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OGH vom 24.10.2018, 3Ob167/18g

OGH vom 24.10.2018, 3Ob167/18g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Land Niederösterreich, vertreten durch den Magistrat der Stadt Krems an der Donau, Krems an der Donau, Obere Landstraße 4, gegen die verpflichtete Partei Verlassenschaft nach A*****, verstorben am ***** 2017, zuletzt wohnhaft *****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Mag. Karl Bergkirchner, Notarsubstitut in Krems an der Donau, dieser vertreten durch Dr. Wolfgang Winiwarter, Rechtsanwalt in Krems an der Donau, wegen 60.360,02 EUR sA, über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom , GZ 1 R 59/18h-12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Krems an der Donau vom , GZ 4 E 1738/11x-6, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die zu 4 E 1738/11x des Erstgerichts bewilligte zwangsweise Pfandrechtsbegründung über Antrag der verpflichteten Partei eingestellt und die Löschung des ob der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** in CLNr 1a einverleibten vollstreckbaren Pfandrechts für das Bundesland Niederösterreich (4 E 1738/11x) bewilligt wird.

Der Vollzug dieser Löschung und die Verständigung der Beteiligten obliegen dem Erstgericht.

Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit insgesamt 4.148,28 EUR (hierin enthalten 691,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom bewilligte das Erstgericht der Betreibenden gegen die Verpflichtete aufgrund eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Bescheids des Magistrats der Stadt Krems an der Donau vom zur Hereinbringung ihrer vollstreckbaren Ersatzforderung von 60.360,02 EUR (für im Rahmen der Sozialhilfe getragene Kosten der stationären Unterbringung der Verpflichteten in einem Sozialzentrum) die Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung ob einer Liegenschaft der Verpflichteten.

Mit Schriftsatz vom beantragte die die Einstellung dieses Exekutionsverfahrens und die Löschung des zwangsweise einverleibten Pfandrechts. Da ab der Pflegeregress abgeschafft worden sei, dürfe die Forderung der Betreibenden nicht mehr eingetrieben werden.

Die sprach sich gegen die begehrte Einstellung aus. Aufgrund der neuen Gesetzeslage könnten aktuell zwar keine Einbringungsschritte gesetzt werden, das Pfandrecht diene jedoch als Naturalobligation und bilde bei freiwilliger Leistung einen Erwerbsgrund.

Das verwies die Verpflichtete mit ihrem Einstellungsantrag auf den Rechtsweg. Die Entscheidung erscheine nach den Ergebnissen der Einvernehmung von der Ermittlung und Feststellung streitiger Tatumstände abhängig.

Das änderte diesen Beschluss über Rekurs der Verpflichteten dahin ab, dass es den Einstellungsantrag abwies. Die vom Erstgericht verfügte Verweisung auf den Rechtsweg sei verfehlt, weil weder ein mit Klage nach § 35 oder § 36 EO geltend zu machender Sachverhalt behauptet werde noch strittige Tatfragen zu klären seien. Es liege kein Einstellungsgrund vor. Aufgrund der § 330a und 707a ASVG sei zwar die Geltendmachung neuer Ersatzansprüche, nicht aber auch die Vollstreckung bereits vor dem rechtskräftig zuerkannter verboten.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der in der Literatur unterschiedlich beantworteten Frage, ob die Bestimmungen der § 303a, 707a ASVG auch das Exekutionsverfahren betreffen, fehle.

In ihrem macht die Verpflichtete im Wesentlichen geltend, der Wortlaut der § 330a und 707a Abs 2 ASVG sei eindeutig. Mangels Differenzierung zwischen Erkenntnis- und Exekutionsverfahren seien auch anhängige Exekutionsverfahren einzustellen.

Die Betreibende hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund und .

1. Zunächst ist klarzustellen, dass auch eine Exekution durch zwangsweise Pfandrechtsbegründung mit der Eintragung des Pfandrechts als einzige Vollzugshandlung noch nicht beendet ist. Solange das exekutive Pfandrecht im Grundbuch einverleibt ist, ist eine Einstellung möglich (RISJustiz RS0001043; jüngst 3 Ob 206/15p mwN).

2. Zu prüfen ist, ob § 330a iVm § 707a Abs 2 ASVG die beantragte Einstellung des Exekutionsverfahrens trägt, oder ob diese auf eine analoge Anwendung eines Einstellungsgrundes nach § 39 EO gestützt werden kann.

2.1. Mit dem Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz (SVZG), BGBl I 2017/125, wurde § 330a in das ASVG eingefügt. Diese Bestimmung trägt die Überschrift „Verbot des Pflegeregresses“ und steht im Verfassungsrang. Sie hat folgenden Wortlaut:

„(Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.“

2.2. Nach den Materialien (Begründung des Abänderungsantrags im Nationalrat, AA-225 25. GP 3) soll mit dieser Bestimmung der Pflegeregress verboten werden. Ihr Inkrafttreten regelt folgende, ebenfalls mit dem SV-ZG eingefügte Verfassungsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG:

„(Verfassungsbestimmung) § 330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 125/2017 tritt mit in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. [...]

2.3. Nach den Materialien (Begründung des Abänderungsantrags im Nationalrat, AA-225 25. GP 3) soll mit dieser Übergangsregelung sichergestellt werden, dass ab dem Inkrafttreten sowohl laufende gerichtliche als auch verwaltungsbehördliche Verfahren eingestellt werden. Auch neue Rückzahlungsverpflichtungen sollen demnach nicht mehr auferlegt werden dürfen. Weiters wird angemerkt, dass die entgegenstehenden landesgesetzlichen Bestimmungen nur insoweit außer Kraft treten sollen, als sie sich auf den Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen und ihrer Erben/Erbinnen und Geschenknehmer zur Abdeckung der Pflegekosten beziehen.

2.4. Die von der Betreibenden angesprochene Entscheidung 1 Ob 62/18a (ÖZPR 2018/78 [Pfeil] = EFZ 2018/113 [A.Tschugguel]) ist im vorliegenden Fall nicht (unmittelbar) einschlägig, weil sie kein Exekutionsverfahren, sondern einen Zivilprozess betraf, in dem ein Pflegeregress geltend gemacht wurde. In dieser Entscheidung hielt der 1. Senat fest, dass das Verbot des Pflegeregresses nach § 330a ASVG auch vor dem verwirklichte Sachverhalte erfasst, und dass die (nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) geänderte Rechtslage von Amts wegen auch noch im Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, was die Abweisung des Klagebegehrens nach sich zog, weil dem Regressbegehren nachträglich die materiellrechtliche Grundlage entzogen wurde.

2.5. Das Schrifttum verneint überwiegend ein „Verbot des Pflegeregresses“ nach § 330a ASVG für bereits titulierte Forderungen bzw eine Anwendung der „Einstellungsanordnung“ des § 707a ASVG im Exekutionsverfahren. Dabei werden allerdings die beiden Fragen, ob sich ein Titelschuldner erfolgreich gegen einen Regress zur Wehr setzen kann und ob er verfahrensrechtlich dabei nur im eigentlichen Exekutionsverfahren handeln muss, nicht immer exakt getrennt.

2.5.1. Müllner vertritt die Ansicht, rechtskräftig abgeschlossene Kostenersatzverfahren würden von § 330a, 707a ASVG nicht angetastet (Müllner, Von der Abschaffung des Pflegeregresses und was darauf folgt, JRP 2017, 182 [191]). Die Verfassung verbiete die Geltendmachung neuer Ersatzansprüche nicht.

2.5.2. Nach Wetsch handle es sich bei einem vollstreckbaren Titel nicht mehr um ein laufendes Verfahren; eine (erfolgreiche) Geltendmachung vor 2017 wirke daher auch über 2018 hinaus (Wetsch, Zivilrechtliches zur Abschaffung des Pflegeregresses, Zak 2017, 364 [366]). Als Begründung führt sie ua den Zweck der Legisvakanz an, die den Ländern die Möglichkeit biete, angelaufene Forderungen noch geltend zu machen (Wetsch, Zak 2017, 365).

2.5.3. Pfeil geht davon aus, dass die Neuregelung im Fall eines exekutionsfähigen Titels ohne Auswirkung bleibe, und erwähnt auch bereits vor 2018 grundbücherlich sichergestellte Forderungen (Pfeil, Umsetzungsfragen für das „Verbot des Pflegeregresses“, ÖZPR 2017/109, 184 [185]; ders, Erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Reichweite des Verbots des Pflegeregresses, ÖZPR 2018, 125). Hier sei weder eine „Geltendmachung“ erforderlich noch liege ein „laufendes Verfahren“ vor. Als Begründung führt er ua die erst ab zugesagte Ausgleichszahlung des Bundes an (Pfeil, ÖZPR 2018, 124 [125]).

2.5.4. Hiesel kommt zum gleichen Ergebnis, indem er verfassungsrechtlich argumentiert: Der Begriff „laufendes Verfahren“ in § 707a Abs 2 Satz 2 ASVG sei dahin auszulegen, dass das dieser Regelung immanente Spannungsverhältnis zum Gleichheitssatz minimiert und nicht maximiert werde. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn der Begriff im Sinn einer Beschränkung auf Verfahren zur Feststellung der Ersatzpflicht als solche, somit möglichst restriktiv verstanden werde (Hiesel, Pflegeregress – Ist eine restriktive Auslegung der Übergangsbestimmung verfassungsrechtlich geboten? ÖZPR 2018, 94). Nach rechtskräftiger Vorschreibung liege kein laufendes Verfahren im Sinn des § 707a Abs 2 Satz 2 ASVG vor. Ein neues Verfahren zur Durchsetzung der rechtskräftig festgestellten Verpflichtungen könne daher auch weiterhin eingeleitet werden (Hiesel, ÖZPR 2018, 95).

2.5.5. Demgegenüber muss nach Fucik/Mondel den § 330a, 707a ASVG der Regelungszweck unterstellt werden, die Unzulässigkeit jeder weiteren Rechtsverfolgung anzuordnen, selbst wenn bereits ein vollstreckbarer Titel darüber besteht. „Geltendmachung“ sei also in einem weiteren Sinn zu verstehen und nicht bloß auf ein Erkenntnisverfahren zu beziehen, sondern ebenso auf die Durchsetzung bereits zu Recht erkannter Ansprüche. Für die Berücksichtigung nachträglicher Unzulässigkeit sprächen sowohl der erkennbare Gesetzeszweck, die bisherige Regressbelastung so weitreichend wie möglich zu beseitigen, als auch die Überlegung, dass eine titulierte Forderung verjähren und danach nicht mehr in Exekution gezogen werden könne. Es solle nach dem eben nichts mehr geltend gemacht oder durchgesetzt werden können. Nach dem gestellte Anträge auf Exekution eines Pflegekostenersatzanspruchs seien daher zurückzuweisen und zu diesem Zeitpunkt schon bewilligte Exekutionen (von Amts wegen) einzustellen (Fucik/Mondel, Was bedeutet die Abschaffung des „Pflegeregresses“ für zivilgerichtliche Verfahren? SWK 2017, 1561 [1565]; siehe auch Fucik/Mondel, Abschaffung des „Pflegeregresses“ und Zivilverfahren – Eine gangbare Lösung für die Praxis, iFamZ 2017, 382 [385]).

2.5.6. In seiner Glosse zur Entscheidung 1 Ob 62/18a kritisiert A. Tschugguel die mit der „allzu lapidaren und unklaren Übergangsbestimmung“ verbundene Rechtsunsicherheit, äußert sich aber nicht zur Rechtslage bei einem vollstreckbaren Titel. Offen bleibe die Frage, wie das neue (regressfreie) Recht in Bezug auf bereits pfandrechtlich sichergestellte Pflegeforderungen auszulegen sei (A. Tschugguel,EFZ 2018/113, 238).

2.6. Der Verfassungsgerichtshof hat jüngst in seiner Entscheidung vom , E 229/2018, Folgendes ausgesprochen:

„Dessen ungeachtet ist gemäß §

Diese (wenn auch obiter und ohne weitere Begründung vertretene, jedoch unmissverständliche) Rechtsansicht bezieht auch titelmäßige Regressforderungen in das Verbot des Pflegeregresses ein. Diese Entscheidung trifft aber keine Aussage dazu, dass ein anhängiges Exekutionsverfahren (ohne weiteres Verfahren außerhalb der Exekution) einzustellen ist.

3. Zwar ist die rein verfahrensrechtliche Frage, ob die Exekution einzustellen ist, von der inhaltlichen Problematik zu trennen, ob ein „Pflegeregress“ (Vermögenszugriff, Geltendmachung von Ersatzansprüchen) auch aufgrund eines vor 2018 entstandenen Exekutionstitels nicht mehr möglich ist. Die vom Verfassungsgerichtshof vorgenommene Auslegung der außergewöhnlichen Verfassungsbestimmung des § 330a ASVG lässt es aber konsequent erscheinen, in der Anordnung des § 707a ASVG, dass laufende Verfahren einzustellen sind, (auch) die Schaffung eines selbständigen, von den in der EO normierten unabhängigen Exekutionseinstellungsgrund zu erblicken, der mit einem Antragsrecht des Verpflichteten einhergeht. Es ist unstrittig, dass der betriebene Anspruch Ersatzansprüche im Sinn des § 330a ASVG betrifft, daran anknüpfend sind die erforderlichen Voraussetzungen für die Einstellung nach § 707a ASVG gegeben. Der Verpflichteten war es im Titelverfahren (wegen der erst später erfolgten Rechtsänderung) naturgemäß nicht möglich, das Verbot des Pflegeregresses geltend zu machen.

In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen ist das Exekutionsverfahren daher einzustellen und das Zwangspfandrecht zu löschen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO iVm § 41 und 50 ZPO. Bei einer Bemessungsgrundlage von 60.360,02 EUR steht nur ein Einheitssatz von 50 % zu. Der Ansatz nach TP2 beträgt nur 1.046,20 EUR und jener nach TP 3C 1.255,60 EUR.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00167.18G.1024.000

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