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OGH vom 23.11.1999, 1Ob191/99s

OGH vom 23.11.1999, 1Ob191/99s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz H*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 47 Mio S sA und Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 203/98w-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenteilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 31 Cg 29/97f-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 47 Mio S samt 12 % Zinsen seit Klagstag binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 217.079 S (darin 80 S Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 104.420 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 75.197,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am wurde das gegen den Kläger, zunächst nur wegen fahrlässiger Krida geführte und eingestellte Strafverfahren formlos wieder aufgenommen. Die Voruntersuchung wurde am eingeleitet; vom bis befand sich der Kläger in Untersuchungshaft. Am wurde die Voruntersuchung - nachdem der Untersuchungsrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien 110 Privatbeteiligte und 180 Zeugen (wie auch die Europäische Kommission für Menschenrechte [im folgenden nur EKMR] in ihrem Bericht hervorhebt) vernommen und mehrere Sachverständigengutachten (darunter eines des Sachverständigen Dkfm. B***** von 2.432 Seiten) eingeholt hatte - geschlossen und der aus zahlreichen Bänden mit Anhängen der Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 112 Abs 1 erster Satz StPO übermittelt. In die Zeit bis zur Anklageerhebung fielen neben anderen folgende, für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft relevante Verfahrensschritte (Ersturteil, "Zeittabelle" [S. 50 ff]):

: StA gibt keine Erklärung zu der vom Kläger geforderten Herausgabe von Gegenständen ab.

: Übersendung eines SV-Gutachtens an die StA Wien zur Äußerung.

: Einlangen von Erhebungsergebnissen der Wirtschaftspolizei.

: Beschuldigteneinvernahme Manfred S*****.

: StA Wien beantragt, den SV Dkfm. B***** aufzufordern, Aufzeichnungen über die aufgewendeten Stunden vorzulegen.

: Einlangen eines Ausfolgungsantrags durch Manfred S*****; StA Wien gibt negative Stellungnahme hiezu ab.

: StA Wien nimmt negative Stellungnahme hinsichtlich des Ausfolgungsantrags zurück; Beschluss des Untersuchungsrichters auf Bestimmung der Sachverständigengebühren.

: Beschuldigteneinvernahme Christian S***** durch den Untersuchungsrichter.

: Beschuldigteneinvernahme des Klägers und Gebührenbeschluss durch den Untersuchungsrichter.

: Einlangen von Erhebungsergebnissen der Wirtschaftspolizei.

: StA Wien beantragt: 1. Beischaffung von aktuellen Grundbuchsauszügen und sämtlichen dazugehörigen Urkunden; 2. Erhebungsauftrag an Wirtschaftspolizei; 3. Beischaffung eines Akts des Handelsgerichts Wien.

: Beschluss des Untersuchungsrichters im Sinn des Antrags der StAWien.

: Einlangen der Grundbuchsauszüge, der Erhebungsergebnisse der Wirtschaftspolizei sowie des Akts des Handelsgerichts Wien.

: Einlangen der Anklageschrift gegen den Kläger und vier Mitangeklagte mit der Erklärung der Staatsanwaltschaft Wien, dass die Ausdehnung der Anklage gegen den Kläger wegen des Verdachts der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB der Hauptverhandlung vorbehalten bleibe, Teileinstellung des Verfahrens gegen den Kläger in vier Punkten und seine Mitangeklagten in mehreren Punkten, Einstellung des Verfahrens gegen drei weitere Beschuldigte sowie Antrag auf Ausscheidung des Verfahrens gegen vier weitere Beschuldigte einschließlich der Ehegattin des Klägers, gegen die zugleich ein Strafantrag eingebracht wurde.

In der 104 Seiten starken Anklageschrift vom (ON 812 XXV. Band des Strafakts [ohne den einen eigenen Band bildenden Antrags- und Verfügungsbogen]) gegen den Kläger und vier Mitangeklagte wurde dem Kläger in den Punkten I., Unterpunkte A., B., C., D. und E., IV., V. Unterpunkt D. und VII. das Vergehen der fahrlässigen Krida, teils als Beteiligter nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 3 zweiter Satz, § 12 StGB sowie das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs, teils als Beteiligter nach § 146,§ 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, § 148 zweiter Fall, § 12 zweiter Fall StGB vorgeworfen. Nach Erledigung der Einsprüche, auch des Klägers, gegen die Anklageschrift durch das Oberlandesgericht Wien und verschiedenen anderen Zwischenerledigungen (Gebührenbeschlüsse, Beschwerde dagegen etc) wurden die Akten dem Vorsitzenden am gemäß § 210 StPO übersendet; dieser schrieb am die Hauptverhandlung für den und weitere Termine aus. In der Zeit bis zu deren Beginn fielen noch verschiedene Zwischenerledigungen. Nach der sich über 25 Tage erstreckenden Hauptverhandlung wurde der Kläger schließlich mit dem (836 Seiten starken) Urteil des Schöffensenats vom (ON 1026 XXXI.Band des Strafakts) wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs, nun auch betrügerischer und fahrlässiger Krida zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er als Schuldner mehrerer Gläubiger, im Einverständnis mit seiner gesondert verfolgten Ehegattin als Obmann des Vereins "Vereinigung der Freunde Grinzings" sowie als Geschäftsführer der Vereinigung der Freunde Grinzings Geschäftsführungs-GmbH und der Vereinigung der Freunde Grinzings Geschäftsführungs-GmbH & Co KG, die jeweils auch Schuldner mehrerer Gläubiger gewesen seien, I.1. in wechselnden Zeiträumen zwischen 1978 und Ende 1981 fahrlässig seine bzw deren Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt oder dazu beigetragen habe, indem er die Geschäfte trotz unzulänglicher Eigenmittel teils aufnahm, teils fortgeführt sowie leichtsinnig und unverhältnismäßig Kredit benützt habe, 2. in wechselnden Zeiträumen zwischen Anfang 1981 bis in Kenntnis der jeweiligen Zahlungsunfähigkeit fahrlässig die Befriedigung von Gläubigern vereitelt oder geschmälert habe, indem er Schulden gezahlt habe und neue Schulden eingegangen sei und nicht die Eröffnung eines Konkursverfahrens beantragt habe, wobei er jeweils Geschäftsbücher verfälscht habe, IV. in der Zeit von Anfang 1985 bis Mitte 1986 - somit während des bereits anhängigen Strafverfahrens - seine vier Mitangeklagten zur Ausführung der unter Punkt V. näher bezeichneten Betrugshandlungen gewerbsmäßig bestimmt habe, V. mit seinen vier Mitangeklagten in bewußtem und gewollten Zusammenwirken mit dem Vorsatz, sich (insbesondere den Kläger) durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, eine Reihe von Personen und Gesellschaften zur Ausfolgung von Sparbüchern, Sparbriefen unter Nennung der Losungsworte, von Inhaberpapieren, Juxtenbons, Postsparbriefen sowie zur Zuzählung von Darlehen verleitet habe, wobei der dem Kläger aus den Betrugsfakten zuzurechnende Schaden 20,278.043 S betragen habe. Der Spruchpunkt VI. (Vergehen der gefährlichen Drohung des Klägers gegenüber seinem damaligen Amtsverteidiger) kann hier vernachlässigt werden. Auch seine vier Mitangeklagten wurden verurteilt. Mit Beschluss und Urteil des Obersten Gerichtshofs vom bzw (ON 1073 und ON 1076, beide XXXIII.Band des Strafakts) wurde das Ersturteil in Ansehung des Klägers - mit Ausnahme der Qualifikation nach § 147 Abs 1 Z 1 StGB in den Punkten IV. und V. - bestätigt, jedoch im Zuge der Neubemessung die verhängte Freiheitsstrafe auf fünfeinhalb Jahre herabgesetzt; im Schuldausspruch zu Punkt VI. wurde die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Staatsanwaltschaft Wien erklärte am , die Anklage gegen den Kläger und einen Mitangeklagten, soweit sie durch die Aufhebung und Rückverweisung in einzelnen Punkten noch offen war, aus dem Grunde des § 34 Abs 2 Z 1 StPO gemäß § 227 Abs 1 StPO zurückzuziehen. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs wurde dem Verteidiger des Klägers am zugestellt.

Aufgrund der vom Kläger am eingebrachten Beschwerde verfasste die Europäische Kommission für Menschenrechte den am angenommenen - nur in den eigenständigen Erwägungen der EKMR wiedergegebenen - Bericht gemäß Art 31 MRK:

"...

25. Die Kommission räumt ein, das (gemeint: dass) das Verfahren eine gewisse zusätzliche Komplexität aufwies, stellt aber fest, daß die rechtlichen Fragen klar waren. Außerdem wäre zwar dem Beschwerdeführer eine gewisse Verantwortung für einen Teil der Dauer des Verfahrens zuzurechnen, die Gesamtdauer von mehr als neun Jahren sei aber nicht überzeugend erklärt worden.

26. Im Lichte der durch Präzedenzrecht etablierten Merkmale und unter Berücksichtigung der Umstände des gegenständlichen Falles kommt die Kommission zu der Auffassung, das (gemeint: dass) das Verfahren ungebührlich lange dauerte und nicht dem Erfordernis "der angemessenen Frist" entsprach.

SCHLUSSFOLGERUNG

27. Die Kommission kommt einstimmig zu der Auffassung, daß eine Verletzung des Artikels 6 Absatz 1 der Konvention vorliegt."

Das Ministerkomitee des Europarats sprach dem Kläger aufgrund der von ihm eingebrachten Menschenrechtsbeschwerde eine Entschädigung von 90.000 S 45.000 S für immaterielle Schäden und 45.000 S für Kosten und Auslagen) zu, die durch Aufrechnung mit rechtskräftigen und vollstreckbaren Ansprüchen der beklagten Partei bereits beglichen ist.

Mit der am eingebrachten Klage begehrte der Kläger den Ersatz seines mit 47 Mio S sA bezifferten Schadens sowie die Feststellung der Haftung des beklagten Rechtsträgers für alle künftigen Schäden, die dessen Organe durch die überlange Dauer des Strafverfahrens verursacht hätten. Dadurch sei über den Kläger und seine Familie in den Medien negativ berichtet worden. Daraufhin seien Gäste und Reiseveranstalter ausgeblieben. Er habe daher die von ihm betriebenen näher bezeichneten Lokale und Buffets aufgeben müssen. Seine Familie habe ohne ihn und seine Arbeitskraft auskommen müssen. Die schleppende Verfahrensführung der Organe der beklagten Partei habe ihn daran gehindert, seine Betriebe effektiv zu führen.

Die beklagte Partei wendete ua ein, dass die Organe der beklagten Partei kein Verschulden an der Verfahrensdauer treffe, die Dauer vielmehr durch die besondere Komplexität der vom Kläger begangenen strafbaren Handlungen, die wirtschaftlichen Verflechtungen sowie die zahlreich zu vernehmenden Zeugen und die einzuholenden Sachverständigengutachten bedingt gewesen sei (ON 9).

Das Erstgericht erkannte das Leistungsbegehren dem Grunde nach als zu Recht bestehend. Es verneinte den Eintritt der von der beklagten Partei ins Treffen geführten Verjährung des Klageanspruchs und vertrat im übrigen die Auffassung, es sei an den Ausspruch der EKMR über die Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK gebunden, sodass die Rechtswidrigkeit vom Amtshaftungsgericht nicht neuerlich überprüft werden könne. Zu prüfen sei vielmehr nur mehr, ob die Verfahrensverzögerungen ein unvertretbares Ausmaß (schuldhaftes Verhalten der Organe) erreicht hätten. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer sei anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls und insbesondere nach dessen "Kontext", der verschiedenen Verfahrensabschnitte, des Verhaltens der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie deren Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten zu prüfen. Hier sei die Angelegenheit sehr komplex und für die Beteiligten auch äußerst bedeutsam gewesen. Der Kläger habe in manchen Verfahrensabschnitten eine Verzögerung des Verfahrens "erwirkt" (wiederholtes Nichterscheinen, verspätete Vorlage von Urkunden an den Sachverständigen). Unter Berücksichtigung dieser Umstände seien die Anklageerhebung erst über ein Jahr nach Schluss der Voruntersuchung und die Ausschreibung der Hauptverhandlung über ein Jahr nach Anklageerhebung als unvertretbar hervorzuheben. Insoweit sei der beklagten Partei der ihr obliegende Beweis des fehlenden Verschuldens nicht gelungen. Dies gelte auch für ein allfälliges Organisationsverschulden des Rechtsträgers. Es wäre nämlich an den zuständigen Organen der beklagten Partei gelegen, die "Geschäftsordnung" der Staatsanwaltschaft Wien bzw des Landesgerichts für Strafsachen Wien so zu gestalten, dass auch komplizierte und umfangreiche Verfahren in angemessener Zeit erledigt werden könnten und insbesondere auch möglich gewesen, die für das Verfahren zuständigen Richter und Staatsanwälte zu entlasten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im wesentlichen aus den erstrichterlichen Erwägungen. Die vom Erstgericht aufgezeigten Verfahrensverzögerungen seien selbst bei Berücksichtigung der Komplexität des Verfahrens, des bedeutenden Aktenumfangs und der Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung jedenfalls unvertretbar und damit schuldhaft verursacht worden, auch wenn man die von der Berufungswerberin vermißten Feststellungen berücksichtige. Ob dieses Verschulden in der zögerlichen Vorgangsweise einzelner Organe oder aber in einem Mangel der Organisation oder in einer Kombination dieser Umstände liege, brauche nicht näher geprüft zu werden.

Rechtliche Beurteilung

Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

Gemäß Art 6 Abs 1 MRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist vor einem Gericht gehört wird, das über die Stichhaltigkeit der gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Die Konventionsorgane können staatliche Akte nicht aufheben; sie können bloß deren Konventionswidrigkeit festststellen und gegebenenfalls eine Entschädigung zubilligen (Art 50 MRK). Stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Konventionsverletzung fest, so ist dies für alle Organe Österreichs insoweit bindend, als nicht die Auffassung vertreten werden kann, das staatliche Verhalten sei konventionsgemäß gewesen; die Wiedergutmachung kann aber nur nach Maßgabe der im nationalen Recht gebotenen Möglichkeiten erfolgen (SZ

68/102 = JBl 1995, 794; SZ 70/243 = JBl 1998, 370, zuletzt 1 Ob

116/97h = ZfRV 1999, 72, je mwN; RIS-Justiz RS0082951). Die Parteien

(und auch) die Vorinstanzen gingen übereinstimmend davon aus, dass diese Bindung auch für durch die EKMR festgestellte Konventionsverletzungen nach Art 6 Abs 1 MRK zu gelten habe, sodass die Richigkeit dieser Auffassung nicht mehr weiter zu prüfen ist.

Verzögerungsschäden sind aus dem Titel der Amtshaftung nur insoweit ersatzfähig, als sie durch unvertretbare Anwendung des Verfahrensrechts verursacht wurden (SZ 52/98, SZ 68/102). Der Kläger macht einen bloßen Vermögensschaden geltend. Nach ständiger, von der Lehre gebilligter Rspr macht die Verursachung eines Vermögensschadens nur dann ersatzpflichtig, wenn eine vorwerfbare Verletzung eines absoluten Rechts, die Übertretung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB oder ein sittenwidriges Verhalten des Schädigers vorliegt (zuletzt ÖBA 1996, 213 mwN). In Frage kommt hier nur die Übertretung eines Schutzgesetzes. Die Verpflichtung zum unverzüglichen Tätigwerden richterlicher Organe ergibt sich hier aus mehreren Bestimmungen der Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz (Geo): Im 8. Kapitel der Geo (Allgemeine Vorschriften für Gericht und Parteien) ordnet § 49 Abs 1 Geo unter der Überschrift "Allgemeine Pflichten der Richter und sonstigen Bediensteten des Gerichtes" an, dass die bei Gericht verwendeten Personen die ihnen übertragenen Geschäfte dem Gesetz und den sonstigen Vorschriften gemäß nach bestem Wissen und Können mit tunlichster Raschheit auszuführen haben. Dieser programmatischen Anordnung ist ua auch die Bestimmung des § 110 Abs 1 Geo (Fristen für die Erledigung) gewidmet, wonach die eingelaufenen Stücke und die bei Gericht aufgenommenen Protokolle, wenn sie dringende Angelegenheiten (zB Haftsachen) betreffen, sogleich, sonst so rasch, wie es die Geschäftslage gestattet, zu erledigen sind. Nach § 2 der Verordnung des BMJ zur Durchführung des StaatsanwaltsG BGBl 1986/338 (DV-StAG) findet die Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz (Geo) in der jeweils geltenden Fassung auf die staatsanwaltschaftlichen Behörden unmittelbar oder sinngemäß Anwendung, soweit diese Vorschriften nicht nur auf die Gerichte anwendbar sind oder in der StPO, im StAG oder in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Diese allgemeine Rechtspflicht wird im Rechtsmittel auch nicht in Frage gestellt. Dass die Bestimmungen des § 49 Abs 1 und des § 110 Abs 1 Geo ebenso wie Art 6 Abs 1 MRK auch Schutzgesetze zugunsten der von einem Strafverfahren Betroffenen gegen Vermögensnachteile sind, die ihnen aus einem nicht mit tunlicher Raschheit angeordneten Maßnahmen erwachsen, und damit der Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben ist, ist evident (vgl 1 Ob 10/96 = RdW 1997, 201).

Organe der Rechtsträger sind ausnahmslos verpflichtet, sich rechtmäßig zu verhalten, sodass die Behauptungs- und Beweislast für mangelndes Verschulden bei Nichterfüllung dieser Rechtspflicht stets den Rechtsträger trifft (SZ 60/217, SZ 65/2 uva, zuletzt 1 Ob 407/97b = SZ 71/79; RIS-Justiz RS0049794). Da im Geltungsbereich des AHG nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu haften ist, umfaßt die Haftungsverpflichtung des Rechtsträgers grundsätzlich nicht nur grobes, sondern auch leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendes Verschulden des Organs (SZ 53/83, SZ 65/2, SZ 68/191, SZ 69/147, je mwN uva; RIS-Justiz RS0026381; Schragel AHG2 Rz 147). Der Auffassung der Vorinstanzen, die Angemessenheit der Verfahrensdauer sei, der Rspr des Europäischen Gerichshofs für Menschenrechte entsprechend anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls und insbesondere nach dessen Kontext, der verschiedenen Verfahrensabschnitte, des Verhaltens der Beteiligten im Laufe des Verfahrens, der Komplexität der Angelegenheit sowie deren Bedeutung für die verschiedenen Beteiligten zu prüfen, ist an sich zu billigen. Grundsätzlich ist der Gang des Strafprozesses vom Grundsatz der Raschheit beherrscht, sodass jede unnötige Verzögerung zu vermeiden ist, ohne dass freilich eine Beschleunigung auf Kosten der Gründlichkeit zulässig wäre (Lohsing/Serini, Österr. Strafprozeßrecht 339). Demgemäß stellt etwa die Abgabe einer Einstellungserklärung, ohne dass der gegen den Beschuldigten bestehende Tatverdacht entsprechend den strafprozessualen Vorschriften unter Ausschöpfung aller zweckdienlichen Beweismittel so weit wie möglich aufgeklärt wurde, einen Mißbrauch der dem Staatsanwalt als öffentlichem Ankläger zufolge des Legalitätsprinzips obliegenden Amtsbefugnisse in Vollziehung der Gesetze dar, der eine Schädigung des konkreten Rechts des Staates auf Strafverfolgung gemäß den strafprozessualen Bestimmungen zur Folge hat, und zwar unabhängig davon, ob der Verdacht letztlich zu einer strafgerichtlichen Verurteilung führt oder nicht, sofern es sich bei den gezielt unterlassenen weiteren Beweisaufnahmen nicht um aussichtslose Beweise handelte (SSt 57/85 = EvBl 1987/72 ua; RIS-Justiz RS0097029).

Die Vorinstanzen haben die Verzögerungen bei der Ausfertigung der Anklageschrift und der Ausschreibung der Hauptverhandlung "als unvertretbar hervorgehoben", jedoch festgehalten, dass der Kläger in gewissen Verfahrensabschnitten eine Verzögerung des Verfahrens "erwirkt" habe, dies vor allem durch wiederholtes Ausbleiben sowie durch verspätete Vorlage von Urkunden an den Sachverständigen.

(kein Absatz) Sieht man vorerst von diesen Verzögerungen, die noch Gegenstand weiterer Erörterungen sein werden, ab, so ergaben sich, wie der erkennende Senat prüfte, keine Hinweise auf Verfahrensverzögerungen, die den damit befassten Organen vorzuwerfen wären; das gilt namentlich auch für die Tätigkeit des Untersuchungsrichters, vor allem im Zusammenhang mit der Einholung mehrerer komplizierter und umfangreicher Begutachtungen, insbesondere aber auch angesichts der zahlreichen, gemäß § 56 StPO einbezogenen Nachtragsanzeigen, die nicht bloß zahlreiche Gutachtensergänzungen erforderlich machten, sondern den Untersuchungsrichter zu häufigen Urgenzen bei den Sachverständigen nötigten.

§ 112 Abs 1 zweiter Satz StPO sieht vor, dass der Staatsanwalt nach Schließung der Voruntersuchung verpflichtet ist (§ 27 StPO), binnen 14 Tagen nach Empfang der Akten entweder die Anklageschrift beim Untersuchungsrichter einzubringen oder ihm die Akten mit der Erklärung zurückzustellen, dass er keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung finde. Diese Verfahrensfrist ist nach der Rspr (11 Os 36/95 = Jus-Extra OGH-St 1785) als bloße Sollvorschrift iS einer Mahnfrist zu verstehen. Der Staatsanwalt ist demnach zwar an diese gesetzliche und daher nicht verlängerbare Frist gebunden, weshalb deren Überschreitung eine Verletzung des Gesetzes bedeutet, aber mangels einer entsprechenden Sanktion nicht den Verlust des Anklagerechtes mit sich bringt, sondern kann nur zu einer - hier nicht erhobenen - Aufsichtsbeschwerde nach § 27 StPO führen (EvBl 1957/291 ua; RIS-Justiz RS0097024). Die Überschreitung einer gesetzlichen Verfahrensfrist führt aber noch nicht notwendigerweise zur Annahme eines schuldhaften Organverhaltens. Angesichts der außerordentlichen Komplexität des vorliegenden Falls mit fünf Angeklagten - das Verfahren gegen vier weitere Beschuldigte wurde ausgeschieden, gegen einen von ihnen ein Strafantrag eingebracht und das Verfahren gegen drei weitere Beschuldigte, ebenso wie in verschiedenen Punkten gegen die fünf Angeklagten eingestellt - mit zum Teil im Zusammenwirken begangenen Wirtschaftsdelikten, zu denen neben der Verantwortung der späteren Angeklagten dutzende Zeugenaussagen und mehrere, zum Teil nicht immer übereinstimmende Sachverständigengutachten vorlagen, kann für die Verfassung einer umfangreichen Anklageschrift, die nicht zuletzt auch den Zweck hat, den aus damals 25 Aktenbänden (ohne Beilagen) bestehenden Prozessstoff zu bündeln und für die Hauptverhandlung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufzuarbeiten, ein Zeitraum von bis noch nicht als schuldhaft iS einer auch nur bloß leichten Fahrlässigkeit beurteilt werden. Dabei ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass die Anklageschrift auf den nur mehr schwer überblickbaren, umfangreichen Ergebnissen des Vorverfahrens, die auch in der Hauptverhandlung und als Grundlage des Urteils benützt werden dürfen bzw müssen, aufbauen und darauf Bedacht nehmen musste, dass die Angeklagten nicht ohne ausreichende Gründe vor dem Strafgericht zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Wie gründlich, der im Vorverfahren gewonnene Prozessstoff aufgearbeitet wurde, beweist nicht zuletzt der Umstand, dass die Anklage der Prüfung durch das Schöffengericht und letztlich auch durch den Obersten Gerichtshof standhielt.

§ 210 Abs 1 StPO schreibt vor, dass der Gerichtshof erster Instanz nach Vorlage einer rechtswirksamen Anklage sofort die Hauptverhandlung anzuordnen hat. Auch hiefür gilt grundsätzlich das zur Frist nach § 112 Abs 1 zweiter Satz StPO Gesagte. Eine zur Vorbereitung der Hauptverhandlung notwendige Verlängerung der Haftzulässigkeit hat sich zwar grundsätzlich in einem engeren zeitlichen Rahmen zu halten, als sie für Untersuchungshandlungen durch den Untersuchungsrichter vorzusehen wäre. Eine im Ergebnis sich der gesetzlichen (§ 193 Abs 3 StPO) Haftfrist von einem halben Jahr annähernde Haftverlängerung zum Zwecke der Vorbereitung der Hauptverhandlung kann nicht mehr iSd oben zitierten Bestimmungen angemessen sein (13 Os 41-46/93 = NRsp 1993/140; RIS-Justiz RS0074632). Im vorliegenden Fall ist indes die Frist zur Vorbereitung der Hauptverhandlung nicht im Zusammenhang mit einer Haft zu beurteilen, weil der Bericht der EKMR nur eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK beinhaltet. Die für das Studium und die Aufarbeitung des überaus komplexen und umfangreichen Akteninhalts mit mehreren Sachverständigengutachten, dutzenden Zeugenaussagen und der Verantwortung der fünf Angeklagten und vor allem für die Aufstellung eines Zeit- und Verhandlungsplans zur Durchführung einer letztlich 25tägigen Hauptverhandlung, die (nach Teileinstellung) zum Verfahrensabschluss in einem Rechtsgang führte, in Anspruch genommene Zeitspanne von rund sieben Monaten ( bis ) kann noch nicht als schuldhaft beurteilt werden, sondern war eine durch die besonderen Umstände veranlasste entschuldbare Erledigungsverzögerung.

Für die Zeit vor dem (Anfall in der Schöffenabteilung 12b) könnte dem Vorsitzenden des Schöffengerichts schuldhaftes Verhalten auf keinen Fall vorgeworfen werden, was entgegen der Auffassung der Vorinstanzen auch auf die übrigen involvierten Organe der Strafrechtspflege zutrifft, weil der Kläger und seine Mitangeklagten die Anklageschrift beeinspruchten die Anordnung und Durchführung der Hauptverhandlung aber gegen eine noch nicht rechtskräftig in den Anklagestand versetzte Person einen schwerwiegenden Verfahrenmangel darstellt, der die Verteidigungsrechte empfindlich zu beeinträchtigen vermag (EvBl 1976/135 ua), und daher der Akt erst nach Entscheidung über die Anklageeinsprüche dem Vorsitzenden des Schöffengerichts zu übermitteln war.

Einen Fristsetzungsantrag (§ 91 GOG) stellte der Kläger nicht.

Das Tätigwerden der Staatsorgane innerhalb ihrer Kompetenz ist nicht nur Recht, sondern auch Pflicht des Staates. Daraus folgt, dass auch die hierarchisch übergeordneten Organe verpflichtet sind, daran mitzuwirken, dass die zur Sachentscheidung berufenen Stellen, die etwa infolge Arbeitsüberlastung Entscheidungsfristen nicht einhalten können, in den Stand gesetzt werden, ihre Entscheidung fristgerecht zu treffen (SZ 65/94, SZ 68/189; RIS-Justiz RS0049781). Ein solches Organisationsverschulden ist hier indes nicht zu erkennen. Denn unabhängig davon, ob der zuständige Staatsanwalt und der zuständige Vorsitzende des Schöffensenats während der Befassung mit diesem Akt "freigestellt" waren, sodass ihnen nach der jeweiligen Geschäftsverteilung keine anderen Akten zuzuteilen waren, hielten sich ihre Erledigungszeiten - für die Verfassung der Anklageschrift bzw die Vorbereitung einer letztlich 25tägigen Hauptverhandlung - noch im Rahmen dessen, was bei derartigen Großverfahren, noch dazu dann, wenn sie zu letztlich überwiegend in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüchen führen, angemessen erscheint.

Demnach ist der Revision Folge zu geben, die vorinstanzlichen Entscheidungen sind dahin abzuändern, dass das Klagebegehren über den Leistungsanspruch abgewiesen wird. Verjährungsfragen und Fragen der Kausalität der konventionswidrig zu langen Verfahrensdauer für die vom Kläger behaupteten Schäden stellen sich nicht mehr. Über das Feststellungsbegehren, das nicht Gegenstand der vorinstanzlichen Entscheidung, kann vom Obersten Gerichtshof mangels funktioneller Zuständigkeit derzeit noch nicht erkannt werden.

Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.