OGH vom 16.09.1976, 2Ob117/76
Norm
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz § 5;
Kopf
SZ 49/110
Spruch
Die Haltereigenschaft am reparierten Fahrzeug geht vom Werkstätteninhaber wieder auf den (früheren) Halter über, wenn der abholende Dritte vom (früheren) Halter bevollmächtigt ist. Die Erteilung der Vollmacht kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen (§ 863 ABGB)
(OLG Wien 8 R 271/75; KG St. Pölten 1 b Cg 288/74)
Text
Der Erstbeklagte verschuldete am auf der Bundesstraße 122 bei km 2175 im Gemeindegebiet Aschbach-Markt als Lenker des dem zweitbeklagten gehörenden Personenkraftwagens Mercedes 220 SE b, einen Verkehrsunfall, bei dem der in diesem Fahrzeug mitfahrende Kläger schwer verletzt wurde. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Verkehrsunfalles mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 8. Feber 1968, der Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG schuldig erkannt; von der weiteren Anklage, einen Traktor und den Mercedes des zweitbeklagten am Unfallstag unbefugt in Gebrauch genommen zu haben, wurde er freigesprochen.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von 353 659.30 S samt Anhang (Schmerzensgeld 350 000 S, Kosten für die Betreuung durch die Soziale Hilfsgemeinschaft für die Körperbehinderten Österreichs 3659.30 S; überdies stellte er ein mit 30 000 S bewertetes Feststellungsbegehren.
Die Höhe des Leistungsbegehrens des Klägers ist im Berufungsverfahren ebenso unbestritten wie sein Feststellungsinteresse.
Dem Grund nach stützte der Kläger sein Begehren darauf, daß der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe. Der Zweitbeklagte hafte zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten für den Schaden des Klägers, weil er das Fahrzeug dem Erstbeklagten zur Benützung überlassen habe, obwohl er gewußt habe, daß dieser keine gültige Fahrberechtigung besaß (ON 1). Der Zweitbeklagte habe den Erstbeklagten ausdrücklich beauftragt, das Fahrzeug vom Mechaniker S abzuholen; der Zweitbeklagte sei im Unfallszeitpunkt Halter des Fahrzeuges gewesen. Es habe sich um keinen Betriebsunfall gehandelt; keiner der Beklagten sei dem Kläger gegenüber Aufseher im Betrieb gewesen. Der Kläger sei überzeugt gewesen, daß der Erstbeklagte einen Führerschein habe. Das Klagebegehren werde auch auf die Bestimmungen des EKHG gestützt. Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung.
Der Erstbeklagte wendete dem Grund nach ein, daß den Kläger ein mit 30% zu bewertendes Mitverschulden treffe, weil er mit dem Erstbeklagten mitgefahren sei, ohne zu prüfen, ob dieser einen Führerschein habe. Den Zweitbeklagten treffe ein Mitverschulden von 50%, weil er dem Erstbeklagten den Auftrag zur Abholung des Fahrzeuges gegeben habe, obwohl er gewußt habe, daß der Erstbeklagte keinen Führerschein besaß.
Der Zweitbeklagte wendete dem Grund nach ein, daß der Erstbeklagte das Fahrzeug ohne sein Wissen und ohne seinen Willen benützt habe; der Zweitbeklagte sei im Unfallszeitpunkt nicht Halter gewesen. Der Unfall sei ein Arbeitsunfall im Sinne der §§ 333 ff. ASVG gewesen. Den Kläger treffe ein überwiegendes Mitverschulden an dem Unfall, weil er sich nicht davon überzeugt habe, ob der Erstbeklagte berechtigt gewesen sei, das Fahrzeug überhaupt zu übernehmen, und ob er im Besitz eines entsprechenden Führerscheines sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt und erkannte die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit 79 414.66 S bestimmten Prozeßkosten und den Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Maria S und Elfriede H, die mit 8410.20 S bestimmten Prozeßkosten zu ersetzen.
Infolge Berufung beider beklagter Parteien gegen das erstgerichtliche Urteil bestätigte das Berufungsgericht dieses im Umfang der Stattgebung des gegen den Erstbeklagten gerichteten Klagebegehrens und änderte es hinsichtlich des Zweitbeklagten durch Abweisung des gegen diesen gerichteten Klagebegehrens ab. Das Berufungsgericht übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen als unbedenklich. Davon ausgehend erachtete es die Rechtsrüge des Erstbeklagten als unberechtigt, die des Zweitbeklagten jedoch als begrundet.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und änderte das angefochtene berufungsgerichtliche Urteil dahin ab, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Rechtsrüge der Revision des Klägers ist aus folgenden Erwägungen beizupflichten:
Richtig ist, daß die Haltereigenschaft des Zweitbeklagten mit der Übergabe des Fahrzeuges an die Reparaturwerkstätte S endete; nach der ständigen Rechtsprechung des OGH wird derjenige, der Kraftfahrzeuge zur Reparatur übernimmt, alleiniger Halter des Fahrzeuges (vergl. Koziol, Haftpflichtrecht II, 442 und die dort bei Anm. 103 zitierte Judikatur). Die Frage, ob im Falle der Abholung durch dritte Personen die Haltereigenschaft am reparierten Fahrzeug vom Werkstätteninhaber wieder auf den (früheren) Halter übergeht, ist dann zu bejahen, wenn der abholende Dritte vom (früheren) Halter bevollmächtigt ist, dieser daher mit der Übergabe des Fahrzeuges an die von ihm bevollmächtigte Person die Verfügungsmacht über das Fahrzeug wieder erlangt. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Bevollmächtigung als erteilt anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Falles. Wie sonstige rechtsgeschäftliche Erklärungen kann auch die Erteilung der Vollmacht ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen (§ 863 ABGB). Wenn aus dem Verhalten des Vertretenen eine echte - auf Vollmachtserteilung gerichtete - Willenserklärung abzuleiten ist, handelt es sich um einen Fall rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigung, die wie andere stillschweigende Willenserklärungen mit § 863 ABGB erklärt werden kann (Koziol - Welser, Grundriß I, 126, 127). Im vorliegenden Falle steht fest, daß der Zweitbeklagte den Erstbeklagten in Kenntnis der Tatsache, daß dieser keinen Führerschein besaß, nicht bloß mit seinen landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen, sondern auch mit seinen PKWs (VW und Mercedes) zu verschiedenen Anlässen auf öffentlichen Verkehrsflächen fahren ließ. Dies in Verbindung mit der weiteren Tatsache, daß der Zweitbeklagte anläßlich der Übergabe des Fahrzeuges zur Reparatur an die Werkstätte S lediglich erklärt hatte, der Wagen werde nach Durchführung der Reparatur abgeholt (ohne zu erwähnen, von wem), rechtfertigt die Annahme einer von ihm, Zweitbeklagten, dem Erstbeklagten generell - obschon nur stillschweigend - erteilten Benützungserlaubnis in Bezug auf den PKW Mercedes. War aber der Erstbeklagte solchermaßen zur Benützung bevollmächtigt, so ging die Haltereigenschaft am Fahrzeug mit dessen Ausfolgung anläßlich der Abholung durch den Erstbeklagten von der Reparaturwerkstatt S wieder auf den Zweitbeklagten über. Von einer Schwarzfahrt im Sinne des § 6 EKHG kann demzufolge nicht gesprochen werden, vielmehr ist die Haftung des Zweitbeklagten als Halter für das Verschulden des Erstbeklagten im Sinne der §§ 5 Abs. 1 und 19 Abs. 2 EKHG zu bejahen.