parteien kostenaufwendigere Rechtsmittelverfahren in Unterhaltssachen mit Neuerungen zu überfrachten (8 Ob 124/15s). In aller Regel können im Unterhaltsverfahren Neuerungen, auf deren Grundlage eine Herabsetzung des Kindesunterhalts angestrebt wird, nur ausnahmsweise Berücksichtigung finden, zumal bei einer Änderung der maßgeblichen Verhältnisse dem Unterhaltspflichtigen ohnedies ein Antrag auf Neubemessung offensteht (vgl auch RIS Justiz RS0119918 [T1]; 8 Ob 124/15s).
7. Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurs daher keine Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00238.16T.1222.000