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OGH vom 25.04.2019, 4Ob250/18w

OGH vom 25.04.2019, 4Ob250/18w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers R***** L*****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beklagten C***** F*****, vertreten durch Dr. Christopher Fink, Rechtsanwalt in Imst, wegen 2.700 EUR sA, Unterlassung (Streitwert 31.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 134/18z-16, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 69 Cg 14/18k-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird in ihrem nicht rechtskräftigen Teil dahin abgeändert, dass insgesamt das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 4.425,60 EUR (darin 499,10 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Fotograf. Er fertigte am auf dem „Akademikerball“ in der Wiener Hofburg folgendes Lichtbildwerk an, das im Vordergrund die beiden Politiker Heinz-Christian Strache und Norbert Hofer zeigt:

Der Kläger hat der APA-Austria Presse Agentur eG gestattet, sein Lichtbildwerk zu veröffentlichen und weiterzuverbreiten, und zwar unter der Lizenzbedingung, dass der Kläger jeweils als Urheber genannt wird. Daraufhin versandte die APA das Lichtbildwerk unter Hinweis auf diese Bedingung an ihre Mitglieder. Es wurde in der Folge für das Cover des Nachrichtenmagazins „Profil“, Ausgabe 5/2018, wie folgt verwendet:

Der Beklagte betreibt in einem Tiroler Wintersportort eine Musikbar. Das Lokal hat etwa 30 Sitzplätze und fasst insgesamt bis zu 70 Personen. Am Nachmittag des kaufte der Beklagte ein Exemplar der Ausgabe 5/2018 des Nachrichtenmagazins „Profil“ und brachte es in sein Lokal. Ein dort als Barkeeper beschäftigter Mitarbeiter des Beklagten schnitt sodann das Bild mit den beiden Politikern vom Titelblatt mit einer runden Schablone aus, klebte es mittig auf ein gelbes Blatt Papier, umrahmte den kreisrunden Bildausschnitt mit rotem Filzstift und strich ihn diagonal durch. Links davon brachte er eine Grafik eines Strichmännchens, das ein Hakenkreuz in einen Papierkorb wirft, rechts davon die Abbildung eines durchgestrichenen Hakenkreuzes, und darunter den Schriftzug „Wir müssen draußen bleiben!“ an. Die so entstandene Collage hatte folgendes Aussehen:

Dieses Plakat hängte der Barkeeper (in Abwesenheit des Beklagten) im Windfang hinter das Fenster der Eingangstür des Lokals auf. Der Beklagte kehrte am Abend des in sein Lokal zurück, sah das Plakat und beließ es dort bis zum Mittag des . Der Kläger hat dieser Art der Verwendung seines Lichtbilds nicht zugestimmt und wurde diesbezüglich auch nicht gefragt. Der Obmann der Tiroler FPÖ postete Fotos des Plakats bereits am auf seiner Facebook-Seite. An den Folgetagen wurde über diese Aktion österreichweit in verschiedenen Medien berichtet.

Der Kläger begehrte vom Beklagten zusammengefasst a) die Unterlassung der Benutzung von seinen Lichtbildwerken, ohne ihn als Urheber zu nennen, sowie b) seine Lichtbilder oder Bearbeitungen davon öffentlich zu benutzen, wenn sie gekürzt oder mit Zusätzen versehen oder verändert werden, insbesondere wenn sie mit nationalsozialistischen Symbolen versehen werden; er begehrt weiters c) die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung und d) die Zahlung von 700 EUR als Ersatz materieller Schäden sowie e) 2.000 EUR an immateriellem Schadenersatz.

Der Beklagte habe das Lichtbildwerk des Klägers beschnitten und verändert veröffentlicht und es damit der Öffentlichkeit in anderer Form dargeboten, als es dem Willen des Klägers entspreche. Dies sei ein Verstoß gegen § 21 Abs 1 UrhG. Auch dürfe sich der Kläger Entstellungen, Verstümmelungen und anderen Änderungen seines Werks widersetzen, die seine geistigen Interessen am Werk schwer beeinträchtigten (§ 21 Abs 3 UrhG). Selbst wenn man das Plakat des Beklagten als eigentümliche geistige Schöpfung im Sinne einer Bearbeitung des Lichtbilds des Klägers beurteilen wollte, dürfte der Beklagte die Bearbeitung nur unbeschadet des am bearbeiteten Werk bestehenden Urheberrechts verwerten; Rechte an seinem Werk habe der Kläger dem Beklagten nicht eingeräumt. Das rechtliche Interesse an der Urteilsveröffentlichung ergebe sich aus der dadurch bewirkten Aufklärung der Öffentlichkeit, dass der Kläger Urheber des Lichtbildwerks sei. Er habe außerdem Anspruch auf angemessenes Entgelt nach § 86 UrhG, welches zumindest 350 EUR betrage. Den Beklagten treffe ein Verschulden an der Rechtsverletzung, daher stehe dem Kläger gemäß § 87 Abs 3 UrhG an Ersatz für materielle Schäden das Doppelte des angemessenen Entgelts zu. Da sein Lichtbildwerk mit beleidigenden Texten und nationalsozialistischen Symbolen (Hakenkreuz) versehen worden sei, liege eine Beeinträchtigung vor, die den mit jeder Verletzung des UrhG verbundenen Ärger weit übersteige; dies begründe einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden nach § 87 Abs 2 UrhG.

Der Beklagte wendete ein, sein Mitarbeiter habe mit dem Plakat (Collage) ein selbständiges Werk geschaffen, in dem klar zum Ausdruck gebracht werde, dass rechtes Gedankengut in der Gesellschaft und insbesondere im Lokal des Beklagten nichts zu suchen habe. Dass rassistisches und nationalsozialistisches Gedankengut abzulehnen sei, entspreche dem Wertekanon der Zweiten Republik. Das Plakat sei nicht einmal 24 Stunden lang im Windfang angebracht gewesen; eine über die Besucher seiner Bar hinausgehende Öffentlichkeit sei weder vorhersehbar noch beabsichtigt gewesen, vielmehr habe ein Parteifreund der Abgebildeten das Plakat über ein soziales Netz verbreitet. Der Beklagte habe keine Ausschließlichkeitsrechte des Klägers verletzt: Das Lichtbild sei am Cover des Profil rechtmäßig verwendet und dadurch veröffentlicht worden; er habe davon keine Kopie angefertigt und das Bild auch nicht feilgehalten. Der Beklagte habe das käuflich erworbene Papier beliebig verwenden, ausschneiden, anmalen, falten uä dürfen. Es mache keinen Unterschied, ob er die Zeitschrift in seinem Lokal auflege oder einen Teil davon auf ein Papier klebe. Allfällige dem Beklagten verborgen gebliebene Lizenzbedingungen zwischen dem Kläger und der APA bänden ihn nicht. Das Lichtbild des Klägers weise keine Besonderheiten auf, die seine Zuordnung zum Kläger in irgendeiner Form bedingen würden. Der Beklagte habe das Bild auch nicht dahin verfälscht, dass es eine andere Aussage oder Tendenz erhalten habe, die die Verkehrskreise dem Kläger zuordnen könnten. Unter dem Aspekt der Kunst- und Meinungsfreiheit sei die freie Benutzung des fremden Werks gerechtfertigt. Der Beklagte habe nicht schuldhaft gehandelt, weil ihm ein – bestrittener – Verstoß nicht erkennbar gewesen sei. Als er die von seinem Mitarbeiter hergestellte Collage gesehen habe, habe er auch bei Aufbietung der gebotenen Sorgfalt keine Urheberrechtsverletzung erkennen können. Der Kläger habe durch das Plakat keine empfindliche Kränkung erfahren. Bestritten werde auch die passive Klagslegitimation; unmittelbarer Täter sei sein Mitarbeiter, dessen Handeln sich der Beklagte nicht zurechnen lassen müsse. Er habe auch keinen Beitrag zur Handlung seines Mitarbeiters geleistet.

Das Erstgericht gab nur dem Begehren zu a) statt und wies die übrigen Begehren ab. Die Stattgabe des ersten Unterlassungsbegehrens, die Abweisung des Veröffentlichungsbegehrens zu c) und des zu d) auf materiellen Schadenersatz gestützten Zahlungsbegehrens erwuchs in Rechtskraft.

Der Beklagte habe keinen Verstoß gegen § 15 UrhG zu verantworten, weil es zu keiner Reproduktion des Werks gekommen sei. Auch ein Verstoß gegen § 16 UrhG liege nicht vor, weil der Beklagte für das Plakat das physische Titelblatt eines von ihm gekauften Exemplars des Magazins „Profil“ verwendet habe. Das Lichtbild sei auf dem Titelblatt des Magazins rechtmäßig verwendet und veröffentlicht worden. Auch im Lichte des § 21 UrhG sei das abgewiesene Unterlassungsbegehren nicht begründet. Es sei nämlich zu keiner gravierenden Veränderung der Form des Lichtbilds, das nach wie vor gut zu erkennen sei, gekommen. Auch seien die Wesenszüge des Lichtbilds nicht verzerrt oder verfälscht worden, es sei nicht bearbeitet oder angemalt, sondern lediglich umrandet und mit einem diagonalen Strich durchgestrichen worden. Abgesehen vom Ausschneiden, Umranden und Durchstreichen habe das Lichtbild selbst sonst keine Änderung erfahren. Das Veröffentlichungsbegehren sei nicht berechtigt, weil eine Aufklärung der Öffentlichkeit über den Verstoß nicht geboten sei. Eine ernste Beeinträchtigung als Tatbestandselement des § 87 Abs 2 UrhG, die den mit jeder Urheberrechtsverletzung verbundenen Ärger übersteige, liege hier nicht vor, weil zwischen den beeinträchtigten Interessen der Abgebildeten einerseits und des Urhebers andererseits zu unterscheiden sei. Zu berücksichtigen sei auch die kurze Dauer der Benutzung.

Das Berufungsgericht gab auch dem Unterlassungsbegehren zu b) und dem Begehren zu e) auf immateriellen Schadenersatz statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die Revision zur Frage, ob Änderungen iSd § 21 Abs 3 UrhG nicht nur verändernde Eingriffe mit Bearbeitungscharakter sind, sondern Beeinträchtigungen der geistigen Interessen des Urhebers auch durch das Umfeld bzw durch Form und Art der Werkwiedergabe und Werknutzung erfolgen können, zulässig sei. Das Berufungsgericht bejahte im konkreten Fall diese Frage im Anschluss an die Entscheidung des BGH zu I ZR 147/16. Auch Beeinträchtigungen der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk durch Form und Art der Werkwiedergabe bedürften dessen Zustimmung. Im Anlassfall liege eine Entstellung bzw Verstümmelung des Lichtbilds iSd § 21 Abs 3 UrhG vor, die dem Werk des Klägers eine gravierend andere Aussage, Färbung und Tendenz verleihe. Das Begehren auf immateriellen Schadenersatz sei wegen der empfindlichen Kränkung des Klägers infolge der Entstellung und Verstümmelung seines Werks im Zusammenhang mit dem gegebenen Kontext berechtigt und der Höhe nach angemessen. Der Beklagte hafte als Gehilfe gemäß § 81 UrhG, weil er die Rechtsverletzung seines Mitarbeiter dadurch bewusst gefördert habe, dass er das aufgehängte Plakat nicht sofort abgenommen habe.

Gegen die Stattgebung der Begehren zu b) und e) richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, insoweit das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.

Zur urheberrechtlichen Schranke des Werkschutzes

1.1. § 21 Abs 1 UrhG (überschrieben mit „Werkschutz“) lautet auszugsweise:

(1) Wird ein Werk auf eine Art, die es der Öffentlichkeit zugänglich macht, benutzt oder zum Zweck der Verbreitung vervielfältigt, so dürfen auch von dem zu einer solchen Werknutzung Berechtigten an dem Werke selbst, an dessen Titel oder an der Urheberbezeichnung keine Kürzungen, Zusätze oder andere Änderungen vorgenommen werden, soweit nicht der Urheber einwilligt oder das Gesetz die Änderung zuläßt. Zulässig sind insbesondere Änderungen, die der Urheber dem zur Benutzung des Werkes Berechtigten nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen nicht untersagen kann, namentlich Änderungen, die durch die Art oder den Zweck der erlaubten Werknutzung gefordert werden.

[Abs 2]

(3) Die Erteilung der Einwilligung zu nicht näher bezeichneten Änderungen hindert den Urheber nicht, sich Entstellungen, Verstümmelungen und anderen Änderungen des Werkes zu widersetzen, die seine geistigen Interessen am Werke schwer beeinträchtigen.

1.2. § 57 UrhG (überschrieben mit „Schutz geistiger Interessen bei freien Werknutzungen“) lautet in seinem ersten Absatz:

Die Zulässigkeit von Kürzungen, Zusätzen und anderen Änderungen an dem Werke selbst, an dessen Titel oder an der Urheberbezeichnung ist auch bei freien Werknutzungen nach § 21 zu beurteilen. Sinn und Wesen des benutzten Werkes dürfen in keinem Fall entstellt werden.

1.3. § 21 Abs 1 UrhG ist eine dem Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts dienende Vorschrift, die verhindern soll, dass ein Werk der Öffentlichkeit in einer anderen Form dargeboten wird, als dies dem Willen des Urhebers entspricht (RIS-Justiz RS0077630). Demnach ist jede „Kürzung“ des Werks eine Änderung. Wenn auch von „Kürzungen“ rein sprachlich nur Sprach-, Musik- oder Filmwerke betroffen werden, so entspricht dem bei Zeichnungen oder Gemälden die Veröffentlichung eines Ausschnitts und ebenso die Veröffentlichung einer Verkleinerung des Werks (4 Ob 101/93 = SZ 66/122). Da für den, der ein Werk unbefugt benützt, das Änderungsverbot des § 21 Abs 1 Satz 1 UrhG ausnahmslos, das heißt ohne die Einschränkungen des Satzes 2 dieser Gesetzesstelle gilt, ist jede von einem nicht zur Verwertung berechtigten Dritten vorgenommene Änderung, mag sie auch noch so geringfügig sein, untersagt, soweit sie vom Gesetz nicht zugelassen wird (4 Ob 101/93 = SZ 66/122 = RS0077644).

1.4. Nach der Rechtsprechung können einem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch, gerichtet auf das Verbot von Veränderungen des Werks, nicht nur vom Gesetz explizit zugelassene Rechte (wie etwa im Rahmen der freien Benutzung eines Werks, zB als Parodie: 4 Ob 66/10z, Lieblingshauptfrau; s Noll, Parodie und Variation, MR 2006, 196, 198), sondern auch die verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Kunst- und Meinungsfreiheit (Art 17a StGG; Art 10 MRK) entgegenstehen. Ob Letzteres der Fall ist, ist durch eine Abwägung der vom Urheber oder seinem Werknutzungsberechtigten verfolgten Interessen mit dem Recht der freien Meinungsäußerung zu beurteilen (RS0115377).

1.5. Die Grenze des Änderungsrechts liegt dort, wo die geistigen Interessen des Urhebers schwer beeinträchtigt werden: Sinn und Wesen des benutzten Werks dürfen durch die Änderung keineswegs entstellt werden (§ 57 Abs 1 zweiter Satz UrhG).

1.6. Entstellung ist ein besonders schwerwiegender Fall der Beeinträchtigung eines Werks. Sie ist eine tiefgreifend verändernde, verfälschende, verzerrende oder zerstückelnde Einwirkung, durch die das Werk eine andere Aussage, Färbung oder Tendenz erhält. Eine Entstellung ist nach objektiven Kriterien auszulegen; entscheidend ist der Eindruck, den das Werk nach dem Durchschnittsurteil des für Kunst empfänglichen und mit Kunstdingen einigermaßen vertrauten Menschen vermittelt. Nicht ausreichend ist hingegen, dass der Urheber alleine aus seiner subjektiven Sicht eine Entstellung seines Werks annimmt (Dustmann in Fromm/Nordemann, UrhR12§ 14 Rz 9f mwN). Jede objektiv nachweisbare Änderung des vom Urheber geschaffenen geistig-ästhetischen Gesamteindrucks führt zu dessen Beeinträchtigung (Dietz/Peukert in Schricker, UrhR5§ 14 Rz 13).

1.7.1. Änderungen sind aber nicht nur verändernde Eingriffe mit Bearbeitungscharakter, sondern auch Beeinträchtigungen der geistigen Interessen des Urhebers durch das Umfeld der Nutzung (Walter, Österreichisches Urheberrecht I Rn 924 mit Beispielen; Toms in Kucsko/Handig, urheber.recht² § 21 Rn 22).

1.7.2. Wie Kucsko (Zwei Nachbarn ganz privat unter sich; ecolex 2018, 38) aber zutreffend am Beispiel der Skulptur „Fearless Girl“ Aug in Aug mit dem „Charging Bull“ vor der New Yorker Börse in der Wall Street aufzeigt, muss die Latte der unzulässigen Beeinträchtigung in einem solchen Fall durchaus hoch liegen, weil die Freiheit eines Künstlers nur dann gewahrt ist, wenn Gleiches auch für seinen Nachbarn gilt.

1.7.3. Als Kriterien der gebotenen Interessenabwägung in diesem Zusammenhang sind vor allem die Art und die Intensität des Eingriffs, der Grad der schöpferischen Eigenart des Werks und Verwertungszweck und Verwertungsgebiet zu berücksichtigen (Dietz/Peukert in Schricker, UrhR5§ 14 Rz 28 ff).

2. Die beanstandete Verwendung des Lichtbilds des Klägers ist grundsätzlich unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit gerechtfertigt; das Lichtbild wurde auch durch die Art und das Umfeld der Nutzung nicht entstellt.

2.1. Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach die Verwendung von fremden Lichtbildern im Rahmen eigener Meinungsäußerungen im politischen Diskurs als durch Art 10 MRK gedeckt beurteilt: In der Entscheidung 4 Ob 127/01g wurde die Übernahme von Zeitungsartikeln samt illustrierenden Lichtbildern auf die Website des dort Beklagten zwecks Aufzeigens der Medienkampagne der Zeitung als zulässig erachtet. In der Entscheidung 4 Ob 66/10z wurde die freie Bearbeitung eines in der Wahlkampfwerbung verwendeten Lichtbilds als vom Urheber zu duldende Parodie beurteilt. Ebenso zulässig war die Verwendung des Lichtbilds einer Landespolitikerin im Landtagswahlkampf im Internetauftritt der Beklagten zum Zweck der kritischen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Zuge eines Wahlkampfs (4 Ob 194/01k).

2.2. Im Anlassfall hat der Kläger in Ausübung seines Berufs ein Lichtbild von zwei der FPÖ angehörenden Regierungsmitgliedern als Besucher einer von der Wiener Landesgruppe ihrer Partei organisierten Ballveranstaltung angefertigt und der Austria Presse Agentur gestattet, dieses Lichtbild (wohl entgeltlich) unter ihren Mitgliedern (Medienunternehmen) weiterzuverbreiten. Dass er damit „ein Werk ohne politische Aussage geschaffen“ habe, wie er in der Revisionsbeantwortung meint, trifft unter diesen Umständen nicht zu, ist doch – notorisch – die genannte Ballveranstaltung seit vielen Jahren regelmäßig Gegenstand öffentlicher politischer Berichterstattung und Kommentierung.

2.3. Auch das – im beanstandeten Plakat verwendete – Lichtbild wurde (dem beabsichtigten Verwertungszweck des Klägers entsprechend) in der medialen Berichterstattung zur Covergestaltung eines politischen Magazins verwendet und mit einer provokanten Bildunterschrift („Die Parallelgesellschaft. 'Völkische' Verbindungen an der Macht“) versehen.

2.4. Hat der Beklagte bei dieser Sachlage im Rahmen seines Unternehmens geduldet, dass ein nur geringfügig zugeschnittenes Werkexemplar eines Lichtbilds des Klägers, das schon verändert auf der von ihm erworbenen Zeitschrift abgedruckt war, zur Illustration einer Meinungsäußerung in Plakatform im politischen Diskurs öffentlich verwendet wird, kann diese Form der Werkverwendung vom Urheber nicht untersagt werden.

2.5. Entgegen der Auffassung des Klägers haben weder das Durchstreichen seines Werks noch die in dessen Umfeld angebrachten grafischen Zusätze seine geistigen Interessen am Lichtbild so massiv beeinträchtigt, dass das Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung dahinter zurückzustehen hätte. Der Grad der schöpferischen Eigenart seines Lichtbildwerks ist nämlich insofern nicht stark ausgeprägt, als es sich um ein typisches Pressefoto von Politikern im öffentlichen Raum handelt, bei dem eher der Anlass und gesellschaftliche Rahmen als die künstlerische Gestaltung im Vordergrund steht (Schnappschuss). Die in der beanstandeten Verwendung des Werks vorgenommenen Veränderungen sind im Lichte dieses künstlerischen Gesamteindrucks keinesfalls intensiv oder sinnentstellend, weil die Abgebildeten trotz Anfertigung eines kreisrunden Ausschnitts und Durchstreichens weiterhin erkennbar sind (sollte doch die im Plakat zum Ausdruck kommende Meinung, dass Politiker einer bestimmten Gesinnung nicht als Gäste im Lokal erwünscht sind, ja dadurch illustriert werden).

2.6. Soweit der Kläger – bezogen auf diese Meinungsäußerung – den Zusammenhang seines Werks mit Symbolen des Nationalsozialismus beanstandet, stellt sich diese Frage allerdings bloß im Verhältnis zu den abgebildeten Politikern im Rahmen des Bildnisschutzes nach § 78 UrhG. Eine die Interessen des Klägers als (Presse-)Fotograf beeinträchtigende unzulässige Verknüpfung seiner Person als Urheber des Lichtbilds mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus liegt bei objektiver Beurteilung des Plakats nicht vor.

2.7. Zu keinem anderen Ergebnis führt die vom Kläger und vom Berufungsgericht angeführte Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs zu I ZR 147/16. Der BGH sah dort – bei vergleichbarer Rechtslage zum urheberrechtlichen Werkschutz – die Urheberpersönlichkeitsrechte von Musikern verletzt, deren Musikstücke auf Wahlkampfveranstaltungen einer rechtsextremen Partei gespielt wurden. Der dort zugrunde liegende Sachverhalt ist allerdings dadurch geprägt, dass Musik als dramaturgisches Element einer politischen Wahlkampfveranstaltung durch eine Partei vereinnahmt wurde, gegen deren politische Ziele sich die Urheber bereits öffentlich ausgesprochen hatten und die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuft worden ist. Eine vergleichbare „Vereinnahmung“ des Lichtbilds des Klägers durch den Beklagten liegt hier aus den aufgezeigten Gründen nicht vor.

2.8. Es kann damit offen bleiben, ob das vom Kläger beanstandete Plakat (die Collage) selbst ein urheberrechtlich geschütztes Werk ist, schlägt doch jedenfalls die Interessenabwägung zwischen dem Recht des Klägers auf urheberrechtlichen Werkschutz und dem Recht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung zugunsten des Beklagten aus.

Zum Begehren auf immateriellen Schadenersatz (§ 87 Abs 2 UrhG)

3.1. Eine Entschädigung nach § 87 Abs 2 UrhG gebührt grundsätzlich nur bei einer ernsten Beeinträchtigung des Verletzten, die den mit jeder Zuwiderhandlung verbundenen natürlichen Ärger überschreitet (RS0077369).

3.2. Da keine Verletzung nach § 21 UrhG vorliegt, kommt als Anspruchsgrundlage nur der rechtskräftig festgestellte Verstoß gegen das Recht auf Urheberbezeichnung (§ 20 UrhG) in Betracht. Diese Rechtsverletzung ist allerdings nicht als derart ernste Beeinträchtigung und so gravierender Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht des Klägers zu beurteilen, dass er den mit jeder Zuwiderhandlung verbundenen natürlichen Ärger überschreitet. Damit besteht auch kein Anspruch auf ideellen Schadenersatz nach § 87 Abs 2 UrhG.

4. Der Revision des Beklagten ist somit Folge zu geben, womit insgesamt das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen ist.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41 und 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00250.18W.0425.000
Schlagworte:
Draußen bleiben,

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